Ausweisung nach einem „Like“ – Bundeskabinett verschärft Abschieberegeln

Das Bundeskabinett hat sich am Mittwoch auf eine drastische Verschärfung der Abschieberegeln geeinigt. Wird der Entwurf Gesetz, genügt ein einziger missliebiger Klick im Netz, um abgeschoben und an seinen potentiellen Henker ausgeliefert zu werden.

Demonstration gegen Abschiebungen in Berlin 2017

Laut dem Gesetzentwurf können die Ausländerbehörden nichtdeutsche Staatsbürger ohne Gerichtsurteil ausweisen, wenn sie eine terroristische Straftat „billigen“. „Künftig kann schon ein einzelner Kommentar, der eine terroristische Straftat auf sozialen Medien verherrlicht und gutheißt, ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse begründen,“ heißt es dazu auf der Website des Bundesinnenministeriums von Nancy Faeser (SPD), das für den Entwurf verantwortlich ist.

Dabei ist nicht erforderlich, dass sich der Betroffene ausdrücklich hinter die „terroristische Straftat“ stellt. Es genügt „das Markieren eines Beitrags durch ‚Gefällt mir‘ auf den Sozialen Medien wie You Tube, Instagram, TikTok etc.“, wie es im Begründungsteil des Gesetzentwurfs heißt.

Bisher liegt ein „schwerwiegendes Ausweisungsinteresse des Staates“ nur bei Straftaten wie Drogendelikten, Schleuserkriminalität oder Zwangsheirat vor. Täter – oder Verdächtige – können in solchen Fällen ausgewiesen werden, ohne dass sie vorher strafrechtlich verurteilt werden. Nun soll dies bereits nach einem „Like“ in sozialen Medien möglich sein. Das öffnet behördlicher Willkür Tür und Tor.

Bundesinnenministerin Faeser nannte als Beispiel für eine terroristische Straftat, deren „Billigung“ zur Ausweisung führen wird, die „barbarischen Terrorangriffe der Hamas auf Israel“. Doch seit dem Angriff der Hamas wird jeder, der gegen den israelischen Genozid in Gaza protestiert oder darauf hinweist, dass der Konflikt nicht mit am 7. Oktober 2023 sondern 75 Jahre früher mit der Nakba begann, der Unterstützung des Terrorismus bezichtigt.

Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU), der der Gesetzentwurf nicht weit genug geht, fordert sogar explizit, was implizit bereits darin enthalten ist: die Ausweisung aller, die gegen den Genozid in Gaza protestieren. „Angesichts von massenhaftem Antisemitismus und Kalifats-Demos auf deutschen Straßen muss jede antisemitische und antidemokratische Straftat regelmäßig zu einer Ausweisung führen,“ sagte sie.

Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV), Thomas Oberhäuser, kritisierte den Entwurf. „Man muss schon sehr viel juristische Fantasie entwickeln, um das Setzen eines ‚Likes‘ als Verbreitung zu definieren“, sagte er.

Als warnendes Beispiel nannte Oberhäuser den Fall der Präsidentin der Technischen Universität Berlin, Geraldine Rauch. Ihr wurde Judenhass vorgeworfen, weil sie drei israelkritische Posts gegen den Völkermord in Gaza auf Twitter/X geliked hatte. Sie kann als deutsche Staatsbürgerin zwar nicht ausgewiesen werden, geriet aber unter massiven Druck, von ihrem Amt zurückzutreten.

Der Gesetzentwurf ist ein schwerwiegender Angriff auf das demokratische Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Unter der Nazi-Diktatur konnte ein Witz, der den deutschen „Endsieg“ anzweifelte, zum Todesurteil führen. Nun genügt ein einziges „Like“ unter einem Beitrag, der im Gegensatz zur deutschen Außenpolitik steht, für die Ausweisung in ein Land, in dem Betroffenen Gefängnis, Folter und Tod drohen. Damit soll jede kritische Meinungsäußerung unterdrückt werden.

Die Ampelkoalition will den Gesetzentwurf im Eiltempo durchs Parlament peitschen. Um die vorgeschriebenen Fristen zu umgehen, soll er als Änderungsantrag in ein bereits laufendes Gesetzesverfahren eingebracht werden, das inhaltlich überhaupt nichts damit zu tun hat. Der Grund für diese Eile ist die dramatische Eskalation der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, bei denen die deutsche Regierung eine treibende Rolle spielt.

Die ukrainische Armee ist ausgeblutet und der Widerstand gegen die Fortführung des Gemetzels wächst. Unter diesen Umständen bereitet die Nato ein Eingreifen mit eigenen Truppen und damit eine offene Konfrontation mit Russland vor. Der Washingtoner Nato-Gipfel soll dies Anfang Juli beschließen. Deutschland, schon jetzt hinter den USA der größte finanzielle Unterstützer des Kriegs, wird dabei eine führende Rolle spielen.

