Erklärung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale
Wie die Workers Revolutionary Party den Trotzkismus verraten hat 1973 – 1985

Internationalismus und der Kampf für den Trotzkismus in Großbritannien

In der Zeit vor der Gründungskonferenz der Vierten Internationale bekämpfte Trotzki unnachgiebig den Versuch der britischen ILP (Independent Labour Party), ihre nationale Autonomie aufrechtzuerhalten, und später kritisierte er scharf die Workers Internationalist League (WIL), bei der Healy damals Mitglied war, weil sie sich weigerte, ihre fraktionellen Differenzen in Großbritannien den Interessen des internationalen Proletariats unterzuordnen und unter der Disziplin seiner Weltpartei zu arbeiten. Er warnte die Führer der WIL:

Eine revolutionäre Gruppierung von ernsthafter Bedeutung kann nur auf der Grundlage großer Prinzipien aufrechterhalten und entwickelt werden. Eine nationale Gruppe kann nur dann einen beständigen revolutionären Kurs einhalten, wenn sie mit ihren Gesinnungsgenossen auf der ganzen Welt fest in einer Organisation zusammengeschlossen ist und ständig politisch und theoretisch mit ihnen zusammenarbeitet. Die Vierte Internationale allein ist eine solche Organisation. Aller rein nationalen Gruppierungen, all jene, die eine internationale Organisation, Kontrolle und Disziplin zurückweisen, sind im Kern reaktionär. (Documents of the Fourth International,Pathfinder Press, S.270, aus dem Engl. übersetzt).

Diese Warnung wurde von der WIL ursprünglich nicht beachtet. Wertvolle Zeit ging verloren, bis ihre Führer schließlich erkannten, dass die Entwicklung ihrer Organisation nicht möglich war, ohne die politische Autorität der Vierten Internationale anzuerkennen. 1944 stimmte die WIL der Vereinigung mit der damaligen britischen Sektion zu. Die Revolutionary Communist Party entwickelte sich dann durch einen scharfen internen Kampf gegen eine kleinbürgerliche Clique, die von Jock Haston angeführt wurde. Dies war Bestandteil eines internationalen Kampfes gegen eine kleinbürgerliche Tendenz, die mit Shachtman sympathisierte und innerhalb der Socialist Workers Party von Felix Morrow und Albert Goldman vertreten wurde. Im Verlauf dieses Kampfes wurde Healy zum Führer der britischen Sektion.

Im Jahre 1953 spaltete sich die britische Sektion. Diese Spaltung ging auf das Anwachsen einer internationalen revisionistischen Tendenz unter Führung von Pablo und Mandel zurück, die dafür eintrat, die trotzkistische Bewegung in den Stalinismus zu liquidieren. Nachdem die Vierte Internationale durch revisionistische Auffassungen, die sich in die Dokumente des Dritten Kongresses von 1951 eingeschlichen hatten, theoretisch untergraben worden war, schwebte sie jetzt in Lebensgefahr. Obwohl die Führungen in Großbritannien und den Vereinigten Staaten zuvor in kritischen theoretischen und politischen Fragen Zugeständnisse gemacht hatten, schlossen sich jetzt die Kräfte in der Vierten Internationale, die sich auf die Arbeiterklasse gründeten, zusammen, um die Revisionisten zu besiegen. Der Höhepunkt dieses Kampfes war der Offene Brief, den der Führer der SWP, James P. Cannon, im November 1953 schrieb, und mit dem das Internationale Komitee der Vierten Internationale gegründet wurde, um die orthodoxen Trotzkisten zu mobilisieren und in den Kampf gegen die pablistischen Liquidatoren im Internationalen Sekretariat zu führen. Healy, der im Kampf gegen Pablo und seinen Vertreter in Großbritannien, John Lawrence, eng mit Cannon zusammengearbeitet hatte, unterstützte den Offenen Brief.

Dieses historische Dokument warf den Pablisten vor, „bewusst und gezielt darauf hinzuarbeiten, den historisch geschaffenen Kader des Trotzkismus in den verschiedenen Ländern aufzulösen, zu spalten und auseinander zu brechen, um die Vierte Internationale zu zerstören.“ (The Militant, 21. Dezember 1953)

Der Brief bekräftigte dann die historischen Prinzipien, auf die sich der Trotzkismus begründet:

1. Der Todeskampf des kapitalistischen Systems droht, die Zivilisation durch immer schlimmere Depressionen, Weltkriege und barbarische Erscheinungen wie den Faschismus zu zerstören. Die Entwicklung von Atomwaffen unterstreicht heute diese Gefahr auf das Ernsteste und Nachdrücklichste.

