Wachsende Wut über französische Präsidentschaftswahl

Studierende besetzen die Pariser Sorbonne Université

Studierende besetzen die Pariser Sorbonne Université (WSWS Media)

Am Mittwochnachmittag besetzten Hunderte von Studierenden den Ostflügel der Sorbonne Université im Herzen von Paris. Zuvor hatte die Universitätsleitung in einer undemokratischen Entscheidung eine antifaschistische Veranstaltung beendet und versucht, die Studierenden auszusperren.

Die Besetzung ist ein erster Ausdruck des Widerstands gegen die Sackgasse der französischen Präsidentschaftswahlen, die zu einem Wettbewerb zwischen dem „Präsidenten der Reichen“ Emmanuel Macron und der neofaschistischen Kandidatin Marine Le Pen geworden sind. Im Mai 1968 hatte ein gewaltsamer Polizeieinsatz gegen Studierende, die ebenfalls das historische Universitätsgebäude besetzt hatten, einen Generalstreik ausgelöst, der den kapitalistischen Staat in die Knie zwang. Jetzt organisieren Studierende an mehreren französischen Universitäten Versammlungen, um den Kurs für die kommenden Tage zu beschließen.

Eigentlich sollte am Mittwoch um 13 Uhr auf dem Gelände der Universität eine antifaschistische Veranstaltung stattfinden. Teilnehmer an der Besetzung erklärten gegenüber der WSWS, dass die Verwaltung den wartenden Studierenden verkündete, die Veranstaltung sei untersagt. Daraufhin versperrten Sicherheitskräfte alle Zugänge zur Universität und verweigerten hunderten Studierenden den Zugang.

Die Studierenden, die es trotzdem in die Sorbonne geschafft hatten, hielten daraufhin in einem Hörsaal eine Versammlung ab. Dort beschlossen sie, das Hauptgebäude des Campus zu besetzen, woraufhin zahlreiche Studierende außerhalb des Gebäudes den ganzen Nachmittag über von Sicherheitskräften daran gehindert wurden, das Gebäude zu betreten. Bis zum Abend befanden sich noch etwa 300 Studierende im Ostflügel der Sorbonne, die von Unterstützern von außen versorgt wurden.

Sorbonne-Studierende bei der Universitätsbesetzung (WSWS Media)

Ein Sprecher erklärte: „Wir müssen uns in Netzwerken in allen Distrikten Frankreichs organisieren.“ Ähnliche Vollversammlungen sind für die kommenden Tage im ganzen Land geplant.

Auf den Mauern der Universität waren zahlreiche Graffiti zu sehen, die Macron und Le Pen kritisierten, außerdem mehrere anarchistische Symbole.

Zu der ursprünglichen Veranstaltung hatte die Organisation Coordination Antifasciste Inter-Universitaire (CAIU) aufgerufen, die seither per Twitter dem Präsidenten der Sorbonne „nicht verhandelbare Forderungen“ vorgelegt hat, die am Mittwochabend auf der Veranstaltung beschlossen worden waren. Unter anderem verlangten sie den Ausfall aller Vorlesungen bis Montag, die Kontrolle der Zugänge zur Universität durch die Studierenden, die Erlaubnis zum Übernachten auf dem Gelände und das Recht auf eine Fortsetzung der Besetzung bis zum zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl.

Einige der Studierenden, die die Sorbonne besetzen (WSWS Media)

Die Besetzung und die Proteste an der Sorbonne sind Teil einer Welle von Protesten, mit denen Studierende und Jugendliche auf die „Wahl“ zwischen der Neofaschistin Le Pen und Macron reagieren, der während seiner ganzen Präsidentschaft einen faschistoiden Kurs verfolgt hat. Studierende haben auch die Universitätsgebäude der Pariser Hochschule École normale supérieure (ENS) auf dem Campus de Jourdan und die Science Po in Nancy besetzt.

