Am Mittwoch und Donnerstag vergangener Woche gastierte Roger Waters im Rahmen seiner „This is not a Drill“-Tour in Berlin. Es waren zwei begeisternde Abende in der jeweils fast ausverkauften Mercedes-Benz Arena am Ufer der Spree. Zigtausend Berliner aller Generationen bejubelten sowohl die Musik des mittlerweile fast 80-jährigen früheren Pink Floyd Masterminds als auch seine klaren politischen Botschaften.
Politik und Medien konnten ihren Frust darüber kaum verbergen und reagierten mit einer Verschärfung ihrer abstoßenden Hetzkampagne. „Roger Waters bringt den Antisemitismus mit“, schrieb die BZ; „Roger Waters bepöbelt in Berlin seine Kritiker“ die Berliner Morgenpost; der Rolling Stone denunzierte den Auftritt gar als „Symphonie des Grauens“ und Waters als „musizierenden Reichsbürger“.
Die abgehalfterte Politikelite der Stadt stieß ins gleiche Horn. Der neue Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) verurteilte das Konzert „auf das Schärfste“ und bezichtigte Waters ebenfalls des Antisemitismus. Sein Vorgänger Klaus Lederer (Die Linke) erklärte in einem Interview mit der Zeit, er hätte versucht, das Konzert wie in Frankfurt „zu verhindern“, wenn Waters „in einer kommunalen Halle gespielt“ hätte.
In München, wo Waters am Sonntag in der Olympiahalle ein weiteres erfolgreiches Konzert absolvierte, ging die Hetzkampagne weiter. Auf einer kleinen Kundgebung vor der Halle bezeichnete Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Waters als „antisemitischen Brandstifter“.
Die Süddeutsche Zeitung schrieb, Waters sei „wenige Stunden vor seinem ohnehin schon umstrittenen Auftritt mit einem antisemitischen Beitrag in den sozialen Netzwerken aufgefallen“. Der Sänger habe eine Botschaft „verbreitet, in der er Israel als ‚tyrannisches, rassistisches Regime‘ bezeichnete“.
Die Methode, mit der Politik und Medien gegen Waters vorgehen, ist so schmutzig wie bekannt. Unter dem Vorwurf des Antisemitismus soll jede Opposition gegen die unterdrückerische, anti-demokratische und extrem kriegerische Politik der israelischen Regierung, in der rechtsextreme Kräfte den Ton angeben, mundtot gemacht werden.
Hinzu kommt, dass der Vorwurf des Antisemitismus von den gleichen Parteien erhoben wird, die in der Ukraine offen faschistische und antisemitische Kräfte unterstützen und auch in Deutschland selbst die extreme Rechte stärken. Bezeichnenderweise wurden die sogenannten „Antisemitismusresolutionen“, die der Deutsche Bundestag in den letzten Jahren verabschiedet hat, allesamt von der faschistischen AfD unterstützt – einer Partei, deren führende Vertreter den Holocaust verharmlosen und die Nazi-Wehrmacht verherrlichen
Waters hat sich von dem rechten Medien- und Politik-Mob in Deutschland nie einschüchtern lassen. In Frankfurt, wo eine Koalition aller etablierten Parteien versucht hat, Waters’ Auftritt in der Festhalle am 28. Mai zu verbieten, verteidigte er vor Gericht sein Recht auf Meinungs- und Kunstfreiheit.
Unter großem Applaus begann dann auch die Show in Berlin mit folgender Botschaft auf den über der Bühne installierten Video-Screens: „In einer Angelegenheit von öffentlichem Interesse: Ein Gericht in Frankfurt hat entschieden, dass ich kein Antisemit bin. Ausgezeichnet. Nur um das klarzustellen: Ich verurteile den Antisemitismus vorbehaltlos.“
Es folgte wie zu Beginn jeder Show die Aufforderung: „Wenn du zu den Leuten gehörst, die sagen: ‚Ich liebe Pink Floyd, aber ich kann Rogers Politik nicht ausstehen‘, dann solltest du dich am besten gleich an die Bar verpissen.“ Tatsächlich ging niemand an die Bar, stattdessen erneut großer Applaus!
Die anschließenden zweieinhalb Stunden machten deutlich, warum das Establishment Waters denunziert und seine Tour am liebsten stoppen würde. Wie die WSWS bereits in einer früheren Besprechung der Tour kommentierte, thematisiert nahezu jeder Song die „drängenden Fragen unserer Zeit: imperialistischer Krieg, Faschismus, das Gift des Nationalismus, die Not der Flüchtlinge, die Opfer staatlicher Unterdrückung, weltweite Armut, soziale Ungleichheit, der Angriff auf demokratische Rechte und die Gefahr der nuklearen Vernichtung“.
Hier nur einige der eindringlichsten Momente der Show in Berlin. Einer der letzten Songs des Abends war „Two Suns in the Sunset“ vom 1983 erschienenen Pink Floyd Album „The final Cut“. Der Song warnt vor den vernichtenden Auswirkungen eines Atomkriegs. Die Videoanimation zum Song ist schockierend und bewegend. Sie zeigt einem Mann, der auf dem Nachhauseweg zu seiner Familie ist, und vom nuklearen Inferno überrascht wird.
