Perspektive

Das „Reichsbürger“-Netzwerk und der Kampf gegen den Faschismus

Das Wiederaufleben einer faschistischen Bewegung in Deutschland ist Anlass zu höchster Besorgnis. Es gibt kein anderes Land, in dem der Faschismus seine barbarische Fratze so unverhüllt gezeigt hat. In den zwölf Jahren der Nazi-Diktatur zerschlug Hitler die Arbeiterbewegung, errichtete ein Terrorregime, entfesselte einen Eroberungs- und Vernichtungskrieg, der allein in der Sowjetunion 27 Millionen Opfer forderte, und ermordete sechs Millionen Juden. Deutschland und halb Europa lagen hinterher in Trümmern.

Neonazi-Aufmarsch mit Reichsbürgersymbol in München (2005) [Photo by Rufus46 / wikimedia / CC BY-SA 3.0]

Die über 50 Personen aus der „Reichsbürger“-Szene, gegen die 3000 Polizisten am 7. Dezember die größte Razzia in der Geschichte der Bundesrepublik durchführten, sind keine harmlosen „Spinner“, wie jetzt einige behaupten. Der Generalbundesanwalt wirft ihnen vor, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben, um mit militärischer Gewalt die Macht zu übernehmen und politische Gegner umzubringen. Sie sollen geplant haben, nach dem Vorbild der amerikanischen Putschisten vom 6. Januar 2021 in den Bundestag einzudringen, Abgeordnete und Regierungsmitglieder gefangen zu nehmen, Unruhen im ganzen Land auszulösen und dann einen Putsch auszuführen.

Das terroristische Netzwerk reicht tief in den Staatsapparat und in höhere Gesellschaftsschichten hinein. Unter den Festgenommenen befinden sich ein Mitglied des Hochadels, ein Rechtsanwalt, eine Ärztin, ein Pilot, eine Richterin und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete, mehrere Polizeibeamte sowie auffallend viele ehemalige und aktive Angehörige des Militärs, darunter mehrere Offiziere des Kommandos Spezialkräfte (KSK), das ausgebildet ist, zu töten und Geiseln zu nehmen.

Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Laut Mitgliedern des Rechtsausschusses des Bundestags, die über die Ermittlungen informiert wurden, hat eine dreistellige Zahl von Menschen „Verschwiegenheitserklärungen“ der Gruppe unterschrieben. Es habe Vorbereitungen zum Aufbau von 280 „Heimatschutzkompanien“ gegeben, die im Falle eines Umsturzes Menschen „festnehmen und exekutieren“ sollten.

Das Netzwerk ist mit der AfD verzahnt, die im Bundestag und den Länderparlamenten sitzt. Es stützt sich auf Corona-Leugner, QAnon-Anhänger, Querdenker und „Reichsbürger“. Allein letztere werden auf 23.000 Personen geschätzt, von denen jede zehnte gewaltbereit ist. Die „Reichbürger“ verneinen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und streben nach der Wiederherstellung des Deutschen Reichs in den Grenzen von 1937 – d.h. einschließlich großer Teile Polens und der russischen Exklave Kaliningrad.

Die rechtsterroristischen Netzwerke sind nicht vom Himmel gefallen. Die Sozialistische Gleichheitspartei warnt seit vielen Jahren davor. 2018 veröffentlichte der Mehring Verlag das Buch „Warum sind sie wieder da?“ von Christoph Vandreier, dem heutigen Vorsitzenden der SGP. Es weist minutiös nach, „wie in den letzten fünf Jahren die Rückkehr des deutschen Militarismus und der Aufbau eines Polizeistaats vorangetrieben wurden und das ideologische Fundament für eine faschistische Bewegung gelegt wurde“.

Man könne das Anwachsen der extremen Rechten nicht verstehen, „ohne die Rolle der Regierung, des Staatsapparats, der Parteien, der Medien und der Ideologen an den Universitäten zu untersuchen, die ihr den Weg bereiten“, heißt es im Vorwort.

Rechtsextreme Gruppen und Parteien wurden systematisch verharmlost und gefördert. Die AfD, die erste faschistische Partei im Deutschen Bundestag seit dem Ende des Nazi-Regimes, verdankt ihren Aufstieg maßgeblich dem Verfassungsschutz, der sie schützte und beriet, und den etablierten Parteien, die ihr den Weg in parlamentarische Ämter ebneten und ihr flüchtlingsfeindliches und militaristisches Programm übernahmen.

Mit der Wiederbelebung des deutschen Militarismus ging die Verharmlosung der Verbrechen der Nazis einher. Historische Lügen, die Hitlers Überfall auf die Sowjetunion rechtfertigen, waren im Historikerstreit der 1980er Jahre noch vehement zurückgewiesen worden; jetzt dominieren sie den akademischen und öffentlichen Diskurs. In der Ukraine und den baltischen Staaten arbeiten Bundesregierung und Bundeswehr mit Regimes zusammen, die Denkmäler für Nazi-Kollaborateure errichten.

Neonazis, wie das NSU-Trio und der Lübcke-Mörder Stefan Ernst, konnten ungestört morden, obwohl sie unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden standen. Rechtsterroristische Organisationen, wie das weitverzweigte „Hannibal“-Netzwerk, blieben weitgehend unbehelligt, obwohl sie Todeslisten erstellten und große Mengen Waffen und Munition horteten. Kam es zu vereinzelten Verhaftungen und Prozessen, wurde die Zahl der Beschuldigten stets klein gehalten und die Mär vom „Einzeltäter“ verbreitet.

