Veranstaltung mit David North zur Frankfurter Buchmesse

„Wenn es eine Zukunft geben soll, muss sich die Arbeiterklasse wieder den Marxismus aneignen“

Am Samstag sprach David North, der Chefredakteur der World Socialist Web Site, vor über 100 Zuhörern im Rahmen der Frankfurter Buchmesse im Haus Gallus zum Thema „Zurück in die Zukunft: Faschismus, Krieg und Klassenkampf im 21. Jahrhundert“. Der Mehring Verlag, die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) hatten in den Wochen zuvor tausende Plakate aufgehängt, zehntausende Flyer verteilt und hunderte Diskussionen geführt, um die wichtige Veranstaltung vorzubereiten.

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Der Vorsitzende der SGP, Christoph Vandreier, machte schon in seinen einleitenden Worten deutlich, weshalb die Veranstaltung politische Bedeutung hat. Während der amerikanische Präsident Biden in Berlin zu Gast sei, um mit Bundeskanzler Scholz über die Eskalation der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten zu sprechen, stehe North für das andere Amerika. „Für das Amerika der Arbeiterklasse, in der die Opposition gegen die Kriegspolitik und gegen den Völkermord in Gaza ebenso weit verbreitet ist wie hier in Europa.“

Veranstaltung mit David North in Frankfurt, 19.10.2024

North, der seit 50 Jahren führend in der trotzkistischen Bewegung aktiv ist, habe die Kriegsentwicklung der letzten Jahrzehnte nicht nur kommentiert, sondern habe aktiv dagegen gekämpft. Und das „immer vom Standpunkt der Entwicklung einer internationalen Bewegung der Arbeiterklasse gegen den Krieg und dem Aufbau einer revolutionären Partei, die dem kapitalistischen Wahnsinn eine sozialistische Perspektive entgegensetzt.“

North vertrete den Marxismus der Oktoberrevolution und verstehe daher, wie wichtig es ist, die revolutionäre Arbeit auf ein genaues Verständnis der historischen und politischen Entwicklung zu gründen, wie er in seinem Buch „Leo Trotzki und der Kampf für Sozialismus im 21. Jahrhundert“ ausführe. Der Fokus sei damit auf die Klärung der politischen Fragen gelenkt, die North in Büchern wie „Die Logik des Zionismus“ und „Sozialismus gegen Krieg“ in unvergleichlicher Schärfe vornehme.

In letzterem sind Norths Reden zum Maifeiertag der letzten zehn Jahre veröffentlicht, die, so Vandreier, „nachdrücklich vor der Entwicklung warnen, deren Zeuge wir gerade sind. Viele haben es nicht für möglich gehalten, dass die imperialistischen Mächte wieder dazu bereit sind, einen Völkermord zu begehen, einen Atomkrieg zu riskieren und letztlich die ganze Welt in Brand zu setzen. Aber genau das findet jetzt statt.“

David North spricht auf der Veranstaltung in Frankfurt, 19.10.2024

North begann seine einleitenden Bemerkungen mit einer Verurteilung der barbarischen Kriegsführung der imperialistischen Mächte und Israels. Die gezielte Tötung des Hamas-Führers Yahya Sinwar sei „ein weiteres Beispiel für den völligen Zerfall demokratischer Prinzipien im selbsternannten globalen Zentrum der Demokratie. Sie ist ein objektiver Indikator für den Zusammenbruch des amerikanischen und weltweiten Kapitalismus, der sogenannten demokratischen Ordnung und das Absinken der kapitalistischen Weltordnung in die Barbarei.“

North wies darauf hin, dass vor 60 Jahren der erste Auschwitz-Prozess im Fritz-Bauer-Saal, dem Veranstaltungsort des Treffens, stattfand. Er erklärte, dass der Tag kommen werde, an dem die Verantwortlichen für den völkermörderischen Krieg gegen das Volk von Gaza für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden.

North betonte, dass Sinwars Leben, wie das Leben des palästinensischen Volkes insgesamt, von Unterdrückung geprägt sei. North erklärte:

Er widmete sein Leben dem Kampf gegen diese Unterdrückung und er hat sein Leben dafür gegeben. Insoweit sollte man sein Beispiel würdigen. Aber gleichzeitig ist es notwendig, die Lehren aus den Erfahrungen der Palästinenser und aller Unterdrückten zu ziehen.

Die entscheidende Lehre sei, dass es keine nationale Lösung für nationale Unterdrückung jenseits der Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse geben könne.

Es ist die grundlegende Lehre des Trotzkismus, die in der Theorie der Permanenten Revolution wurzelt, dass der nationale Kampf nur durch den Klassenkampf gelöst werden kann. Das heißt nur durch den Kampf um die Macht und den Sturz des kapitalistischen Systems mitsamt den Schrecken der imperialistischen Barbarei.

Der Titel der Veranstaltung sei bewusst gewählt, so North.

All die Schrecken, die wir heute beobachten, die Schrecken des Völkermords, die Rückkehr des Faschismus und die Kriegsgefahr, gleichen den Realitäten des 20. Jahrhunderts, insbesondere der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und hier besonders der 31 Jahre zwischen 1914 und 1945.

Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten seien Teil eines eskalierenden globalen Konflikts um die Neuaufteilung der Welt.

