IKVI
Das IKVI verteidigt den Trotzkismus 1982–1986

Brief von David North an Mike Banda

23. Januar 1984

Lieber Genosse Mike,

etwas mehr als 30 Jahre sind vergangen, seit das Internationale Komitee gebildet wurde, um die Vierte Internationale gegen das Anwachsen einer revisionistischen Tendenz zu verteidigen, die von Pablo und Mandel angeführt wurde. Sie griffen in Theorie und Praxis alle grundlegenden marxistischen Vorstellungen an, für die Leo Trotzki gekämpft hatte und gestorben war. 1953 zog Pablo direkt die historische Rolle der Vierten Internationale als „Weltpartei der sozialistischen Revolution“ in Zweifel und stellte die revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse als Totengräber des Kapitalismus und Erbauer einer sozialistischen Gesellschaft in Frage. Er befürwortete die Position – zunächst verstohlen, aber allmählich mit immer größerer Kühnheit – dass die unabhängige revolutionäre Rolle, die Marx, Lenin und Trotzki dem Proletariat zuschrieben, von der Sowjetbürokratie übernommen werden könnte – der parasitären sozialen Kaste, die Trotzki für „durch und durch“ konterrevolutionär erklärt hatte.

Pablos Revisionen der wesentlichen programmatischen Vorstellungen der Vierten Internationale lag sein Verlassen der Methode des dialektischen und historischen Materialismus von Marx zugrunde. Er ersetzte sie durch groben Impressionismus, ergänzt durch idealistische Spekulationen über das revolutionäre sozialistische Potential nicht-proletarischer Schichten.

Weniger als acht Jahre später waren die britischen Trotzkisten – unter Führung von Genossen Healy und Dir – gezwungen, die Verantwortung für die Verteidigung des Internationalen Komitees gegen das offene Wiedererstehen des Pablismus in einer sogar noch gefährlicheren Form zu übernehmen. Das Aufflammen der kolonialen Revolution wurde von der Socialist Workers Party als „Beweis“ dafür betrachtet, dass die kleinbürgerlich nationalistischen Führer, unter denen begrenzte Siege erfochten wurden, als Ersatz für den Aufbau trotzkistischer Parteien der Arbeiterklasse genommen werden konnten. Die SLL wandte sich entschieden gegen die reaktionäre Lobpreisung kleinbürgerlicher Nationalisten wie Ben Bella und Castro und bestand darauf, dass Hansens Positionen eine eindeutige Zurückweisung des Trotzkismus bedeuteten. Die SLL ließ sich durch Hansens provokative Anschuldigungen des „linksradikalen Sektierertums“ nicht einschüchtern und weigerte sich, sich 1963 in eine prinzipienlose Wiedervereinigung der SWP mit den europäischen Pablisten hineintreiben zu lassen.

Der feste Standpunkt, den die britische Sektion des Internationalen Komitees einnahm, war von historischer Bedeutung – nicht weniger wichtig für die Verteidigung des Marxismus und seine revolutionäre Kontinuität als die Gründung der Vierten Internationale selbst 1938. All die beträchtlichen Errungenschaften der trotzkistischen Bewegung aus den letzten 20 Jahren – zu denen wir auch die Gründung der Workers League zählen – waren nur als Ergebnis dieses Kampfs möglich. Deshalb haben wir Euer Beharren darauf, dass der unnachgiebige Kampf gegen den pablistischen Revisionismus in all seinen Formen – theoretisch, politisch und organisatorisch – die entscheidende und wesentliche Grundlage für den Aufbau von Sektionen des Internationalen Komitees in allen Teilen der Welt ist, immer für richtig gehalten. Im Interesse der Klarheit wollen wir betonen, daß dieser „Aufbau von Sektionen“ nicht die mechanische Akkumulation nationaler Parteien ist, die formell ihre Mitgliedschaft im Internationalen Komitee erklären, sondern vielmehr die ununterbrochene Entwicklung einer politisch geeinten internationalen Praxis, die sich auf ein wissenschaftliches Verständnis des Klassenkampfs auf der ganzen Welt als Ganzes gründet.

