Macron kritisiert in China die Taiwan-Politik der USA, fordert europäische Kriegswirtschaft

Am Wochenende beendete Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einen viertägigen Staatsbesuch in China, um Gespräche mit Präsident Xi Jinping zu führen. Obwohl der Widerstand der Arbeiterklasse in Frankreich in Streiks und Protesten überkocht, seit er trotz überwältigender Ablehnung der Bevölkerung umfassende Rentenkürzungen durchgesetzt hat, forderte Macron eine weitere massive Erhöhung der Militärausgaben, um eine europäische „Kriegswirtschaft“ aufzubauen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron und der chinesische Präsident Xi Jinping bei einem Treffen von französischen und chinesischen Wirtschaftsvertretern in Peking am 6. April 2023 [AP Photo/Ludovic Marin/Pool via AP]

Macrons Besuch in China wurde überschattet vom Nato-Krieg gegen Russland in der Ukraine und den eskalierenden militärischen Drohungen der USA gegen China über Taiwan. Am ersten Tag der Gespräche bat er Xi um Hilfe, um „Russland zu einer vernünftigen Politik“ in der Ukraine zurückzubringen. Laut der chinesischen People’s Daily versprach Xi daraufhin, mit Frankreich „zusammenzuarbeiten, um die internationale Staatengemeinschaft zu Rationalität und Mäßigung aufzurufen und um Schritte zu vermeiden, welche die Krise in der Ukraine noch weiter verschärfen“.

Im weiteren Verlauf von Macrons Besuch ging es um den Ausbau der französischen Wirtschaftsbeziehungen zu China und die Stärkung der französischen und europäischen Streitkräfte angesichts der zunehmenden Spannungen mit Washington. Begleitet wurde Macron bei seinem Besuch von einer großen Delegation aus Vorstandschefs des Energiemonopolisten Electricité de France, der Luftfahrtunternehmen Airbus und Safran, des Zugbauers Alstom, der Luxusartikel-Konglomerate LVMH und LOréal sowie von Tourismusunternehmen. Weitere Mitglieder der französischen Delegation waren der Komponist elektronischer Musik Jean-Michel Jarre und seine Frau, der chinesische Filmstar Gong Li.

Macron kritisierte die US-Politik der Annäherung an Taiwan, da sie Washington die Möglichkeit gibt, die Ein-China-Politik zu beenden und einen Krieg zwischen Peking und Taiwan zu provozieren. Laut einem chinesischen Kommuniqué bezeichnete Macron den Besuch der taiwanesischen Präsidentin Tsai Ing-wen in den USA als „bedauerlich“ und erklärte offiziell seine Unterstützung für die Ein-China-Politik. Am Sonntag kam er während des Heimflugs nach Paris in einem ausführlichen Interview mit der Wirtschaftszeitung Les Echos erneut auf das Thema zu sprechen.

Macron erklärte: „Für uns Europäer stellt sich die Frage: Haben wir ein Interesse daran, dass sich die Lage um Taiwan verschärft? Nein. Das Schlimmste wäre, zu denken, wir Europäer müssten in dieser Frage blind folgen und uns dem Rhythmus der USA und den chinesischen Überreaktionen anpassen. Warum sollten wir einem Rhythmus folgen, den andere für uns bestimmt haben? An einem bestimmten Punkt müssen wir uns die Frage nach unseren eigenen Interessen stellen... Es wäre paradox, wenn wir Elemente einer wirklichen strategischen Autonomie Europas aufbauen und plötzlich anfangen würden der Politik der USA in einer Art Panikreaktion zu folgen.“

Macron plädierte dafür, dass Frankreich und die imperialistischen Großmächte der EU auf die zunehmenden Spannungen mit Washington mit einer massiven militärischen Aufrüstung reagieren, die durch Angriffe auf die Arbeiterklasse finanziert wird. Er erklärte: „Europa hat zu lange gezögert, diese strategische Autonomie aufzubauen, für die ich kämpfe. Heute ist die ideologische Schlacht gewonnen, die Struktur festgelegt. Das hat zwangsläufig seinen Preis... Wir haben bereits harte Kürzungen vorgenommen, wir beginnen Ergebnisse zu sehen, aber gleichzeitig zahlen wir für das, was wir in den letzten 20 Jahren nicht getan haben.“