2. Der Sturz in den Abgrund kann nur verhindert werden, indem der Kapitalismus weltweit durch eine sozialistische Planwirtschaft ersetzt und so die Spirale des Fortschritts, die der Kapitalismus in seiner Frühzeit in Gang gesetzt hat, wieder aufgenommen wird.

3. Dies kann nur unter der Führung der Arbeiterklasse geschehen, da sie die einzige wahrhaft revolutionäre Klasse in der Gesellschaft ist. Doch die Arbeiterklasse selbst ist mit einer Krise der Führung konfrontiert, obwohl die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse auf Weltebene noch nie so günstig wie heute dafür waren, dass die Arbeiter den Weg der Machtübernahme beschreiten können.

4. Um sich für die Durchsetzung dieses welthistorischen Ziels zu organisieren, muss die Arbeiterklasse in jedem Land eine revolutionäre Partei nach dem Muster, wie es Lenin entwickelt hat, aufbauen; d.h. eine Kampfpartei, die in der Lage ist, Demokratie und Zentralismus dialektisch zu vereinen – Demokratie in der Entscheidungsfindung, Zentralismus bei der Durchführung dieser Beschlüsse; mit einer Führung, die von den einfachen Mitgliedern kontrolliert wird, Mitgliedern, die fähig sind, diszipliniert vorzugehen, auch wenn sie unter Feuer stehen.

5. Das Haupthindernis hierfür ist der Stalinismus, der dadurch, dass er das Ansehen der Oktoberrevolution von 1917 in Russland ausnutzt, Arbeiter anzieht, nur um dann später ihr Vertrauen zu missbrauchen und sie entweder in die Arme der Sozialdemokratie, in Apathie oder zurück zu Illusionen über den Kapitalismus zu treiben. Den Preis für diese Verrätereren hat dann das arbeitende Volk zu zahlen, in Form einer Stärkung faschistischer oder monarchistischer Kräfte und durch neue Kriege, die der Kapitalismus hervorbringt und vorbereitet. Seit ihrer Gründung stellte sich die Vierte Internationale als eine ihrer Hauptaufgaben den Sturz des Stalinismus innerhalb und außerhalb der UdSSR.

6. Viele Sektionen der Vierten Internationale, sowie Parteien und Gruppen, die mit ihrem Programm sympathisieren, stehen vor der Notwendigkeit einer flexiblen Taktik. Es ist daher um so dringender, dass sie wissen. wie man den Imperialismus und alle seine kleinbürgerlichen Agenturen (wie z,B. nationalistische Organisationen und Gewerkschaftsbürokratien) bekämpft, ohne vor dem Stalinismus zu kapitulieren; dass sie umgekehrt wissen, wie man gegen den Stalinismus kämpft (der letzten Endes eine kleinbürgerliche Agentur des Imperialismus ist), ohne vor dem Imperialismus zu kapitulieren.

Diese grundlegenden Prinzipien, die Leo Trotzki aufgestellt hat, behalten auch in der heutigen, zunehmend komplizierten und sich verändernden politischen Weltlage ihre volle Gültigkeit. Tatsächlich haben die revolutionären Situationen, die sich, wie Trotzki vorhersah, überall eröffnen, erst jetzt all dem vollen konkreten Inhalt verliehen, was früher als eine Reihe von etwas entrückten, in keinem engen Zusammenhang mit der damaligen lebendigen Wirklichkeit stehenden Abstraktionen erschienen sein mag. In Wahrheit gewinnen diese Prinzipien zunehmend an Gültigkeit und Stärke, sowohl in der politischen Analyse als auch bei der Bestimmung des Kurses für das praktische Handeln. (ebd) .

Der Brief fasste dann die Hauptlinien von Pablos Programm und seiner zerstörerischen Spaltungsmanöver in der ganzen Welt zusammen, und schloss mit diesem Aufruf an die Trotzkisten in der ganzen Welt:

Wir fassen zusammen: Der Riss zwischen Pablos Revisionismus und dem orthodoxen Trotzkismus ist so tief, dass weder ein politischer noch organisatorischer Kompromiss möglich ist. Die Pablo-Fraktion hat bewiesen, dass sie das Zustandekommen von demokratischen Entscheidungen, die wirklich die Meinung der Mehrheit widerspiegeln, nicht zulassen wird. Sie verlangen die völlige Unterordnung unter ihre verbrecherische Politik. Sie sind entschlossen, alle orthodoxen Trotzkisten aus der Vierten Internationale zu vertreiben, oder ihnen einen Maulkorb umzuhängen und Handschellen anzulegen.