Wir schreiben diesen Brief an Dich, weil wir besorgt darüber sind, dass das Internationale Komitee jetzt Gefahr läuft, die Errungenschaften der vielen Jahre seines prinzipiellen Kampfs zu verlieren. Wir bezweifeln, ob es notwendig ist, Euch unserer großen Achtung und Bewunderung für die Genossen in Großbritannien zu versichern, die eine so entscheidende historische Rolle im Aufbau der trotzkistischen Bewegung während der letzten 30 Jahre gespielt haben.

Jeder Genosse in der Workers League ist stolz darauf, als „Healyist“ bekannt zu sein. Aber wir müssen sagen, dass wir äußerst besorgt über wachsende Anzeichen eines politischen Abdriftens auf Positionen sind, die – sowohl in ihren Schlussfolgerungen wie in ihrer Methode – sehr denen ähneln, die wir historisch dem Pablismus zugeschrieben haben. Wir meinen damit nicht, dass irgendeine Sektion des Internationalen Komitees – und zu allerletzt die Workers Revolutionary Party – einer bewussten Abweichung von trotzkistischen Prinzipien angeklagt werden muss. Was die Workers League angeht, so bleibt die WRP das politische Modell, auf das wir jeden Tag unsere Arbeit zu gründen versuchen. Wir haben jedoch das Gefühl, dass das Internationale Komitee seit einiger Zeit ohne eine klare, politisch geeinte Perspektive arbeitet, die seine Praxis anleitet. Anstatt auf die Perspektive des Aufbaus von Sektionen des Internationalen Komitees in jedem Land konzentrierte sich die Arbeit des IKs seit einer Reihe von Jahren auf die Entwicklung von Bündnissen mit verschiedenen bürgerlich-nationalistischen Regimen und Befreiungsbewegungen. Der Inhalt dieser Bündnisse hat immer weniger eine klare Orientierung auf die Entwicklung unserer eigenen Kräfte widergespiegelt, den zentralen Punkt für den Kampf, die Führungsrolle des Proletariats im antiimperialistischen Kampf in den halbkolonialen Ländern durchzusetzen. Die gleichen Auffassungen, die wir bei der SWP in Bezug auf Algerien und Kuba Anfang der sechziger Jahre so heftig angriffen, erscheinen immer häufiger in unserer eigenen Presse.

Charakteristisch für diese besorgniserregende Tendenz auf den Seiten der News Line – die nicht nur als Organ der WRP, sondern ebenso als autoritative Stimme des Internationalen Komitees eine Funktion erfüllt – ist eine Reihe von Artikeln, die kürzlich zu dem Treffen zwischen Yassir Arafat und Hosni Mubarak veröffentlicht wurden. Wir stimmen nicht damit überein, wie diese Frage behandelt wurde. Was uns beunruhigt, ist nicht, dass Ihr Arafats Entscheidung, Mubarak zu treffen, verteidigt habt, sondern die Art, wie Ihr sie verteidigt habt. Ein News Line-Artikel nach dem andern stellt den Besuch als ein strategisches Bravourstück Arafats dar, durch das er seine Feinde wieder einmal in Verlegenheit gebracht habe. Diese Darstellung, mag sie auch noch so sehr durch den ernsthaften Wunsch bestimmt gewesen sein, die PLO gegen ihre Feinde zu verteidigen, dient nur dazu, unsere Kader und die Leser unserer Zeitung irrezuführen und zu entwaffnen.

Als Marxisten ist unser Ausgangspunkt bei einer politischen Analyse niemals die bewusste Absicht politischer Führer; es müssen die Klassenkräfte sein, die sie repräsentieren und die Logik des Klassenkampfs, deren notwendiger Ausdruck ihre Handlungen sind. Die Politik Arafats spiegelt unweigerlich seinen Klassenstandpunkt als kleinbürgerlicher Nationalist wider. Er manövriert nicht nur zwischen verschiedenen bürgerlichen Regimen im Nahen Osten, sondern auch zwischen den entgegengesetzten Klassenkräften innerhalb der palästinensischen Bewegung. Wie groß auch sein persönlicher Mut und seine Heldenhaftigkeit sein mögen, Arafats Politik kann keine Antwort auf die großen historischen Probleme des palästinensischen Kampfs für Selbstbestimmung geben. Während es unsere Pflicht ist, ihn und die PLO gegen die reaktionären Machenschaften der syrischen Ba ̓athisten zu verteidigen, sind wir in keiner Weise verpflichtet, seine pragmatische Wende zu Mubarak als eine Art strategischen Meisterstreich zu feiern.

