Arbeiter und Jugendliche sprechen gegen Ukraine-Krieg und Nato-Aggression

„Natürlich habe ich Angst, dass sich der Konflikt zu einem Atomkrieg ausweitet“

Mit dem Ukrainekrieg hat sich in der Gesellschaft eine tiefe Kluft aufgetan. Die Regierung fordert Opfer für „Freiheit und Demokratie“, doch die Hysterie, mit der immer neue Sanktionen, Waffenlieferungen und Rüstungsprojekte beschlossen werden, findet in der Arbeiterklasse kaum Widerhall. In Betrieben, an Supermärkten und in Arbeitervierteln herrscht eine ganz andere Stimmung. Diese findet jedoch weder in den Politikerreden noch in der Berichterstattung der bürgerlichen Medien ihren Ausdruck.

Scholz, Baerbock und Co. haben eine regelrechte Kriegshysterie gegen Russland entfesselt. Sie rüsten die Bundeswehr mit zusätzlich 100 Milliarden Euro und die ukrainische Armee mit Panzern und Raketen aus. Und um dies alles zu finanzieren, sollen Arbeiter Opfer bringen. „Wir können auch einmal für die Freiheit frieren“, fordert Joachim Gauck, der frühere Bundespräsident. Und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck empfiehlt als „Faustformel“ zum Energiesparen, jeder Haushalt müsse zehn Prozent einsparen.

Darüber sprechen derzeit Teams der WSWS mit Arbeitern und Jugendlichen in verschiedenen Städten und laden sie zur Internationalen Online-Maifeier ein. Wie sich immer deutlicher zeigt, verfängt die Kriegspropaganda kaum in der arbeitenden Bevölkerung, die gerade zwei Jahre Corona-Pandemie hinter sich hat. Sie ist von explodierenden Preisen für Benzin und Lebensmittel besonders hart betroffen. Zudem haben viele Arbeiter russische Kollegen, Freunde und Verwandte, oder sie stammen selbst aus dem Balkan oder aus anderen, von Nato-Kriegen gezeichneten Weltregionen.

Vor einem Supermarkt in München-Moosach unterstützt Havva den Kampf gegen Krieg

„Freiheit – Nein! Welche Freiheit?“ kommentiert Magdalena, eine Berliner Handwerkerin, Gaucks Forderung. „Die Freiheit hat keinen solchen Preis“, fährt sie fort. Gerade aus dem Supermarkt kommend, stellt sie fest: „Noch Ende letzten Jahres konnte ich für 30 Euro für eine dreiköpfige Familie einen Wocheneinkauf machen. Heute reicht das gerade mal für etwa zwei Tage.“ Mit Blick auf die grassierende soziale Ungleichheit sagte sie: „Krieg hin oder her, Krise hin oder her, eine grüne Politikerin, eine Nachwuchspolitikerin, die im Bundestag pöbelt, verdient 14.000 Euro im Monat. Ich komme mit knapp 1.900 nach Hause.“

„Sie nehmen es denen weg, die im Bildungsbereich und in der Pflege arbeiten“, sagt eine Erzieherin dazu. „Damit werden die Waffen finanziert. Ich arbeite im Kindergarten. Die Erzieher gehen auf dem letzten Zahnfleisch, vor allem bei den freien Bildungsträgern. Wir haben keine Corona-Prämie, keinen Berlinzuschlag bekommen.“ Sead S., ein Bauarbeiter, bestätigt: „Ich arbeite am Bau als Monteur, meine Frau in der Kita. Um über die Runden zu kommen, müssen wir beide hart arbeiten.“ Er bestätigt, dass die spürbar verteuerten Preise bei Lebensmitteln und Energie die Familie empfindlich treffen. Zu der Aufrüstung der Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro sagt er, das komme „überraschend, man wird einfach vor vollendete Tatsachen gestellt (…) Ich komme aus Bosnien, ich weiß, was Krieg bedeutet. Die Folgen sind heute noch sichtbar.“

Auch Hakan E., der im Call-Center arbeitet, greift die Inflation und Gaucks demagogische Forderung auf. „Die Preissteigerungen merkt man schon sehr stark: Vor allem manche Lebensmittel wie Kaffee und Öl, auch die Nebenkosten (Strom, Energie, Heizung) sind teurer geworden. Die Regierungen in Europa behaupten, das sei der ‚Preis der Freiheit‘“, fährt er fort. „Die Frage ist, was die unter Freiheit verstehen, und ob das alles wirklich Freiheit ist. Wir sind fest in diesem System einkalkuliert, und alles ist schon vorbestimmt. Sollen wir alles glauben, was da so in den Zeitungen steht?“ Auch die Wirtschaft, so Hakan, sei „nicht demokratisch“. Beispielsweise sei es falsch, dass über Lebensmittel wie Weizen „die Preise durch einen Markt bestimmt werden, der darüber spekuliert“.