Sie haben geplant, ihr Versöhnlertum gegenüber dem Stalinismus stückweise einzuschleusen und ebenso stückweise sich derer zu entledigen, die durchschauen, was da vor sich geht, und Widerspruch anmelden. Das ist die Erklärung für die merkwürdige Doppeldeutigkeit vieler der pablistischen Formulierungen und diplomatischen Ausflüchte.

Bis jetzt hatte die Fraktion Pablos mit diesen prinzipienlosen und machiavellistischen Manövern einen gewissen Erfolg. Doch inzwischen ist eine qualitative Veränderung eingetreten. Die politischen Fragen haben jetzt den Schleier der Manöver zerrissen, und es findet ein offener Entscheidungskampf statt.

Wenn wir den Sektionen der Vierten Internationale von unserer Position aus, die erzwungenermaßen außerhalb der Mitgliedschaft liegt, einen Rat geben dürfen, so meinen wir, dass es Zeit ist, zu handeln – entschlossen zu handeln. Es ist Zeit, dass die orthodox-trotzkistische Mehrheit der Vierten Internationale ihren Willen gegen Pablos Machtanmaßung durchsetzt. (ebd.)

Einige Monate später, am 1. März 1954, analysierte Cannon die historische Bedeutung der Spaltung:

Wir allein richten uns uneingeschränkt nach Lenins und Trotzkis Theorie der Partei als der bewussten Avantgarde und ihrer Rolle als Führung im revolutionären Kampf. Diese Theorie wird brennend aktuell und ist in der gegenwärtigen Epoche wichtiger als alle Anderen.

Das Problem der Führung nun beschränkt sich nicht auf die spontanen Erscheinungen des Klassenkampfs in einem lang hingezogenen Prozess, ja nicht einmal auf die Eroberung der Macht in diesem oder jenem Land, wo der Kapitalismus besonders schwach ist. Es ist vielmehr eine Frage der Entwicklung der internationalen Revolution und der sozialistischen Umwandlung der Gesellschaft. Wer die Annahme zulässt, dass dies automatisch geschehen könnte, gibt in Wirklichkeit den ganzen Marxismus auf. Nein, es erfordert bewusstes Handeln, und dazu ist die Führung der marxistischen Partei, die das bewusste Element im historischen Prozess darstellt, unerlässlich. Keine andere Partei taugt dafür. Keine andere Tendenz in der Arbeiterbewegung kann als hinlänglicher Ersatz angesehen werden. Aus diesem Grund ist unsere Haltung gegenüber allen anderen Parteien und Tendenzen unversöhnlich feindlich.

Wenn die Kräfteverhältnisse eine Anpassung der Kader der Avantgarde an Organisationen erfordern, die momentan von solchen feindlichen Tendenzen beherrscht werden – von Stalinisten, Sozialdemokraten, Zentristen – dann muss eine solche Anpassung stets als eine taktische Anpassung gesehen werden, die dazu dient, den Kampf gegen sie zu erleichtern, niemals, um eine Versöhnung mit ihnen herbeizuführen, niemals, um ihnen die entscheidende historische Rolle zuzuschreiben, während den Marxisten die zweitrangige Aufgabe überlassen bleibt, freundliche Ratschläge zu erteilen und ‚loyaleʻ Kritik zu äußern, wie die Pablisten in ihren Kommentaren zum Generalstreik in Frankreich. (übersetzt aus Trotskyism versus Revisionism, London 1975-77; Bd.2, S.65).

Der internationale Kampf gegen Pablo war entscheidend für die künftige Entwicklung der trotzkistischen Bewegung in Großbritannien. Trotz ihrer zahlenmäßigen Schwäche und extremen Armut – diese wurde noch verschlimmert durch die Provokationen der offen prostalinistischen Gruppe der Pablisten um Lawrence – hatten die theoretischen Lehren des Kampfs innerhalb der Vierten Internationale die britischen Trotzkisten unermesslich gestärkt. Nur durch diesen Kampf hatten sie sich das unabdingbare Rüstzeug aneignen können, um in die Krise einzugreifen, die 1956 innerhalb der Kommunistischen Partei ausbrach, nachdem Chruschtschow teilweise Stalins Verbrechen enthüllt hatte und die Sowjetunion anschließend in Ungarn einmarschierte.

Politisch bewaffnet durch den Kampf gegen den Pablismus, waren die Trotzkisten in der Lage, bedeutende Kräfte aus den Reihen der britischen Kornmunistischen Partei zu gewinnen. Auf diese Weise schufen sie neue günstige Voraussetzungen, sowohl die theoretische Arbeit der Bewegung als auch ihre Aktivitäten innerhalb der Gewerkschaften und der Labour Party auszuweiten. Diese Errungenschaften wurden durch die Gründung der Socialist Labour League 1959 gefestigt.

