Julian Assange als freier Mann in Australien

Es war ein bewegender Moment, als Julian Assange am Mittwochabend als freier Mann in Australien ankam. Der WikiLeaks-Gründer stieg in der Hauptstadt Canberra mit erhobener Faust aus dem Flugzeug. Dann umarmte er seine Frau Stella Assange und seinen Vater John Shipton.

Julian Assange nach seiner Landung auf dem australischen Luftwaffenstützpunkt Fairbairn in Canberra am 26. Juni 2024 [AP Photo/Rick Rycroft]

Kurze Zeit später dankte Stella auf einer Pressekonferenz der weltweiten Unterstützungsbewegung. Diese habe eine entscheidende Rolle im Kampf für Assanges Freiheit gespielt. Gleichzeitig warnte sie jedoch vor dem eskalierenden Angriff auf die Pressefreiheit, der in der vierzehn Jahre währenden Verfolgung ihres Mannes zum Ausdruck gekommen war.

Zuvor war Assange vor einem US-Bezirksgericht in Saipan erschienen, der Hauptstadt der Nördlichen Marianen im Westpazifik.

Das Gericht bestätigte eine Übereinkunft, wonach sich Assange in einem einzigen Anklagepunkt, dem Verstoß gegen das amerikanische Spionagegesetz (Espionage Act), schuldig bekannte. Dieser Vergleich stellt einen Sieg für Assange und einen Rückschlag für den amerikanischen Staat dar, der den WikiLeaks-Herausgeber seit 2019 wegen siebzehn Verstößen gegen den Espionage Act verfolgt hatte. Für alle Anklagepunkte zusammen hätte ihm eine Haftstrafe von bis zu 170 Jahren gedroht.

Nachdem Assange sein Gesuch geäußert hatte, wurde er von der Richterin gefragt, ob er verstehe, wegen welcher Vergehen er angeklagt worden sei. Assange antwortete in einer eindrucksvollen Demonstration von Widerstand gegen die US-Anklage: „Ich habe als Journalist gearbeitet und meine Quelle dazu ermutigt, mir als geheim eingestufte Informationen zu geben, um diese zu veröffentlichen.“

Assange wies darauf hin, dass das Verfahren von Anfang an ein schwerer Schlag gegen die Pressefreiheit war, und fügte hinzu:

Meiner Meinung nach hat der 1. Zusatzartikel [der US-Verfassung] diese Aktivität gedeckt, allerding akzeptiere ich, dass ich gegen das Spionagegesetz verstoßen habe. Ich denke, der 1. Verfassungszusatz und der Espionage Act schließen einander aus. Ich akzeptiere aber, dass es unter allen gegebenen Umständen schwierig wäre, einen solchen Fall zu gewinnen.

Der Angriff beider US-Parteien auf den 1. Verfassungszusatz, der die freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit in den USA schützt, zeigt, dass sie beide angesichts der massiven sozialen Ungleichheit und des weltweiten Ausbrechens imperialistischer Kriege auf autoritäre Herrschaftsmethoden zusteuern.

Eine bemerkenswerte Äußerung machte die Richterin Ramona V. Manglona. Als sie die Bedingungen der Vereinbarung akzeptierte, nach denen Assange zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, die er schon während seiner Inhaftierung im britischen Belmarsh-Gefängnis abgesessen hatte, erklärte Manglona:

Es gibt noch eine weitere wichtige Tatsache – die Regierung hat angedeutet, dass niemand zu Schaden gekommen ist. Daraus schließe ich, dass durch die Verbreitung dieser Informationen niemand bekannt ist, der körperlich verletzt wurde.

Die US-Regierung hatte ihre Verfolgung von Assange jahrelang mit betrügerischen Behauptungen gerechtfertigt, er habe durch seine Veröffentlichungen Menschenleben gefährdet. Sie hatte keines der angeblichen Opfer beim Namen genannt, sondern nur düster angedeutet, die Veröffentlichungen von WikiLeaks hätten schwerwiegende Folgen gehabt. Dass sie jetzt vor einem Gericht zugegeben hat, dass es solche Opfer nie gegeben hat, entlarvt erneut den betrügerischen Charakter des US-Verfahrens gegen Assange, das von Anfang an auf Lügen basierte.

Das US-Justizministerium versuchte ebenso verzweifelt wie erbärmlich, dies vergessen zu machen, und erklärte direkt nach der Verhandlung, zwar sei niemand zu Schaden gekommen, es hätte aber dazu kommen können.

Der amerikanische Anwalt Barry Pollack bestätigte auf der Pressekonferenz in Canberra, dass der Deal keine Schweigeverpflichtungen beinhalte, wie es bei solchen Arrangements bisweilen der Fall ist:

Das Verfahren gegen ihn ist vorbei … Dieses Verfahren hätte nie beginnen dürfen. Ich hoffe, es wird nie wieder einen solchen Fall geben. Er hat für uns alle viel geopfert – für die Freiheit der Medien und die freie Meinungsäußerung.

Stella Assange erklärte, seine Freilassung habe erfordert, dass „Millionen Menschen … hinter den Kulissen gearbeitet, tage-, wochen- und monatelang protestiert haben, und wir haben es geschafft.“ Dies habe den „Spielraum“ für Verhandlungen mit dem US-Justizministerium und den Vergleich geschaffen und die australischen Behörden und die derzeitige Labor-Regierung zur Unterstützung auf den Plan gerufen.

