Dritter Streik an deutschen Seehäfen

Erneut streikten gestern Tausende Hafenarbeiter an Deutschlands großen Seehäfen in Hamburg, Emden, Bremerhaven, Bremen, Brake und Wilhelmshaven. Es ist bereits der dritte und mit 48 Stunden der längste Warnstreik in der laufenden Tarifrunde. Bereits am 9. und 23. Juni hatten die 12.000 Hafenarbeiter die Arbeit befristet niedergelegt.

Zentrale Streikkundgebung der Hafenarbeiter in Hamburg

Am vergangenen Dienstag waren die Verhandlungen mit dem Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) wieder ergebnislos abgebrochen worden. Obwohl damit der Arbeitgeberverband bereits die siebte Verhandlungsrunde platzen ließ, weigert sich die Gewerkschaft Verdi, die Verhandlungen für gescheitert zu erklären, eine Urabstimmung unter den Hafenarbeitern einzuleiten und einen unbefristeten Erzwingungsstreik zu organisieren.

Stattdessen versucht Verdi händeringend, die Verhandlungen fortzusetzen und einen Formelkompromiss zu finden, den sie gegen den Widerstand der Hafenarbeiter durchsetzen kann. Es ist diese Weigerung von Verdi, eine Streik-Urabstimmung durchzuführen und einen Vollstreik zu organisieren, die den Arbeitgeberverband ermutigt, an seiner provokativen, unnachgiebigen Haltung festzuhalten.

Seit Beginn der Verhandlungen haben die Hafenarbeiter immer wieder deutlich gemacht, dass sie nicht bereit sind, das Lohndiktat des Zentralverbands der deutschen Seehafenbetriebe zu akzeptieren, und dass sie angesichts rapider Preissteigerungen einen angemessenen Inflationsausgleich fordern.

Auch auf der gestrigen Demonstration und zentralen Streikkundgebung in Hamburg stand die Forderung nach einer angemessenen Lohnerhöhung, die wirklich die massiven Preissteigerungen ausgleicht, im Mittelpunkt. Auf Transparenten wurde gefordert: „Inflations-Monster stoppen!“ Immer wieder riefen Arbeiter: „Wir sind der Hafen!“ Sie machten so deutlich, dass ohne die schwere, anstrengende und gefährliche Arbeit der Arbeiter im Hafen nichts läuft.

An der Demonstration und Kundgebung beteiligten sich 5000 Arbeiter. Es wurden Grußbotschaften von Hafenarbeitern aus den Niederlanden und Italien verlesen und Solidaritätsgrüße von Beschäftigten der Gesundheitsbranche überbracht. Die Grüße von Metallarbeitern vom Airbus-Werk in Finkenwerder fanden großen Beifall.

Doch Verdi versucht, diese Kampfbereitschaft ins Leere laufen zu lassen und einen unbefristeten Vollstreik zu verhindern.

Seit mehreren Monaten führt die Gewerkschaft nun schon Verhandlungen in den 58 tarifgebundenen Hafenbetrieben in Hamburg, Niedersachsen und Bremen. Von Anfang an hielt die Gewerkschaft die Forderungen stark zurück und begrenzte sie auf eine Erhöhung der Stundenlöhne um 1,20 Euro sowie auf eine Erhöhung der jährlichen Zulage in Vollcontainerbetrieben um 1200 Euro. Weil beides nicht annähernd die horrende Inflation ausgleichen würde, hat sie noch einen nicht näher bezifferten „tatsächlichen Inflationsausgleich“ verlangt.

Der Arbeitgeberverband der Hafenbetreiber reagierte von Anfang an provokativ. Erst verschleppte er die Verhandlungen. Dann legte er nach langem Zögern ein Angebot vor, das eine massive Reallohnsenkung bedeutet. Die Tariflöhne sollten für dieses Jahr um 3,2 Prozent sowie im kommenden Jahr um 2,8 Prozent steigen. Hinzu kommt eine Einmalzahlung von 600 Euro. Dies entspreche „im Zusammenwirken mit dem Entlastungspaket der Bundesregierung“ einem Inflationsausgleich, erklärte der Arbeitgeberverband in einem Statement.

