Staat und extreme Rechte

Jeder siebte NPD-Funktionär arbeitet für den Verfassungsschutz

Am 8. Oktober fand vor dem Bundesverfassungsgericht (BVG) eine Anhörung statt, die klären sollte, ob das Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD fortgeführt werden kann. Das Verbotsverfahren war wegen der ungeklärten Rolle zahlreicher V-Männer des Verfassungsschutzes ins Stocken geraten.

Gab es noch vor zwei Jahren, als der Verbotsantrag eingereicht wurde, kaum einen Politiker, der nicht laut in den Chor für ein Verbot der NPD eingestimmt hat, herrscht heute auffälliges Schweigen. Zunächst wollte keiner der drei Kläger - Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung - einen namhaften Vertreter zu dem Termin schicken. Erst eine knappe Woche vor Beginn der Anhörung hatte Innenminister Otto Schily doch noch sein Erscheinen angekündigt.

Der Erörterungstermin war notwendig geworden, weil einige hochrangige NPD-Mitglieder, die bei dem Verfahren als Zeugen aussagen sollten, als V-Leute für den Verfassungsschutz gearbeitet haben. Als das Gericht zufällig davon erfuhr, setzte es im Januar das Verfahren aus. Die Anhörung sollte nun klären, wie weit der Verfassungsschutz das Erscheinungsbild der NPD beeinflusst und dem Gericht schmutziges Beweismaterial vorgelegt hat. Eine Entscheidung darüber, ob und wie das Verfahren fortgesetzt wird, ist erst in einigen Wochen zu erwarten.

Zunächst hatten sich die Antragssteller geweigert, dem BVG eine vollständige Liste der V-Leute innerhalb der NPD zukommen zu lassen. Schließlich ließen Bundesrat, -tag und -regierung Ende Juli verlauten, dass sie der Übergabe einer solchen Liste an das BVG nun doch zustimmten. Am Ende des hierzu verfassten Schriftsatz fordern sie aber recht unverhohlen ein sogenanntes "In-Camera-Verfahren". Die V-Leute sollen nur dem BVG bekannt sein, die entsprechenden Vernehmungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgen.

Das würde bedeuten, dass die angeklagte NPD keine Möglichkeit besäße, Vorwürfe gegen sich zu entkräften. Sie würde noch nicht einmal Genaueres darüber erfahren. Parlament und Regierung sprechen sich hier offen für eine Art Geheimprozess aus, der hinter verschlossenen Türen eine politische Partei verbietet.

Aus dem Schriftsatz der Antragssteller geht hervor, dass von den 200 führenden NPD-Funktionären in Deutschland 30 vom Verfassungsschutz angeheuerte V-Leute sind. Das bedeutet, dass jede siebte Führungsfigur dieser Partei auf der Gehaltsliste des Verfassungsschutzes steht!

Vor Gericht erklärten die Vertreter der Behörde am Dienstag, der Verfassungsschutz bemühe sich grundsätzlich, ein bis zwei, maximal drei V-Leute in jedem Vorstandsgremium zu haben. Der NPD-Vorsitzende Udo Voigt warf darauf die Frage auf, ob nicht auch der Bundesvorstand unterwandert sei. Der Verfassungsschutz wäre dann über die Prozessstrategie der NPD informiert, was die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zusätzlich in Frage stellen würde.

Begründet wurde die Verheimlichung der V-Leute zum einen mit deren eigener Sicherheit und dem Schutz vor Rache aus der Szene und zum anderen mit der Arbeitsfähigkeit des Verfassungsschutzes selbst. "Wir können den Verfassungsschutz dicht machen, wenn wir die V-Leute enttarnen", erklärte der Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz (SPD) nach Veröffentlichung des Schriftsatzes.

Schily und der bayerische Innenminister Günther Beckstein versuchten zu belegen, dass der Verfassungsschutz mit seinen V-Leuten keinen Einfluss auf Ziele und Praxis der NPD ausgeübt habe. Den teilweise recht brisanten Fragen der Richter wichen sie hierbei regelmäßig aus. Der Charakter der NPD würde sich nicht ändern, wenn man sich die Aussagen der V-Leute wegdenke, erklärte Schily. "Welche Aussagen sollen wir uns wegdenken?", fragte darauf Verfassungsrichter Joachim Jentsch. Schily konnte wieder nur auf die sechs bisher enttarnten V-Leute verweisen.