„Da sich die Geschichte beschleunigt, müssen auch wir parallel dazu die europäische Kriegswirtschaft beschleunigen. Wir produzieren [Waffen] nicht schnell genug... Der Schlüssel zu einer geringeren Abhängigkeit von den Amerikanern liegt in der Stärkung unsere Rüstungsindustrie und der Vereinbarung gemeinsamer Standards“ für die Waffenproduktion in Europa.

Macron befürchtet, EU-Staaten könnten zu „Vasallen“ werden, wenn Washington zu schnell einen offenen Krieg mit China provoziert, bevor die Aufrüstung der EU abgeschlossen ist. Er erklärte: „Wenn das Auseinanderbrechen des amerikanisch-chinesischen Duopols beschleunigt wird, werden wir nicht die Zeit oder die Mittel haben, unsere strategische Autonomie zu finanzieren, und werden zu Vasallen, obwohl wir der dritte Pol sein könnten, wenn wir ein paar Jahre Zeit hätten, ihn aufzubauen.“

Macron deutete auch sein mangelndes Vertrauen in den US-Dollar an, der zunehmend in Frage gestellt wird, seit die Silicon Valley Bank gerettet und das US-Finanzministerium den Dollar benutzt hat, um Sanktionen gegen den Iran und dort tätige europäische Firmen durchzusetzen. Während Russland, Brasilien und andere Länder dazu übergehen, ihren Handel mit China in anderen Währungen abzuwickeln, erklärte Macron: „Ich möchte an dieser Stelle betonen: Wir sollten nicht von der Extraterritorialität des US-Dollars abhängig sein.“

Chinesische Kommentatoren signalisierten die Unterstützung des Pekinger Regimes für den jüngsten Kurswechsel in der französischen Politik und veröffentlichten in der französischen Presse positive Artikel über Macrons „Unabhängigkeit“. Die chinesische Staatszeitung Global Times veröffentlichte einen Leitartikel mit der Überschrift „Macrons Chinabesuch verkörpert den Wert strategischer Autonomie“. Darin erklärte sie lobend, Macron habe möglicherweise den Weg zu einem chinesisch- europäischen Bündnis als Gegengewicht zu Washington geebnet.

Sie schrieb: „Das chinesische Volk hat die strategische Autonomie und den unabhängigen diplomatischen Geist, den Frankreich in der sich wandelnden internationalen Landschaft gezeigt hat, immer geschätzt. Damals hatte der ehemalige französische Präsident Charles de Gaulle auf einer unabhängigen Außenpolitik beharrt, um Frankreichs nationale Souveränität und Interessen zu schützen... Es ist jedem klar, dass ein Dasein als strategischer Vasall Washingtons eine Sackgasse ist. Die Beziehung zwischen China und Frankreich zu einer Brücke der Kooperation zwischen China und Europa zu machen, ist von Vorteil für beide Seiten und die Welt.“

Obwohl Washington die führende Rolle dabei spielt, Kriege mit Russland und China zu schüren, um seine globale Hegemonie zu erhalten, sind die Vorschläge aus Paris und Peking, eine „multipolare“ kapitalistische Ordnung aufzubauen, um ihre nationalen Interessen besser zu verteidigen, ebenfalls unverhohlen reaktionär. Nicht nur die Politik der führenden imperialistischen Macht ist völlig bankrott, sondern das gesamte Nationalstaatensystem – wie schon im Vorfeld der beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert.

