Wenige Tage nach dem gescheiterten Putsch in Russland und eine Woche vor dem Nato-Gipfel in Vilnius verstärkt Deutschland seine Kampftruppen in Osteuropa.
Bei einem Treffen mit seinem litauischen Kollegen Arvydas Anušauskas in der litauischen Hauptstadt Vilnius am Montag verkündete der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), Deutschland sei bereit, „dauerhaft eine robuste Brigade in Litauen zu stationieren“. Voraussetzung dafür sei, „dass die entsprechende Infrastruktur vorhanden ist, Kasernen, Übungsmöglichkeiten und die genannten Depots. Wir reden bei einer Brigade von 4000 Soldatinnen und Soldaten, plus Material, und bei einer dann dauerhaften Stationierung eben auch Familie.“
Die weitreichenden Pläne wurde ohne jede öffentliche Diskussion – geschweige denn eine parlamentarische Abstimmung – von Pistorius verkündet. Sie gehen auf eine Vereinbarung zurück, die Bundeskanzler Olaf Scholz und der litauische Präsident Gitanas Nausėda vor rund einem Jahr nach dem letzten Nato-Gipfel in Madrid getroffen haben. Dass sie nun implementiert werden, ist Bestandteil der Eskalation des Ukrainekriegs durch die imperialistischen Mächte, die auch im Mittelpunkt des anstehenden Nato-Gipfels in Vilnius steht.
Bereits die ursprüngliche Vereinbarung zwischen Scholz und Nausėda zeigt, dass die deutschen Kampftruppen an der russischen Grenze dazu dienen, die Aggression gegen Moskau zu verschärfen. Beide Staatsmänner eine „der Wille, den östlichen Teil der Nato weiter zu stärken, um die glaubwürdige Abschreckung und Verteidigung des Bündnisses weiterhin zu gewährleisten“, heißt es in dem Text. Man sei sich „einig, dass zusätzlich zu dem bereits bestehenden und aufgestockten Gefechtsverband der verstärkten Vornepräsenz Deutschland bereit ist, eine robuste und gefechtsbereite Brigade in Litauen anzuführen, zur Abschreckung und Verteidigung gegen russische Aggression“.
Das ist die übliche Propaganda, die die Wirklichkeit auf den Kopf stellt. Tatsächlich sind die imperialistischen Mächte und nicht Moskau der Hauptaggressor in der Ukraine und Osteuropa. Mit der systematischen militärischen Einkreisung Russlands hat die Nato die reaktionäre Intervention des Putin-Regimes bewusst provoziert. Seitdem heizt sie den Konflikt immer weiter an und nutzt nun auch den gescheiterten Putschversuch für eine weitere Eskalation des Kriegs.
In Litauen besuchte Pistorius zusammen mit Anušauskas, Nausėda und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Übung „Griffin Storm“ auf dem Truppenübungsplatz Pabradė. Laut Angaben der Bundeswehr „trainiert“ dort die Panzergrenadierbrigade 41 „Vorpommern“ „den Einsatz an der NATO-Ostflanke“ und hat dafür „rund 1000 Soldatinnen und Soldaten nach Litauen“ verlegt.
Vor einer martialischen Kulisse aus deutschen Kampfpanzern mit Eisernen Kreuzen überbot man sich mit Drohungen gegen Russland. Stoltenberg dankte Pistorius. „Griffin Storm“ demonstriere „die Fähigkeit, die von Deutschland geführte Nato-Battlegroup schnell auf Brigadegröße zu vergrößern“, erklärte er. Von der Übung gehe „eine klare Botschaft aus: Die Nato ist bereit, jeden Zentimeter des Bündnisgebiets zu verteidigen.“ Inzwischen stünden „über 40.000 Soldaten unter dem Kommando der Nato, vor allem im östlichen Teil des Bündnisses, unterstützt von einer starken Luft- und Seestreitmacht“. Und die „weitere Stärkung“ werde „auf dem Gipfel in Vilnius ganz oben auf der Tagesordnung stehen“.
Nausėda beteuerte, dass er seinen „Teil der Aufgabe so gut und so schnell wie möglich erledigen“ werde, „um die brigadengroße Präsenz der deutschen Truppen in meinem Land unterzubringen“. Man sei „politisch fest entschlossen, die notwendigen finanziellen Mittel aufzubringen, um den Bedarf an Infrastruktur zu finanzieren“. Und natürlich habe „auch die Modernisierung unserer Streitkräfte eine hohe Priorität“.
Pistorius prahlte in seinem eigenen Statement mit der deutschen Führungsrolle beim Kriegsaufmarsch gegen Russland in Osteuropa. „Vor drei Jahrzehnten war Deutschland die Ostflanke des Nato-Territoriums bis zum Ende des Warschauer Pakts. Heute sind die baltischen Länder, Polen und Slowakei die Ostflanke und aufgrund ihrer geografischen Lage ganz besonders exponiert.“ Nun sei Deutschland bereit, „Verantwortung“ zu übernehmen und „unseren Beitrag zu leisten zum Schutz der Ostflanke“.
