Unterstützt den Kampf der 70.000 streikenden Busfahrer in Maharashtra (Indien)!

Mehr als 70.000 Beschäftigte der staatlichen Busverkehrsgesellschaft von Maharashtra (Maharashtra State Road Transport Company, MSRTC) befinden sich seit dem 4. November 2021 in einem unbefristeten Streik. Ihr Kampf hat internationale Bedeutung. Die Arbeiter widersetzen sich den brutalen Repressalien der Unternehmensleitung und den Gerichten, die ihre Arbeitskampfmaßnahmen wiederholt für illegal erklärt haben. Sie führen ihren Streik auch gegen die mehr als zwei Dutzend Gewerkschaften, die behaupten, sie zu vertreten. Wir veröffentlichen hier einen Unterstützungsbrief des Berliner Aktionskomitees der Verkehrsarbeiter für sichere Arbeitsplätze, die sich mit dem Streik ihrer indischen Kollegen solidarisieren.

Liebe streikende Kollegen von der MSRTC,

wir Berliner Busfahrer haben durch die World Socialist Website (WSWS) und das Rank-and-File Committee der Londoner Busfahrer von Eurem heroischen und prinzipiellen Streik erfahren.

Euren Kampf unterstützen wir aus vollstem Herzen.

Tief betroffen sind wir über die Dutzenden Suizide unter den Kollegen und möchten Euch und den Hinterbliebenen unser Mitgefühl und ganze Solidarität ausdrücken. Sie sind, ebenso wie Eure 350 Kollegen, die an Covid-19 starben, Opfer der rücksichtslosen Profitorientierung des Verkehrsunternehmens und der Regierung.

Gleichzeitig verurteilen wir auf das Schärfste die Verhaftung Eurer Kollegen und fordern ihre sofortige Freilassung!

Das Urteil des Obersten Gerichtshofs in Bombay gegen Euch ist ein klares Klassenurteil.

Eure Entscheidung im vergangenen November, gegen die geplante Privatisierung des Fernverkehrs und die damit verbundenen schlechteren Arbeitsbedingungen und Löhne in einen unbefristeten Streik zu treten, war und bleibt absolut richtig.

Fahrer und Beschäftigte der Busgesellschaft MSRTC appellieren an Passanten, ihren Streik zu unterstützen (Foto: MSRTC-Streikende)

Niemand darf Euren Streik für illegal erklären und zwangsweise beenden! Jeder Arbeiter Indiens und weltweit muss das Recht behalten, für ein besseres und sicheres Leben zu streiken.

Doch die Gerichte vertreten uneingeschränkt die Interessen der Privatisierungsprofiteure, der Banken, der Milliardäre und der von ihnen gekauften Politiker aus allen etablierten Parteien.

Von den katastrophalen Auswirkungen der Privatisierungen im öffentlichen Sektor können wir europäischen Busfahrer einiges berichten.

Vor mehr als zwanzig Jahren beschloss die Europäische Union die Privatisierung des Nah- und Fernverkehrs in den europäischen Mitgliedsstaaten. Alle Verkehrsunternehmen, mit bis dahin relativ guten Löhnen und Arbeitsbedingungen für die Verkehrsarbeiter, treten seitdem gegeneinander auf dem Markt an und versuchen sich, bei den Kosten gegenseitig zu unterbieten.

Das Verkehrsunternehmen mit den geringsten Personalkosten gewinnt die Ausschreibung und erhält den Marktanteil für ein paar Jahre. Dies betraf und betrifft nicht nur den öffentlichen Nah- und Fernverkehr, sondern jeden Winkel des öffentlichen Dienstes: Bildung, Gesundheit, Infrastruktur usw.

Europas Milliardäre wurden fett auf unsere Kosten.

Vor 17 Jahren hat die Berliner Landesregierung mit Unterstützung der Gewerkschaften die Löhne aller Beschäftigten bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) um 16 Prozent gesenkt. Gleichzeitig wurden uns viele Zusatzleistungen gestrichen. Die Arbeitshetze wurde drastisch verschärft.