Besonders deutlich zeigt dies Macrons Politik in Frankreich. Er regiert gegen den Willen der Bevölkerung und hat trotz überwältigender Ablehnung umfangreiche Rentenkürzungen ohne parlamentarische Abstimmung durchgesetzt, um eine massive Aufrüstung zu finanzieren. Tatsächlich behauptete Macron während seines Besuchs in China, sein Regime sei „demokratisch“ und verhöhnte die Mehrheit der französischen Bevölkerung, die seine Kürzungen ablehnen, mit den Worten: „Wenn die Leute ein Rentenalter von 60 Jahren wollten, hätten sie mich nicht wählen dürfen.“

Bei der „nationalen Autonomie“, die Paris und Peking so preisen, geht es nicht um die Freiheit und die sozialen und demokratischen Rechte der arbeitenden Bevölkerung, sondern um die Freiheit der Kapitalistenklassen, für ihre Profitinteressen Krieg zu führen.

Im Fall Frankreichs ist das besonders deutlich. De Gaulle trat 1965 aus der Nato aus, weil es zwischen Washington und Paris zu wachsenden Konflikten um den US-Dollar kam und Frankreich den Verdacht hegte, die CIA habe rivalisierende Fraktionen der französischen Rechten unterstützt, die versucht hatten, de Gaulle während des algerischen Unabhängigkeitskriegs zu ermorden. Als sich diese Konflikte zuspitzten, erkannte Frankreich als erster Nato-Staat 1964 die Volksrepublik China an.

Seit der stalinistischen Auflösung der Sowjetunion 1991, und damit dem Wegfall des gemeinsamen Feindes der Nato, haben sich die Spannungen zwischen Frankreich und den USA verschärft. Die materielle Quelle für diese Spannungen ist nach wie vor der Kampf um die Aufteilung der Profite aus der Weltwirtschaft. Abgesehen von einer Periode US-amerikanisch-französischer Spannungen, als Washington 2003 seinen illegalen Überfall auf den ölreichen Irak begann, hat sich der französische Imperialismus an allen großen von den USA geführten Kriegen der postsowjetischen Zeit beteiligt und Truppen in den Irak, nach Jugoslawien, Afghanistan, Libyen und Syrien geschickt.

Die Grundlage für Macrons reaktionäre Forderungen nach einer „Kriegswirtschaft“, die auf dem Rücken der Arbeiter finanziert wird, um Europa als „dritten Pol“ und Rivalen sowohl Washingtons als auch Pekings aufzubauen, ist die Rivalität des französischen Imperialismus mit Washington.

Macrons Reise inmitten einer explosiven Krise im eigenen Land hat sowohl eine innenpolitische als auch eine globale Dimension. Er hofft darauf, dass er die Dienste der Gewerkschaftsbürokratien und der pseudolinken Gruppen in Anspruch nehmen kann, um den Streik zu erdrosseln und die Arbeiter dazu zu zwingen, die Kürzungen hinzunehmen. Zweifellos hofft er, dass die Rhetorik über die nationale Autonomie Frankreichs an die Chauvinisten unter den Gewerkschaftsbürokraten appelliert, die de Gaulle und sein Bündnis mit der stalinistischen Kommunistischen Partei Frankreichs bewundern, und dass dies seinen Rückhalt in den Bürokratien stärkt.

Bezeichnenderweise fand Macrons China-Reise statt, nachdem Jean-Luc Mélenchon, der Führer der pseudolinken Partei Unbeugsames Frankreich, im letzten Herbst wiederholt die amerikanische Taiwan-Politik kritisiert und die Ein-China-Politik unterstützt hatte.

Für die Arbeiter wäre es politischer Selbstmord, den Kampf gegen Krieg Macron und dem chinesischen stalinistischen Regime in Peking anzuvertrauen. Macron führt in Frankreich ein zunehmend diktatorisches Regime, das durch einen Generalstreik der Arbeiterklasse zu Fall gebracht werden muss. Seine Reise nach Peking verdeutlicht, dass ein solcher Kampf auch den Aufbau einer internationalen Antikriegsbewegung der Arbeiterklasse und die Vereinigung der Arbeiter in Amerika, Europa, China und im Rest der Welt im Kampf gegen imperialistischen Krieg und Kapitalismus erfordert.

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