Pistorius zog es vor, nicht darauf einzugehen, was die Rolle Deutschlands an der „Ostflanke“ oder „Ostfront“ vor acht Jahrzehnten war. Aber das aggressive Auftrumpfen des deutschen Imperialismus in Osteuropa und die Aushebung deutscher Kampfverbände für Krieg gegen Russland zeigen, in welcher finsteren Tradition die gesamte Nato-Kriegsoffensive steht.
Vor 82 Jahren überfiel Hitlers Wehrmacht die Sowjetunion und überzog ganz Osteuropa mit einem Vernichtungskrieg, in dem mindestens 27 Millionen Menschen ihr Leben verloren – davon allein sechs Millionen Juden im Holocaust. Trotz dieser fürchterlichen Verbrechen verfolgen die imperialistischen Mächte erneut das Ziel, das geostrategisch wichtige Land zu unterwerfen und seine riesigen Rohstoffvorkommen zu plündern.
Die Ziele des deutschen Imperialismus reichen dabei heute wie damals weit über Russland hinaus. Die herrschende Klasse nutzt den Konflikt gezielt, um sich nach zwei verlorenen Weltkriegen wieder zur führenden Militärmacht in Europa aufzuschwingen, um Weltpolitik zu betreiben.
Bezeichnenderweise fokussierte Scholz seine Regierungserklärung zum Europäischen Rat vom 29. und 30. Juni 2023 am vergangenen Donnerstag auf einige Kernaussagen der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie Deutschlands. Die World Socialist Web Site hat das Dokument bereits kommentiert und als „eine Blaupause für Krieg nach außen und die Errichtung eines Militärstaats im Inneren“ bezeichnet.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Scholz’ Ausführungen bestätigten diese Einschätzung. „Wir übernehmen eine deutlich aktivere Rolle beim Schutz unseres Bündnisgebiets und unserer Freunde in der Nato. Wir legen die Grundlagen für ein geopolitisch handlungsfähiges Europa“, erklärte er. Gemeint ist die Militarisierung des Kontinents unter deutscher Führung.
Europas Rolle in der Nato zu stärken, heiße „vor allem, dass wir unsere Verteidigungsanstrengungen in Europa bündeln, der Verteidigungsindustrie in Europa eine langfristige Perspektive geben und deren Produktion beschleunigen“. Man biete „Partnernationen an, sich unseren Beschaffungsinitiativen anzuschließen“. Dabei pries der Kanzler „Großvorhaben“ wie „die von Deutschland angestoßene European Sky Shield Initiative“ – ein von Berlin initiierter europäischer Raketenschirm.
Auch für die „Landes- und Bündnisverteidigung“, also die Fähigkeit einen großen Krieg zu führen, gebe die Nationale Sicherheitsstrategie „konkrete Ziele“ vor. „Erstens die Bundeswehr so zu stärken, dass sie ein Garant der konventionellen Verteidigung in Europa wird, zweitens militärische Zukunftsfähigkeiten zu fördern und drittens die sicherheits- und verteidigungstechnologische Basis in Europa auszubauen.“
Die Kosten für den Kriegswahnsinn trägt in jeder Hinsicht die Arbeiterklasse. Scholz verkündete das Ziel seiner Regierung, die Militärausgaben auch unabhängig vom Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro auf zwei Prozent des BIP zu erhöhen. Man sorge dafür, „dass die Bundeswehr endlich die Ausstattung erhält, die sie benötigt: durch effektive Beschaffung aus dem Sondervermögen, aber auch, indem wir erstmals seit Jahrzehnten wieder 2 Prozent unseres BIP für Verteidigung ausgeben, und zwar ab dem kommenden Jahr.“
Die sozialen Angriffe, die auf die Arbeiterklasse zukommen sind gigantisch. In konkreten Zahlen bedeutet die Umsetzung des zwei Prozent Ziels die Erhöhung des regulären Militärhaushalts um fast 30 Milliarden Euro. Der jährliche Kriegsetat würde sich dann auf etwa 80 Milliarden belaufen. Zum Vergleich: der aktuelle Bildungsetat beträgt 21,46 Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr wurde bereits der Gesundheitsetat von 64 auf 22 Milliarden zusammengestrichen. Und für den aktuellen Haushalt plant Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ein Sparpaket von mindestens 20 Milliarden Euro.
Alle kapitalistischen Parteien arbeiten eng zusammen, um den Kriegskurs und die damit verbundenen massiven sozialen Angriffe gegen die Opposition in der Bevölkerung durchzusetzen. Als Scholz zu Beginn seiner Regierungserklärung verkündete, seine Regierung werde die Ukraine „in ihrem Verteidigungskampf mit aller Kraft und vor allem so lange wie nötig“ unterstützen, applaudierten laut Protokoll nicht nur die Abgeordneten der Regierungsparteien SPD, FDP und Grüne, sondern auch Vertreter von CDU/CSU und der Linkspartei.