Skinheads Sächsische Schweiz

Das Verfahren gegen die NDP ist nicht der einzige Prozess gegen Rechtsextreme, der wegen der massiven Infiltration durch den Verfassungsschutz zu platzen droht. Eine ähnliche Situation besteht zur Zeit am Landgericht Dresden. Hier begann Ende August der Prozess gegen Mitglieder der verbotenen Neonaziorganisation "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS) wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Volksverhetzung, schwerem Landfriedensbruch und gefährlicher Körperverletzung. Die SSS ist eine extrem rechte und brutale Organisation, die sich das Ziel gesetzt hat, die sächsische Schweiz von Ausländern, Drogenabhängigen und politisch Andersdenkenden zu "säubern".

Der Prozess war ins Stocken geraten, als die Verteidigung Aufklärung über die Rolle des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) bei Gründung der SSS forderte. Der vorsitzende Richter Tom Maciejewski verlangte daraufhin vom Landesamt für Verfassungsschutz eine Liste der V-Leute innerhalb der SSS. Obwohl die Fortführung des Prozesses gegen die sieben Neonazis davon abhing, weigerte sich der sächsische Innenminister Horst Rasch (CDU) genau wie sein Berliner Kollege, die Namen seiner Informanten zu nennen. Auch wenn der Prozess nun zunächst weiter geführt wird, ist sein Ausgang aufgrund dieser Weigerung mehr als ungewiss.

Die Begründung dafür, die Neonazis de facto vor einer Verurteilung zu schützen, ist wiederum die gleiche wie beim NPD-Verfahren: Die V-Leute wären durch die Preisgabe ihrer Identität "erheblich gefährdet". Der Staat habe für V-Leute eine gesteigerte grundsätzliche Schutz- und Fürsorgepflicht, ließ Minister Rasch wissen. Des weiteren führe eine Enthüllung zur Gefährdung der zentralen Aufgaben des Verfassungsschutzes.

Was das für Menschen sind, für die der Staat eine gesteigerte Fürsorgepflicht habe, und welche "zentralen Aufgaben" der Verfassungsschutz mit ihrer Hilfe wahrnimmt, wurde schon in früheren V-Mann Affären deutlich.

Verurteilungen wegen Körperverletzung, Volksverhetzung oder Mord stellten für den Verfassungsschutz nie ein Hindernis dar, betreffende Personen anzuheuern. V-Leute - wie der NPD-Mann Wolfgang Frenz oder der Neonazi Tino Brandt - gaben nicht selten an, dass sie die Gelder, die sie vom Verfassungsschutz erhalten hatten, als Spende für ihre Organisation betrachten. Tatsächlich ist die Trennlinie zwischen den bespitzelten Organisationen und dem Verfassungsschutz selbst kaum mehr zu erkennen.

Gelder für Nazi-Musik

Ein bezeichnendes Licht auf die wirkliche Praxis des Verfassungsschutzes werfen die neusten Enttarnungen von V-Leuten in Berlin und Brandenburg.

Am 20. Juli nahm die Berliner Polizei bei einer Razzia gegen die Naziband "White Aryan Rebels" deren Vertriebschef Toni Stadler aus Cottbus fest. Die Band ist Teil der illegalen neonazistischen Musikszene und besitzt dort Kultstatus. Unter anderem ruft sie zum Mord am brandenburgischen Generalstaatsanwalt Rautenberg, an Talkmaster Alfred Biolek und am Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden Michel Friedmann auf. Nur kurz nach der Festnahme stellte sich heraus, dass Stadler seit langem V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes war.

Berichten des Nachrichtenmagazins Focus zufolge wurde Stadler im Frühjahr 2001 unter dubiosen Umständen als V-Mann geworben. Beamte des Verfassungsschutzes hätten den führerscheinlosen Neonazi observiert und schließlich bei einer illegalen Autofahrt geschnappt. Stadler wurde vor die Entscheidung gestellt, angezeigt zu werden oder fortan als Informant zu arbeiten.

Obwohl die Zusammenarbeit auf eine Erpressung zurück ging, entwickelte sie sich in der nächsten Zeit anscheinend prächtig. Der Spiegel berichtete von Telefonaten zwischen Stadler und seinem V-Mann-Führer Manfred M., in dem sich Stadler über seine ständige Observation durch die Berliner Polizei beschwert habe. M. habe ihm zugesichert, dass sein Chef (der Brandenburger LfV-Chef Heiner Wegesin) dafür sorgen werde, dass das aufhöre. Außerdem erhielt Stadler von demselben M. kurz vor einer Polizeirazzia einen neuen Computer, so dass bei der Durchsuchung keine Daten über seinen Handel mit Neonazi-CD’s zu finden waren.

