Bundestag droht Russland mit Krieg

Der Bundestag hat am Donnerstag mit großer Mehrheit grünes Licht für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine gegeben. Der Antrag mit dem zynischen Titel „Frieden und Freiheit in Europa verteidigen“ wurde von den Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP sowie der CDU/CSU-Opposition gemeinsam eingebracht und mit 586 gegen 100 Stimmen verabschiedet, bei sieben Enthaltungen. Er ist eine kaum verhüllte Kriegserklärung an Russland.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) setzt sich am 27. April im Bundestag für die Lieferung schwerer Waffen ein (Bild: DBT / Florian Gaertner / photothek)

Der zehnseitige Antrag fordert die Bundesregierung auf, „die Lieferung benötigter Ausrüstung an die Ukraine fortzusetzen und wo möglich zu beschleunigen und dabei auch die Lieferung auf schwere Waffen und komplexe Systeme etwa im Rahmen des Ringtausches zu erweitern“.

Er setzt sich für die „umfassende ökonomischen Isolierung und Abkoppelung Russlands von den internationalen Märkten“ ein. Dies sei neben der „Intensivierung und Beschleunigung der Lieferung wirksamer, auch schwerer, Waffen und komplexer Systeme durch Deutschland“ das „wichtigste und wirksamste Mittel, um den russischen Vormarsch zu stoppen“.

So soll die Bundesregierung „im Anschluss an das von der EU beschlossene Embargo für Kohle schnellstmöglich den Ausstiegsfahrplan für russische Öl- und Gasimporte“ und „einen weitgehenden Ausschluss aller russischen Banken aus dem internationalen Bankenkommunikationssystem SWIFT auf den Weg bringen“, „die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland und Belarus weiter stark beschränken“ und „die bisher beschlossenen weitreichenden Sanktionen gegen Russland konsequent umsetzen, gezielt ausweiten und verschärfen“.

Der Bundestag verabschiedete seine Kriegserklärung nur zwei Tage, nachdem die US-Regierung auf der Air Base Ramstein in Rheinland-Pfalz einen Kriegsgipfel mit Vertretern von 40 Nationen organisiert hatte, um die nächste Stufe der Eskalation zu planen. Das Treffen ließ keinen Zweifel, dass die Nato selbst die treibende Kraft im Krieg mit Russland ist.

„Die Ziele des Kriegs sind inzwischen klar,“ kommentierten wir das Treffen. „Das Blutvergießen in der Ukraine wurde nicht provoziert, um das formale Recht des Landes auf einen Nato-Beitritt zu verteidigen. Der Konflikt wurde vielmehr vorbereitet, angezettelt und massiv eskaliert, um Russland als bedeutende Militärmacht zu zerstören und seine Regierung zu stürzen. Die Ukraine ist ein Spielball in diesem Konflikt, und ihre Bevölkerung das Kanonenfutter.“

Inzwischen erwägen beide Seiten immer offener den Einsatz von Atomwaffen. Sowohl der russische Außenminister Sergej Lawrow als auch Präsident Wladimir Putin haben deutlich gemacht, dass sie zu diesem Mittel greifen werden, wenn sich Russland in seiner Existenz gefährdet sieht.

„Wenn jemand beschließt, von außen in das laufende Geschehen einzugreifen und unannehmbare strategische Bedrohungen für uns zu schaffen, sollte er wissen, dass unsere Antwort auf diese kommenden Schläge schnell, blitzschnell sein wird,“ sagte Putin am Mittwoch vor russischen Parlamentariern. Man habe „alle Werkzeuge“ für einen schnellen Gegenschlag: „Wir werden nicht lange damit prahlen: Wir werden sie verwenden, wenn wir müssen. Und ich möchte, dass jeder das weiß.“

Auch die USA verschärfen ihre Drohungen. Sie reichen von der Erklärung von Verteidigungsminister Lloyd Austin, man habe das Treffen in Ramstein einberufen, um den Konflikt mit Russland „zu gewinnen“, über die Ankündigung des früheren Befehlshabers der US-Armee in Europa, Ben Hodges, man werde Russland „das Rückgrat brechen“, bis zu Diskussionen über die Siegesschancen in einem Atomkrieg im Wall Street Journal.