Der Kommentar der News Line vom 30. Dezember 1983, überschrieben „Arafats Rolle“, liefert dagegen wenig mehr als journalistische Rechtfertigungen für Arafats Treffen mit Mubarak und für die politische Rehabilitierung des Mubarak-Regimes. In einer Verurteilung der „verleumderischen Anschuldigungen“ gegen Arafat durch Habash schreibt News Line:

Diese verbalen Angriffe sind das Produkt beschränkter Gemüter und enger Perspektiven. Arafats Gespräche mit Mubarak sind keine Unterstützung für Camp David. Im Gegenteil. Arafats mutige Diplomatie hat dazu beigetragen, den Vertrag zwischen Ägypten und Israel zu unterhöhlen, nicht ihn zu stärken.

Das Wesen der Camp David-Verschwörung zwischen Sadat, Begin und Carter war es, die Existenz der PLO als einzig legitime Vertretung des palästinensischen Volks zu ignorieren und den Kampf des palästinensischen Volks für Selbstbestimmung abzulehnen.

Dies ist der Grund, weshalb der Vertrag auf so heftigen Widerstand stieß. Aber jetzt hat Mubarak Arafat in Kairo begrüßt. Dies ist kein Treffen von Individuen. Es zeigt an, dass die ägyptische Regierung die PLO, ihre Legitimität im Kampf im Nahen Osten und ihr unveräußerliches Recht, für die Befreiung Palästinas zu kämpfen, anerkennt.

Dient dies Camp David? Dient dies dem zionistischen Imperialismus? Natürlich nicht. Es ist ein schwerer diplomatischer und politischer Schlag für das krisengeschüttelte Shamir-Regime, und das ist der Grund, weshalb Tel Aviv die Gespräche zwischen Mubarak und Arafat wütend verurteilt hat.

Eine solche Analyse – in der Ausdrücke wie „natürlich nicht“ und „im Gegenteil“ als für sich selbst sprechende Antworten präsentiert werden – hat wenig mit Marxismus zu tun. Die Idee, dass Mubaraks Treffen mit Arafat Sadats Reise nach Jerusalem und die Unterzeichnung des Camp David Abkommens irgendwie aufhebt und ungültig macht, ist eine Spitzfindigkeit, die jetzt von der Islamischen Konferenz benutzt wurde, um ihre Wiederaufnahme der Beziehungen zu Ägypten zu rechtfertigen. Wir können kaum glauben, dass News Line uns weismachen möchte, Mubarak habe sich in einen Verteidiger der Rechte der Palästinenser verwandelt. Während News Line die Erklärungen Shamirs zum Treffen von Arafat und Mubarak zitiert, sagt sie nichts über die weit wichtigeren Verlautbarungen der Reagan-Regierung, die das Treffen sofort pries und Arafat als einen „gemäßigten“ Führer bezeichnete.

Sadats Reise nach Jerusalem und der Gipfel von Camp David bedeuteten einen historischen Meilenstein in der Degeneration des bürgerlichen Nationalismus im Nahen Osten. Camp David hat zum Ausdruck gebracht, dass sich die arabische Bourgeoisie als Ganzes entschieden darauf zubewegt, den palästinensischen Kampf für Selbstbestimmung fallenzulassen und eine prinzipienlose Übereinkunft mit dem Imperialismus im Nahen Osten zu treffen. Das ägyptisch-zionistische Abkommen, das unter direkter Aufsicht des US-Imperialismus erreicht wurde, bereitete den Weg für die zionistische Invasion des Libanons und all die grausamen Verbrechen vor, die in der Folge gegen das palästinensische Volk begangen wurden. Arafats zweites Exil vom Libanon innerhalb von weniger als einem Jahr ist die Konsequenz des vorangegangenen Verrats der arabischen Bourgeoisie an der PLO. Weit entfernt davon, sich von Camp David zu distanzieren, bestand Mubarak vielmehr darauf, dass Arafats Besuch den Kurs rechtfertige, den das ägyptische Regime während der letzten sechs Jahre verfolgt habe. Wie das Wall Street Journalaus Kairo berichtet:

