Perspektive

Gräuelpropaganda zur Vorbereitung eines dritten Weltkriegs

Gräuelpropaganda zählt zu den wichtigsten Waffen moderner Kriegsführung. Dem Gegner werden bestialische Verbrechen unterstellt, die entweder frei erfunden oder stark übertrieben sind, um dann seine völlige Vernichtung anzustreben. Diesem Muster folgt die breit angelegte Kampagne über russische Kriegsverbrechen in Butscha.

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk, Bewunderer des Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera, während der Rede von Präsident Selenskyj im Bundestag (Bild: DBT/Thomas Trutschel/photothek)

Obwohl es bisher weder verlässliche Informationen noch eine unabhängige Untersuchung gibt, benutzen die ukrainische Regierung und die Nato das mutmaßliche Massaker an Zivilisten, um alle Brücken zu einem Waffenstillstand niederzureißen und die Fortsetzung des Kriegs bis zur vollständigen Unterwerfung Russlands zu propagieren.

Was sich in Butscha genau zugetragen hat, ist bisher nicht klar. Die ukrainische und die russische Darstellung der Ereignisse unterscheiden sich diametral. Die ukrainische Regierung wirft der russischen Armee vor, in der Kleinstadt bei Kiew über 400 Zivilisten brutal ermordet zu haben. Die russische Regierung spricht von einer „Provokation des Kiewer Regimes“ und behauptet, bis zum Rückzug der russischen Truppen am 30. März sei in der Stadt niemand zu Schaden gekommen.

Fotos und Videoaufnahmen zeigen zahlreiche Körper in Zivilkleidern, die am Wegrand liegen. Auch Journalisten bestätigen, sie hätten Leichen gesehen. Um wen es sich handelt und wer sie wann umgebracht hat, ist aber bisher nicht geklärt. Angesichts der Rolle, die ähnliche Vorfälle in der imperialistischen Kriegspropaganda gespielt haben, ist deshalb größte Vorsicht geboten.

Erinnert sei an das „Massaker von Račak“, das von der Nato instrumentalisiert wurde, um ihren völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien zu rechtfertigen. Am 15. und 16. Januar 1999 wurden in der Nähe des Dorfes Račak 40 Leichen aufgefunden, die von den westlichen Medien als Beleg für einen angeblichen serbischen Völkermord an den Kosovo-Albanern präsentiert wurden. Später stellte sich heraus, dass die Beweise manipuliert worden waren. Die tatsächlichen Vorgänge sind bis heute nicht aufgeklärt, da wichtige Dokumente unter Verschluss bleiben.

Auch jetzt haben die Nato-Mächte das mutmaßliche Massaker sofort instrumentalisiert, um den Konflikt mit Russland zu verschärfen. US-Präsident Joe Biden hat weitere Sanktionen angekündigt und einen „Kriegsverbrecherprozess“ gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin verlangt, was den Weg zu einer Verhandlungslösung praktisch verbaut. Auch die Europäische Union will ihre Sanktionen gegen Russland verschärfen.

Besonders heftig sind die Reaktionen in Deutschland. Ehemals liberale Vertreter der wohlhabenden Mittelschicht, darunter zahlreiche Journalisten, sind von einer regelrechten Kriegshysterie erfasst. Die Sanktionen gegen Russland und die militärische Unterstützung der Ukraine können ihnen nicht weit genug gehen.

Nachrichten und Talk-Shows sind zu reinen Propagandasendungen verkommen, in denen keine abweichenden Meinungen mehr geduldet werden. Selbst Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der früher Außenminister war, geraten ins Kreuzfeuer der Kritik, weil sie einst diplomatische Beziehungen zu Putin gepflegt hatten. Steinmeier hat seinen „Fehler“ mittlerweile eingestanden, Merkel bisher nicht.

Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock, eine führende Stimme der deutschen Kriegspropaganda, hat als Reaktion auf Butscha 40 russische Diplomaten aus Deutschland ausgewiesen. Die Bundesregierung liefert, wie die US-Regierung, zusätzliche Waffen an die Ukraine.