Als die Verhandlungskommission das Angebot als nicht verhandlungsfähig ablehnte und Streikmaßnahmen ankündigte, weil sie die Wut der Arbeiter fürchtete, reagierte der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) empört. „Wir befinden uns mitten in einer absoluten Ausnahmesituation“, erklärte ZDS-Verhandlungsführerin Ulrike Riedl in einer schriftlichen Stellungnahme.

Die weltweiten Lieferketten seien stark gestört. Von der einen Seite komme eine große Welle verspäteter Schiffe auf die Häfen zu, auf der anderen Seite gebe es große Engpässe im Güterverkehr der Bahn, was den Weitertransport verzögere und zusätzliche Lagerkosten hervorrufe. Jetzt zu Warnstreiks aufzurufen, sei absolut verantwortungslos, so Riedl.

Doch die Hafenarbeiter ließen sich nicht einschüchtern und hielten an ihrer Forderung nach einem Inflationsausgleich und einer Erhöhung der Reallöhne fest.

Daraufhin legte die Arbeitgeberseite ein neues „finales“ Angebot vor, das die Verdi-Forderung einer Anhebung der Stundenlöhne um 1,20 Euro beinhaltete. Im Bereich der Auto-Verschiffung, dem sogenannten „Autoumschlag“, wo viele Billiglöhner beschäftigt sind, soll der Stundenlohn nur um 90 Cent steigen. Der geforderten Anhebung der Zulage um 1200 Euro wurde zugestimmt, und als Inflationsausgleich soll es in Vollcontainer-Betrieben eine Einmalzahlung in Höhe von 1000 Euro und in konventionellen in Höhe von 500 Euro geben. Gleichzeitig wurde aber die Laufzeit um sechs Monate verlängert.

Die Verhandlungskommission sah sich gezwungen auch das neue Angebot abzulehnen. Es war eine reine Mogelpackung und bedeutete bei einer Laufzeit von 18 Monaten eine Verschlechterung gegenüber dem ersten Angebot. Daraufhin fand der zweite Warnstreik statt, an dem sich Ende Juni noch mehr Arbeiter beteiligten.

Dann meldete sich Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger zu Wort und forderte eine Einschränkung des Streikrechts. Die Ausstände in einer Zeit, in der die Unternehmen dringend Materialien bräuchten, hätten ihm sehr missfallen, sagte Dulger vor Journalisten in Berlin. Vielleicht brauche man einen „nationalen Notstand“, der auch Streikrecht breche.

Doch auch von dieser Drohung ließen sich die Hafenarbeiter nicht einschüchtern. Als auch in der vergangenen Woche kein verbessertes Angebot vorgelegt wurde, folgte der dritte Warnstreik. Er war doppelt so lange und umfassender als die ersten beiden.

Die Hafenarbeitgeber reagierten wütend und wollten den Streik durch ein Gerichtsurteil verbieten lassen. Doch die Arbeitsgerichte in Bremen, Oldenburg und Wilhelmshaven lehnten die Anträge auf einstweilige Verfügungen von mehreren Hafen-Betrieben ab und erklärten den Warnstreik, auch in seinem Ausmaß von 48 Stunden, für rechtmäßig.

Auch in Hamburg konnten sich Arbeitgeber nicht mit dem Versuch durchsetzen, den laufenden Warnstreik gerichtlich stoppen zu lassen. Das Gericht erklärte aber, es habe Zweifel ob in der Vorbereitung des Warnstreiks alle rechtlichen Bestimmungen eingehalten worden seien.

Ohne diese Zweifel zu begründen, schlug das Gericht einen Vergleich vor. Er sieht vor, dass die Tarifparteien bis Ende kommender Woche drei weitere Verhandlungstermine bis zum 26. August vereinbaren. „Während dieses Zeitraums werden von Verdi keine weiteren Arbeitskampfmaßnahmen mit den Beschäftigten der Klägerinnen durchgeführt“, teilte das Arbeitsgericht mit.

Verdi war sofort bereit, dem gerichtlichen Vergleichs-Vorschlag zuzustimmen. Verhandlungsführerin Maya Schwiegershausen-Güth unterstrich den Willen der Gewerkschaft, mit dem Arbeitgeberverband einen Kompromiss zu erreichen. „Streik ist immer das letzte Mittel, aber Lösungen werden am Verhandlungstisch vereinbart“, sagte sie. Jetzt sei es Zeit, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und die auferlegten drei Verhandlungsrunden für einen Abschluss zu nutzen.

