Inmitten des Nato-Kriegs in der Ukraine gegen Russland:

Neue Kampfhandlungen zwischen Aserbaidschan und Armenien

In der Nacht vom 12. auf den 13. September brachen zwischen aserbaidschanischen und armenischen Streitkräften Kämpfe aus, als aserbaidschanische Truppen die Grenze zu Armenien überschritten und armenische Stellungen um die Städte Vardenis, Goris, Sotk und Jermuk angriffen. Die Zusammenstöße zwischen den beiden ehemaligen Sowjetrepubliken wurden fortgesetzt, nachdem ein von Moskau am 13. September vermittelter Waffenstillstand zunächst gebrochen worden war. Seit Freitag ist Berichten zufolge erneut eine fragile Waffenruhe in Kraft.

Am Dienstag berichtete der armenische Premierminister Nikol Pashinyan, dass bei den Kämpfen in diesem Monat bisher 105 armenische Soldaten getötet wurden. Aserbaidschan meldete 50 Todesopfer unter seinen Truppen.

Am 13. September beschuldigten sich armenische und aserbaidschanische Regierungsvertreter gegenseitig, den Konflikt ausgelöst zu haben. Das armenische Verteidigungsministerium berichtete von „intensivem Beschuss“ durch aserbaidschanische Truppen sowie von Drohnenangriffen und verkündete: „Die armenischen Streitkräfte haben eine angemessene Reaktion eingeleitet.“

Das aserbaidschanische Verteidigungsministerium seinerseits beschuldigte Armenien „groß angelegter subversiver Handlungen“ entlang der gemeinsamen Grenze und behauptete, es wehre einen armenischen Angriff ab.

Armenische Zivilisten berichteten von schweren Kämpfen, die sie an der Evakuierung des Gebiets hinderten, sowie von umfangreichen Schäden an der zivilen Infrastruktur. „Das gesamte Dorf wird bombardiert, wir können nicht einmal die Kinder evakuieren, wir haben es nur geschafft, einen Teil von ihnen zu evakuieren“, sagte ein Bewohner des Dorfes Geghamasar gegenüber Radio Free Europe. „Das Feuer in der Gegend ist sehr stark, auch die Straßen werden beschossen, wir müssen uns verstecken.“

Sevak Khachatryan, der in Sotk lebt, postete auf Facebook einen Bericht mit Bildern von ausgebrannten Gebäuden, in dem es hieß: „Nach nächtlichem Beschuss in Sotk wurde das Gemeindehaus beschädigt, mehrere Häuser sind verbrannt, Dächer und Fenster sind beschädigt. Das volle Ausmaß des Schadens ist noch unklar. Derzeit dauern die Kämpfe an.“

Die Kämpfe wurden den meisten Berichten zufolge von Aserbaidschan initiiert, das von der Türkei unterstützt wird. Doch obwohl Moskau einen Waffenstillstand vermittelt hatte, versuchten US-Beamte, Russland für den Konflikt verantwortlich zu machen. „Ob Russland auf irgendeine Art und Weise versucht, den Konflikt zu schüren und von der Ukraine abzulenken, ist etwas, das uns immer Sorgen bereitet“, erklärte US-Außenminister Antony Blinken.

Gleichzeitig gab das US-Außenministerium eine Erklärung ab, in der es hieß: „Wir drängen auf sofortige Schritte zum Abbau der Spannungen und zur Vermeidung einer weiteren Eskalation.“ Ned Price, Sprecher des Außenministeriums, teilte mit, Blinken habe den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew angerufen, seine „tiefe Besorgnis“ betont und Alijew aufgefordert, „die Feindseligkeiten“ gegen Armenien einzustellen. Price sagte, Blinken habe Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan angerufen, um ihm mitzuteilen, dass Washington „auf eine sofortige Einstellung der Kämpfe und eine Friedensregelung zwischen Armenien und Aserbaidschan drängen“ werde.

Der französische Präsident Emmanuel Macron brachte eine Erklärung heraus, in der er den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew aufforderte, „die Feindseligkeiten einzustellen und zur Einhaltung des Waffenstillstands zurückzukehren“. Macron sagte auch, er habe mit Paschinjan gesprochen, um die französische Unterstützung für die „Achtung der territorialen Integrität Armeniens“ zu betonen.

Das Wiederaufflammen des Konflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan verdeutlicht die wachsende Gefahr, dass sich der Ukrainekrieg der Nato gegen Russland zu einem umfassenderen Krieg im Kaukasus und im Nahen Osten ausweiten könnte.

Am Dienstag appellierte Paschinjan an Russland und an die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), militärisch gegen Aserbaidschan zu intervenieren. „Wir haben die OVKS um Unterstützung gebeten, einschließlich militärischer Unterstützung, um die territoriale Integrität Armeniens wiederherzustellen und den Rückzug der aserbaidschanischen Streitkräfte aus dem armenischen Hoheitsgebiet sicherzustellen“, erklärte Paschinjan vor dem armenischen Parlament.

Paschinjan sprach auch mit dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi, der einen neuen Krieg für „inakzeptabel“ erklärte und dazu aufrief, dafür zu sorgen, dass die iranischen Handelswege mit Armenien offen bleiben.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gab gestern eine bellizistische Erklärung zur Unterstützung Aserbaidschans ab. „Wir hoffen, dass Armenien so bald wie möglich von diesem falschen Weg abweicht und seine Zeit und Energie der Stärkung des Friedens widmet. Natürlich wird diese Haltung Konsequenzen für die armenische Seite haben“, sagte er.

