Die Fortsetzung des Ukrainekriegs und die Beschwörung der Einheit der Nation standen im Mittelpunkt der traditionellen Weihnachts- und Neujahrsansprachen des Bundespräsidenten und des Bundeskanzlers.
Sowohl Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wie Bundeskanzler Olaf Scholz sprachen sich dafür aus, den Ukrainekrieg bis zur vollständigen Niederlage Russlands weiterzuführen, auch wenn dies mit enormen sozialen und wirtschaftlichen Kosten und dem Risiko eines Atomkriegs verbunden ist. Beide beschworen den „Zusammenhalt“ und die „Gemeinsamkeit“ der Gesellschaft, um die katastrophalen Folgen des Kriegs auf die Masse der Bevölkerung abzuwälzen.
Steinmeier, der die Weihnachtsansprache hielt, erklärte zwar scheinheilig: „In diesem Jahr ist wohl unser sehnlichster Wunsch, dass wieder Friede herrscht.“ Er fügte aber sofort hinzu: „Aber dieser Friede ist noch nicht greifbar.“ Es müsse „ein gerechter Friede“ sein, der den Landraub nicht belohne. Bis dahin sei „es ein Gebot der Menschlichkeit, dass wir den Angegriffenen … beistehen“.
Im Klartext bedeutet dies, dass Deutschland und die Nato den Krieg mit Waffenlieferungen in Milliardenhöhe und militärischer Unterstützung so lange weiter verschärfen, bis Russland kapituliert. Nach Ansicht von Experten könnte dies zwei bis drei Jahre dauern und Hunderttausende weitere Opfer fordern. Das Risiko, dass der Krieg auf ganz Europa übergreift und es zum Einsatz von Atomwaffen kommt, wird dabei bewusst in Kauf genommen.
Scholz wurde in seiner Neujahrsansprache noch deutlicher. Er wiederholte mehrmals den Begriff der „Zeitenwende“, mit der er im Frühjahr die Aufstockung des Rüstungshaushalts um 100 Milliarden Euro begründet hatte, und gelobte: „Wir werden die Ukraine weiter unterstützen“. Er behauptete, dank „Zusammenhalt und Stärke“ der „lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger“ sei Deutschland vor Russland „nicht eingeknickt“, und pries die Geschlossenheit von Europäischer Union und Nato.
Auch Steinmeier lobte seine „lieben Landsleute“: „Sie spüren die Folgen dieses Krieges, vor allem die wirtschaftlichen Folgen. Aber Sie tragen die Lasten, weil Ihnen das Schicksal der Ukrainerinnen und Ukrainer nicht gleichgültig ist; weil Ihnen ihr Kampf für die Freiheit nicht egal ist; weil Sie solidarisch und mitmenschlich sind.“
„Die Ukraine behauptet sich mit großem Mut. Europa steht zusammen. Und unser Land wächst in der Herausforderung wieder einmal über sich hinaus,“ fuhr Steinmeier fort. Dieses Jahr habe gezeigt: „Gemeinsam kommen wir durch diese Zeit.“ Sein Weihnachtswunsch sei, „dass wir alles stärken, was uns verbindet“.
Mit der Realität hat all dies nichts zu tun, umso mehr mit Kriegspropaganda.
Erstens geht es der Nato in der Ukraine ebenso wenig um Freiheit und Demokratie wie in ihren früheren Kriegen im Irak, Afghanistan und Libyen, in denen sie ganze Länder verwüstet und Millionen Menschen umgebracht und in die Flucht getrieben hat. Sie hat den Krieg durch ihr systematisches Vorrücken nach Osten, die Unterstützung des Putsches in Kiew 2014 und die seitherige Aufrüstung der ukrainischen Armee gezielt provoziert und nutzt ihn nun, um Russland in die Knie zu zwingen.
Auch die Ukraine selbst ist eine wertvolle Beute. Sie ist nicht nur reich an Kohle- und Gasreserven, sondern verfügt laut dem Brüssler Thinktank Carnegie Endowment über kritische Rohstoffe – Lithium, Kobalt, Titan, Beryllium und Seltene Erden – im geschätzten Wert von 6,7 Billionen Euro.
Das rechtfertigt nicht den militärischen Angriff des Putin-Regimes. Er spielt der Nato in die Hände und stärkt – in der Ukraine und in Russland – die reaktionärsten Kräfte. Aber die Hauptinitiative zum Krieg ging von der Nato aus, die ihn nicht beenden will, bevor sie ihr Ziel erreicht hat.