Die Doppelmoral dieser Kampagne sprengt alle Grenzen. Journalisten, die seit Jahrzehnten jedes Kriegsverbrechen der USA und der Nato verteidigen und die historischen Verbrechen der Nazis verharmlosen, entdecken in Butscha eine neue Dimension von Kriegsverbrechen.

Typisch ist ein Kommentar des Leiters des Politik-Ressorts der Süddeutschen Zeitung, Stefan Kornelius. Was in Butscha sichtbar werde, schreibt er, „lässt sich mit dem Begriff Verbrechen nicht mal ansatzweise beschreiben und macht die viehische, bestialische Natur dieses Gemetzels klar“. Die russische Invasion sei „allein auf Zerstörung und Tod angelegt“, sie entziehe sich „allen Vorstellungen von Gräuel“. Die Ukraine erleide „keinen Angriffskrieg“, sondern „einen Vernichtungsfeldzug“.

Als „Vernichtungsfeldzug“ bezeichneten die Nazis ihren Krieg gegen die Sowjetunion, dem fast 30 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Allein auf dem Gebiet der heutigen Ukraine ermordeten sie 5 Millionen Menschen, darunter 1,5 Millionen Juden. In Babyn Jar, das nur wenige Kilometer von Butscha entfernt liegt, erschoss die Wehrmacht innerhalb von 36 Stunden 34.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder.

Die Gleichsetzung der Ereignisse in Butscha mit diesen historischen Verbrechen ist eine bewusste Verharmlosung des Naziregimes, um in dessen Fußstapfen zu treten. Kornelius tritt dafür ein, den Krieg gegen Russland bis zu dessen vollständiger Kapitulation zu verschärfen. „Wer glaubt, die Ukraine könne mit Russland einen Frieden schließen, und der Krieg würde dann enden, der sollte sich ehrlich machen: Niemand in der Ukraine wird einen Frieden schließen, diese Bilder werden den Krieg in eine neue Dimension katapultieren“, schreibt er.

Kornelius, der international bestens vernetzt ist, betätigt sich seit langem als Propagandist des deutschen Militarismus. Bereits 2014 hatte er den Sturz des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch durch faschistische Milizen begrüßt und ein militärisches Eingreifen der Nato gefordert, als Russland als Reaktion darauf die Krim in sein Staatsgebiet eingliederte.

Ein Jahr zuvor war er nach einem angeblichen Giftgasangriff auf syrische Zivilisten für eine militärische Intervention der USA in Syrien eingetreten. Zynisch stellte er dabei fest, es sei nicht wirklich entscheidend, ob das Assad-Regime oder die vom Westen unterstützten Rebellen das Giftgas eingesetzt hätten: „Realistisch betrachtet, macht es auch kaum einen Unterschied, wer die Granaten verschossen hat.“

Kornelius ist nur einer von vielen deutschen Journalisten, die zum totalen Krieg gegen Russland aufrufen.

Mathieu von Rohr, Leiter des Ressorts „Ausland“, schreibt im Spiegel: „Eine Rückkehr zum Status quo ante wird es nicht geben, kann es nicht geben. Nicht mit Russland, nicht für Europa. Dieser Krieg hat einige Dinge auf dem Kontinent unwiderruflich verändert: Es ist jetzt endgültig klar, dass der Frieden in Europa nur gegen Russland verteidigt werden kann.“

Auch er wirft Putin vor, er führe „einen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine“, und folgert: „Wir müssen der Ukraine alle Waffen liefern, die sie gebrauchen kann, insbesondere auch schwere Waffen – und zwar schnell.“

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kommentiert Reinhard Veser, die Ukrainer seien „in einem Existenzkampf, in dem sie keine andere Möglichkeit haben, als sich mit allen Kräften zu wehren. Der Westen muss ihnen die Mittel dafür zur Verfügung stellen.“ Kompromisse mit Putin könnten zu keinem dauerhaften Frieden führen.