Dasselbe gilt für faschistische Netzwerke innerhalb der Polizei. Sowohl in Hessen wie in Nordrhein-Westfalen beteiligten sich Dutzende Polizisten an Neonazi-Chatgruppen. Kaum einer wurde belangt. Erst diese Woche wurde bekannt, dass auch in Baden-Württemberg gegen 70 Polizeibeamte ermittelt wird, die in Chatgruppen Hakenkreuze und Hitler-Bilder ausgetauscht haben.

Vor diesem Hintergrund entwickelte sich das „Reichsbürger“-Terrornetzwerk. Man kann sicher sein, dass bisher nur die Oberfläche sichtbar ist – und dass der Generalbundesanwalt alles unternehmen wird, damit es so bleibt.

Das Wachstum faschistischer Kräfte mit Unterstützung der herrschenden Eliten ist nicht auf Deutschland beschränkt. In den USA entwickeln die Republikaner, eine der beiden großen bürgerlichen Parteien, zusehends faschistische Züge. Ein Putschversuch Donald Trumps scheiterte im Januar 2021 nur knapp. Italien wird von einer Premierministerin regiert, die in der politischen Tradition des faschistischen Diktators Mussolini steht. In Schweden, dem einstigen Musterland der Sozialdemokratie, stützt sich die Regierung auf eine Neonazi-Partei.

Der Rechtsruck der herrschenden Eliten ist Ausdruck der Fäulnis der bürgerlichen Demokratie. Er hat tiefe objektive Gründe. Als sich 1929 der Klassenkampf in Europa verschärfte und autoritäre Parteien nach der Macht griffen, schrieb Leo Trotzki: „Zu hohe Spannung des internationalen Klassenkampfes führt zum Kurzschluss der Diktatur, die Sicherungen der Demokratie schlagen eine nach der anderen durch. … Die sogenannte Krise des Parlamentarismus ist der politische Ausdruck der allgemeinen Krise der bürgerlichen Gesellschaft.“

Das ist auch heute der Fall. Jahrzehnte des Sozialabbaus, in denen immer größere Teile des Sozialprodukts für die Bereicherung einer kleinen Minderheit und für brutale Kriege abgezweigt wurden, haben den Parlamentarismus ausgehöhlt und den Klassenkampf verschärft. Die Bedürfnisse breiter Massen nach angemessenen Einkommen, sicheren Arbeitsplätzen, guter Gesundheitsversorgung, erschwinglichen Mieten und Frieden finden im parlamentarischen Rahmen nicht einmal mehr einen verzerrten Ausdruck.

Sozialdemokraten und Linke sind zu Experten des Sozialabbaus und der Niedriglöhne geworden, die Grünen zur führenden Kriegspartei. Lange Zeit stützten sie sich auf die Gewerkschaften, um den Klassenkampf zu unterdrücken. Aber je mehr sich der soziale Widerstand neue Wege bahnt, desto offener rücken sie nach rechts und setzen auf staatliche Gewalt und rechten Terror, um ihn zu unterdrücken.

Dass sie sich von Zeit zu Zeit gezwungen sehen, übereifrige Faschisten in die Schranken zu weisen, ändert daran nichts. Niemand sollte sich der Illusion hingeben, die deutsche Justiz – die sich 1933 so gut wie geschlossen in den Dienst der Nazis stellte – werde die rechte Verschwörung stoppen. Im Gegenteil, die Maßnahmen und Gesetze, die sie unter dem Vorwand der Einschränkung der Rechten ergreift, richten sich unweigerlich gegen die Gegner von Kapitalismus und Krieg.

„Sowohl die Theorie als auch die historische Erfahrung bezeugen, dass jede Einschränkung der Demokratie in der bürgerlichen Gesellschaft letztlich immer gegen das Proletariat gerichtet ist, so wie auch alle neuen Steuern auf den Schultern der Arbeiterklasse lasten,“ schrieb Trotzki 1938.

Weil die Sozialistische Gleichheitspartei wie keine andere Partei vor der rechten Gefahr warnte, wurde sie vom Verfassungsschutz auf die Liste der „linksextremen“ Parteien gesetzt. Als sie das Innenministerium deswegen verklagte, führte es zur Begründung an, die SGP streite „für eine demokratische, egalitäre, sozialistische Gesellschaft“ und agitiere „gegen angeblichen ‚Imperialismus’ und ‚Militarismus‘“. Auch das „Denken in Klassenkategorien“ und den „Glauben an die Existenz einander unversöhnlich gegenüberstehender konkurrierender Klassen“ erklärte es für verfassungswidrig.

Die Sozialistische Gleichheitspartei ist dagegen in die Offenive gegangen. Sie hat beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde eingelegt und eine Petition auf change.org gestartet, um Unterstützung zu mobilisieren.

Es gibt nur einen Weg, die faschistische Gefahr zu stoppen – die Entwicklung einer unabhängigen Bewegung, die die internationale Arbeiterklasse im Kampf gegen Sozialabbau, Krieg, Faschismus und ihre Ursache, den Kapitalismus, vereint. Die objektiven Voraussetzungen dafür entwickeln sich schnell. Immer mehr Arbeiterinnen und Arbeiter sind nicht länger bereit, den Angriff auf ihre Lebengrundlagen hinzunehmen.

Doch eine solche Bewegung braucht Perspektive und Organisation. Sie aufzubauen ist das Ziel der Sozialistischen Gleichheitspartei und ihrer Schwesterorganisationen im Internationalen Komitee der Vierten Internationale.

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