In dieser Periode beteiligten sich die britischen Trotzkisten immer aktiver an der politischen Arbeit des Internationalen Komitees, besonders seitdem Cannon in seinem Kampf gegen die Pablisten Anzeichen einer nachgiebigeren Haltung erkennen ließ. Healy und sein engster Mitarbeiter, Mike Banda, hatten die Entwicklung der Pablisten in Europa genau verfolgt, – besonders ihre zentristische Reaktion auf die Invasion in Ungarn – und waren überzeugt, dass es keinen Grund für die Annahme gab, die politischen Differenzen zwischen dem internationalen Sekretariat und dem Internationalen Komitee hätten sich verringert. Sie waren vielmehr vom Gegenteil überzeugt. Deshalb beobachteten sie mit wachsender Beunruhigung, wie die amerikanische SWP eine immer versöhnlerischere Haltung gegenüber den Pablisten erkennen ließ.

Den zunehmenden Spannungen zwischen der SLL und der SWP lag zu Grunde, dass sich die beiden Sektionen in ihrer Orientierung immer weiter auseinanderentwickelten. Seit 1957, als sie ihre sogenannte Kampagne zur „Umgruppierung“ in den Vereinigten Staaten begann, richtete die SWP ihre Arbeit in immer größerem Maße auf das Milieu des kleinbürgerlichen Radikalismus aus. Die Haltung der SWP gegenüber den historischen Feinden des Trotzkismus wurde weicher und versöhnlerischer, sogar in ihrem theoretischen Organ. Von 1958 an lehnte Hansen öffentlich die politische Revolution gegen die Kreml-Bürokratie ab. Die SLL dagegen drang auf Grund eines unversöhnlichen Kampfes gegen die rechte sozialdemokratische Bürokratie immer tiefer in die Massenbewegung der Arbeiterklasse ein. 1958 und 1960 traf Healy mit Cannon und anderen Führern der SWP zusammen, um zu sehen, ob es nicht möglich sei, etwas gegen deren übereilte Manöver zur Wiedervereinigung mit den Pablisten zu tun, und um darauf hinzuwirken, dass als Voraussetzung für die Vereinigungsdiskussionen mit dem Internationalen Sekretariat größtmögliche Klarheit im internationalen Kader geschaffen wurde.

Doch die politischen Differenzen zwischen der SWP und der SLL verschärften sich weiter. 1960, mehr als ein Jahr nach Castros Machtübernahme, schwenkte die SWP auf die Position um, in Kuba sei ein Arbeiterstaat geschaffen worden und das „Castro-Team“ bestehe aus „unbewussten Marxisten“, die einen angemessenen Ersatz für eine trotzkistische Partei der kubanischen Arbeiterklasse darstellten.

Am 2. Januar 1961 schrieb das Nationalkomitee der Socialist Labour League einen Brief an die Führung der SWP, in dem es seiner tiefen Besorgnis Ausdruck gab, dass die trotzkistischen Veteranen der Vereinigten Staaten das strategische Ziel der Vierten Internationale aus den Augen verloren. Es betonte der SWP gegenüber die große Bedeutung des Kampfs für Prinzipien:

Wir kommen in eine Periode, die an Bedeutung der von 1914-1917 vergleichbar ist, und es ist jetzt ebenso lebensnotwendig wie damals, scharf und klar mit jeder zentristischen Tendenz innerhalb unserer eigenen Reihen zu brechen. Wenn wir unsere revolutionäre Pflicht in den kommenden Jahren erfüllen wollen, so wie es die Bolschewiki getan haben, dann müssen wir dem Beispiel Lenins, nicht Luxemburgs folgen, indem wir all die verschiedenen Kautskys von heute nicht nur kritisieren, sondern uns kompromisslos von ihnen trennen, und zwar in erster Linie von der Pablo-Bande. (ebd.; Bd.3, S.46).

Es ist wichtig, Folgendes festzuhalten: die SLL bestand darauf, dass der Kampf gegen den Zentrismus und alle Formen von Opportunismus gerade dann am wichtigsten ist, wenn die objektive Situation eine Verschärfung des Klassenkampfes hervorbringt und die Möglichkeiten für den Aufbau der Partei in der Arbeiterklasse verbessert. Darüber hinaus zeigte die SLL diese Haltung theoretischer Unversöhnlichkeit gerade zu einer Zeit, als sie begann, ihren Einfluss in der Arbeiterbewegung auszuweiten – insbesondere unter der Jugend in den Labour Party Young Socialists, wo die SLL ihre Fraktionen aufbaute und junge Kader als Trotzkisten ausbildete.

