Perspektive

Steinmeiers Kriegsrede an die Nation

Die „Rede an die Nation“ von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Freitag unterstrich, wovor die Sozialistische Gleichheitspartei seit langem warnt: die herrschende Klasse nutzt den reaktionären Angriff Putins auf die Ukraine, um nach ihren abscheulichen Verbrechen im 20. Jahrhundert wieder zu einer aggressiven Großmachtpolitik zurückzukehren und ihre Kriegs- und Aufrüstungspläne gegen den Widerstand in der Bevölkerung durchzusetzen.

Steinmeiers Ausführungen vor geladenen Militärs, Journalisten, Thinktank-Vertretern und führenden Politikern kann man nur als „Kriegsrede an die Nation“ bezeichnen. Im Zentrum stand de facto eine Kriegserklärung an Russland und die russische Bevölkerung. „Unsere Länder stehen heute gegeneinander“, erklärte Steinmeier. Moskau sei das „Böse“, demgegenüber „guter Wille“ nicht ausreiche.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Zelenskyy während ihres Treffens in Kiew, Ukraine, Dienstag, 25. Oktober 2022. [AP Photo/Andrew Kravchenko]

Verhandlungen, die nicht die vollständige Niederlage Russlands in der Ukraine besiegeln, lehnte Steinmeier explizit ab. „Ein vermeintlicher Friede, der solches Handeln belohnt, ein Friede, der Putins Landraub besiegelt, ist kein Friede.“ Ein solcher „Scheinfriede“ würde nicht nur „für viele Menschen in der Ukraine eine Schreckensherrschaft bedeuten“, sondern auch „Putins Hunger nur vergrößern“.

Steinmeier weiß, dass die Maxime eines totalen Siegs über Russland in eine Katastrophe führt. „Eine Ausweitung des Krieges, gar eine nukleare Eskalation muss verhindert werden“, beteuerte er an einer Stelle. Aber die Politik, die Berlin und die anderen führenden Nato-Mächte verfolgen, beschwört genau eine solche Eskalation herauf. Der Kreml hat wiederholt damit gedroht, russisches Staatsgebiet – und dazu zählt Moskau die Krim und Teile der Ostukraine – mit „allen uns zur Verfügung stehenden Waffensystemen“ zu verteidigen.

Trotzdem versprach Steinmeier dem anwesenden neuen ukrainischen Botschafter in Berlin, Oleksij Makejew, das rechte, pro-westliche Regime in Kiew bis zum Sieg über Russland zu unterstützen. „Wir unterstützen sie militärisch – Ihr Präsident [Wolodymyr Selenskyj] hat mir gerade berichtet, wie lebensrettend die deutschen Luftverteidigungssysteme sind. Wir unterstützen sie finanziell und politisch“, versicherte Steinmeier. „Sanktionen“, „Abbruch von Kontakten“ und „Waffenlieferungen“ seien notwendige „Konfliktinstrumente“.

Allein diese Kriegsrhetorik gegenüber Russland macht deutlich, an welche Traditionen die herrschende Klasse wieder anknüpft. Steinmeiers Floskeln über „Freiheit“ und „Demokratie“ können nicht darüber hinwegtäuschen, dass hinter der Offensive gegen Russland ähnliche imperialistische Interessen stehen, wie sie den Vernichtungskrieg der Nazis gegen die Sowjetunion befeuerten. An einer Stelle beschrieb Steinmeier Deutschland als „ein Land so klein im Weltmaßstab und praktisch ohne eigene Ressourcen und Bodenschätze“.

Tatsächlich treibt Berlin nicht nur der Hunger nach den gewaltigen Rohstoffvorkommen Russlands, sondern auch der Wunsch nach Vergeltung für die vergangenen Kriegsniederlagen – und das nicht nur in Bezug auf Russland. Die räuberischen Ambitionen des deutschen Imperialismus reichen wie im Ersten und Zweiten Weltkrieg weit über die Ukraine und Russland hinaus und sind im Kern auch eine Kampfansage an die „Verbündeten“ europäischen Mächte und die USA.

Steinmeier ließ in seiner Rede keinen Zweifel am deutschen Führungsanspruch – auch in militärischer Hinsicht. Deutschland brauche „zuallererst eine starke und gut ausgestattete Bundeswehr“, sagte er. „Wir sind das starke Land in der Mitte Europas. Wir sind in der Pflicht, unseren Beitrag zur Bündnisverteidigung zu leisten – heute viel mehr als in einer Zeit, in der andere, vor allem die USA, die schützende Hand über uns gehalten haben.“ Deutschland nehme „seine Verantwortung an, in der NATO, in Europa“.

Das neue alte Ziel Berlins besteht darin, Europa unter deutscher Führung zu organisieren, um eine Weltmachtrolle zu spielen. Deutschland sei „einer der Großen in Europa. Von uns wird Führung erwartet, Führung im Interesse Europas“, so Steinmeier. „Entscheidend“ sei dabei „nicht der Applaus des Publikums. Entscheidend ist die Stärkung Europas.“

Dabei müsse sich Deutschland „daran gewöhnen“, dass „ein Land wie unseres in der Kritik steht“. Steinmeiers Vorbild in dieser Hinsicht sind die Vereinigten Staaten. „Schauen wir auf die USA, sie haben viel Übung darin. Die sind eine globale Führungsmacht. Sie werden kritisiert für das, was sie tun, und für das, was sie nicht tun. Sie können nicht auf andere zeigen oder höhere Instanzen anrufen. Sie müssen wissen, was sie tun und warum.“

Steinmeier zog es vor, nicht näher darauf einzugehen – mit gutem Grund. Seine Propaganda vom „russischen Aggressor“, der „die europäische Sicherheitsordnung“ mit dem Angriff auf die Ukraine „in Schutt und Asche gelegt“ habe, wäre sonst wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. In Wirklichkeit sind es die Vereinigen Staaten und ihre Verbündeten, die seit 30 Jahren nahezu ununterbrochen Krieg führen und ganze Länder zerstört haben – neben Irak, Afghanistan und Libyen auch Teile Europas.

