81 Jahre seit dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion

Anlässlich des 81. Jahrestags des Beginns des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion veröffentlichen wir hier erneut die Perspektive von Peter Schwarz, die zum 80. Jahrestag dieses barbarischen Verbrechens auf der World Socialist Web Site erschien.

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Vor 80 Jahren, am 22. Juni 1941, überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. Es begann ein Krieg, wie ihn die Menschheit noch nie erlebt hatte. Die Barbarei des Mittelalters verband sich mit den modernsten Techniken des 20. Jahrhunderts.

Grausame Kriege mit Millionen Opfern hatte es schon vorher gegeben. Es war erst 23 Jahre her, seit die Kanonen des Ersten Weltkriegs verstummt waren. Die blutdurchtränkten Felder von Verdun und der Marne, auf denen die Blüte der deutschen, französischen und britischen Jugend ins offene Maschinengewehrfeuer gejagt worden war, galten als Monument menschlicher Grausamkeit.

Doch der Feldzug gegen die Sowjetunion übertraf sie bei weitem. Er wurde von vornherein als Vernichtungskrieg geplant. Er war nicht nur ein Krieg um Gebiete, Rohstoffe und Weltmacht, sondern auch ein rassistischer und Weltanschauungskrieg. Die Vernichtung des Bolschewismus, die Ausrottung des Judentums und die Schaffung von Lebensraum im Osten, die Hitler seit 20 Jahren verkündet hatte, wurden nun in die Tat umgesetzt.

„Anders als viele im Westen glaubten, ist Hitler nicht fälschlicherweise in den Krieg im Osten hineingeraten“, schreibt der Historiker Stephen Fritz. „Für ihn war der ‚richtige‘ Krieg immer der gegen die Sowjetunion, denn für ihn hing das Schicksal Deutschlands von der Eroberung von Lebensraum und der Lösung der ‚Judenfrage‘ ab. Beides wiederum hing von der Vernichtung der Sowjetunion ab. Welches dieser Ziele war am wichtigsten? Angesichts von Hitlers Ansichten wäre der Versuch künstlich, sie zu priorisieren oder zu trennen. Für ihn war der Krieg gegen den ‚jüdischen Bolschewismus‘ und für Lebensraum umfassend und aus einem Guss.“ [1]

Hinrichtung gefangener Partisanen (Bundesarchiv Bild 101I-031-2436-05A / CC BY-SA 3.0)

Als um drei Uhr morgens drei Millionen deutsche Soldaten, 600.000 Kraftfahrzeuge, 3350 Panzer, 7000 Geschütze und 3900 Flugzeuge in die Sowjetunion einfielen, führten sie detaillierte Pläne und Anweisungen zur physischen Vernichtung von Millionen Menschen mit sich. Begleitet wurde die Invasionsarmee von vier Einsatzgruppen, die der Chef des Reichssicherheitshauptamts Reinhard Heydrich drei Monate lang sorgfältig ausgewählt und ausgebildet hatte. Die Aufgabe dieser 3000 Mann starken „Sturmtruppe des Völkermords“ (Ian Kershaw) bestand darin, alle Kommunisten, Partisanen, Juden und Sinti, deren sie habhaft werden konnte, sofort umzubringen.

„Die vier Einsatzgruppen und ihre Helfer töteten in den ersten sechs Monaten von Barbarossa weit über 500.000 sowjetische Juden, zusätzlich zu Zehntausenden von Partisanen und sowjetischen Kriegsgefangenen, was ohne die willige und aktive Mitarbeit der Wehrmacht nicht möglich gewesen wäre,” schreibt Fritz. [2]

Die aktive Beteiligung der Wehrmacht am Massenmord, die in Deutschland jahrzehntelang geleugnet wurde und noch 1999 zur Zensur der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht“ führte, ist unwiderlegbar dokumentiert. Bereits im Januar hatte Hitler vor einer Gruppe ausgewählter SS-Führer die Parole ausgegeben, die slawische Bevölkerung im Osten um etwa 30 Millionen zu reduzieren. Danach übersetzten ganze Stäbe von Militärstrategen und Rassentheoretikern den „Willen des Führers“ in genaue Anweisungen, wer zu erschießen und auszurotten sei.