Jetzt sagen ägyptische Regierungsvertreter und Presse, die Einladung der ICO (Organisation der Islamischen Konferenz) sei eine Bestätigung des Prozesses, der 1977 mit dem Besuch des verstorbenen Anwar Sadat in Jerusalem begann. Regierungsvertreter und die Zeitungskommentatoren feiern das Vorgehen der ICO mit einer überschwenglichen ‚Ich hab’s ja gesagt’-Haltung. (23. Januar 1984).

Der Gestank von Camp David wurde nicht mit Sadat beerdigt. Die arabische Bourgeoisie – erschüttert durch den nahezu vollständigen Zusammenbruch der OPEC und voller Furcht vor dem Gespenst der sozialistischen Revolution – sucht verzweifelt nach einer Formel, die es ihr erlaubt, das Kriegsbeil mit Ägypten zu begraben. Dann wäre der Weg frei für eine Übereinkunft mit Israel selbst. Auf diese Weise sind die zynischen Behauptungen bürgerlicher arabischer Führer, dass Camp David tot sei, nur ein Kunstgriff, um ihr Gesicht zu wahren, während sie dahinter ihren eigenen Verrat verstecken. In jedem Fall hat die ägyptische Regierung es ausdrücklich zurückgewiesen, bei einer Annahme der Einladung, sich der ICO wieder anzuschließen, irgendwelche Bedingungen zu akzeptieren. Wenn man alle Spekulationen über die verborgenen Ziele hinter den gegenwärtigen diplomatischen Intrigen beiseite lässt, bleibt die historische Tatsache, dass Camp David eine Demonstration des konterrevolutionären Charakters der arabischen Bourgeoisie und ihrer angeborenen Unfähigkeit war, einen prinzipiellen und beständigen Kampf gegen den Imperialismus zu führen – wofür die Verteidigung des palästinensischen Kampfs für Selbstbestimmung das entscheidende Kriterium ist.

Eben diese Frage wurde von News Line anlässlich der ersten Reise Sadats nach Jerusalem unmissverständlich klargemacht:

Dieser Besuch sollte nur diejenigen überraschen, die die Illusionen hegen, die bürgerlich nationalistische Bewegung im Nahen Osten habe irgendeine Art von Zukunft. Worte, wie arabische Nation, arabisches Heimatland, arabische Welt, drücken zwar ein ursprüngliches nationales Gefühl aus, sie verwirren jedoch einfach die nackten Tatsachen der Rolle von US- und zionistischem Imperialismus in einer Periode, in der die Weltkrise des Kapitalismus vorherrscht und die Tendenz zu einem weltweiten Zusammenbruch zunimmt. Der bürgerlich nationale Kampf ist weder im Nahen noch sonstwo auf der Welt zu lösen, außer durch die sozialistische Revolution. (21. November 1977)

Während News Line die PFLP für ihre „hoffnungslose Unfähigkeit“ schilt, „die großen Veränderungen zu begreifen, die im Nahen Osten seit Sadats Hinrichtung stattgefunden haben“, bietet sie keine Analyse dieser Veränderungen und erklärt nicht, weshalb – vom Standpunkt des Klassenkampfs im Nahen Osten – Arafats Treffen mit Mubarak politisch richtig war. Eine Entwicklung, die mit Sicherheit untersucht werden müsste, ist das Ausmaß, in dem Ägypten in die militärischen Streitkräfte des US-Imperialismus im Nahen Osten integriert wurde. Ägypten hat sein Territorium für amerikanische Militärübungen geöffnet und logistische Unterstützung für die von den USA unterstützte französische Intervention im Tschad geleistet. Ein weiterer Ausdruck der „großen Veränderungen, die stattgefunden haben“, ist die Finanzierung einer jordanischen Version der „Schnellen Eingreiftruppe“ durch die USA. Die gegenwärtigen Beziehungen zwischen dem Imperialismus und seinen Anhängern im Nahen Osten werden, ebenso wie die Veränderungen in den Klassenbeziehungen in jedem einzelnen arabischen Land, noch nicht einmal erwähnt. Stattdessen bietet News Line eine unkritische, rein journalistische Lobpreisung einer auf pragmatische Manöver gestützten Politik, die den zentralen Problemen, vor denen die palästinensische Revolution steht, ausweicht.