Der deutsche Imperialismus hat dabei von Anfang an eine zentrale Rolle gespielt. Anfang der 1990er Jahre hatte die Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens durch Berlin zunächst zu einem mörderischen Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien geführt. 1999 folgte dann das Flächenbombardement der Nato gegen Serbien, das u.a. auf die gewaltsame Abtrennung des Kosovo zielte. Die Nato-Offensive gegen Russland und zunehmend auch China – Steinmeier geißelte in seiner Rede Chinas „wirtschaftlichen und politischen Machtanspruch“ – ist die Fortsetzung dieser Kriegspolitik.

Mit der Kriegspolitik kehrt auch die Sprache des Militarismus zurück. „Wir müssen konfliktfähig werden, nach innen wie nach außen“, forderte Steinmeier. Man brauche „den Willen zur Selbstbehauptung“, „Widerstandsgeist“ und „Widerstandskraft“. All das dient der Vorbereitung der Bevölkerung auf eine neue Epoche des Kriegs. „Die Welt ist auf dem Weg in eine Phase der Konfrontation“, und es „kommen härtere Jahre, raue Jahre auf uns zu. Die Friedensdividende ist aufgezehrt. Es beginnt für Deutschland eine Epoche im Gegenwind.“

Steinmeier war sich äußerst bewusst, dass diese Kriegspropaganda auf enormen Widerstand in der Bevölkerung trifft. Nach den Schrecken zweier Weltkriege und des Holocaust ist die Ablehnung des Militarismus unter Arbeitern tief verwurzelt. Immer wieder sieht sich Steinmeier gezwungen zuzugeben, dass die Wirtschaftssanktionen gegen Russland und die Waffenlieferungen an die Ukraine auf Ablehnung stoßen.

Der Bundespräsident appellierte gegen diese Opposition an die Einheit der Nation. Sein Aufruf zum Zusammenhalt von „Reich und Arm“ ist angesichts der beispiellosen sozialen Ungleichheit reiner Hohn. Während die Reichen in den letzten Jahren vom Staat Milliardengeschenke erhielten und die Arbeiter mit Inflation und Massenentlassungen konfrontiert sind, soll jeder Widerstand dagegen im Namen des „Zusammenhalts“ unterdrückt werden.

Das meint Steinmeier, wenn er davon spricht, dass Deutschland nicht nur aufrüsten, sondern auch „konfliktfähig nach innen“ werden müsse. Konkret schlug er eine „soziale Pflichtzeit“ vor. In dieser müssen, wie Steinmeier in einem früheren Interview ausführte, junge Menschen entweder Militärdienst oder Zwangsarbeit im sozialen Bereich leisten, um die durch Kürzungen und miserable Arbeitsbedingungen geschaffene Katastrophe in diesem Bereich abzumindern und zugleich weitere reguläre Arbeitsplätze zu vernichten.

Gegen diesen Kurs von Krieg und sozialer Verwüstung darf es nach Steinmeier keinen Widerstand geben. Bürger müssten Unsicherheiten aushalten und höchsten einige politische Entscheidungen kritisieren, aber dürften auf keinen Fall einen „Generalangriff auf unser politisches System“ führen, so Steinmeier.

Dieser Angriff auf demokratische Rechte fand unter den anwesenden Vertretern dieses politischen Systems ebenso breite Zustimmung wie Steinmeiers Kriegshetze und Großmachtphantasien. Ausnahmslos unterstützten sie die Rede mit stehenden Ovationen. Darunter befanden sich Vertreter des Militärs, wie der stellvertretende Generalinspekteur der Bundeswehr, Markus Laubenthal, einflussreiche Journalisten und Vertreter der Parteien, darunter Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU), FDP-Fraktionschef Christian Dürr und der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei).

Merz erklärte im Anschluss an die Rede, diese habe eine „klare Orientierung gegeben“. „Es war ein Aufgabenkatalog für die Politik.“ Nun komme es darauf an, diesen auch konkret umzusetzen, erklärte der CDU-Chef.

Auch Ramelow stellte sich hinter die Rede des Bundespräsidenten und insbesondere hinter die Aussage, dass man das Böse nicht mit gutem Willen bekämpfen könne. „Ich wundere mich über die vielen russischen Fahnen, die gerade in Thüringen hochgehalten werden, von Menschen, die sagen, sie wollen für Frieden eintreten, und dabei verkennen, dass die Aggression und der Angriffskrieg von Herrn Putin ausgehen“, so Ramelow.

Diese Phalanx aller Parteien für Militarismus und soziale Angriffe unterstreicht, dass ein nuklearer Weltkrieg tatsächlich nur in einem „Generalangriff auf das politisches System“ verhindert werden kann. Die Sozialistische Gleichheitspartei und ihre Schwesterparteien der Vierten Internationale kämpfen für eine internationale Bewegung der Arbeiter, der großen Mehrheit der Bevölkerung, gegen den Krieg und seine Wurzel, den Kapitalismus. Wir rufen alle Leser auf, sich diesem notwendigen Kampf für eine sozialistische Zukunft anzuschließen.

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