Die gegenwärtigen Kämpfe sind das toxische Ergebnis der stalinistischen Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 sowie des Ausbruchs von Nato-Kriegen in der Region in den letzten drei Jahrzehnten. Die Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan brachen 1988 wegen der umstrittenen Enklave Bergkarabach aus, die zu Aserbaidschan gehörte, aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt war. Nach der Auflösung der Sowjetunion, als sowohl Armenien als auch Aserbaidschan unabhängig wurden und Armenien Bergkarabach eroberte, eskalierten die Kämpfe zu einem ausgewachsenen Krieg.

Dieser Bruderkrieg zwischen Streitkräften, deren Angehörige bis dahin sämtlich Sowjetbürger waren, dauerte von 1992 bis zu einem angespannten Waffenstillstand im Jahr 1994 und forderte 30.000 Menschenleben.

Die Nato-Kriege im Nahen Osten, insbesondere der 2011 begonnene Krieg für einen Regimewechsel in Syrien, haben das prekäre Gleichgewicht zwischen Armenien und Aserbaidschan zerstört. Während das ethnisch türkische Aserbaidschan Beziehungen zur Türkei aufbaute, verließ sich Armenien auf enge Beziehungen zum Iran und auf die Unterstützung Russlands, das in der armenischen Stadt Gjumri einen Militärstützpunkt unterhält. Während des Nato-Krieges in Syrien kam es zu Spannungen, als türkische Truppen iranischen und russischen Truppen gegenüberstanden, die gegen einen Sturz des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad kämpften.

Im Jahr 2020 brach inmitten der Covid-19-Pandemie ein neuer Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan aus, als aserbaidschanische Truppen den größten Teil der Enklave Berg-Karabach zurückeroberten. Er kostete fast 7.000 Menschenleben, wobei Aserbaidschan 3.006 Todesopfer, darunter 100 Zivilisten, und Armenien 3.910 Todesopfer, darunter 85 Zivilisten, meldete. Dass Aserbaidschan türkische Bayraktar-Drohnen einsetzte, die nun eine wichtige Rolle im ukrainischen Kampf gegen Russland spielen, trug dazu bei, das Gleichgewicht zugunsten Aserbaidschans zu verschieben.

Nach dem Krieg von 2020 entsandte Russland ein Kontingent von mehreren tausend Friedenstruppen an die Frontlinien zwischen armenischen und aserbaidschanischen Truppen. Diese Truppen versagten dabei, die wiederholten aserbaidschanischen Übergriffe auf das von Armenien gehaltene Gebiet zu stoppen. Seit dem Ausbruch des Nato-Russland-Kriegs im Anschluss an Russlands „militärische Spezialoperation“ in der Ukraine eskalierten diese Übergriffe.

Mehrere Vertreter der europäischen Staaten brachten das erneute Aufflammen der Kämpfe im Kaukasus mit dem Krieg in der Ukraine in Verbindung. Die französische Tageszeitung Le Figaro schrieb: „Zwei Faktoren scheinen Aserbaidschan motiviert zu haben. Erstens: die russische Niederlage in Charkiw. ‚Russland ist weniger in der Lage, Aserbaidschan abzuschrecken‘, sagte Florence Parmentier, Generalsekretärin des Zentrums für politische Forschung am Pariser Institut für politische Studien. Zweitens die Abhängigkeit Europas von Erdgasimporten.“

Im Juli reiste die Kommissionspräsidentin der Europäischen Union (EU), Ursula von der Leyen, in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku, um eine Vereinbarung über den Bezug von aserbaidschanischem Gas als teilweisen Ersatz für russisches Gas auszuhandeln, dessen Bezahlung die EU-Staaten aufgrund des Krieges in der Ukraine ablehnen. Der aserbaidschanisch-armenische Konflikt ist nun mit Konflikten innerhalb der EU über den Umgang mit massiven Energieengpässen und einem wahrscheinlichen wirtschaftlichen Zusammenbruch in Europa in diesem Winter verknüpft.

„Ich glaube, Aserbaidschan hat das Gefühl, dass es jetzt an der Zeit ist, seine Macht und seinen militärischen Vorteil auszuspielen und das Maximum herauszuholen, das es bekommen kann“, sagte Laurence Broers von der Denkfabrik Chatham House in London. „Ich denke, das Risiko besteht in der Einrichtung neuer Pufferzonen, Sicherheitszonen, einer Art Fragmentierung zumindest des südlichen Teils Armeniens und der Ohnmacht externer Akteure, dies zu verhindern“, fügte er hinzu.

Die sehr reale Gefahr, dass der Nato-Krieg gegen Russland in der Ukraine auf der eurasischen Landmasse eskalieren könnte, muss von Arbeitern im Kaukasus und der ganzen Welt als Warnung verstanden werden. Der einzige Weg, eine solche Eskalation zu verhindern, ist die revolutionäre Mobilisierung der Arbeiterklasse auf internationaler Ebene gegen das Kriegstreiben des Kapitalismus. Dies wiederum erfordert eine Rückbesinnung auf die marxistisch-internationalistische Tradition der Oktoberrevolution von 1917, die vor einem Jahrhundert zur Gründung der Sowjetunion führte und von der trotzkistischen Bewegung gegen den Stalinismus verteidigt wurde.

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