Gegen M. wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf Strafvereitelung im Amt eingeleitet. Andere Berichte gehen davon aus, dass die finanziellen Zuwendungen an Stadler direkt in die Produktion der Nazimusik flossen.

Brandenburgs Innenminister und CDU-Rechtsaußen Jörg Schönbohm reagierte auf die Aufdeckung dieser Sachverhalte aggressiv. "Vorzeitig und unnötig" sei die Festnahme Stadlers durch die Berliner Polizei gewesen.

Das LfV Brandenburg war schon einmal unter Druck geraten, als es vor eineinhalb Jahren an einem V-Mann festhielt, der 1995 wegen versuchten Mordes an einem Nigerianer verurteilt worden war. Berliner Regierungsvertreter und Vertreter der Justiz äußerten den Verdacht, Schönbohm selbst könne über die Vorfälle informiert gewesen sein.

Toni Stadler ist keineswegs ein kleiner Fisch. Nach Angaben der Berliner Staatsanwaltschaft gehört er zu Deutschlands größten Dealern von Nazimusik. Dabei dienen ihm seine Textilgeschäfte in Cottbus und Guben als Umschlagplätze. In den Verhören gab er zudem zu, dass er an der Gestaltung der CD "Ran an den Feind" der Musikgruppe "Landser" beteiligt gewesen war.

"Landser" wiederum ist Teil der nationalsozialistischen, internationalen Skinhead-Vereinigung "Hammerskins". In ihren Liedern rufen sie dazu auf, Israel zu bombardieren, "Nigger" zu erhängen und Mitglieder des Bundestags zu massakrieren. Gegen "Landser" ermittelt die Bundesanwaltschaft seit nunmehr zwei Jahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Während dieser Zeit stand Stadler, der offenbar enge Kontakte zu dieser Band und ihrem Umfeld hegte, im Sold des brandenburgischen Verfassungsschutzes.

Mitte August enthüllte der Spiegel zudem, dass der als deutscher Chef der "Hammerskins" geltende Mirko Hesse ebenfalls V-Mann war, aber vom Bundesamt für Verfassungsschutz! Hesse war Ende letzten Jahres unter anderem wegen Volksverhetzung vom Dresdner Landgericht zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt worden. Er unterhielt ein eigenes Musiklabel, die H.A. Records (H.A.: Hass Attac, Hitler Adolf), unter dem er Nazi-CDs in ganz Deutschland und den USA vertrieb. Bei einer Hausdurchsuchung seiner Wohnung im Sommer 2001 fanden die Polizei 10.000 CDs, Computer und verschiedene Waffen.

Laut Polizeiermittlungen habe Hesse die Produktion der "Landser" Platten persönlich organisiert und ihren Vertrieb abgewickelt. "Die Dienste haben offenbar über Jahre hinweg beste Informationen über die gefährlichsten Bands der radikalen Rechten zusammengetragen - ohne sie den Strafverfolgern zu melden", berichtet der Spiegel. Die CDs wurden unter den Augen der Verfassungsschützer produziert, in der Szene verteilt und höchstwahrscheinlich von Steuergeldern finanziert.

Die Lausitzer Rundschau berichtete Ende September schließlich, dass auch der Berliner Verfassungsschutz einen Informanten in den Neonazikreisen um Toni Stadler beschäftigt hatte. Dieser sei in der "Weißen Arischen Bruderschaft" tätig gewesen und habe Informationen über Stadler preisgegeben.

Diese Ereignisse reihen sich in die lange Liste anderer Fälle ein, in denen die enge Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und Rechtsextremen deutlich. Man kann eine solche Praxis kaum mehr als Ausrutscher oder Skandal bezeichnen, es scheint vielmehr die Regel zu sein.

Anstatt ihre V-Männer nun aufzudecken und für etwas Klarheit zu sorgen, sind Parlament und Regierung bemüht, ein Geheimverfahren zum Verbot der NPD zu erwirken. Um ihre antidemokratische Praxis zu decken, opfern sie elementare politische Grundrechte. Ganz gleich, wie sich das BVG schließlich entscheidet, wird hier deutlich, wie der Staat im vermeintlichen Kampf gegen Rechtsextremismus selbst immer weiter nach rechts rückt.

Siehe auch:
Kronzeuge im NPD-Verbotsprozess als Geheimdienstagent entlarvt
(26. Januar 2002)
Verfassungsschutz finanziert rechtsradikale Aktivitäten in Thüringen
( 14. Juni 2002)
Rechtsradikale im Dienst des Verfassungsschutzes
( 19. Oktober 2000)
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