Die Generäle segneten diese Pläne ab und sorgten für ihre Durchführung. Während des Krieges kam es laut Fritz „zu einem Gedanken- und Erfahrungsaustausch zwischen Heeres- und SS-Offizieren. … Wie die Ereignisse vor Ort zeigten, schufen verbrecherische Befehle von oben und rachsüchtige Impulse von unten ein Klima der Gewalt, das jede Hemmschwelle zum Morden beseitigen sollte.“ [3]

Deutsche Professoren untermauerten die mörderischen Pläne mit pseudowissenschaftlichen Argumenten. Im Juni 1942 wurde der Generalplan Ost veröffentlicht, an dem zahlreiche Akademiker mitgearbeitet hatten. Auch er plante die Ermordung von Millionen Slawen, um Deutsche anzusiedeln. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), ein Zusammenschluss renommierter Wissenschaftler, hatte schon in der Weimarer Republik Studien finanziert, „die eine generelle Überlegenheit der Deutschen über die slawischen Bevölkerungen behaupteten“, und „Rassenforschung als angewandte Wissenschaft verstanden“.

Die Einsatzpläne für das Unternehmen Barbarossa, wie der Deckname für den Überfall auf die Sowjetunion hieß, wurden im Frühjahr 1941 zwischen Reichskanzlei, SS, Reichssicherheitshauptamt und Oberkommando der Wehrmacht (OKW) in zahlreichen Gesprächsrunden abgestimmt. Immer wieder wurde dabei das Ziel formuliert, die „Bolschewistenhäuptlinge und Kommissare“, die „jüdisch-bolschewistische Intelligenz“ und die „sozialistische Idee“ zu vernichten.

Am 2. Mai diskutierten mehrere Staatssekretäre und führende Offiziere der Wehrmacht die kriegswirtschaftlichen Konsequenzen des Unternehmens Barbarossa. Sie kamen laut einer Aktennotiz zum Schluss, dass „zweifellos zig Millionen Menschen verhungern [werden], wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird“.

Am 13. Mai erließ OKW-Chef Wilhelm Keitel den Kriegsgerichtsbarkeitserlass. Er verfügte, dass Straftaten von Zivilpersonen gegen die Wehrmacht nicht mehr von Gerichten geahndet, sondern die Tatverdächtigen auf Geheiß eines Offiziers sofort erschossen werden. Auch kollektive Gewaltmaßnahmen gegen ganze Ortschaften waren zulässig. Oft wurden dabei Frauen und Kinder (die Männer befanden sich an der Front) in großen Gebäuden zusammengetrieben, mit Maschinengewehren erschossen und die Gebäude, obwohl viele noch lebten, abgebrannt.

Am 6. Juni, zwei Wochen vor dem Überfall, erließ das OKW unter Federführung von Generaloberst Alfred Jodl den Kommissarbefehl. Er ordnete an, die zivilen und militärischen politischen Kommissare auszusondern und „grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen“. Allein aufgrund dieses Befehls wurden nachgewiesenermaßen 140.000, Schätzungen zufolge sogar 600.000 Opfer umgebracht.

Am 22. Juni setzte sich also eine gut vorbereitete Mordmaschinerie in Gang. Die letzten moralischen Hemmschwellen waren bereits in Polen gefallen, wo die Wehrmacht zwei Jahre zuvor einmarschiert war und eine Orgie der Grausamkeiten entfesselt hatte. Auf polnischem Boden entstanden später auch die berüchtigten Vernichtungslager. Doch bereits bevor in Auschwitz und Majdanek Millionen Juden aus ganz Europa ins Gas getrieben wurden, brachten die vorrückenden deutschen Truppen in der Sowjetunion Hunderttausende von ihnen um.

Das bekannteste der zahlreichen Massaker ereignete sich am 29. und 30. September 1941 in der Schlucht Babi Jar bei Kiew, wo ein Sonderkommando innerhalb von zwei Tagen 33.771 Juden – Männer, Frauen und Kinder – aus der ukrainischen Hauptstadt erschoss. In den folgenden Monaten wurden in derselben Schlucht weitere 70.000 zivile Opfer exekutiert.