Stella Assange bei einer Pressekonferenz im Parliament House nach der Ankunft von WikiLeaks-Gründer Julian Assange in Canberra, 27. Juni 2024 [AP Photo/Rick Rycroft]

Stella wies darauf hin, wie sich die Verfolgung durch die USA auf ihren Mann ausgewirkt hat, und erklärte:

Julian wollte, dass ich allen aufrichtig danke. Er wollte hier sein, aber Sie müssen verstehen, was er durchgemacht hat. Er braucht Zeit, um sich zu erholen, und das ist ein längerer Prozess.

Zu den tieferen Gründen für den Rückzieher der USA erklärte Stella: „Es ist wichtig, zu erkennen, dass Julians Freilassung und der Durchbruch bei den Verhandlungen zu einem Zeitpunkt erfolgten, an dem es auch bei dem Verfahren in Großbritannien zu einem Durchbruch kam.“ Der High Court hatte zugestimmt, dass Assange seine Auslieferung anfechten konnte; die Anhörungen dazu sollten am 9. und 10. Juli stattfinden.

Dies war der erste große juristische Sieg Assanges während seines jahrelangen Kampfs gegen die Auslieferung von Großbritannien an die USA. Seit Anfang 2021 hatten die US-Staatsanwälte mit Unterstützung der britischen Justizbehörden die Anhörungen so gestaltet, dass die sachlichen Gegebenheiten des Falls vor Gericht nicht zur Sprache kamen.

Stella erklärte, Assange wäre in seinem Berufungsverfahren im Juli

in der Lage gewesen, sich gegenüber dem High Court auf den 1. Verfassungszusatz zu beziehen. Erst deshalb kam endlich Bewegung in die Sache. Das hat gezeigt, wie unangenehm es der US-Regierung ist, dass diese Argumente diskutiert werden.

Der Grund dafür sei, dass „dieses Verfahren ein Angriff auf den Journalismus ist, ein Angriff auf das Recht der Öffentlichkeit auf Wissen, es hätte nie eingeleitet werden dürfen. Julian hätte nie ins Gefängnis gesperrt werden dürfen.“

Später erklärte Stella:

Wir feiern heute zwar Julians Freiheit, doch es ist auch ein Tag, an dem – wie ich hoffe – Journalisten und Redakteure überall die Gefahr erkennen, die aus diesem Verfahren der USA gegen Julian hervorgeht. Denn es endete mit einem Schuldspruch für die Verbreitung und Veröffentlichung von zutreffenden und wissenswerten Informationen im öffentlichen Interesse.“ Damit sei ein „Präzedenzfall“ entstanden, der „in Zukunft gegen den Rest der Presse benutzt werden kann und wird.

Sie warnte, der Kurs gehe auf weniger statt mehr Schutz der Pressefreiheit. Das einzige „gute Ergebnis“ in dem Fall wäre es gewesen, wenn die Biden-Regierung das Verfahren eingestellt hätte. Da dies nicht der Fall sei, befänden sich alle Journalisten „in einer ebenso prekären Lage wie Julian bisher“.

Stella wandte sich direkt an versammelten Reporter und rief alle Verteidiger der Pressefreiheit zu Widerstand auf. Eine solche „Mobilisierung“ von Journalisten und Herausgebern hätte „bereits vor Jahren erfolgen müssen“. Dass nichts Derartiges passiert ist, hat zu diesem Schuldspruch geführt. „Wenn die Presse vereint dagegen gekämpft hätte, dann wäre Assange vollständig begnadigt worden.“

Stella und Assanges Anwältin Jennifer Robinson dankten der australischen Labor-Regierung für ihren Beitrag zur Beendigung des Falls. Premierminister Anthony Albanese erklärte am Mittwochabend bei einer Pressekonferenz, seine Regierung habe eine wichtige Rolle bei dem Ergebnis gespielt.

Albanese hatte jedoch noch letztes Jahr bestätigt, dass er in seiner begrenzten Fürsprache für Assange die Biden-Regierung nie darum gebeten hatte, das Verfahren gänzlich einzustellen. Dies hat dazu beigetragen, dass Assange nur durch ein teilweises Schuldeingeständnis freikommen konnte.

Der Deal war vor allem das Ergebnis taktischer Erwägungen der Biden-Regierung. Angesichts der schweren politischen Krise in den USA fürchtete sie weitere Enthüllungen über den kriminellen Charakter der Anklage und die Aussicht, dass eine Auslieferung die Wut und den Widerstand der Massen entflammen könnte.

Die Redaktion der WSWS erklärte dazu:

Auch wenn Assange frei ist, wird die globale kapitalistische Offensive gegen demokratische Rechte weiter verschärft. Auf jeden taktischen Rückzug des Imperialismus folgt ein noch brutalerer Gegenangriff.

Genau wie in den USA unterdrückt auch die australische Regierung den Widerstand gegen das israelische Massaker im Gazastreifen. Whistleblower werden verfolgt. So wurde David McBride letzten Monat mit Unterstützung durch die Labor-Regierung zu einer Haftstrafe verurteilt, weil er australische Kriegsverbrechen in Afghanistan enthüllt hatte, darunter die Ermordung von Zivilisten.

In der Erklärung der WSWS hieß es weiter:

Die Bedingungen, die der Verfolgung von Assange zugrunde liegen – globale Kriege und extreme soziale Ungleichheit –, bestehen nicht nur fort, sondern verschärfen sich noch.

Dies macht deutlich, dass der Kampf für demokratische Rechte in der Arbeiterklasse verankert und mit dem Kampf für Sozialismus und gegen imperialistischen Krieg verbunden sein muss.

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