Arafat hat es auf brillante Weise fertiggebracht, Ägypten im Nahen Osten wieder in die Kalkulationen einzubeziehen und sich gleichzeitig wohl aus den Klauen von Damaskus als auch von Amman zu befreien.

Die Auffassung, dass der Lauf der Geschichte durch geniale Züge auf dem diplomatischen Schachbrett bestimmt werde, gehört in die idealistische bürgerliche Geschichtsschreibung und nicht in die materialistische Geschichtsauffassung. Unsere Kalkulationen, wenn schon nicht die von Arafat, gründen sich immer auf eine Einschätzung der Klassenkräfte und auf das Potential der Arbeiterklasse für den revolutionären Kampf gegen die Bourgeoisie. Für uns liegt die Rettung der palästinensischen Revolution nicht in der Befreiung aus den „Klauen“ Syriens durch den Sprung in die Klauen Ägyptens, Marokkos und selbst Jordaniens – mit dessen König die PLO gegenwärtig intensiv verhandelt und mit dem sich Mubarak im nächsten Monat treffen wird. Sollen wir jetzt etwa auch diese neue diplomatische Runde begrüßen und unser Vertrauen darauf setzen? Unser strategisches Ziel sollte immer die Mobilisierung der Arbeiterklasse – unterstützt von der armen Landbevölkerung – gegen die Bourgeois in jedem, aber auch in jedem Land des Nahen Ostens sein. Aber in der News Line taucht eine andere Perspektive auf:

Wir stehen zu dem Prinzip, dass die PLO das Recht auf politische Unabhängigkeit hat. Und wir setzen volles Vertrauen darauf, dass der Vorsitzende Arafat dieses Recht ausübt, um einen taktischen Verbündeten im ägyptischen Regime zu gewinnen, um die nationalistische Moral der ägyptischen Massen zu heben und die Einheit der Unterdrückten von Ägypten und Palästina herzustellen.

Anstelle des leninistischen Prinzips, „getrennt marschieren, vereint schlagen“, scheinen wir jetzt eine Formel angenommen zu haben, die der PLO einen Blankoscheck ausstellt, zu tun, was ihr beliebt – wobei ihr unsere Unterstützung im voraus garantiert wird. So wie sie hier gebraucht wird, ist die Losung der „politischen Unabhängigkeit“ auf eine fast bedeutungslose Abstraktion degradiert, die die Aufgabe erfüllt, die Gefahr zu verdecken, dass – was auch immer die Absichten Arafats sein mögen – die politische Logik der Manöver der PLO unweigerlich zu ihrer Unterordnung unter die Interessen der arabischen Bourgeoisie und des Weltimperialismus führen muss. Mit Sicherheit ist es unsere Pflicht, zumindest dies als eine wirkliche Gefahr für die palästinensische Revolution deutlich zu machen. Wenn wir die palästinensische Bewegung nicht klar vor den Gefahren warnen, die Arafats Ausspielen der „ägyptischen Karte“ heraufbeschwört, dann ist die einzige „politische Unabhängigkeit“, die wir in der Praxis der PLO garantieren, die der „Unabhängigkeit“ von trotzkistischer Kritik!

Darüber hinaus, weshalb sollten wir in Ägypten ein Heben der „nationalistischen Moral“ unter der Führung von Mubarak befürworten? Glauben wir wirklich, dass die PLO durch ein Bündnis mit Sadats Nachfolger die Unterstützung des ägyptischen Proletariats und der verarmten Bauernschaft gewinnen wird? Diese Ansicht wird jetzt etwas ausführlicher von unseren australischen Genossen ausgedrückt, die, gestützt auf den News Line-Kommentar, in der Ausgabe der Workers News vom 10. Januar geschrieben haben, daß das Treffen mit Mubarak die PLO befähige, „die Stärke der 40 Millionen starken Massenbewegung in Ägypten anzuzapfen“.