Die Bilanz des Vernichtungskriegs war verheerend. Die Zahl der sowjetischen Kriegsopfer betrug 27 Millionen. Eine Kommission des sowjetischen Verteidigungsministeriums und der Russischen Akademie der Wissenschaften, die die Zahl zwischen 1987 und 1991 überprüfte, kam sogar auf 37 Millionen. Davon waren nur 8,6 Millionen Soldaten und 27 bis 28 Millionen Zivilisten, von denen viele durch Hunger und unerträgliche Lebensumstände ums Leben kamen. Allein die 28-monatige Blockade der Millionenstadt Leningrad, die die Wehrmacht gezielt aushungerte, kostete 470.000 Zivilisten das Leben.

Zu den zahlreichen, nie gesühnten Verbrechen der Wehrmacht gehört auch die Ermordung von drei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen. Am 8. September erließ das OKW einen Erlass, der gefangene Soldaten der Roten Armee außerhalb des Völkerrechts stellte: „Der bolschewistische Soldat hat jeden Anspruch auf Behandlung als ehrenvoller Soldat nach dem Genfer Abkommen verloren. … Waffengebrauch gegenüber sowjetischen Kriegsgefangenen gilt in der Regel als rechtmäßig.“

Etwa 60 Prozent der sowjetischen Kriegsgefangen kamen ums Leben. Wenn sie nicht ermordet wurden oder an Hunger starben, wurden sie in die Konzentrationslager gebracht, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit für die deutsche Kriegsproduktion leisten mussten.

Der Kriegsverlauf

Die Wehrmacht drang in den ersten Kriegswochen schnell in die Sowjetunion vor. Sie verdankte ihre anfänglichen Erfolge vor allem der kriminellen Politik von Stalin und der privilegierten Bürokratie, deren Herrschaft er verkörperte. Sie hatten die Sowjetunion völlig entblößt und unvorbereitet gelassen.

Stalin hatte im Rahmen des Großen Terrors, dem 1937/38 nahezu die gesamte Führung der Oktoberrevolution und Hunderttausende aufrechte Kommunisten und Intellektuelle zum Opfer fielen, auch die Rote Armee enthauptet. Von den 178.000 militärischen Führungskräften wurden 35.000 verhaftet und teilweise hingerichtet. Es starben etwa doppelt so viele Generäle wie im gesamten Zweiten Weltkrieg, darunter so herausragende militärische Führer wie Tuchatschewski, Jakir, Gamarnik und Uborewitsch, die im Bürgerkrieg unter Trotzki in die Führung der Roten Armee aufgestiegen waren.

Es handelte sich um die Generation, die im Bürgerkrieg die Feuertaufe erhalten hatte, „plötzlich aus der Masse herausragte, Organisationstalent und die Fähigkeit zur militärischen Führung offenbarte“, „ihren Willen in einem groß angelegten Kampf festigte“ und sich anschließend militärisch weiter bildete, wie Leo Trotzki 1934 schrieb. „Die Militärtheorie befähigte sie, ihren Geist zu disziplinieren, aber sie tötete nicht die Kühnheit, die in den ungestümen Manövern des Bürgerkrieges gestählt worden war.“ [4] Sie wurden durch weniger erfahrene Offiziere ersetzt, die sich vor allem durch ihre Unterwürfigkeit gegenüber Stalin auszeichneten.

Stalin selbst wurde vom deutschen Überfall vollständig überrascht, obwohl ihn westliche und die eigenen Geheimdienste gewarnt hatten. Der kommunistische Spion Richard Sorge hatte aus Japan sogar die genauen Angriffspläne samt Termin übermittelt. Doch Stalin missachtete alle Warnungen und vertraute auf den Nichtangriffspakt, den er im August 1939 mit Hitler vereinbart hatte. Er war überzeugt, dass Deutschland, das bereits im Krieg mit Großbritannien stand, keinen Zweifrontenkrieg riskieren würde. Nach dem Überfall verschwand Stalin tagelang von der Bildfläche, die Sowjetunion war praktisch führerlos.