Im Nahen Osten bereitet Israel mit deutscher und amerikanischer Unterstützung die Ausdehnung des Kriegs auf den Libanon – und schließlich den Iran – vor. Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant, der bereits seine Todesdrohungen gegen die Palästinenser in Gaza wahr gemacht hat, droht, den Libanon „in die Steinzeit“ zurück zu bomben.

Diese Kriegspolitik, die auf wachsende Ablehnung in der Bevölkerung stößt, und ihre enormen finanziellen Kosten lassen sich nicht mit Demokratie vereinbaren. Sie erfordern die Errichtung eines Polizeistaats.

Das neue Abschiebegesetz ist Bestandteil eines anhaltenden Trommelfeuers auf demokratische Rechte. Palästinademonstrationen werden verboten oder mit drakonischen Zensurauflagen belegt, kritische Studierende und Lehrende mit Sanktionen bedroht, Klimaaktivisten wochenlang in Präventivhaft gesperrt. Der Verfassungsschutz verwandelt sich in eine Art neue Gestapo, die Sozialisten nicht nur mit geheimdienstlichen Mitteln „beobachtet“, sondern bei Vermietern und Arbeitgebern denunziert und dafür sorgt, dass sie keine Räume erhalten.

Das Gesetz wurde durch eine wochenlange Hetzkampagne vorbereitet, deren Drehbuch von der AfD stammen könnte. Nachdem am 31. Mai ein afghanischer Flüchtling in Mannheim einen rechtsextremen Provokateur mit einem Messer angegriffen und im folgenden Handgemenge einen Polizisten erstochen hatte, beherrschte die Forderung nach der „Abschiebung krimineller Ausländer“ die politische Debatte. Dabei lebte der Täter seit elf Jahren in Deutschland, hatte eine Deutsche geheiratet und zwei Kinder und war vorher nicht politisch aufgefallen.

Doch das hielt die Politik nicht ab. SPD, Grüne und alle anderen Parteien überboten sich gegenseitig mit ihrer Hetze gegen Flüchtlinge. Bundeskanzler Scholz versprach, „Straftäter“ auch nach Afghanistan abzuschieben, wo die Taliban an der Macht sind. Das neue Gesetz ist das Ergebnis dieser Kampagne.

Es ist bezeichnend, dass neben der SPD die größten Kriegstreiber – die Grünen und die FDP – am vehementesten für das Gesetz und die damit verbundene Abschaffung der Meinungsfreiheit eintreten. „Wer die liberale Grundordnung verhöhnt, indem er Terrorismus bejubelt, furchtbare Morde feiert, verwirkt sein Recht zu bleiben. Deshalb ändern wir das Aufenthaltsrecht,“ sagte der grüne Vizekanzler Robert Habeck.

Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Stephan Thomae, bestand darauf, dass ein einzelner Post ein „schwerwiegendes Ausweisungsinteresse begründen“ könne. „Wer online hetzt, der begeht keine Bagatelle, sondern stört den öffentlichen Frieden, gefährdet unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und hat in Deutschland nichts verloren“, schrieb er.

Am übelsten hetzte das Bündnis Sahra Wagenknecht gegen angebliche „kriminelle Ausländer“. Hatte das BSW anfangs neben der Flüchtlingshetze noch die Forderung nach einem Frieden in der Ukraine und nach sozialem Ausgleich ins Zentrum ihrer Agitation gestellt, rückt sie die beiden letzten Themen nun in den Hintergrund.

Nach guten Umfragewerten für die Landtagswahlen im September bereitet es sich auf eine mögliche Koalitionsregierung mit der CDU in Sachsen und Thüringen vor. Wagenknecht weiß natürlich, dass sie dafür ihre verbale Opposition gegen den Ukrainekrieg und ihre sozialen Reformversprechen aufgeben muss. Deshalb legt sie den Schwerpunkt verstärkt auf die Flüchtlingshetze.

Sie griff Faesers neues Abschiebegesetz von rechts an. In einem Interview mit der Welt warf sie der sozialdemokratischen Innenministerin vor, zu wenig gegen Kriminalität und unkontrollierte Migration zu tun. Sie sei „ganz sicher nicht die richtige Innenministerin, um Kriminalität und unkontrollierte Migration zu stoppen“, erklärte sie.

Faeser sei „vor allem eine Ankündigungsministerin, die viel zu wenig getan hat, um nach dem Vorbild anderer Länder Europas die unkontrollierte Migration einzudämmen und den steilen Anstieg der Kriminalität von Zuwanderern zu stoppen“. Weder Gefährder noch schwerkriminelle Asylbewerber würden konsequent abgeschoben. Stattdessen flüchte sich Faeser „ins Internet, statt sich ihrem Scheitern zu stellen“.

Der Rechtsruck aller politischer Parteien zeigt, dass die Gefahr von Faschismus und Diktatur nicht nur von der AfD ausgeht. Krieg und Faschismus sind die Antwort der Herrschenden auf die ausweglose Krise des kapitalistischen Systems. Sie können nur durch eine unabhängige Bewegung der internationalen Arbeiterklasse im Kampf für ein sozialistisches Programm gestoppt werden.

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