Sie warnte die SWP:

Die größte Gefahr für die revolutionäre Bewegung ist Liquidatorentum, die Folge einer Kapitulation entweder vor der Stärke des Imperialismus, den bürokratischen Apparaten in der Arbeiterbewegung, oder vor beidem. Noch unverkennbarer als 1953 vertritt der Pahlismus heute diese liquidatorische Tendenz in der internationalen marxistischen Bewegung. Für den Pablismus ist die fortgeschrittene Arbeiterklasse nicht mehr die Vorhut der Geschichte, das Herz aller marxistischen Theorie und Strategie in der Epoche des Imperialismus, sondern der Spielball ‚welthistorischer Faktorenʻ, die auf abstrakte Weise betrachtet und eingeschätzt werden. (ebd., S. 48)

Die SLL griff die Mischung von Impressionismus und Objektivismus der Pablisten scharf an und analysierte die Bedeutung ihres Revisionismus für die Vierte Internationale:

...jede historische Verantwortung der revolutionären Bewegung wird geleugnet, alles ist panoramaartigen Kräften untergeordnet; die Fragen nach der Rolle der Sowjetbürokratie und der Klassenkräfte in der kolonialen Revolution bleiben ungelöst; und das muss auch so sein, weil der Schlüssel zu diesen Problemen die Rolle der Arbeiterklasse in den fortgeschrittenen Ländern und die Krise der Führung in der dortigen Arbeiterbewegung ist. (ebd. S. 49)

Die britischen Trotzkisten warnten:

Jegliches Abweichen von der Strategie der politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse und des Aufbaus revolutionärer Parteien wird die Bedeutung eines Fehlers der trotzkistischen Bewegung von weltgeschichtlichem Ausmaß annehmen. In Großbritannien haben wir die Ergebnisse des pablistischen Revisionismus an den Taten der Pablisten seit der Gründung der Socialist Labour League und in der gegenwärtigen politischen Krise in der Labour Party gesehen; und wir sind mehr als je zuvor von der Notwendigkeit überzeugt, eine leninistische Partei zu bauen, die absolut frei ist von dem Revisionismus, wie ihn der Pablismus darstellt. (ebd.)

Im Gegensatz zu jenen, die behaupten, Prinzipien stünden dem Aufbau einer Partei im Wege, und in direktem Gegensatz zu den Behauptungen des lahmen Hochstaplers S. Michael, der Aufschwung der Massen hebe die Notwendigkeit für theoretische Unversöhnlichkeit auf, erklärte die SLL:

Gerade weil die Möglichkeiten, die sich dem Trotzkismus eröffnen, so gewaltig sind und daher die Notwendigkeit politischer und theoretischer Klarheit so groß ist, müssen wir uns nachdrücklich gegenüber dem Revisionismus in allen seinen Formen abgrenzen. Es ist an der Zeit, die Periode zu beenden, in der der pablistische Revisionismus als eine Strömung innerhalb des Trotzkismus betrachtet wurde. Wenn wir dies nicht tun, können wir uns nicht für die revolutionären Kämpfe rüsten, die jetzt beginnen. Wir möchten, dass die SWP in diesem Geiste mit uns zusammen vorwärts geht. (ebd.)

Die SWP reagierte feindselig auf die Vorschläge der SLL. Cannon, der die amerikanische Arbeiterklasse abgeschrieben und sich damit abgefunden hatte, den Posten des nationalen Ehrenvorsitzenden einer zunehmend kleinbürgerlichen Organisation auszufüllen, schrieb am 12.Mai 1961 an Farrell Dobbs:

Offensichtlich vertieft sich der Graben zwischen Gerry und uns. Es ist einfacher, dies zu erkennen, als eine Möglichkeit zu sehen, wie die gegenwärtige Entwicklung rückgängig gemacht werden könnte. Meiner Meinung nach steuert Gerry auf eine Katastrophe zu und nimmt dabei seine ganze Organisation mit. (ebd., S.71)