Doch in der sowjetischen Arbeiterklasse war die Oktoberrevolution nach wie vor lebendig. Stalin hatte zwar ihre Führer ermordet, nicht aber ihre Errungenschaften zerstört: das verstaatlichte Eigentum und die Planwirtschaft, die sich nun als gewaltiger Vorteil erwiesen. Die Wehrmacht musste bald feststellen, dass sie diesmal nicht gegen die Zarenarmee aus zwangsverpflichteten, halb leibeigenen Bauern kämpfte, sondern gegen die motivierte Armee eines Arbeiterstaats, die trotz barbarischem Terror nicht kapitulierte und ungeheure Energie und Opferbereitschaft entwickelte.

Auch dies hatte Trotzki, der die Rote Armee selbst aufgebaut hatte, 1934 vorausgesehen. Der Rote Kämpfer unterscheide sich scharf vom zaristischen Soldaten, schrieb er. „Der Kult der Passivität und der unterwürfigen Kapitulation vor Hindernissen ist durch den Kult der politischen und sozialen Kühnheit und des technologischen Amerikanismus verdrängt worden. ... Sollte die russische Revolution, die seit fast dreißig Jahren – seit 1905 – immer wieder abebbt und anschwillt, in den Kanal des Krieges fließen, wird sie eine schreckliche und überwältigende Kraft entfesseln.“ [5]

Obwohl sich der Krieg noch dreieinhalb Jahre hinzog und auch auf deutscher Seite über sechs Millionen Soldaten getötet oder schwer verwundet wurden, zeichnete sich schon nach wenigen Wochen ab, dass die Wehrmacht keine Siegeschancen hatte. „Doch lange bevor der erste Schnee fiel und noch bevor die ersten Herbstregen die meisten Bewegungen zum Stillstand brachten, nämlich schon im Sommer 1941, war klar, dass sich Barbarossa verausgabt hatte und unweigerlich zum Scheitern verurteilt war,” schreibt der Militärhistoriker David Stahel. [6]

Sowjetische Iljuschin-Il-2-Flugzeuge (RIA Novosti / archive Fyodor Levshin / CC-BY-SA 3.0)

Auch in der kriegsentscheidenden Rüstungsproduktion war die sowjetische Planwirtschaft der deutschen Privatwirtschaft weit überlegen. 1941 produzierte die deutsche Industrie insgesamt 5200 Panzer, 11.776 Flugzeuge und 7000 Artilleriegeschütze über 37 mm. Die sowjetische Industrie brachte es im ersten Halbjahr 1941 nur auf 1800 Panzer, 3950 Flugzeuge und 15.600 Geschütze. Doch im zweiten Halbjahr steigerte sie die Produktion trotz der Kriegszerstörung und der Umsiedlung ganzer Fabriken auf weitere 4740 Panzer, 8000 Flugzeuge und 55.500 Geschütze. 1942 stellte Deutschland 15.409 und die Sowjetunion 25.436 Flugzeuge her. Bei den Panzern brachte es Deutschland auf 9200, die Sowjetunion auf 24.446.

Die aus der Oktoberrevolution hervorgegangene Sowjetunion erwies sich so trotz der stalinistischen Degeneration als entscheidende Barriere gegen den Absturz der gesamten Menschheit in die Barbarei. Ernsthafte Historiker lassen keinen Zweifel, was ein Sieg Hitlers bedeutet hätte.

Stahel bemerkt: „Hitlers neuer Krieg im Osten wurde damals von allen Seiten als entscheidender Moment für die zukünftigen Geschicke des sich ausweitenden Weltkrieges verstanden. Entweder würde Hitler bald fast unantastbar an der Spitze eines riesigen Reiches stehen, oder sein größter Feldzug würde scheitern (was damals keine Regierung für wahrscheinlich hielt), was zu der gefährlichen alliierten Einkreisung geführt hätte, die Hitler für immer beseitigen wollte. Es ist daher keine Übertreibung zu sagen, dass der deutsche Überfall auf die Sowjetunion einen außergewöhnlichen Wendepunkt im Weltgeschehen darstellt, der nicht nur für unser Verständnis des Zweiten Weltkriegs von zentraler Bedeutung ist, sondern eines der tiefgreifendsten Ereignisse der modernen Geschichte darstellt.“ [7]

Die Ursachen des Krieges

Nach der deutschen Niederlage wollte in Deutschland niemand für den Vernichtungskrieg verantwortlich gewesen sein. Es gab nur Opfer und Befehlsempfänger – keine Täter. Hitler war an allem schuld. Der Zweite Weltkrieg war „Hitlers Krieg“.