Auch in München wird deutlich, dass es in der Arbeiterklasse brodelt. Vor dem BMW-Werk bleiben während des Schichtwechsels viele Arbeiter stehen und kommentieren unsere Flyer.

„Wo kommen jetzt auf einmal die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr her?“ fragt Marco, ein BMW-Arbeiter. „Seit zwei Jahren fehlt es in der Pandemie überall an Geld: Für die Kinder in den Schulen gibt’s keine Luftfilter und zu wenig Lehrer. Die Kliniken sind überlastet. Aber für die Bundeswehr – 100 Milliarden?!“ Auch Adna wundert sich: „Warum war es nicht möglich, in der Pandemie 100 Milliarden für die Pflege aufzubringen?“

„Während der ganzen Corona-Pandemie haben sie nicht so viel Geld ausgegeben“, meint Dragan, ein Arbeiter mit jugoslawischen Wurzeln. Die massive Aufrüstung der Bundeswehr weise seiner Meinung nach darauf hin, „dass Deutschland in der Ukraine – wie die USA – den eigenen Vorteil verfolgt.“ Man dürfe nicht alles glauben, was man höre, sagt Dragan. „Achtzig Prozent von dem, was man in den Medien über den Ukrainekrieg hört, ist falsch.“ Jedenfalls machten die Nachrichten auf ihn einen „komplett koordinierten“ Eindruck.

Viele nehmen die Gefahr eines dritten Weltkriegs ernst. „Die da oben denken nicht darüber nach, was danach kommt!“ wirft ein jüngerer Arbeiter ins Gespräch. Denen gehe es nur um ihre eigenen Interessen. Er erklärt: „Sie führen Krieg in der Absicht, Kontrolle über Russland zu bekommen. Wie schon zweimal in der Geschichte könnte das zum Weltkrieg führen. Bloß dass sie jetzt einen Nuklearkrieg riskieren.“ André, ein weiterer BMW-Kollege, findet den Vorschlag der SGP, dass Arbeiter sich unabhängig organisieren und gemeinsam ins Geschehen eingreifen sollen, zwar neu und ungewohnt, aber gut. Von den sozialen Aufständen in andern Ländern, beispielsweise in Sri Lanka, höre man nicht in den Medien. „Das ist auch gar nicht gewollt, dass wir davon hören.“

Vor einem Münchner Supermarkt in Moosach spricht ein Team mit Maria, die die internationale Perspektive der Ersten-Mai-Kampagne ausdrücklich unterstützt. Sie hoffe, sagt sie, auf sachliche Nachrichten aus China und Brasilien. Die derzeitigen Nachrichten empfinde sie als Kriegsberichterstattung. „Das macht mich alles krank und traurig“, wie sie sagt. Eine Passantin namens Yela erklärt, sie wünsche sich, als Steuerzahler auch einmal ein Wort dazu zu sagen, wofür die Steuergelder verwendet würden. „Waffen sind nicht okay!“ sagt Yela. „Mit immer mehr Waffen hilft man niemandem. Und die Bevölkerung muss das alles bezahlen.“ Yela sagt, sie gebe schon „mehr als die Hälfte von meinem Lohn für Miete ab“, obwohl sie sehr viel arbeite. „Am Ende vom Monat bleibt mir nichts übrig.“

Vor einem Supermarkt in Stuttgart wird deutlich, dass besonders die zunehmende Russenhetze auf heftige Ablehnung stößt. Eine Frau weist darauf hin, dass „die Invasion von Putin wohl jetzt als Vorwand für einen Krieg gegen Russland dienen soll. Wenn nicht, würden sie nicht haufenweise Waffen in die Ukraine schicken.“ Pascal, ein junger Drucker, meint, die antirussische Kampagne sei einfach krank. Sie erinnere ihn an die Hasskampagne gegen muslimische Flüchtlinge. „Ich möchte mehr über den Krieg erfahren, insbesondere über den historischen Hintergrund“, sagt Pascal, der sich sehr für die Perspektive des IKVI und die WSWS-Analysen interessiert.