In seiner Ankündigung des Songs warnte Waters, dass die Weltuntergangsuhr („Doomsday Clock“) bereits jetzt auf 90 Sekunden vor Mitternacht stehe. Und eines sei sicher: „Im nächsten Jahr wird der Abstand weniger als 90 Sekunden betragen. Dieses Jahr ist es noch gefährlicher als letztes Jahr.“ Dann der kämpferische Aufruf: „Haltet diese Arschlöcher davon ab, die Welt zu zerstören, was sie wahrscheinlich gerade tun.“
Waters ließ keinen Zweifel daran, wer die Hauptkriegstreiber sind. Zu einem weiteren Anti-Kriegs-Song „The Bravery of Being Out of Range“ von seinem Soloalbum „Amused to Death“ (1992) wurden nacheinander die Portraits aller US-Präsidenten seit Ronald Reagan eingeblendet – jeweils versehen mit dem Slogan „War Criminal“ und einer Liste ihrer Kriegsverbrechen. George W. Bush geißelte Waters für seine „Lügen über Massenvernichtungswaffen“, Obama und Trump für ihre „Drohnenmorde“, und in Bezug auf den amtierenden US-Präsidenten Biden stellte er fest: „Just getting started…“.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Ein weiteres Highlight aus Waters’ Solokarriere war der Song „The Powers That Be“ vom 1987 erschienenen Album „Radio K.A.O.S.“. Der Song ist eine vernichtende Anklage gegen die „Machthaber“ und ihre aktuellen und vergangenen Verbrechen. Zu heulenden Sirenen und Schüssen werden auf den Videoscreens schwer bewaffnete marodierende Polizeieinheiten bzw. faschistische Kampfverbände eingeblendet und eine Auswahl ihrer Opfer. Darunter Sophie Scholl und Anne Frank, die von den Nazis ermordet wurden; Migranten, die an der „Festung Europa“ zerschellten; und Opfer des israelischen Besatzungsregimes in Palästina und der Polizeigewalt in den USA. Der Song endet mit der Textpassage: „Wow! Warum sind sie so brutal? Weil sie unseren Widerstand brechen und die Welt beherrschen wollen“.
Die gesamte Show ist ein Aufruf, den „Powers that be“ entgegenzutreten. Waters nutzt dafür sowohl unsterbliche Pink Floyd Klassiker wie „Another Brick on the Wall“, „Comfortably Numb“ oder „In the Flesh“ (ein Song gegen Antisemitismus und Faschismus), als auch seine jüngsten Solo-Veröffentlichungen.
Die Songs „Deja Vu“ von Waters letztem Album „Is this the live we really want?“ (2017) und „Run like Hell“ („The Wall“ – 1979) bilden eine Einheit und thematisieren, gestützt auf das berüchtigte „Collateral Murder“-Video, die US-Kriegsverbrechen im Irak. Das von Chelsea Manning geleakte und von Wikileaks veröffentlichte Video zeigt, wie amerikanische Soldaten aus einem Apache-Hubschrauber in der irakischen Hauptstadt Bagdad wahllos auf unbewaffnete Zivilisten und Journalisten schießen. Die Präsentation kulminiert im Aufruf: „Free Julian Assange! Lock up the Killers!“ Tosender Applaus!
Es war ein wiederkehrendes Merkmal der Show, dass das Publikum gerade bei Waters klaren politischen Statements, die oft in großen Lettern auf den Videoleinwänden eingeblendet wurden, mit Applaus reagierte. „Fuck all Empires“, „Fuck Drones“, „Fuck Bombing People in their homes“, „Fuck the Occupation“ und „Human Rights“. Die gleiche starke Reaktion gab es auf die kämpferischen Aufrufe zum Widerstand in „Sheep“ („Animals“ – 1977): „Resist War“, „Resist Fascism“, „Resist Militarism“, „Resist Capitalism“.
Eine weitere Stärke der Show war, dass der klare politische Fokus nie zu Lasten der großartigen Musik ging. Im Gegenteil: Form und Inhalt bildeten eine sich gegenseitig befruchtende Einheit. Waters und seine gesamte Band spielten auf dem höchsten musikalischen Niveau. Was wir bereits über Waters Auftritt in Detroit schrieben, bestätigte sich auch in Berlin:
Waters beweist in der Praxis bei jeder Aufführung auf dieser Tournee die Wahrheit von Leo Trotzkis These, dass ‚ein Protest gegen die Realität... immer Teil eines wirklich kreativen Werks ist‘ und dass jede neue Tendenz in der Kunst – und als solche darf man das Konzert mit seinen Installationen getrost betrachten – ‚mit Rebellion begonnen hat‘.
„This is not a Drill“ hat ein revolutionäres Element. Die Tour animiert weltweit Millionen dazu, kritischer zu denken, den kapitalistischen Eliten und ihrem System entgegenzutreten und für eine bessere Zukunft ohne Unterdrückung, soziale Ungleichheit und Krieg zu kämpfen.