Adolf Hitler, der sich kurz vor der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht erschoss, verfügte zwar über eine außerordentliche Machtfülle und war an allen politischen und militärischen Entscheidungen persönlich beteiligt. Trotzdem war er nur ein Angebot auf eine gesellschaftliche Nachfrage. Allein die Beantwortung der Frage, wie dieser gescheiterte österreichische Maler und verbitterte Kriegssoldat zum „Führer“ Deutschlands aufsteigen konnte, führt zum unausweichlichen Schluss, dass er mächtige Unterstützer in Wirtschaft, Militär, Politik, Adel, Universitäten und Kultur hatte.

Zu seinen bekanntesten Förderern bereits in frühen Jahren zählten General Erich Ludendorff, die Nummer zwei des Heeres im Ersten Weltkrieg, der 1923 gemeinsam mit Hitler den Putsch in München anführte, Großindustrielle wie Fritz Thyssen und Emil Kirdorf, Kronprinz Wilhelm von Preußen und die Komponistenwitwe Cosima Wagner. Auch das Presseimperium des deutschnationalen Rüstungsindustriellen Alfred Hugenberg, der in Hitlers erstem Kabinett Wirtschaftsminister war, trug maßgeblich zu seinem Aufstieg bei. Im Januar 1932 sicherte sich Hitler mit einem Auftritt im Düsseldorfer Industrieclub den politischen und finanziellen Rückhalt der wichtigsten Wirtschaftskreise.

Die Macht musste Hitler nicht gewaltsam erobern, sie wurde ihm auf dem Silbertablett serviert. Die NSDAP befand sich zum Zeitpunkt der Machtübergabe in einer tiefen politischen und finanziellen Krise. Sie hatte bei der Reichstagswahl im November 1932 nur 33 Prozent der Stimmen erhalten – 4 Prozent weniger als im Juli und 4 Prozent weniger als die beiden großen Arbeiterparteien SPD und KPD zusammen. Hitler spielte sogar mit dem Gedanken an Selbstmord.

Die Entscheidung, Hitler Ende Januar 1933 zum Kanzler zu ernennen, fiel schließlich in einem kleinen Verschwörerzirkel, der die Interessen der Spitzen von Staat und Wirtschaft verkörperte, um den greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Zwei Monate später – die KPD war bereits verboten und die Konzentrationslager begannen sich zu füllen – stimmten sämtliche bürgerliche Parteien für das Ermächtigungsgesetz, das Hitler zum Diktator machte.

Im Krieg selbst fand Hitler dann Hunderttausende willige Helfer im Offizierskorps, das seine mörderischen Befehle ausführte, in der Beamtenschaft, die die Bevölkerung terrorisierte und die Juden für die Vernichtung aussonderte, in der Industrie, die durch Kriegsproduktion und millionenfache Zwangsarbeit ihre Profite steigerte, unter Professoren, die der Rassentheorie und der Justizwillkür den Anschein von Wissenschaftlichkeit verliehen, und bei vielen anderen.

Der Vernichtungskrieg entsprang nicht dem „Willen des Führers“ – der ihn zweifellos wollte. Die herrschenden Eliten förderten Hitler und stellten ihn an die Spitze des Staates, weil sie den Krieg selbst wollten und brauchten. Er hatte tiefe objektive Ursachen in den unlösbaren Widersprüchen des kapitalistischen Systems.

