IKVI
Das IKVI verteidigt den Trotzkismus 1982–1986

Brief von David North an die Zelle Glasgow Nord- Ost der WRP

23. Dezember 1985

Genosse Simon Pirani hat dem Internationalen Komitee die Resolution der Zelle Glasgow Nord-Ost vorgelegt, und ich bin beauftragt worden, Euch im Namen des IK zu antworten.

Wir haben nicht die geringsten Meinungsverschiedenheiten zum Geist Eurer Resolution, wenn sie feststellt, dass Ihr Euch der Internationale „als revolutionäre Kämpfer, nicht als Jasager“ unterordnen wollt. Diese beiden Typen sind einander tatsächlich diametral entgegengesetzt und schließen einander aus. Als revolutionäre Lehre erfordert der Marxismus Furchtlosigkeit und vollkommene intellektuelle und politische Ehrlichkeit – und Jasager sind schon von ihrem Charakter her niemals in der Lage, sich diese Qualitäten anzueignen. Die marxistische Auffassung der revolutionären Disziplin hat nichts damit zu tun, ohne eigenes Rückgrat in allen Abstimmungen die Hand zu heben. Die disziplinierte Kritik eines revolutionären Kämpfers, der sich um jeden Aspekt der Parteiarbeit und um ihre Entwicklung in der Arbeiterbewegung sorgt, ist tausendmal wertvoller als die Schmeicheleien eines „Jasagers“, der, wie sich gewöhnlich herausstellt, die Partei nur zur Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse benutzt.

Wie Eure Resolution bemerkt, haben die Mitgliedschaft der WRP und das IKVI eines gemeinsam: wir haben voll die Auswirkungen des verrotteten Healy-Regimes zu spüren bekommen, das den Mitgliedern systematisch die Rechte verweigerte, die ihnen unter den Prinzipien des demokratischen Zentralismus zustehen. Dieses Regime leugnete die grundlegendste Auffassung über leninistische Organisation: dass die Führung immer unter der demokratischen Kontrolle der Parteimitgliedschaft steht. Als Trotzki die Parteidemokratie definierte, hob er drei Merkmale hervor: „a) freie Diskussion aller Parteimitglieder über alle entscheidenden Fragen, b) ständige Kontrolle der Partei über ihre Führungsgremien und c) die Wahl der Verantwortlichen und kollektiven Gremien von unten nach oben ...“ (Challenge of the Left Opposition 1926-27, Pathfinder, S. 64)

Keines dieser drei Kennzeichen der Parteidemokratie existierte in der Workers Revolutionary Party. Anstelle des demokratischen Zentralismus gab es eine kleinbürgerliche Clique, die ihrem eigenen Fortbestand alle Fragen von Prinzipien und Programm unterordnete. Healy war die persönliche Achse dieser Cliquenführung, die seine Autorität benutzte und steigerte, um sich von jeglicher Kontrolle durch die Mitgliedschaft zu befreien – sowohl in der WRP als auch im IKVI. Diese Clique – hauptsächlich kleinbürgerliche und deklassierte Elemente, die vollamtlich im Zentrum (Old Town) arbeiteten (mit wenig direktem Kontakt zur Arbeiterklasse) – versteckte sich hinter Healys Prestige und musste ihre Politik niemals vor der Mitgliedschaft erklären oder rechtfertigen. Die Zerstörung des demokratischen Zentralismus hatte einen sehr bestimmten Klasseninhalt: dadurch wurden die proletarischen Kräfte innerhalb der Partei der prinzipienlosen Mittelklasse-Clique untergeordnet, die mit und durch Healy herrschte. Untrennbar verbunden mit dieser Zerstörung der demokratisch zentralistischen Normen war die Entwicklung einer revisionistischen Politik. Diese Clique trieb die Zerstörung der Rechte der Arbeiter in der Partei systematisch so weit, dass sie offen die Statuten der WRP verletzte und per Abstimmung beschloss, Healy das außerordentliche Recht zuzusprechen, zu tun was immer ihm beliebe! Dies war, glaube ich, auf dem Fünften Parteikongress.

In ihrem Umgang mit dem IK hielten die britischen Delegierten die persönliche Unfehlbarkeit von Healy hoch, um jede kritische Untersuchung der Politik und Praktiken der WRP durch die internationalen Delegierten zu verhindern. Das wirkliche innere Leben der WRP wurde vor dem Internationalen Komitee verborgen. Wir wissen inzwischen, dass die WRP-Delegierten das Internationale Komitee über jeden Aspekt der organisatorischen Errungenschaften der britischen Sektion routinemäßig belogen: über Mitgliederzahlen, Finanzen, Arbeit in den Gewerkschaften, YS-Aktivitäten usw. Dies verfolgte einzig den Zweck, Healys Autorität zu stärken und jede Kritik an der WRP hemmungslos als Angriff auf die „historischen“ Errungenschaften der WRP unter Healys Führung darzustellen. Gleichzeitig verheimlichten die WRP-Delegierten dem IKVI die wirklichen Beziehungen der britischen Sektion zu den bürgerlichen Regimen im Nahen Osten. Daher war es dem IK nicht möglich, die Arbeit der britischen Sektion einer demokratisch-zentralistischen Kontrolle zu unterziehen. Stattdessen konnte Healy unter dem Schutz dieser kleinbürgerlichen und nationalistischen Clique, die keine Kritik an ihn heranließ, die Interessen des IKVI als Weltpartei der Sozialistischen Revolution den unmittelbaren praktischen Bedürfnissen der Bewegung in England unterordnen – und diese Bedürfnisse wurden von der Clique bestimmt.