Die Studenten, die seit Montag das Logos-Gebäude der ENS Jourdan besetzt halten, veröffentlichten einen Artikel, in dem es hieß: „Wir lehnen die Wahl zwischen Ultraliberalismus und Faschismus im zweiten Wahlgang ab.“

Bisher haben sich Polizei und Gendarmerie aus dem Kampf zwar herausgehalten, er wird jedoch von Seiten des Staats aufmerksam beobachtet. Studierende berichteten im Gespräch mit der WSWS, in der Gegend würden Personen in Zivil mit Ohrstöpseln herumlaufen, die offensichtlich nicht mit der Universität in Verbindung stehen. Zudem werden die Eingänge des Gebäudes weiterhin von Dutzenden von Sicherheitskräften bewacht.

Einer der Besetzer erklärte gegenüber der WSWS: „Die Besetzung ist ein Kampf gegen Macron und Le Pen. Beide sind sehr rechte Kandidaten, und ein großer Teil Frankreichs steht weit links. Das wird jedoch bei den Wahlen nicht deutlich, also müssen wir aktiv werden.“

Zwei Studierende außerhalb des Protests erklärten, sie wollten sich auch den Protesten anschließen, weil sie „die Wahl zwischen Le Pen und Macron ablehnen“. Beide erklärten sich besorgt über die islamophobe Politik beider Kandidaten.

Der unmittelbare Auslöser für die Besetzung war zwar das Ergebnis der ersten Runde der Parlamentswahl, doch in den Protesten äußert sich die Wut, die sich unter Studierenden seit mehreren Jahren angestaut hat. Während der Pandemie mussten sie Einkommensverluste und den Tod zahlloser Familienmitglieder und Angehöriger ertragen und haben sich in Massen mit Corona infiziert, weil Macron eine Politik der Herdenimmunität verfolgt. Unsichere Arbeitsplätze und Macrons Absicht, die Universitäten durch die Einführung exorbitanter Studiengebühren zu „amerikanisieren“, haben ebenfalls für Empörung gesorgt.

Das harte Vorgehen der Universität gegen das demokratische Recht der Studenten, eine Versammlung abzuhalten, spiegelt die große Angst der herrschenden Elite vor der Opposition der Arbeiter und der Jugend wider. Die Klassenspannungen in Frankreich und Europa sind außergewöhnlich scharf. Da große Teile der Arbeiterklasse und der Jugend wütend oder verbittert darüber sind, nur die Wahl zwischen dem allgemein verhassten Macron und Frankreichs berüchtigster Neofaschistin zu haben, gleicht die französische Gesellschaft einem Pulverfass.

Das instinktive Verlangen der meisten Studierenden und Jugendlichen, sich gegen die „Wahl“ zu wehren, die ihnen von der herrschenden Klasse aufgezwungen wird, bestätigt eindrücklich die Forderung der Parti de l’égalité socialiste (PES) nach einem aktiven Boykott der zweiten Runde der französischen Präsidentschaftswahl. Es ist bereits das dritte Mal in den letzten zwanzig Jahren, dass eine faschistische Kandidatin in die Stichwahl aufgerückt ist.

Millionen von Jugendlichen und Studierenden haben am Sonntag für Mélenchon gestimmt, weil sie darauf gehofft hatten, er sei eine linke Alternative zum ständigen Rechtsruck der gesamten französischen Bourgeoisie. Sein abrupter Rücktritt am Sonntagabend, noch bevor das Endergebnis bestätigt wurde, hat gezeigt, dass er kein Verbündeter der Jugend und der Arbeiter im Klassenkampf ist. Obwohl er die Unterstützung von Millionen von Arbeitern und Jugendlichen erhalten hat, überließ er Macron und Le Pen das Schlachtfeld.

Die Studierenden, die an der Besetzung beteiligt sind, und ihre Sympathisanten müssen den Kampf ausweiten. Arbeiter und Jugendliche in ganz Frankreich und der Welt stehen vor denselben Problemen: Krieg, Pandemie und wachsende Armut aufgrund der hohen Inflation. Entscheidend ist, dass sich die Jugend an breitere Teile der Arbeiterklasse wendet und dafür kämpft, die Arbeiter gegen diese Wahl zwischen Pest und Cholera zu mobilisieren.

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