Trotzki spricht zu Soldaten der Roten Armee

Leo Trotzki, der die Gefahr von Faschismus und Krieg wie kein anderer verstand und die Arbeiterklasse dagegen mobilisierte, schrieb ein Jahr vor dem Überfall auf die Sowjetunion: „Der einzige nicht vorgetäuschte Zug des Faschismus ist sein Wille zu Macht, Unterjochung und Raub. Faschismus ist Imperialismus in Reinkultur. … [Hitler], dieser deutsche Epileptiker mit einer Rechenmaschine in seinem Schädel und unbegrenzter Macht in seinen Händen fiel nicht vom Himmel und kam nicht aus der Hölle; er ist nichts als die Verkörperung der Zerstörungskräfte des Imperialismus. … [Er gibt] dem imperialistischen Machtwillen nur einen vollendeteren Ausdruck. Mit Hitler hat der Weltkapitalismus, in eine Sackgasse verrannt und zur Verzweiflung getrieben, begonnen, sich den Dolch in die eigenen Eingeweide zu pressen.“ [8]

Bereits im Ersten Weltkrieg hatte der deutsche Imperialismus versucht, sich Europa zu unterwerfen, und war mit diesem Vorhaben gescheitert. Nun versuchte er es ein zweites Mal.

Der Erste Weltkrieg war ein imperialistischer Krieg, in dem alle beteiligten Mächte um die Neuaufteilung der Welt und die Unterwerfung der Weltwirtschaft unter ihre Vorherrschaft kämpften. Der deutsche Imperialismus spielte eine besonders aggressive Rolle, weil sich der Kapitalismus in Deutschland aufgrund der verzögerten bürgerlichen Revolution mit Verspätung entwickelt, dann aber dank modernster Technologien eine ungeheure Dynamik entfaltet hatte. Eingezwängt in der Mitte Europas, konfrontiert mit den britischen und französischen Kolonialmächten und einem noch potenteren amerikanischen Rivalen konnte er sich nur gewaltsam zur dominierenden Macht Europas aufschwingen und Zugang zu Rohstoffen und neuen Märkten finden.

Deutschland verlor den Krieg. Geschwächt und hoch verschuldet durch den Versailler Vertrag und erschüttert durch heftige Klassenkämpfe stellten sich alle Probleme, die es in den Ersten Weltkrieg getrieben hatten, mit doppelter Schärfe. Hinzu kam, dass im Osten, dem wichtigsten Expansionsraum des deutschen Imperialismus, nun ein Arbeiterstaat existierte, der den Arbeitern in Deutschland und auf der ganzen Welt als revolutionäre Inspiration diente.

Einen Ausweg aus dieser Sackgasse konnte sich der deutsche Imperialismus nur mit Mitteln bahnen, die alle bisherigen an Brutalität und Barbarei in den Schatten stellten. Die „Zerschlagung des Bolschewismus“, der Kampf um „Lebensraum“ im Osten und die Errichtung der deutschen Vorherrschaft über Europa erforderten die Konzentration der Staatsmacht in einer Hand, die Unterordnung aller Ressourcen des Landes unter die Kriegsproduktion, die Vernichtung der organisierten Arbeiterbewegung und einen Krieg, der nicht auf die Unterwerfung, sondern die Vernichtung des Gegners abzielte.

Auf diese gesellschaftliche Nachfrage boten die Nazis das beste Angebot. Die Spitzen von Staat, Wirtschaft und Militär unterstützten Hitler nicht aus ideologischer Verblendung, sondern weil sie ihn brauchten, um ihre Ziele zu erreichen.

Erfolg hatten sie damit nur aufgrund des abgrundtiefen Verrats und Versagens der Arbeiterführer. Die SPD weigerte sich strikt, ihre Mitglieder zum Kampf gegen die Nazis zu mobilisieren. Sie vertraute auf den Staat und unterstützte alle diktatorischen Schritte – Brünings Notverordnungen, Hindenburgs Wahl zum Reichspräsidenten – die Hitler den Weg an die Macht bahnten. Die KPD-Führung, die unter dem Einfluss Stalins stand, versteckte ihre Passivität und Feigheit hinter linksradikalen Phrasen. Sie weigerte sich strikt, für eine antifaschistische Einheitsfront mit der SPD zu kämpfen, wie sie Leo Trotzki und die Linke Opposition unermüdlich forderten, und denunzierten die SPD-Arbeiter als „Sozialfaschisten“, die sich nicht von den Nazis unterschieden.