„Zurück in die Zukunft“ bedeute aber auch, dass es notwendig ist, die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, um eine Perspektive für die Zukunft zu entwickeln. „Wenn es eine Zukunft geben soll, muss sich die Arbeiterklasse und müssen sich die fortgeschrittenen Teile der Jugend wieder ein Verständnis der marxistischen Analyse der Gesetze des Kapitalismus aneignen.“

Den Katastrophen des 20. Jahrhunderts hätten nicht bloß böse Absichten zugrunde gelegen, sondern die grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus: zwischen der gesellschaftlichen Produktion und der privaten Aneignung und zwischen dem internationalen Charakter des Produktionsprozesses und dem Nationalstaatensystem. „Darin liegen all die geopolitischen Konflikte begründet, die zu Krieg führen“, erklärte North weiter.

Heute seien diese Widersprüche noch explosiver als vor 100 Jahren, da der enorme technologische Fortschritt die internationale Integration der Produktion weiter vorangetrieben hätte. Jede industrielle Ware sei eine internationale Ware, die aus Teilen aus der ganzen Welt zusammengesetzt sei. Dies schaffe gleichzeitig die Grundlage für die Beseitigung des Kapitalismus.

Wenn die Kapitalisten in der Lage sind, die Produktion auf Weltebene zu organisieren, um Profit zu machen, warum sollte die Arbeiterklasse dann nicht in der Lage sein, sich weltweit zu organisieren, um die Weltrevolution zu machen? Beide Prozesse sind miteinander verbunden.

Wie Trotzki zwei Monate vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bemerkt habe, gebe es für die globale Krise nur zwei Lösungen: Krieg oder Revolution. Es sei zum Krieg gekommen, aber auch zu Revolutionen, die jedoch vom Stalinismus und von der Sozialdemokratie verraten wurden.

Jetzt sind wir im 21. Jahrhundert und damit konfrontiert, die Probleme zu lösen, die im letzten Jahrhundert nicht gelöst werden konnten. Es gibt große Gefahren, aber es ist auch wissenschaftlich erwiesen, dass die objektiven Bedingungen für die Überwindung dieser Probleme bestehen. Aber das erfordert letztlich, dass wir das eine große Problem lösen, das im letzten Jahrhundert nicht gelöst wurde: das Problem der Krise der revolutionären Führung.

Abschließend machte North darauf aufmerksam, dass in der letzten Zeit zahlreiche Angriffe gegen das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) geführt wurden. So werfe etwa der britische Historiker John Kelly den Trotzkisten in seinem Buch Twilight of Trotskyism vor, eine „Alles oder Nichts“-Haltung zu haben und die Möglichkeit des Reformismus zu verwerfen. „Nun, wenn es ein Argument gegen die Perspektive des Reformismus gibt, dann ist es der Zustand der politischen Weltlage“, betonte North.

Es wachse eine enorme Opposition heran, aber es werde nur auf der Grundlage des Marxismus eine Lösung geben. „Studiert, lest, versteht die Gesetze der Entwicklung. Wendet Euch der revolutionären Kraft der Gesellschaft zu, der Arbeiterklasse und baut die revolutionäre Partei auf“, schloss North mit einem eindringlichen Appell.

In der anschließenden Diskussion beantwortete North zahlreiche Fragen aus dem Publikum, die sich um die Rolle des subjektiven und objektiven Faktors in der Geschichte, die Verantwortung des Kapitalismus für den Klimawandel und den Aufstieg des Faschismus drehten.

Besondere Aufmerksamkeit fanden die Präsidentschaftswahlen in den USA, in denen die Socialist Equality Party als amerikanische Sektion des IKVI mit eigenen Kandidaten antritt. Auf die Frage, wie North auf das Argument antworte, man müsse das „kleinere Übel“ wählen, entgegnete er: „Unser Ziel ist es nicht ein kleineres Übel zu wählen, sondern das Übel in all seinen Formen zu zerstören.“ Mit Verweis auf diejenigen, die meinten, man müsse Harris wählen, um Trump zu verhindern, sagte North, dass man die Frage stellen müsse, wo Trump herkommt: „Er ist das Produkt einer politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Degeneration unseres Landes.“

Dann führte North aus:

Kamala Harris selbst wird vollständig mit Massenmord identifiziert. Ist sie das kleinere Übel? Ist die Demokratische Partei das kleinere Übel, die Partei, die Krieg gegen Russland propagiert, Krieg gegen Iran und China? Die Partei der CIA? Ist sie das kleinere Übel?

Und er betonte:

Unsere Politik ist nicht wahlbezogen. Wir nutzen Wahlen für einen einzigen Zweck, und zwar um die Arbeiterklasse aufzuklären und den Arbeitern den Bankrott des politischen Systems vor Augen zu führen. Unsere Politik besteht darin, die Arbeiterklasse und junge Menschen politisch auszubilden und innerhalb der Arbeiterklasse für das notwendige Verständnis zu sorgen, um einen systematischen und anhaltenden revolutionären Kampf gegen das bestehende System führen zu können.

Diskussion nach der Veranstaltung mit David North (zweiter v. r.) in Frankfurt, 19.10.2024

Nach der Veranstaltung wurde die Diskussion noch lange am Infotisch weitergeführt. Viele Zuhörer kauften Bücher von David North und ließen Kontaktdaten da, um sich am Aufbau der Sozialistischen Gleichheitspartei zu beteiligen.

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