Wenn die Resolution des Internationalen Komitees die WRP aufruft, sich den Entscheidungen der Weltpartei „unterzuordnen“, dann versucht sie damit nichts weiter, als die Prinzipien des demokratischen Zentralismus innerhalb der Vierten Internationale wieder zu festigen. Dies beinhaltet unter anderem, dass die WRP-Delegierten dem Internationalen Komitee ehrliche Berichte über die Arbeit der britischen Sektion vorlegen, dass sie in der Entwicklung des Programms der Vierten Internationale loyal mit ihren internationalen Gesinnungsgenossen zusammenarbeiten, dass sie alle Mitglieder der WRP über die demokratisch gefassten Beschlüsse des Internationalen Komitees informieren, und dass sie dafür kämpfen, diese Beschlüsse in der Arbeit der WRP zu verwirklichen.

Diese Unterordnung der WRP unter die Beschlüsse des IKVI – um das zu schaffen, was Trotzki in den Statuten der Vierten Internationale eine „einzige Disziplin“ nennt – ist untrennbar mit der Entwicklung demokratisch-zentralistischer Methoden innerhalb der WRP selbst verbunden. Führer, die nicht unter der strikten Kontrolle der Mitgliedschaft ihrer eigenen Sektion stehen und sich für ihre Arbeit nicht verantworten müssen, werden niemals die Autorität der internationalen Bewegung anerkennen, innerhalb derer sie arbeiten. Sie werden Lippenbekenntnisse zur Vierten Internationale ablegen und sich dabei vorrangig immer der nationalistischen Clique verantwortlich fühlen, der sie angehören. Dieser Anti-Internationalismus nahm in der WRP besonders bösartige Formen an, weil die Mitgliedschaft keinerlei Informationen über die Arbeit ihrer Genossen in den verschiedenen Ländern bekam. Das wenige, was ihnen berichtet wurde, war meistens negativ. Die Errungenschaften der „großen WRP“ wurden den Problemen der „kleinen Gruppen“ gegenübergestellt. Die einmal oder zweimal die Woche erscheinenden Zeitungen der anderen Sektionen wurden den WRP-Zellen kaum zugänglich gemacht, so dass die einfachen Mitglieder sich einen Überblick über die internationale Arbeit hätten verschaffen können. Das historische Banner, unter dem wir arbeiten – Proletarier aller Länder, vereinigt Euch! – wurde unter der Führung von Healys Clique zu einer Abstraktion ohne wirklichen Inhalt.

Dieser Anti-Internationalismus hatte innerhalb der WRP selbst katastrophale Auswirkungen, denn die Cliquenführung unterrichtete die Mitgliedschaft nicht darüber, dass innerhalb des Internationalen Komitees Healys Arbeit kritisiert wurde. Stattdessen unterdrückte sie unloyal hinter dem Rücken der WRP-Mitgliedschaft diese Differenzen innerhalb des IK und drohte, im IK mit denjenigen zu spalten, die diese Differenzen aufgebracht hatten. Das Ergebnis war, dass die WRP-Mitgliedschaft ihres elementaren Rechts beraubt wurde, die Meinung ihrer internationalen Genossen über die Arbeit der Führung in ihrem eigenen Land zu erfahren.

Um genauer zu definieren, was wir unter demokratisch-zentralistischen Arbeitsmethoden verstehen, wollen wir die Resolution über Organisationsfragen anführen, die ein nationaler Kongress der Socialist Workers Party am 5. April 1940 verabschiedete – das war mitten im Kampf gegen die kleinbürgerliche Minderheit unter der Führung von Burnham und Shachtman. Zu den „Verantwortlichkeiten der Führung sagt die Resolution folgendes:

Die Parteiführung muss der Kontrolle der Mitgliedschaft unterworfen sein, ihre Politik muss innerhalb der ordentlich festgelegten Formen und Grenzen jederzeit von den einfachen Mitgliedern kritisiert, diskutiert und berichtigt, und die führenden Gremien jederzeit formell abgesetzt oder geändert werden können. Die Parteimitgliedschaft hat das Recht, von den Führern gerade aufgrund ihrer Position in der Bewegung die größte Verantwortlichkeit zu erwarten und zu fordern. Wenn Genossen für Führungspositionen ausgewählt werden, dann heißt das, dass ihnen eine außerordentliche Verantwortung übergeben wird. Ihr Recht auf diese Position muss die Führung nicht nur einmal, sondern ständig beweisen. Sie ist verpflichtet, das beste Beispiel für Verantwortung, Hingabe, Opferbereitschaft und völlige Identifizierung mit der Partei und ihrem täglichen Leben und Wirken zu geben. Sie muss fähig sein, ihre Politik vor der Mitgliedschaft der Partei zu verteidigen, und die Linie der Partei und die Partei insgesamt vor der Arbeiterklasse im allgemeinen zu verteidigen.

Zu den „Verantwortlichkeiten der Mitgliedschaft stellte die Resolution fest:

Genau wie Führung bedeutet Mitgliedschaft in der Partei die Garantie bestimmter Rechte. Parteimitgliedschaft berechtigt zu voller Freiheit der Diskussion, Debatte und Kritik innerhalb der Partei. Beschränkt wird diese Freiheit nur durch Entscheidungen oder Vorkehrungen der Partei selbst, die auch von eigens dafür gebildeten Gremien getroffen werden können. Jedes Parteimitglied hat das Recht, demokratisch auf allen Parteiversammlungen, die die Politik festlegen, vertreten zu sein (von lokalen zu nationalen und internationalen Kongressen), und an der letzten und entscheidenden Abstimmung über Programm, Perspektiven und Führung der Partei teilzunehmen.

Zusammen mit den Parteirechten hat die Mitgliedschaft auch bestimmte Verpflichtungen. Der theoretische und politische Charakter der Partei wird bestimmt durch ihr Programm, das die revolutionäre Partei von allen anderen Parteien, Gruppen und Tendenzen in der Arbeiterklasse unterscheidet. Die erste Pflicht der Parteimitgliedschaft besteht darin, loyal das Programm der Partei anzunehmen und ordentlich einer der Grundeinheiten der Partei angeschlossen zu sein. Die Partei fordert von jedem Mitglied die Annahme ihrer Disziplin, Arbeit in Übereinstimmung mit dem Parteiprogramm, mit den Entscheidungen der Konferenzen, und mit der Politik, die von der Parteiführung formuliert und geleitet wird.

Mitgliedschaft in der Partei bedeutet hundertprozentige Loyalität zu ihrer Organisation, die Zurückweisung aller Agenten anderer, feindlicher Organisationen in ihren Reihen und die Unzulässigkeit geteilter Loyalitäten im Allgemeinen. (The Struggle for a Proletarian Party, von James P. Cannon, Pathfinder, S. 229/30)

Wir nehmen an, dass die Auffassung über Parteiorganisation, die in diesem Zitat zum Ausdruck kommt, völlig anders aussieht als das, was die Healy-Clique und ihre langjährigen Apologeten den WRP-Mitgliedern jahrelang beigebracht haben. Diese Clique schüttelte die internationale trotzkistische Kontrolle ab und versuchte so, den WRP-Kader von den großen revolutionären Traditionen der Vierten Internationale abzuschneiden. Jetzt, wo wir gemeinsam als Genossen in einer vereinten Weltpartei der Sozialistischen Revolution zusammenarbeiten, müssen wir diese Traditionen wiederbeleben und in jeder Sektion verankern.

Abschließend wollen wir in Bezug auf Eure Anmerkung zu den falschen Perspektiven des zehnten Kongresses sagen, dass es absolut notwendig ist, ein neues Dokument zu erarbeiten. Aber das ist nicht einfach eine literarische Arbeit, mit der man den einen oder anderen Genossen beauftragen kann. Wir brauchen eine ausführliche Diskussion über die internationalen Perspektiven in jeder Sektion des IKVI. Der Schaden, den mehr als zehn Jahre revisionistisches Abrutschen angerichtet haben, ist nicht derart einfach zu beheben. Wir müssen die theoretischen Positionen wiedererobern, die Healy und seine Clique aufgegeben haben. Wir müssen alles, was falsch war, zurückweisen und entlarven und dabei gegen jede Form von Skeptizismus kämpfen, der ein Fragezeichen hinter die revolutionäre Rolle des Internationalen Komitees der Vierten Internationale setzt. Es wird notwendig sein, Entwürfe auszuarbeiten und auszutauschen, sie gegenseitiger Kritik zu unterwerfen und auf der Grundlage dieser kollektiven Arbeit zu einer wissenschaftlichen revolutionären Perspektive zu kommen, die alle Kader der Vierten Internationale verstehen werden, und die ihre Arbeit richtig anleitet.

Im Namen des IKVI schicke ich Euch unsere herzlichsten revolutionären Grüße,

David North