Auch die USA, Großbritannien und die anderen kapitalistischen Kriegsgegner Deutschlands kämpften im Zweiten Weltkrieg für imperialistische Interessen, und nicht „gegen Faschismus“ und „für Demokratie“. Lediglich die Sowjetunion kämpfte ums Überleben. Ein deutscher Sieg hätte die Zerschlagung des Arbeiterstaats und ihre Verwandlung in eine Sklavenkolonie bedeutet.

Solange sich Hitlers Regime vorrangig gegen die deutsche Arbeiterklasse und gegen die Sowjetunion richtete, genoss es viel internationale Unterstützung. Der amerikanische Industrielle Henry Ford gehörte ebenso zu den Bewunderern Hitlers, wie der britische König Edward VIII. und seine amerikanische Gattin Wallis Simpson. Nach Edwards Abdankung besuchten die beiden Hitler sogar auf dem Berghof. Die französische Bourgeoisie hatte schon 1936 während der Volksfrontregierung die Parole ausgegeben: „Lieber Hitler als Blum“ (Léon Blum war Premierminister der Volksfront). Der deutsche Blitzsieg gegen Frankreich war denn auch mehr ein Ergebnis des Defätismus französischer Generäle, als der waffentechnischen Überlegenheit der Wehrmacht. Das Vichy-Regime unter General Pétain arrangierte sich sofort mit Hitler.

Doch letztlich konnten weder der amerikanische noch der britische Imperialismus zulassen, dass sich Deutschland zum Herrscher Europas vom Atlantik bis zum Ural aufschwang. In Verbindung mit Japan wäre es zu einer tödlichen Gefahr für den amerikanischen Imperialismus geworden. Das führte zum amerikanischen Kriegseintritt, der erst erfolgte, als Deutschland nach der Niederlage in Stalingrad bereits in der Defensive war.

Die Gefahr eines Dritten Weltkriegs

Die Lehren aus dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion sind von aktueller Bedeutung. Dieselben Widersprüche des Weltkapitalismus – die Unvereinbarkeit des kapitalistischen Nationalstaats und des Privateigentums an den Produktionsmitteln mit dem gesellschaftlichen und internationalen Charakter der modernen Produktion – drohen die Welt ins Inferno eines Dritten Weltkriegs zu stürzen.

Im Zentrum, der Kriegsvorbereitungen stehen die USA, die im kommenden Haushaltsjahr 753 Milliarden Dollar für das Militär ausgeben werden, mehr als die nächsten zehn Länder zusammengenommen. 25 Milliarden davon sind für die Modernisierung der Atomwaffen und 112 Milliarden für die Erforschung und Entwicklung neuer Waffensysteme bestimmt.

Die USA waren als eigentlicher Sieger aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen, und ihre wirtschaftliche Stärke – in Verbindung mit der Unterdrückung revolutionärer Kämpfe durch die stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien – hatte sie in die Lage versetzt, den europäischen Kapitalismus vorübergehend zu stabilisieren.

Doch seither ist das Gewicht der USA in der Weltwirtschaft stetig gesunken und Washington versucht, den wirtschaftlichen Niedergang durch militärische Gewalt wettzumachen. Seit dreißig Jahren führen die USA nahezu ununterbrochen Krieg. Im Irak, Afghanistan, Libyen und Syrien haben sie gemeinsam mit ihren Verbündeten ganze Gesellschaften zerstört.

Inzwischen konzentriert sich die US-Kriegsmaschinerie auf China, das offiziell als „systemischer Rivale“ definiert wird. Die USA wollen unter allen Umständen vermeiden, dass China sie wirtschaftlich überholt und zu einer Weltmacht aufsteigt. US-Strategen halten einen Krieg mit der Nuklearmacht China inzwischen für unvermeidlich.

Auch der deutsche Imperialismus hat sich nicht mit der Niederlage in zwei Weltkriegen abgefunden. Die deutsche Regierung verfolgt ganz offiziell das Ziel, Europa zu einer militärischen und politischen Weltmacht auszubauen, die es sowohl mit China als auch mit den USA aufnehmen kann. Das verschärft auch die Konflikte innerhalb Europas, insbesondere mit Frankreich, das mit Deutschland um die Vorherrschaft in der Europäischen Union rivalisiert.