Dass auch der Zentralverband der Seehafenbetriebe zustimmte, war klar. „Wir begrüßen den Vergleich und setzen darauf, dass Verdi in den weiteren Verhandlungen konstruktive Schritte im Sinne einer Einigung macht,“ sagte Verhandlungsführerin Ulrike Riedel in ihrer bekannt arroganten Art.

Verdi versucht jetzt, schnellstmöglich eine Einigung zu finden. Die Hafenarbeiter müssen sich unabhängig von Verdi in Aktionskomitees organisieren, um den Kampf auszuweiten und eine Urabstimmung zur Vorbereitung eines Vollstreiks durchzuführen.

Verdi ist mit den Regierungsparteien SPD und Grüne eng verbunden und unterstützt die Regierungspolitik, die darauf ausgerichtet ist, die Kosten für die Milliardengeschenke an die Konzerne und die militärische Aufrüstung durch massive Preissteigerungen und niedrige Lohnabschlüsse der Arbeiterklasse aufzubürden.

Verdi hat in anderen Bereichen wie der Druckindustrie, dem Versicherungsgewerbe, dem privaten Bankgewerbe und bei Tageszeitungen bereits Tarifverträge unterzeichnet, die noch weit unter dem liegen, was die Hafen-Arbeitgeber angeboten haben. Einen tatsächlich Inflationsausgleich lehnt Verdi genauso ab wie die IG Metall.

Dabei ist die tatsächliche Inflation viel höher als der Index. Denn vor allem die Preise für Lebensmittel, Heizung, Mieten und Energie, die untere und mittlere Einkommen besonders stark belasten, sind um ein Mehrfaches der offiziellen Inflationsrate gestiegen.

Auf der anderen Seite steigen in vielen Konzernen die Profite ins Unermessliche. Auch die deutschen Dax-Konzerne erzielten neue Gewinnrekorde. Im ersten Quartal 2022 lagen ihre Profite um 21 Prozent höher als im selben Quartal des Vorjahres. Auch die großen Containerreedereien nutzen die Krise für massive Profite. Weil die Nachfrage nach Überseetransporten das Angebot an verfügbarer Schiffskapazität übersteigt, werden die Frachtraten in die Höhe getrieben. Trotzdem sollen die Arbeiter bluten.

Überall auf der Welt beginnen Arbeiter zu kämpfen, um ihre Rechte und Errungenschaften zu verteidigen. Die Zahl der Streiks und Proteste hat weltweit deutlich zugenommen – von den USA über Europa und Asien bis nach Afrika. Die Hafenarbeiter müssen ihren Lohnkampf als Teil dieser internationalen Mobilisierung der Arbeiterklasse verstehen, und sie müssen sich den Aufgaben zuwenden, mit denen Arbeiter heute überall auf der Welt konfrontiert sind.

Wir wiederholen, was wir bereits zum letzten Streik geschrieben haben:

Jeder erfolgreiche Kampf erfordert erstens einen Bruch mit den Gewerkschaften, die trotz ihrer teils radikalen Worte uneingeschränkt auf der Gegenseite stehen. Es müssen unabhängige Aktionskomitees aufgebaut werden, die den Kampf für höhere Löhne und den Ausgleich der Lebenshaltungskosten organisieren.

Zweitens kann kein Kampf im Rahmen eines Unternehmens oder Landes gewonnen werden. Arbeiter müssen sich über alle Betriebe, Branchen und Länder hinweg zusammenschließen, um ihre volle Kampfkraft zu entfalten.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale hat vor einem Jahr die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC) ins Leben gerufen, um diesen Kämpfen eine organisatorische Form und eine politische Orientierung zu geben. Im Gründungsaufruf heißt es:

Damit sich die Arbeiterklasse zur Wehr setzen kann, muss ein Weg geschaffen werden, um ihre Kämpfe in verschiedenen Fabriken, Branchen und Ländern in Opposition zur herrschenden Klasse und den korporatistischen Gewerkschaften zu koordinieren. Die IWA-RFC wird sich dafür einsetzen, einen Rahmen für neue Formen unabhängiger und demokratischer Kampforganisationen von Arbeitern in Fabriken, Schulen und Betrieben auf internationaler Ebene zu schaffen.

Das ist heute für jeden Streik und Arbeitskampf von größter Bedeutung.

Loading