Eine ganze Generation von neu eingestellten Fahrern erhält 30 Prozent weniger Gehalt als ihre Vorgänger. Mit einem Monatslohn von nur ca. 2000 Euro müssen wir die hohen Berliner Mieten von rund 1000 Euro und mehr für Familien finanzieren sowie die ständig steigenden Lebenshaltungskosten. Dabei schuften wir in 6-Tage-Schichten mit bis zu 56 Stunden.

In Streiks erkämpfte tarifliche Lohnerhöhungen, die über der jährlichen Inflationsrate liegen, gibt es nicht mehr. Die Gewerkschaften machen die Lohndeals mit dem Management hinter verschlossenen Türen.

Die Politik der Gewerkschaften bei uns ist die gleiche wie bei Euch und weltweit. Sie kassieren unsere Mitgliedsbeiträge, vertreten aber die Unternehmensinteressen gegen uns. Sie sorgen dafür, dass unsere Arbeitskämpfe ausverkauft werden und isoliert bleiben.

Diese Isolierung ist auch der Grund, warum Euer heroischer Streik in so großer Gefahr ist. Wie die WSWS schrieb, wird Euer Kampf von den „Gewerkschaftsverbänden“ und „linken“ Parteien „absichtlich isoliert“ und sie „haben nichts unternommen“, um Arbeiter zu Eurer Verteidigung zu mobilisieren.

Diese Aussage trifft auch haargenau auf Deutschland und Europa zu. Die Gewerkschaften setzen stets alles daran, die Arbeitskämpfe so klein wie nur möglich zu halten. Ihre größte Angst ist es, dass wir Arbeiter uns über betriebliche und regionale Grenzen hinweg vereinigen könnten.

Auch in der seit Anfang 2020 andauernden Pandemie stehen sie fest an der Seite der Unternehmensleitungen und sorgen für die Durchsetzung der Profitinteressen des Managements und der Aufsichtsräte.

Wir haben wegen der unverantwortlichen Pandemiepolitik mindestens zwei Kollegen verloren und alle haben ihre Gesundheit und die ihrer Familien riskiert. Doch die Gewerkschaften wollten unsere Forderung nach sicheren Arbeitsplätzen zum Schutz vor der Infektionsgefahr boykottieren und hintertreiben. Deshalb gründeten wir unser Aktionskomitee für sichere Arbeitsplätze und sind im Kampf gegen die schlechten und unsicheren Arbeitsbedingungen. Dabei grenzen wir uns von dem prokapitalistischen Programm der Gewerkschaften ab, die unsere Löhne opfern und zusammen mit der Landesregierung weitere Privatisierungen durchführen wollen.

„Enough is enough!“

Gegen Hungerlöhne, schlechte Arbeitsbedingungen und Infektionsgefahr – alles Folgen rücksichtsloser Profitorientierung – müssen wir Arbeiter unser Leben und unsere Gesundheit sowie das unserer Angehörigen verteidigen gegen die Front aus Unternehmensleitungen, Gewerkschaften, Regierungen und Pseudolinke.

Es ist Zeit, weltweit den Gewerkschaften, den stalinistischen Parteien und den pseudolinken Gruppierungen, die uns dominieren und spalten wollen, den Kampf anzusagen. Dafür brauchen wir neue Kampforganisationen. Wie wir so braucht auch Ihr in Maharashtra Aktionskomitees, mit denen Ihr Euren Kampf unter allen Arbeitern und der Landbevölkerung auf dem gesamten indischen Subkontinent - in Pakistan, Bangladesch und in Sri Lanka, wo gerade Massenproteste stattfinden - bekannt macht und Unterstützung gewinnt. Wir werden alle unsere Möglichkeiten nutzen, um euren Streik bekannt zu machen und Unterstützung unter Busfahrern und anderen Arbeitern in Deutschland und Europa zu mobilisieren.

Mit solidarischen Grüßen!

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