Diese Art von Argument schreibt den Klassenkampf in Ägypten einfach ab und passt sich an die gefährlichen Illusionen der PLO-Führung an, die sich eindeutig nicht auf den Klassenkampf des arabischen Proletariats gegen seine eigene Bourgeoisie stützt. In Wirklichkeit wird die Einheit der palästinensischen und ägyptischen Massen nicht durch Bündnisse mit Mubarak erreicht werden, sondern durch den Kampf gegen ihn. Das wird von Arafat nicht verstanden, und die PLO-Führung ist ein Ausdruck der Schwäche und der grundlegenden klassenmäßigen Beschränktheit des bürgerlichen Nationalismus innerhalb der palästinensischen Bewegung. In einer Zeit, wo Marokko und Tunesien von Massenunruhen überzogen werden und Ägypten vor Unzufriedenheit brodelt – um die Massenstreiks, die Israel erschüttern, nicht zu erwähnen – würde die Sache der palästinensischen Revolution durch einen Aufruf an die Arbeiterklasse in Marrakesch, Tunis, Kairo – und last uns hinzufügen, Haifa – weit mehr erreichen als durch Treffen mit Mubarak, Hassan und Hussein.

Wir meinen damit nicht, dass Arafat dafür verdammt werden sollte, dass er als bürgerlich nationalistischer Führer handelt. Aber wir dürfen niemals vergessen, dass seine Politik nicht unsere Politik ist, und dass unsere Analyse immer darauf ausgerichtet sein muss, eine marxistische Führung zu entwickeln, die erforderlich ist, um den Imperialismus und seine bürgerlichen Agenten im Nahen Osten zu besiegen. Genau diese Schlussfolgerung haben wir im November 1977 gezogen:

Lasst die Feuer der sozialen Revolution überall in den feudalen Staaten, in Saudi Arabien, Ägypten, den Golf-Emiraten, in Syrien, Libanon und Jordanien, entflammen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis andere ‚ergebene‘Moslem-Führer wie Khaled, Assad und Hussein in der Moschee von Jerusalem die Hand nach den Gebetsteppichen ausstrecken, die für Coca Cola werben und die von Menachem Begin und Moshe Dayan freundlicherweise zur Verfügung gestellt werden, und das ohne Zweifel in Anwesenheit der CIA-Direktoren der Jerusalemer Abfüllfabrik.

Um die Feuer der sozialen Revolution zu entzünden, ist es notwendig, in all diesen Ländern revolutionäre Parteien mit ausgebildeten Kadern und militärischen Kämpfern aufzubauen. Was auch immer die ernsten Differenzen über die Entwicklung des Marxismus sein mögen, sie werden im gemeinsamen Kampf überwunden werden. Die Workers Revolutionary Party glaubt, dass diese Parteien nur wirksam sein können, wenn sie am Kampf zum Aufbau der Kräfte des Internationalen Komitees der Vierten Internationale teilnehmen, des Kerns der Weltpartei der sozialistischen Revolution. Das ist die Lehre aus der ägyptischen Kapitulation vor dem zionistischen Imperialismus. (21. Nov. 1977, S.2)

Am 30. Dezember jedoch richtet sich der Kommentar der News Line gegen eine solche Perspektive. Dies ist kein isolierter Fehler. Eine unkritische Lobhudelei gegenüber der PLO-Führung charakterisiert weitgehend all unsere Artikel über die palästinensische Revolution. Zum Beispiel hat News Line auch kommentarlos eine von Arafat herausgegebene Erklärung unter dem Titel, „Arafats Verpflichtung zur Revolution“, abgedruckt. Diese Erklärung – wenn man sie für bare Münze nimmt – bringt politische Auffassungen zum Ausdruck, die die palästinensische Revolution nicht einen Zentimeter vorwärtsbringen können und werden. Wir wissen, dass News Line unmöglich mit Arafats Lob für die Vereinten Nationen, für den Irak, Saudi Arabien, die ägyptisch-französische Initiative, Italien und die Kremlbürokratie übereinstimmen kann. Und trotzdem wird diese Erklärung als „Verpflichtung“ zur Revolution veröffentlicht!

