Perspektive

Massaker in Marokko: Die hässliche Fratze des europäischen Imperialismus

Der grausame Mord an mindestens 37 Geflüchteten an der Grenze zwischen Marokko und der spanischen Exklave Melilla unterstreicht die Brutalität und Missachtung grundlegender demokratischer Rechte durch die Europäische Union. Dieselben Großmächte, die den US/Nato-Krieg gegen Russland rasch zu einem globalen Flächenbrand eskalieren, entfesseln gleichzeitig ein Ausmaß an staatlicher Gewalt und Reaktion, wie es sie seit den autoritären und faschistischen Regimen der 1930er Jahre nicht gegeben hat. Dies umso mehr, als die Arbeiter auf dem ganzen Kontinent gegen die unerträglichen Verteuerung der Lebenshaltungskosten und die mörderische Pandemiepolitik den Kampf aufnehmen.

Beim Versuch, den Grenzzaun zur spanischen Exklave Melilla zu überwinden, wurden 37 Geflüchtete getötet (AP-Foto Javier Bernardo)

Bei dem barbarischen Massaker vom vergangenen Freitag, den 24. Juni, arbeiteten die spanische Guardia Civil und die marokkanische Gendarmerie Hand in Hand. Nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) stammten die Migranten überwiegend aus den verarmten afrikanischen Ländern Tschad, Niger, Südsudan und Sudan. Nach internationalem Recht wären sie als Asylbewerber eingestuft worden. Außer den 37 Menschen, die den Tod fanden, wurden mehr als 150 weitere durch die Schläge der Sicherheitskräfte verletzt, oder weil sie aus großer Höhe zu Boden stürzten. Die Zäune, die den Zugang zur spanischen Exklave von Marokko aus verhindern, sind 6 bis 10 Meter hoch.

Beide Länder hatten das Massaker offenbar gemeinsam herbeigeführt. Die Guardia Civil holte marokkanische Sicherheitskräfte nach Melilla, um Geflüchtete, die es über die Grenze geschafft hatten, illegal nach Marokko zurückzubringen. In der Manier eines faschistischen Demagogen versicherte der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez, der auch Vorsitzender der Sozialistischen Partei ist, die Grenzschützer seiner uneingeschränkten Unterstützung. Wie er sagte, hatten sie einen „gewaltsamen Angriff“ und einen „Angriff auf die territoriale Integrität“ Spaniens zurückgeschlagen.

Für die Regierung in Madrid, die unter Führung der Sozialistischen Partei steht, und der die pseudolinke Podemos angehört, hätte das Massaker kaum zu einem günstigeren Zeitpunkt stattfinden können. Auf dem Nato-Gipfel, der gestern in der spanischen Hauptstadt begonnen hat, drängt die spanische Regierung darauf, dass das Militärbündnis neben Terrorismus und Ernährungsunsicherheit auch den Grenzübertritt von Flüchtlingen als „hybride Bedrohung“ einstuft. Damit hofft Madrid, die Ausweitung seiner Militäroperationen in Afrika zu legitimieren.

Die amerikanischen und europäischen Imperialisten planen in ihrem strategischen Nato-Fahrplan für das nächste Jahrzehnt, Krieg gegen Russland und China zu führen. Daran hat Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg keinen Zweifel gelassen. Er hat am Montag angekündigt, dass die Schnelle Eingreiftruppe der Nato im Baltikum und in Osteuropa auf das Achtfache ihrer bisherigen Größe, von 40.000 auf über 300.000 Soldaten, aufgestockt werden soll.

Eine solche massive Eskalation militärischer Gewalt ist mit demokratischen Rechten nicht vereinbar. Arbeiter müssen deshalb das blutige Massaker an verzweifelten Migranten an der EU-Südgrenze als ernste Warnung verstehen. Die bedingungslose Verteidigung der faschistischen Grenzsoldaten durch die spanische Regierung zeigt, dass die herrschenden Eliten Europas, die im Osten Krieg führen, gleichzeitig bereit sind, extrem brutale Formen der Unterdrückung gegen jeden, der sich ihren Eroberungsplänen in den Weg stellt, einzusetzen.

Das hat auch das ohrenbetäubende Schweigen des G7-Gipfels zu dem Massaker von Melilla unterstrichen. Auf dem Gipfel in Schloss Elmau, der gestern zu Ende ging, bekannten sich die Staats- und Regierungschefs der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Kanadas, Frankreichs, Deutschlands, Italiens und Japans zur „regelbasierten internationalen Ordnung“. Wie sie in ihrer scheinheiligen Erklärung schrieben, wollen sie die „Widerstandsfähigkeit unserer Demokratien“ stärken. Über das blutige Massaker, das sich an den Toren Europas abspielte, verloren sie kein einziges Wort.