Im Laufe der nächsten zwei Jahre erzwang die SLL eine Diskussion über die grundlegendsten Probleme marxistischer Perspektiven und Methoden, trotz aller Versuche von Hansen, jegliche Klärung der historischen Bedeutung der Spaltung von 1953 zu verhindern. Die Dokumente, die von den Führern der SLL, insbesondere Cliff Slaughter, geschrieben worden sind, gehören zu den wichtigsten Beiträgen zur Entwicklung des Trotzkismus seit dem großen Kampf gegen die kleinbürgerliche Opposition in den Jahren 1939-1940. Es ist das unvergängliche historische Verdienst derjenigen, die diesen Kampf geführt haben, dass die SLL mutig der liquidatorischen Woge trotzte, die weite Teile der trotzkistischen Bewegung verschlang. Die SLL stellte sich der scheinbar unwiderstehlichen Strömung entgegen, sich an die kleinbürgerlichen Führer anzupassen, welche vorübergehend den antiimperialistischen Kampf in den halbkolonialen Ländern beherrschten. Sie hatte den Mut, für Prinzipien einzutreten, die als veraltet und bedeutungslos verspottet wurden. Sie verteidigte die Perspektive von der Diktatur des Proletariats und kämpfte gegen die Herabwürdigung der marxistischen Theorie durch Pragmatiker und Impressionisten, die nach einem leichten Weg suchten, den Aufbau der Vierten Internationale zu umgehen. Sie verteidigte nicht lediglich den Offenen Brief: die SLL kämpfte, das Wesen von Trotzkis Lehren herauszuarbeiten und deren Beziehung zu Lenins lebenslangem Kampf, eine wahrhaft proletarische Partei aufzubauen. Obwohl sie in einem Land arbeiteten, dessen theoretische Traditionen vom Empirismus beherrscht sind, wurden die britischen Trotzkisten zu den Vorkämpfern einer Wiedergeburt der marxistischen Theorie und entlarvten den heruntergekommenen, anti-dialektischen Objektivismus, der den Pablisten als Grundlage für ihre Angriffe diente.

Als sich herumgesprochen hatte, dass die SLL bei Hansens Plänen, den Trotzkismus unter dem Deckmantel der Wiedervereinigung zu liquidieren, nicht mitmachen werde, gingen die Verleumder an die Arbeit, um die SLL und ihren Nationalen Sekretär, Gerry Healy, als „ultralinke“ Sektierer hinzustellen. Doch ungeachtet der Verleumdungen und Lügen begann die SLL Verbindungen zu Trotzkisten in verschiedenen Teilen der Welt herzustellen. Mit außerordentlicher Geduld gingen ihre Führer daran, eine trotzkistische Fraktion innerhalb der SWP auszubilden, wobei sie ihren Mitgliedern immer wieder einschärften, dass es keinen anderen Weg gebe, die Vierte Internationale zu verteidigen und ihre Sektionen in der ganzen Welt aufzubauen, als durch den intensivsten und gründlichsten Kampf gegen den Revisionismus. Vor allem, so betonten sie, könne nirgendwo etwas aufgebaut werden, auch nicht in Großbritannien, ohne dass der Kampf für die Vierte Internationale in den Mittelpunkt der Arbeit in jedem Land gestellt werde.

Als im Juni 1963 die SWP ihre prinzipienlose Wiedervereinigung mit den Pablisten durchführte – was zahlreiche Sektionen zerstören und, auf Grund der daraus resultierenden Fehler, Hunderten von Trotzkisten in Lateinamerika das Leben kosten sollte –, richtete Healy nochmals einen abschließenden Brief an die Partei, mit der er mehr als 20 Jahre eng zusammengearbeitet hatte. Er griff mit Empörung ihre Abdeckung des Verrats der LSSP in Ceylon und ihren Werbefeldzug für verschiedene bürgerliche Nationalisten, wie Ben Bella, an. Und er hatte nichts als Verachtung übrig für jene, die mit der Rechtfertigung, sie seien aus der „Isolation“ ausgebrochen, ihre Prinzipien über Bord warfen.

Natürlich, Ihr habt keine Zeit für die ‚sektiererische SLLʻ. Unsere Genossen in der Mitgliedschaft und in der Führung kämpfen tagaus tagein gegen Reformismus und Stalinismus, in den besten Traditionen der trotzkistischen Bewegung. Doch sie sprechen noch nicht auf öffentlichen Versammlungen zu Zehntausenden von Menschen wie Ben Bella, Castro und wie bei der sogenannten Maiversammlung von Ceylon. In Euren Augen sind wir lediglich kleine, ‚linksradikale Spinnerʻ.

Unsere Genossen übernahmen die Führung in der jüngsten Kampagne gegen Arbeitslosigkeit, sie organisierten und sprachen vor einer Massenversammlung mit 1300 Teilnehmern, doch das ist Kleinkram. Wenn unsere Genossen den Sozialdemokraten in der Jugendbewegung mächtige Schläge versetzen, und das trotz einer enormen Hexenjagd, spricht euer Korrespondent T. J. Peters (einst ein führender Anhänger der SWP, der jetzt wie ein pensionierter Liberaler schreibt) lediglich von der großen Zukunft, die vor ‚British Labourʻ liege.