Dort hat Seth Cropsey, ein ehemaliger hochrangiger Beamter im Verteidigungsministerium, unter dem Titel „Die USA sollten zeigen, dass sie einen Atomkrieg gewinnen können“ einen Meinungsartikel veröffentlicht. Er schlägt vor, dass die USA ein russisches Atomraketen-U-Boot zerstören und damit Russlands Zweitschlagsfähigkeit – d.h. seine Fähigkeit, nach einem amerikanischen Atomangriff zurückzuschlagen – reduzieren.

Anstatt dieser gefährlichen Eskalationsspirale entgegenzutreten, die ganz Europa und große Teile der Welt in eine nukleare Wüste zu verwandeln droht, heizen sie die Bundesregierung und der Bundestag weiter an.

Bereits auf dem Treffen in Ramstein hatte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) angekündigt, die Bundesregierung werde die Ukraine nun auch mit schweren Waffen beliefern und ihr „Gepard“-Flugabwehrpanzer zur Verfügung stellen. Noch vier Tage vorher hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Spiegel vor einem Atomkrieg gewarnt und versichert, man werde alles tun, um eine direkte militärische Konfrontation mit der Nuklearmacht Russland zu vermeiden. Nun schlug er seine eigene Warnung in den Wind.

Der Bundestag hat diesen gefährlichen Kurs bekräftigt. Sein Beschluss zeichnet sich durch eine atemberaubende Fälschung der Geschichte aus. Um wieder deutsche Panzer gegen Russland in Bewegung zu setzen, beruft er sich auf die Verantwortung, die sich aus „unserer eigenen Geschichte“ ergebe. „Deutschland steht in besonderer Verantwortung, alles dafür zu tun, dass aggressiver Nationalismus und Imperialismus im 21. Jahrhundert in Europa und der Welt keinen Platz mehr haben,“ heißt es darin. Deshalb unterstütze der Bundestag uneingeschränkt das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine.

Es gehört viel dazu, derart viele Lügen in einem einzigen Absatz unterzubringen. Die größte imperialistische Macht Europas, die den Kontinent zweimal in einen Weltkrieg gestürzt hat, bekämpft den „Nationalismus und Imperialismus“, indem sie sich mit ukrainischen Nationalisten verbündet, um Krieg gegen Russland zu führen!

Tatsächlich hatten bereits die Nazis in ihrem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion – und zuvor das kaiserliche Heer im Krieg gegen das bolschewistische Russland – mit ukrainischen Nationalisten zusammengearbeitet, die „uneingeschränkt“ für die Selbständigkeit der Ukraine eintraten und sich an den völkermörderischen Verbrechen der Nazis beteiligten.

Die heutigen Machthaber in Kiew verehren diese Kollaborateure als Helden und haben ihnen Denkmäler errichtet. So ist der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, ein erklärter Anhänger Stepan Banderas, des Führers der faschistisch-terroristischen Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), die für die Abschlachtung zehntausender Juden, Polen und Russen verantwortlich war.

Selbst nachdem der Bandera-Biograf und Historiker Grzegorz Rossoliński-Liebe in der jüngsten Ausgabedes Spiegel dessen Verbrechen detailliert geschildert hat, bekennt sich Melnyk öffentlich zu seinem Vorbild. Gerade als Deutsche solle man sich „lieber zurückhalten mit Belehrungen, wen wir Ukrainer zu verehren haben“, verteidigte er auf Twitter seine Bewunderung für den Nazi-Kollaborateur.

An einer anderen Stelle begrüßt die Bundestagsresolution das „Sendeverbot von russischen Propaganda-Kanälen“. Sie tut dies mit der Begründung, „dass die Pressefreiheit von zentraler Bedeutung für die Wehrhaftigkeit von Demokratien“ sei. „Pressefreiheit“ herrscht also dann, wenn man nur die Propaganda der eigenen Regierung hören darf und die der Gegenseite unterdrückt wird!

Die Kriegserklärung des Bundestags ist keine spontane Reaktion auf den reaktionären russischen Krieg gegen die Ukraine. Sie wurde seit Jahren vorbereitet. Bereits 2014, als die USA und Deutschland in Kiew einen rechten Putsch organisierten, um ein von ihnen abhängiges Regime zu installieren, tobte in Deutschland eine heftige Kampagne, den deutschen Militarismus wieder zu beleben und die Geschichte neu zu interpretieren.