Politisch noch besorgniserregender ist ein anderer Artikel, in dem News Line berichtet, dass Arafats Treffen mit Mubarak vom Zentralkomitee der Fatah kritisiert wurde. News Line beeilt sich dann, seinen Lesern zu versichern, dass

diese milden kritischen Bemerkungen einen Teil des diplomatischen Kampfs der PLO in der arabischen Welt darstellen und darauf abzielen, in der arabischen Presse verbreitet zu werden (!). In Wirklichkeit stellen sie keinen ernsthaften Tadel für den Vorsitzenden der PLO oder für seinen mutigen Besuch vor zwei Wochen in Kairo dar. (7. Januar 1984)

Wären die Erklärungen des Zentralkomitees nichts weiter als leeres diplomatisches Gewäsch, dann würde dies nicht für die PLO-Führung sprechen, denn es wäre gleichbedeutend mit einem Versuch des Zentralkomitees, die palästinensischen Massen hinters Licht zu führen, denn schließlich lesen diese die arabische Presse. Aus dem gesamten Text des Kommuniques wird klar, dass das Zentralkomitee zwar die Verleumdungen Syriens und Libyens zurückwies, aber auch den von Arafat begangenen „organisatorischen Fehler“ kritisierte. Trotz der sehr vorsichtigen Wortwahl ist es offensichtlich, dass das Kommunique ernste und legitime Differenzen innerhalb der Fatah widerspiegelt. Bei all ihrer Beschränktheit stellt die Erklärung des Zentralkomitees der Fatah eine ernsthaftere Analyse der Probleme dar, die jetzt vor der palästinensischen Revolution stehen, als die, die News Line gemacht hat. Warum, Genosse Mike, sollten wir weniger gewillt sein, eine objektive Analyse von Arafats Politik zu machen, als seine Genossen im Zentralkomitee der Fatah? Und haben wir nicht zu einer Zeit, wo die PLO-Führung versucht, eine prinzipielle Antwort auf die schwerwiegenden Probleme innerhalb ihrer eigenen Bewegung zu finden, die Verpflichtung, sie mit den Errungenschaften einer wissenschaftlichen, marxistischen Analyse der gegenwärtigen Aufgaben der palästinensischen Revolution zu versorgen? Wenn wir nichts zu bieten haben als völlig unkritische Unterstützung, weshalb sollten dann palästinensische Arbeiter und Bauern – auf dem Westufer, im Gaza-Streifen, in Israel und überall im Nahen Osten – zu den Fahnen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale gezogen werden?

In einem anderen Artikel der News Line vom 13. Januar wird eine öffentliche Meinungsumfrage zitiert, wonach Arafat über Massenunterstützung verfügt. Welche politischen Schlussfolgerungen ziehen wir aus dieser Information? Sollte das Ergebnis einer Meinungsumfrage unsere Linie in bezug auf den Besuch in Ägypten bestimmen? Wir bezweifeln nicht die Popularität Arafats bei den palästinensischen Massen. Aber haben wir jemals Popularität als Kriterium für die Bestimmung unserer politischen Einschätzung zum Beispiel der kubanischen Revolution genommen? War es nicht Hansen, der uns erzählte, dass es bei der herrschenden Popularität Castros „Selbstmord“ für die lateinamerikanischen Trotzkisten sein würde, sein Regime zu kritisieren. Wir wissen auch nicht, was wir davon halten sollen, wenn News Line die Jerusalem Post mit der Meinung des „PLO-Beobachters Matti Steinberg“ zitiert, der erklärt, dass Arafats „Treffen mit Mubarak zweifellos Arafat neue politische Perspektiven eröffnet hat ...“.