Wir altmodischen ‚Sektiererʻ glauben, dass die Vierte Internationale, von der unsere Organisation immer ein integraler Bestandteil war, die einzige Alternative zu der korrupten Führung der sogenannten ‚British Labourʻ bietet. Doch Peters hat keine Zeit für uns. Er hat, genau wie Ihr, seine Erleuchtung gehabt.

Ihr habt dazu einige Zeit gebraucht (wie das Sprichwort sagt: ‚Diejenigen, die spät zu Christus kommen, kommen am sicherstenʻ). Es ist jetzt ungefähr 12 Jahre her, seit George Clarke sich mit Pablo zusammentat und die Botschaft des berüchtigten Dritten Kongresses in The Militantund in der damaligen Zeitschrift Vierte Internationale veröffentlichte. Damals habt Ihr Pablo nicht durchschaut, und dann hatten wir die Spaltung von 1953. Cannon feierte die Spaltung mit den Worten dass wir ‚niemals mehr zurück zum Pablismusʻ gehen würden. Aber Ihr habt es schließlich doch geschafft. Jetzt habt Ihr überall Verbündete, angefangen von Fidel Castro bis hin zu Philip Gunawardene und Pablo.

Wir wollen nur noch eines sagen, und darin war unser Kongress einstimmig einer Meinung. Wir sind stolz auf den Standpunkt, den unsere Organisation gegen eine derart schändliche Kapitulation vor den reaktionären Kräften eingenommen hat, wie sie die Mehrheitsführung Eurer Partei so vollständig vollzogen hat. (ebd. S. 163-164 )

Ein Jahr später, im Juni 1964, als die LSSP – die sich gegen den Offenen Brief gestellt hatte und dann eine Schlüsselrolle bei den Manövern spielte, die zur Wiedervereinigung führten – in die bürgerliche Koalitionsregierung von Frau Bandaranaike eintrat, bestätigten sich die Warnungen der Socialist Labour League. Healy war nach Colombo gereist, um an der LSSP-Konferenz teilzunehmen und gegen die Verräter zu kämpfen, die planten, in die Koalitionsregierung einzutreten. Am Tag der Konferenz, am 6. Juni 1964, stand er vor den Toren der Stadthalle und forderte, eingelassen zu werden, so dass er zu den Delegierten sprechen und sie auffordern könne, die Entscheidung von N. M. Perrera, Colvin Da Silva und anderen LSSP-Führern zum Eintritt in die bürgerliche Regierung zurückzuweisen. Es gelang Healy zwar, eine Abstimmung über die Frage seiner Zulassung zur Konferenz zu erzwingen, doch wurde ihm der Zutritt verwehrt. Er blieb an den Toren vor der Konferenz, wo er die Delegierten aufforderte, mit den LSSP-Führern zu brechen und den revolutionären Flügel zu unterstützen. Als die Konferenz vorbei war, machte sich Healy auf den Weg, um zu Arbeitern im Hafen von Colombo, zu Textilarbeitern in den Tuchfabriken von Wellawatta und zu einer Gruppe von Universitätsstudenten zu sprechen. Bei allen diesen Versammlungen erklärte er die historische Bedeutung des Verrats, den die LSSP in Zusammenarbeit mit dem ‚Vereinigten Sekretariatʻ von Hansen und Mandel begangen hatte. Sein Aufruf zur Verteidigung des Trotzkismus gegen die LSSP-Verräter rief ein mächtiges Echo hervor. Seine Arbeit in Sri Lanka, die durch anschließende Reisen von Michael und Tony Banda weiterentwickelt wurde, legte die Grundlage für den Wiederaufbau der trotzkistischen Bewegung in diesem Land.

In den Vereinigten Staaten machte sich die SLL an die Arbeit, nach der Desertion der SWP von der Vierten Internationale die trotzkistische Bewegung neu zu organisieren. Nicht nur bei der Analyse der Spaltung, sondern auch bei der Entwicklung einer revolutionären Perspektive für das amerikanische Proletariat leistete sie großartige politische Hilfe. Die SLL kämpfte gegen Tendenzen, die Spaltung lediglich als eine Frage der radikalen Bewegung in den USA zu betrachten, und setzte sich so für die Entwicklung einer wirklich marxistischen Partei ein, die auf die Arbeiterklasse ausgerichtet und auf dem Internationalismus gegründet ist. Als Ergebnis dieses langwierigen theoretischen und politischen Klärungsprozesses wurde der kleinbürgerlich-radikale und antiinternationalistische Charakter der Spartacist-Gruppe entlarvt und die Bedingungen geschaffen, im November 1966 das Amerikanische Komitee für die Vierte Internationale in die Workers League umzuwandeln.