Auf dem Marienplatz erklärt ein serbischer Arbeiter zunächst, er sei kein Putin-Anhänger und gegen die Invasion in der Ukraine. „Aber für die deutsche Regierung geht es nicht darum, den Krieg in der Ukraine zu beenden und die Menschen zu retten“, fährt er fort. „Die ganze Propaganda richtet sich gegen Russland, was bedeutet, dass hier ein Krieg gegen Russland vorbereitet wird.“ Wie er sagt, erinnere ihn die ständige Berichterstattung über angebliche Massaker in Butscha und Mariupol an die Gräuelpropaganda, die vor dem Jugoslawienkrieg verbreitet wurden.

Der Krieg und die massive Aufrüstung bringen zahlreiche Jugendlichen dazu, sich für Politik zu interessieren. Das erfährt ein WSWS-Team, das trotz der Osterferien auf dem Nord-Campus der Humboldt-Universität Berlin mit Studierenden und Schülern spricht: Sie sind zum größten Teil entschieden gegen Krieg.

„Krieg ist nie eine Lösung“, sagt Lara, Medizinstudentin an der Charité. Sie bestätigt, dass keiner der Kriege, die USA und Nato in den letzten 30 Jahren führten, irgendetwas Fortschrittliches gebracht habe. Sie weist auf die Heuchelei hin, die mit dem Ukrainekrieg in der Flüchtlingsfrage deutlich wird: „Da wird mit zwei verschiedenen Maßbändern gemessen“, sagt Lara. Zwischen willkommen und unwillkommenen Flüchtlingen zu unterscheiden – „das zeigt schon, dass die herrschende Klasse hier nach ihren eigenen Interessen handelt.“

Drei Schüler aus Essen besuchen über die Osterferien den Berliner Campus. Die drei Elftklässler Laura, Clara und Jens gehören zu einer Generation jungen Menschen, die mit Kriegen des US-Imperialismus aufgewachsen sind; seit zwei Jahren haben sie die verheerende Durchseuchungspolitik der GroKo und der Ampel-Koalition hautnah mitgemacht. Sie äußern klare Einsichten in die aktuell gefährliche Lage. Alle drei drücken ihre Angst vor einem Atomkrieg aus: „Natürlich habe ich Angst, dass der Krieg sich ausweitet zu einer atomaren Auseinandersetzung“, sagt Clara. Laura stimmt zu, und Jens ergänzt: „Russland sucht mit Sicherheit keinen direkten Konflikt mit der NATO. Das wäre unlogisch und unklug.“ Außerdem habe „Russland selbst ja auch schon früher Bereitschaft gezeigt, in die NATO einzutreten“.

Mit Blick auf die Vorbereitung des US-amerikanischen Imperialismus auf eine Konfrontation mit China sagt Jens: „Russland und China wurden systematisch von der Weltgemeinschaft isoliert.“ Er weist darauf hin, dass die herrschenden Kreise der USA schon seit Jahren auf taktische Atomwaffen, kleinere Nuklearwaffen, setzten. Diese könnten angeblich „punktuell“ eingesetzt werden, um die Wehrhaftigkeit des Gegners mit einem Schlag auszuschalten – eine wahrhaft perfide Konzeption. „Mini-Nukes werden niemandem helfen!“ sagt Jens entschieden. Allein die Tatsache, dass sich die USA und Russland – die beiden größten Atommächte der Welt – gegenüberstehen, verleihe dem Kampf gegen Militarismus eine überlebenswichtige Dimension.

Vor diesem Hintergrund erteilt der junge Schüler auch der aggressiven Aufrüstung Deutschlands eine verbale Abfuhr. Die Waffenlieferungen seien eine „zusätzliche, ja unnötige Provokation gegen Putin“. Die drei Schüler finden besonders beunruhigend, dass die Waffenlieferungen an die Ukraine auch faschistischen Kräften wie des Asow-Regiments in die Hände fallen. Wie Jens meint, „liefert das Putin ja auch Futter für seine Behauptungen, in der Ukraine kämpfe Russland gegen Faschisten.“

Laura, die selber russische Wurzeln und auch in Russland lebende Verwandtschaft hat, erzählt eindrücklich von den Auswirkung des Krieges und der Sanktionen auf ihre Familie. „Weil dieser Krieg tobt, müssen meine Verwandten und Freunde in Russland unter den wirtschaftlichen Auswirkungen leiden. Sie können nichts dafür. Der Großteil der Bevölkerung will keinen Krieg.“ Sie sei entsetzt darüber, dass momentan in Politik und Medien wieder das Bild des slawischen Untermenschen beschworen wird, wenn es um Russland geht, und dass rassistische Übergriffe auf Russen (und Nichtrussen) sich häufen. „Niemand sollte wegen seiner Herkunft diskriminiert werden. Alle sollten willkommen sein, egal woher sie kommen.“

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