Wenn man Artikel schreibt, die nur dazu dienen, das zu rechtfertigen, was Arafat bereits getan hat, und die in leuchtenden Farben dieses oder jenes pragmatische Manöver darstellen, dann läuft man Gefahr, Opfer einer politischen Perspektive zu werden, die die wirkliche Notwendigkeit, die trotzkistische Bewegung in den halbkolonialen Ländern und innerhalb der antiimperialistischen nationalen Befreiungsbewegungen aufzubauen, in Frage stellt. Wenn Arafat, nur von seiner Intuition geleitet, erfolgreich die PLO führen kann, was für eine Notwendigkeit gibt es dann noch, palästinensische Kader im dialektischen Materialismus auszubilden? Es geht hier nicht nur um einen einzelnen Artikel oder die Arafat-Mubarak-Episode. Seit 1976 sind wir jetzt durch jahrelange Erfahrungen gegangen, die immer wieder gezeigt haben, dass die Betonung der besonderen Fähigkeiten dieses oder jenes Führers schwerwiegende Fehleinschätzungen, gefährlichen Irrtümern und schwierig zu lösenden Widersprüchen in unserer politischen Ausrichtung den Weg ebnet. Lasst uns nur anmerken, dass sich unter den größten Unterstützern für Arafats Treffen mit Mubarak Saddam Hussein befindet, den wir einst enthusiastisch unterstützten, aber zu dessen Sturz wir jetzt regelmäßig aufrufen, und dass sich unter Arafats schärfsten Gegnern Muammar Gaddafi befindet, dem bis vor kurzem die gleiche Art von Lobpreisung zuteil wurde, die wir jetzt dem PLO-Führer zuteil werden lassen.

Wir haben das Gefühl, dass das Grundproblem darin besteht, dass das Internationale Komitee über seine Arbeit in den letzten acht Jahren noch keine wirkliche Bilanz gezogen hat. Wir können einfach nicht, ohne eine Analyse über jede einzelne Erfahrung gemacht zu haben, durch die das Internationale Komitee gegangen ist, von einem Bündnis zum anderen gehen. Ohne solch eine Analyse werden wir uns immer größer Konfusion gegenübersehen, die unweigerlich, wenn sie nicht korrigiert wird, in den Sektionen politische Katastrophen hervorbringen wird. Gleichgültig, wie vielversprechend bestimmte Entwicklungen innerhalb der nationalen Arbeit der Sektionen auch erscheinen mögen – wie unsere eigenen Erfahrungen in verschiedenen Gewerkschaftskämpfen –, diese werden kein wirklichen Erfolge für die Sektionen hervorbringen, wenn unsere Arbeit nicht von einer wissenschaftlich ausgearbeiteten internationalen Perspektive angeleitet wird. Je mehr sich die Workers League der Arbeiterklasse zuwendet, desto mehr spüren wir die Notwendigkeit der engsten Zusammenarbeit mit unseren internationalen Genossen, um die Arbeit vorwärts zu bringen. Die Degeneration der Socialist Workers Party, die im offenen Bruch mit Mandel gipfelt, ist die größte historische Rechtfertigung des Kampfs, den Ihr gegen den Pablismus geführt habt. Wir sind stolz darauf, in diesem Kampf Eure Schüler gewesen zu sein. Aber das neue Stadium in der Krise des Imperialismus und des Stalinismus und das Zusammenbrechen des Revisionismus stellt uns die Notwendigkeit einer umfassenden Entwicklung unserer theoretischen Arbeit und unserer praktischen Aktivitäten zur Aufgabe. Wir glauben, dass diese Entwicklung eine Erneuerung unseres Kampfes gegen den pablistischen Revisionismus – und vor allem gegen die Manifestationen dieser Perspektive innerhalb unserer eigenen Sektionen erfordert. Lasst uns diese Arbeit damit beginnen, dass wir die durch das anberaumte Treffen des Internationalen Komitees gebotene Gelegenheit wahrnehmen, um die Grundlage für eine erschöpfende Diskussion über die internationalen Perspektiven zu schaffen mit dem Ziel, eine umfassende internationale Resolution zu entwerfen. Es ist sicherlich Zeit, dass das Internationale Komitee seine Antwort auf die neostalinistischen Angriffe der SWP auf die Theorie der permanenten Revolution herausbringt und zeigt, dass diese die unverzichtbare wissenschaftliche Grundlage für den Aufbau der Weltpartei der sozialistischen Revolution bleibt. Es könnte für die Vorbereitung des kommenden Treffens hilfreich sein, wenn eine Tagesordnung entworfen würde, die den Führungen der Sektionen zugeschickt wird, bevor sie in London ankommen. Wir freuen uns darauf, eng mit Euch zusammenzuarbeiten, wenn wir diese Arbeit beginnen.

Mit den besten brüderlichen Grüßen

David North

Kopie an Gen. Gerry