Die Bundesregierung verkündete, Deutschland müsse außenpolitisch und militärisch wieder eine Rolle spielen, die ihrem wirtschaftlichen Gewicht entspreche. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler relativierte die deutsche Verantwortung für den Ersten Weltkrieg und proklamierte, Deutschland müsse als „Macht in der Mitte“ wieder zum „Zuchtmeister Europas“ werden. Der Historiker Jörg Baberowski verkündete, Hitler sei nicht grausam gewesen und der Vernichtungskrieg sei der Wehrmacht aufgezwungen worden.

Als Russland auf den Putsch in Kiew mit der Annektion der weitgehend russisch besiedelten Krim reagierte, verhängte Deutschland die ersten Sanktionen. Die ukrainische Armee, die nach dem Putsch fast völlig auseinandergebrochen war, erwies sich damals als machtlos. Deutschland und Frankreich vereinbarten deshalb das Minsker Abkommen, das den Konflikt um die – ebenfalls russisch besiedelten – Ostukraine einfror.

In der Zwischenzeit wurde die ukrainische Armee systematisch aufgerüstet. Die Bundestagsresolution brüstet sich, dass Deutschland seit 2014 „gut zwei Milliarden Euro an finanzieller Unterstützung geleistet“ hat. „Kein Land hat die Ukraine in den vergangenen Jahren finanziell mehr unterstützt.“ Wie viel davon in militärische Projekte floss, wird nicht genannt.

Die reaktionäre Antwort des Putin-Regimes, das auf die Einkreisung durch die Nato mit Krieg reagierte, wird jetzt benutzt, um die militaristischen und imperialistischen Ziele von 2014 voranzutreiben, für die es in der Bevölkerung kaum Unterstützung gibt.

Einen Tag vor dem Ukrainebeschluss debattierte der Bundestag in erster Lesung über das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, das den Verteidigungshaushalt in diesem Jahr auf einen Schlag verdreifacht. Auch hier zogen alle Parteien an einem Strang. Streit gab es nur über technische Details.

In der Debatte wurde deutlich, dass die 100 Milliarden Euro nur der Anfang sind. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, zählte eine lange Mängelliste auf, für die es Mittel zur Wartung und Instandsetzung brauche. Allein für fehlende Munition betrage der Nachholbedarf 20 Milliarden Euro. Mit den geplanten Rüstungsprojekten – darunter atomwaffenfähige Kampfbomber vom Typ F-35 – seien die 100 Milliarden Sondervermögen schnell aufgebraucht.

Der Reservistenverband drängte auf eine Verdoppelung der Truppenstärke. „Mit rund 200.000 Soldaten ist die Bundeswehr zu klein“, sagte Verbandspräsident Patrick Sensburg der Rheinischen Post. Für die Landesverteidigung seien rund 340.000 Soldaten und Soldatinnen und 100.000 regelmäßig übende Reservisten nötig.

Auch Die Linke und die AfD, die größtenteils gegen den Waffenlieferungsbeschluss des Bundestags stimmten, unterstützen den aggressiven Kurs der Bundesregierung. Vier AfD-Abgeordnete stimmten sogar für den Antrag, drei enthielten sich.

Die Linke, auf deren Stimmen es momentan nicht ankommt, spricht sich, um den Schein zu wahren, offiziell gegen Waffenlieferungen aus, dringt dafür aber umso heftiger auf scharfe Sanktionen.

So forderte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) gegenüber der Thüringer Allgemeinen: „Bevor Russland uns den Gashahn zudreht, drehen wir den Geldhahn zu, Schritt für Schritt. Bevor Putin eskaliert, müssen wir eskalieren.“ Die komplette Energieinfrastruktur, die Russland in Deutschland besitze, müsse unter treuhänderische Verwaltung gestellt werden.

Die Rückkehr des deutschen Militarismus und die Atomkriegsgefahr können nur durch eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse gestoppt werden, die Arbeiter aller Länder im Kampf gegen Ausbeutung, Krieg und Kapitalismus vereint. Diese Perspektive diskutiert das Internationale Komitee der Vierten Internationale auf seiner Maikundgebung am 1. Mai.

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