Am späteren Montagabend wurde in San Antonio (Texas) ein Sattelschlepper mit Dutzenden toten Einwanderern aus Mittelamerika aufgefunden. Der Lkw war voller Flüchtlinge, die der verzweifelten wirtschaftlichen Lage in Mittelamerika entkommen wollten. Obwohl diese Zustände die Folge von über 100 Jahren imperialistischer Ausbeutung sind, verweigert die Biden-Regierung ihnen die legale Einreise durch ausländerfeindliche Restriktionen. Voraussichtlich wird die bisher offizielle Zahl von 50 Todesopfern noch steigen, da weitere 12 Menschen, darunter auch Kinder, eher tot als lebendig aus dem Lkw geborgen wurden.

Die kalte Gleichgültigkeit, die die herrschenden Eliten aller Großmächte den am stärksten unterdrückten Schichten der Gesellschaft erweisen, erinnert an die verächtliche Haltung, die die imperialistischen Mächte am Vorabend des Zweiten Weltkriegs den europäischen Juden und anderen verfolgten Minderheiten entgegenbrachten, als diese versuchten, dem Nazi-Regime zu entkommen. Auf der berüchtigten Konferenz von Évian 1938 erklärte sich keine einzige Großmacht bereit, weitere Flüchtlinge aufzunehmen, aus Angst, die Beziehungen zum Dritten Reich zu beschädigen. Ein großer Teil der herrschenden Klasse Europas sah damals in der Naziherrschaft noch einen willkommenen Verbündeten gegen die Sowjetunion.

Es ist mehr als ein historischer Zufall, dass das Massaker vom Freitag sich auf Spaniens nordafrikanischem Boden ereignete. Schon im Juli 1936 ging von dort ein Aufstand faschistischer Offiziere unter der Führung von Francisco Franco aus. Daraus ging die faschistische Bewegung hervor, die im spanischen Bürgerkrieg die Oberhand behielt und die spanische Arbeiterklasse 40 Jahre lang rücksichtslos unterdrückte. Die Tatsache, dass die EU das Massaker vom Freitag offiziell billigt, wird die heutigen faschistischen Bewegungen auf dem ganzen Kontinent ermutigen und stärken. Die herrschende Klasse kultiviert diese Bewegungen, um den Widerstand der Arbeiter zu unterdrücken.

Indem die EU und ihre Mitgliedstaaten rechtsextreme Kräfte fördern und den gesamten Kontinenten militarisieren, schaffen sie systematisch die Voraussetzungen für faschistische Gewalt, die sich gegen Arbeiter und unterdrückte Schichten richtet. Rechtsextreme und faschistische Parteien spielen im offiziellen politischen Leben aller großen europäischen Mächte eine herausragende Rolle. Auch sind ihre Armeen und Geheimdienste von rechtsextremen Netzwerken durchsetzt. In Deutschland haben diese Gruppen Tötungslisten von politischen Gegnern angelegt, die am „Tag X“ hingerichtet werden sollen. In Frankreich und Spanien diskutieren hochrangige Militärs offen über Pläne zur Machtergreifung mittels eines Staatsstreichs.

Die EU-Politik der „Festung Europa“ hat bereits Zehntausenden von Geflüchteten das Leben gekostet. In den letzten 30 Jahren sind sie im Mittelmeer ertrunken bei ihrem Versuch, vor der sozialen Katastrophe in Nordafrika und anderswo zu fliehen. Diese Katastrophe ist das Ergebnis ununterbrochener imperialistischer Kriege und das Erbe der kolonialen Unterwerfung Afrikas und des Nahen Ostens. Durch illegale „Pushbacks“ drängen die faschistoiden Frontex-Grenzschützer und ihre Partner in den nationalen Sicherheitsdiensten die Migranten gewaltsam über die EU-Außengrenzen zurück, noch ehe sie überhaupt eine Chance haben, ihr Recht auf einen Asylantrag wahrzunehmen. Diese Methoden gehören heute zum Standardverfahren der EU.

Europäische Regierungen aller Parteien haben sich die rechtsextreme EU-Politik gegenüber Geflüchteten zu eigen gemacht. Als 2015 eine große Zahl Migranten versuchte, vor dem vom Imperialismus angezettelten Krieg in Syrien zu fliehen, errichtete die pseudolinke Syriza-Regierung in Griechenland mehrere KZ-ähnliche Einrichtungen, wo sie die Asylsuchenden auf den Inseln der Ägäis festhalten.