Deutschland hat seine Militärausgaben seit 2014 von 32 auf 53 Milliarden Euro gesteigert – und das ist nur der Anfang. Ein Strategiepapier des Verteidigungsministeriums vom 9. Februar erklärt, Deutschland stehe „aufgrund seiner geografischen Lage in der Mitte Europas und seiner wirtschaftlichen Kraft für die Sicherheit Europas besonders in der Pflicht“ und müsse „auch im militärischen Bereich“ einen entsprechenden Beitrag leisten. Grundlegend seien „glaubwürdige militärische Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit in allen Dimensionen – Land, Luft, See, Weltraum und Cyber“, sowie „die Bereitschaft und das Können unserer Soldatinnen und Soldaten, auch im Kampf zu bestehen“.

Fester Bestandteil der Rückkehr des deutschen Militarismus ist die Verharmlosung und historische Revision des Vernichtungskriegs.

Im Bundestag sitzt mit der AfD eine Partei, die das Nazi-Regime als „Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ bezeichnet und von allen anderen Parteien hofiert wird.

Der Berliner Historiker Jörg Baberowski hatte Hitler bereits 2014 öffentlich bescheinigt, er sei „kein Psychopath“ und „nicht grausam“ gewesen. Ein Jahr später behauptete er, der Vernichtungskrieg sei der Wehrmacht aufgezwungen worden. Die Soldaten der Wehrmacht seien an der Ostfront „in einen mörderischen Krieg gegen Partisanen verwickeltworden. Sie hätten „keine andere Wahl“ gehabt, „als sich auf die Kampfesweise der Partisanen einzustellen“: „Der Krieg verselbstständigte sich, er löste sich von den ursprünglichen Zielen, die einmal Anlass des Konflikts waren.“ [9]

Als die Sozialistische Gleichheitspartei und ihre Jugendorganisation IYSSE diese und ähnliche Äußerungen Baberowskis kritisierten und damit der weit verbreiteten Opposition in der Bevölkerung gegen die Wiederkehr von Faschismus und Militarismus Ausdruck verliehen, verteidigten Politik und Medien den rechtsextremen Professor.

Ein Dritter Weltkrieg würde das Ende der menschlichen Zivilisation bedeuten. Doch es gibt nicht eine etablierte Partei, die den Kriegsvorbereitungen entgegentritt. Wie vor dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg reihen sie sich umso tiefer ins Lager der Kriegstreiber ein, je mehr sich die imperialistischen Gegensätze zuspitzen. Die sogenannte Friedensbewegung ist völlig zusammengebrochen. Die deutschen Grünen, die einst aus dieser Bewegung herauskamen, sind zu den übelsten Kriegstreibern geworden. 80 Jahre nach dem Überfall auf die Sowjetunion stehen sie an der Spitze der Kriegshetze gegen Russland.

Ein erneuter Rückfall in die Barbarei kann nur durch eine unabhängige Bewegung der internationalen Arbeiterklasse verhindert werden, die den Kampf gegen Militarismus und Krieg mit dem Kampf gegen seine Ursache, den Kapitalismus, verbindet und für ein sozialistisches Programm eintritt. Das ist die Perspektive des Internationalen Komitees der Vierten Internationale und seiner Sektionen, der Sozialistischen Gleichheitsparteien.

Anmerkungen

[1] Fritz, Stephen G.. Ostkrieg: Hitler's War of Extermination in the East. The University Press of Kentucky. Kindle Edition

[2] Ebd.

[3] Ebd.

[4]“The Red Army”, in: Writings of Leon Trotsky (1933-34), New York 1972, S. 310/311

[5] Ebd.

[6] Stahel, David. “Operation Barbarossa and Germany's Defeat in the East” (Cambridge Military Histories) (p. 2). Cambridge University Press. Kindle Edition.

[7] Ebd.

[8] „Manifest der Vierten Internationale zum imperialistischen Krieg und zur proletarischen Weltrevolution“, Mai 1940, in: Leo Trotzki, Das Übergangsprogramm, Essen 1997, S. 224

[9] Jörg Baberowski, Räume der Gewalt, 2015, 159f

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