Die Arbeit, die von der Socialist Labour League zwischen 1961 und 1966 geleistet wurde, stellt einen historischen Beitrag zum Aufbau der Vierten Internationale dar. Die SLL hatte die Verantwortung übernommen, den Kampf gegen den Revisionismus zu führen und, zusammen mit der OCI (Organisation Communiste Internationaliste) in Frankreich, die trotzkistische Weltbewegung zu reorganisieren.

In dieser Periode intensiver theoretischer Arbeit an einer internationalen Front legte die SLL die Grundlage für gewaltige politische und organisatorische Fortschritte in Großbritannien. Im Jahr 1964 eroberte sie die Führung der Labour Party Young Socialists. Als Antwort auf eine Säuberungsaktion der Wilson-Führung in der Labour Party gründete sie die Young Socialists als unabhängige Jugendorganisation der trotzkistischen Bewegung.

Dieses Hereinströmen einer neuen Generation ermöglichte eine Ausweitung der politischen Arbeit der SLL. Im Jahre 1968 wurde ihre revolutionäre Perspektive, für die sie gegen die Pablisten gekämpft hatte, durch den Generalstreik vom Mai/Juni in Frankreich vollkommen bestätigt. Diese Entwicklung führte zu einem raschen Anwachsen der OCI in Frankreich und, unter Bedingungen eines zunehmenden Konflikts zwischen der Arbeiterklasse und der rechten reformistischen Labour-Regierung, zu einem beträchtlichen Mitgliederzuwachs bei der Socialist Labour League. Im September 1969 wurde die erste trotzkistische Tageszeitung, die Workers Press, gegründet.

Für Juni 1970 schrieben die Labour-Bürokraten Wahlen aus. Sie stützten sich dabei auf Meinungsumfragen, die ihnen versprachen, dass sie mühelos einen klaren Sieg über die Tories einheimsen könnten. Doch die lange Liste an Verrätereien der Regierung – als Beispiel sei nur ihr gescheiterter Versuch genannt, Anti-Gewerkschafts-Gesetze zu verabschieden – schuf die Bedingungen für einen Sieg der Tories. Dies setzte eine Zuspitzung des Klassenkampfs in einem Ausmaß in Gang, wie es seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr gesehen worden war. Arbeiter, Intellektuelle und Jugendliche begannen so zahlreich wie nie zuvor der Socialist Labour League beizutreten. Die organisatorischen Mittel und Resourcen der Bewegung wuchsen mit außerordentlicher Schnelligkeit. Schauspieler und Schriftsteller besuchten Vorträge der SLL, traten der Partei bei und halfen mit, solch eindrucksvolle Versammlungen zu organisieren, wie die im Alexandra Palace, die 4000 Besucher anzog. Als Antwort auf die Verabschiedung von Anti-Gewerkschafts-Gesetzen durch die Heath-Regierung (den Industrial-Relations-Act) und auf den Anstieg der Arbeitslosigkeit organisierte die SLL eine landesweite Kampagne gegen Arbeitslosigkeit. Im Zentrum davon standen Jugendmärsche, die ungeheure Unterstützung in Großbritannien fanden und deren Fortschritt mit Stolz in allen Sektionen des Internationalen Komitees verfolgt wurde.

Im Sommer der Jahre 1970, 1971 und 1972 wurden in Essex Schulungslager veranstaltet, die immer größere internationale Delegationen anzogen. Die Stärke der SLL und ihr Ansehen bei Revolutionären in der ganzen Welt waren gewaltig gewachsen. Als Ergebnis ihres Kampfs gegen den Revisionismus war sie in der Lage gewesen, die erste ernsthafte marxistische Analyse des kapitalistischen Nachkriegsaufschwungs zu entwickeln, die erste, die jemals in der trotzkistischen Bewegung in Angriff genommen worden war. Diese Analyse deckte die explosiven Widersprüche auf, welche in dem internationalen, auf der Konvertibilität des Dollars in Gold beruhenden Währungssystem von Bretton Woods beinhaltet waren. Die britischen Trotzkisten entlarvten den Impressionismus, der charakteristisch für die Neokapitalismus-Theorie von Ernest Mandel ist. Dieser versuchte, das Kapital von Marx in eine Rechtfertigung für die Unterordnung der Arbeiterklasse unter kleinbürgerliche Protestbewegungen zu verwandeln.