Auf Initiative von Italiens rechtsextremem Vizepremier Matteo Salvini stellte die EU 2019 alle Seenotrettungseinsätze im Mittelmeer ein. Damit überließ sie Tausende Menschen dem Ertrinkungstod. Auch Finnlands sozialdemokratisch geführte Regierung, die bei ihrem Amtsantritt 2019 als „progressiver“ frischer Wind gepriesen wurde, plant seit ihrem Antrag auf Beitritt zur Nato, mit dem Bau von Sperranlagen entlang der 1.300 Kilometer langen Grenze zu Russland zu beginnen. Damit will sie verhindern, dass die russische Regierung die Flüchtlinge für eine „hybride Kriegsführung“ einsetzt. Die Regierung in Helsinki tritt damit in die Fußstapfen der rechtsgerichteten polnischen PIS-Regierung, die im vergangenen Winter Flüchtlinge illegal am Grenzübertritt zu Weißrussland gehindert hat, wodurch viele von ihnen im Wald erfroren.

Dieselben Regierungen, die die grundlegendsten demokratischen Rechte mit Füßen treten, stehen im imperialistischen Krieg gegen Russland an vorderster Front. Die britische Tory-Regierung, die beabsichtigt, Asylbewerber ins arme Ruanda abzuschieben, hat sich an die Spitze der europäischen Mächte gestellt und beliefert das ukrainische Regime mit schweren Waffen.

In Deutschland hat die sozialdemokratisch geführte Ampel das größte Aufrüstungsprogramm seit Hitler beschlossen und den Verteidigungshaushalt für dieses Jahr verdreifacht. Sie hat die bösartige Anti-Flüchtlingspolitik, die von Konzepten der faschistischen AfD bestimmt wird, beibehalten.

In Frankreich hat Präsident Emmanuel Macron vor kurzem erklärt, die Bevölkerung müsse sich daran gewöhnen, in einer „Kriegswirtschaft“ zu leben. Seine Regierung diskriminiert die beträchtliche muslimische Minderheit und hat Migrantenlager in Calais und Paris brutal angegriffen. Die spanische Regierung, die das Massaker vom Freitag organisierte, hat 800 Soldaten, Eurofighter-Jets und Kriegsschiffe nach Osteuropa entsandt und will auf dem Nato-Gipfel eine Verdoppelung des spanischen Militärhaushalts auf 24 Milliarden Euro ankündigen.

Auch die mit der EU verbündeten Vereinigten Staaten, die sich darauf spezialisiert haben, Kinderflüchtlinge in Käfige einzusperren, blicken auf über 30 Jahre zurück, in denen sie ständig Krieg führten und ganze Gesellschaften in Schutt und Asche legten. Dies sind die Regierungen, von denen die Medien behaupten, sie würden in der Ukraine einen Krieg für „Demokratie“ und „Freiheit“ gegen die „russische Aggression“ und den „Faschisten“ Putin führen.

In Wirklichkeit ist an der imperialistischen Neuaufteilung der Welt, die schon in vollem Gange ist, nichts „demokratisch“. Die führenden europäischen Imperialisten geben Hunderte Milliarden Euro für ihre Kriegsmaschinerie aus, um Russland zu unterwerfen, die Kontrolle über seine lukrativen Bodenschätze an sich zu reißen und die Konkurrenz ihrer imperialistischen Rivalen abzuwehren. Diese Summen müssen durch verschärfte Sparmaßnahmen und Angriffe auf Löhne und Arbeitsbedingungen aus der Arbeiterklasse herausgepresst werden.

Tobias Elwood, ein führendes Mitglied der britischen Tory-Partei von Premierministers Boris Johnson, hat die 50.000 Eisenbahner, die letzte Woche für Arbeitsplatzsicherheit und (bei 11-prozentiger Inflation) für Lohnerhöhungen streikten, als „Freunde Putins“ beschimpft. Spaniens SP/Podemos-Regierung hat am Wochenende einen Streik der Piloten und des Kabinenpersonals von Ryanair verboten. In Deutschland hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kurz nach Bekanntgabe des 100-Milliarden-Euro-Sonderfonds für die Bundeswehr erklärt, dass die Bevölkerung „Opfer“ bringen müsse, um den Krieg zu bezahlen.

Die Verteidigung aller demokratischen und sozialen Rechte, einschließlich des Rechts der arbeitenden Menschen, in einem Land ihrer Wahl zu leben, ist vom Kampf der internationalen Arbeiterklasse gegen imperialistischen Krieg nicht zu trennen. Gegen die drohende brutale Unterdrückung im eigenen Land und die Kriegsführung im Ausland ruft die World Socialist Web Site  dazu auf, eine internationale Antikriegsbewegung in der Arbeiterklasse aufzubauen. Nur so, im Kampf für den Sozialismus, können die demokratischen Rechte verteidigt werden.

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