Die Rehabilitierung des Nationalsozialismus ist untrennbarer Bestandteil dieser Kriegskampagne. Bereits 2014 gingen die Rückkehr des deutschen Militarismus und die Unterstützung des rechten Putsches in der Ukraine mit der Verharmlosung von Nazi-Verbrechen einher. Der Berliner Historiker Jörg Baberowski forderte damals im Spiegel die Rehabilitierung des Nazi-Apologeten Ernst Nolte und bescheinigte Hitler, er sei „nicht grausam“ gewesen.

Als die Sozialistische Gleichheitspartei und ihre Jugendorganisation IYSSE dagegen protestierten, stellten sich die bürgerlichen Medien nahezu geschlossen hinter Baberowski. Als die SGP Unterstützung unter Studenten und Arbeitern gewann, denunzierte sie der Verfassungsschutz als „linksextreme“ Organisation, stellte sie unter Beobachtung und nahm sie in seinen Bericht auf. Damals begann auch der politische Aufstieg der rechtsextremen AfD.

Inzwischen gehört die Verharmlosung von Nazi-Verbrechen in Deutschland zum guten Ton. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk, ein offener Bewunderer des Nazi-Kollaborateurs und Kriegsverbrechers Stepan Bandera, ist gefeierter Gast in Redaktionen und auf politischen Veranstaltungen.

Als Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar im Bundestag die größte Aufrüstungsoffensive seit Hitler verkündete, wurde Melnyk, der zusammen mit Ex-Bundespräsident Joachim Gauck auf der Zuschauertribüne saß, von den Abgeordneten sämtlicher Fraktionen mit einer stehenden Ovation begrüßt. Seither verteidigt Melnyk seine rechtsextremen Neigungen völlig ungeniert.

Ziel seiner jüngsten Attacke ist der Kolumnist der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl. Dieser hatte Melnyks Bandera-Personenkult „befremdlich“ genannt und angemerkt: „Bandera ist verurteilter Mörder des polnischen Innenministers Pieracki im Jahr 1934; er wurde 1940 Anführer des radikal antisemitischen Flügels der Organisation Ukrainischer Nationalisten; der übernahm nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Lemberg/Lwiw dort Polizeigewalt und war an Pogromen gegen die jüdische Zivilbevölkerung sowie an der Ermordung sowjetischer Kriegsgefangener beteiligt.“

Melnyk erwiderte auf Twitter: „Weder die Russen, noch die Deutschen haben das Recht zu bestimmen, wen die Ukrainer als Helden verehren. Stepan Bandera & Hunderttausende meine Landsleute kämpften sowohl gegen Hitler, als auch gegen Stalin für den [UKR] Staat. Lasst uns in Ruhe mit euren Belehrungen.“

Die Kriegsoffensive gegen Russland und die Rehabilitierung der Verbrechen der Nazis sind zwei Seiten ein- und derselben Medaille. Deutschland, den USA und der Nato geht es in der Ukraine nicht um die „Freiheit“ des Landes und das Wohlergehen seiner Bevölkerung. Sie führen einen Stellvertreterkrieg gegen Russland, um es – wie einst Hitler – zu erobern und unter sich aufzuteilen. Dabei nehmen sie das Risiko eines dritten, nuklearen Weltkriegs bewusst in Kauf. Die Bevölkerung und die Armee der Ukraine, die sie bis an die Zähne bewaffnen, dienen ihnen dabei als Kanonenfutter.

Das reaktionäre, nationalistische Regime von Wladimir Putin, das die Interessen der russischen Oligarchen vertritt, hat dem nichts entgegenzusetzen. Es schwankt zwischen Verhandlungsangeboten an die imperialistischen Mächte, nuklearem Säbelrasseln und brutalen militärischen Aktionen, die der imperialistischen Propaganda in die Hände spielen.

Die Gefahr eines dritten Weltkriegs kann nur durch die unabhängige Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse – der russischen, ukrainischen, europäischen und amerikanischen – gestoppt werden. Das erfordert ein sozialistisches Programm, das die gesellschaftlichen Interessen der Massen über die Profitinteressen der Wenigen stellt.

Loading