Mit welcher Aggressivität die herrschenden Kreise dabei vorgehen und an die Eroberungspläne Hitlers anknüpfen, zeigt ein Interview mit Stefan Meister, dem Russlandexperten der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), das der Spiegel in seiner jüngsten Ausgabe veröffentlicht hat.
Meister wirft früheren Bundesregierungen vor, sich die „bequeme, aber falsche Interpretation der Geschichte zurechtgelegt“ zu haben, „dass es – in Anlehnung an Willy Brandt – Wandel durch Annäherung geben könnte“. Mindestens 80 Prozent der deutschen Eliten hätten „sich kollektiv selbst belogen“ und die Abhängigkeiten von Russland ausgebaut.
Notwendig sei „eine echte langfristige Russlandpolitik“, bei der es „letztlich um Regime Change in Moskau“ gehe. „Dafür braucht es Führung,“ so Meister, und nicht „ein System von systematischer Verantwortungslosigkeit“, in dem sich politische Eliten vor „Wahlrisiken“ – also dem Willen der Wähler – fürchten.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Zweitens steht die deutsche Bevölkerung nicht, wie Steinmeier und Scholz behaupten, geschlossen hinter dem Krieg. Große Teile stehen ihm skeptisch oder ablehnend gegenüber. Der Krieg und die unablässige Kriegspropaganda in den Medien dienen umgekehrt dazu, die wachsende Opposition gegen Krieg und soziale Ungleichheit einzuschüchtern und zu unterdrücken.
Seit Jahrzehnten bereichert sich eine kleine Minderheit schamlos auf Kosten der Mehrheit. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) besitzen in Deutschland die reichsten zehn Prozent mehr als zwei Drittel des gesamten Vermögens, die gesamte ärmere Hälfte dagegen nur 1,3 Prozent. Die Realeinkommen der ärmsten zehn Prozent sind seit 1995 nur um 5 Prozent gestiegen, die der reichsten zehn Prozent dagegen um 40 Prozent.
Der Ukrainekrieg beschleunigt dieses Auseinanderklaffen von Einkommen und Vermögen. Die Gewerkschaften, die die Kriegspolitik der Regierung unterstützen, haben Tarifverträge weit unter der Inflationsrate abgeschlossen, die 2022 bei 10 Prozent lag und 2023 nach Schätzung der Bundesbank bei durchschnittlich 7,2 Prozent liegen wird. Hinzu kommen explodierende Energiekosten und unbezahlbare Mieten. Vor allem für die jüngere Generation sieht die Zukunft düster aus, selbst wenn sie jahrelang studiert hat.
Steinmeier und Scholz beschwören den „Zusammenhalt“ der Gesellschaft vor allem deshalb, weil sie fürchten, dass es zu offenen Klassenkämpfen kommt. Scholz verwandte einen großen Teil seiner Neujahrsansprache darauf, die Hilfsprogramme aufzuzählen, die die Regierung geschnürt hat, um den Anstieg der Preise etwas zu dämpfen. Doch sie sind nichts weiter als ein Tropfen auf den heißen Stein und kommen ohnehin größtenteils den Reichen und Konzernen zugute, die trotz Pandemie und Krieg hohe Profite erzielen.
Auch die Süddeutsche Zeitung fürchtet, dass es zur Rebellion gegen Krieg und soziale Ungleichheit kommt. „Noch gibt es hierzulande eine Mehrheit für die finanzielle Unterstützung der Ukraine, für Sanktionen gegen Russland, für Waffenlieferungen,“ kommentiert ihr früherer Chefredakteur Kurt Kister. „Wachsen aber im zweiten Kriegsjahr Gewöhnung, Vertrauensverlust und persönliche Beeinträchtigungen, mag es im Dezember 2023 anders aussehen.“
Im bestehenden politischen System findet diese wachsende Opposition gegen soziale Ungleichheit und Krieg keinen Ausdruck. Alle Bundestagsparteien, von der Linken über die SPD, die Grünen bis zur Union, unterstützen den Kriegskurs.
Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) stellt den Kampf gegen die verhasste Kriegspolitik und die soziale Verwüstung in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs zur Berlinwahl am 12. Februar. Gemeinsam mit ihren Schwesterparteien in der Vierten Internationale baut sie eine sozialistische Partei der internationalen Arbeiterklasse auf, die die Opposition gegen Krieg und soziale Ungleichheit mit dem Kampf gegen ihre Ursache, den Kapitalismus, verbindet.