Gewerkschafts-Funktionäre von Opel in Deutschland und Saab in Schweden haben einen Wettlauf begonnen, wer das größere Lohn- und Sozialdumping gegen die Beschäftigten durchsetzt. Ein Angebot zur Lohnsenkung und Verlängerung der Arbeitszeit jagt das andere. Die Unterordnung der zuständigen Funktionäre unter das Diktat der Konzernleitung kennt an beiden Standorten keine Grenzen.
Seit Mitte Oktober die Geschäftsleitung von General Motors ankündigte, in Europa 12.000 Arbeitsplätze zu streichen und Einsparungen von 500 Millionen Euro durchzusetzen, sehen sich die Gewerkschaften dafür verantwortlich, entsprechende Sozialkürzungen auszuarbeiten.
Die Erklärung der GM-Konzernleitung im September, sie beabsichtige die Produktion der Mittelklassemodelle Opel Vectra und Saab 9-3, die gegenwärtig in Rüsselsheim bei Frankfurt bzw. in Trollhättan in Schweden hergestellt werden, in einem dieser beiden Werke zu konzentrieren, zielte darauf ab, die Belegschaften an beiden Standorten gegeneinander auszuspielen. Die Gewerkschaften haben nun die Aufgabe übernommen, die Erpressung der Beschäftigten auszuarbeiten und durchzusetzen.
Als erste Reaktion auf die Ankündigung, einen der beiden Produktionsstandorte in Frage zu stellen, arbeitete die schwedische Metallgewerkschaft in Zusammenarbeit mit dem Unternehmerverband ein Paket aus, um die Opelarbeiter in Rüsselsheim zu unterbieten. Die Arbeitszeit wird von 35 auf 38 Stunden pro Woche und die tägliche Maschinenlaufzeit von 16 auf 22 Stunden durch Einführung einer Nachtschicht verlängert. Die Kosten im schwedischen Saab-Werk sinken dadurch um ca. 20 Prozent (siehe: Schwedische Gewerkschaftsbürokratie versucht Opelarbeiter zu unterbieten).
Mit dieser Vereinbarung im Gepäck ging die Konzernführung in die ersten Sondierungen mit dem Opel-Gesamtbetriebsrat in Rüsselsheim unter dem Vorsitz von Klaus Franz. Dieser unterbreitete erwartungsgemäß dem GM-Vorstand Anfang November bereits weitgehende Zugeständnisse. So wurde vorgeschlagen, die Arbeitszeit weiter zu flexibilisieren und den bisher geltenden Arbeitszeitkorridor von 32 bis 38,75 Stunden auf 30 bis 40 Stunden pro Woche zu erweitern. Diese Regelung könne man auch auf andere Standorte ausdehnen, erklärten die Gewerkschafter.
Außerdem bot der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Franz an, die Löhne für mehrere Jahre stagnieren zu lassen, indem übertarifliche Leistungen mit Tariferhöhungen verrechnet werden.
Die GM-Zentrale ließ aber durchblicken, dass die offerierten Zugeständnisse der deutschen Betriebsräte bei weitem nicht ausreichten, um die Einsparziele zu erreichen. General Motors hatte 2002 erklärt, bis Mitte des Jahrzehnts den Gewinn auf 10 Dollar pro Aktie zu steigern. 2003 waren es 5,03 Dollar pro Aktie. Der weltweit größte Automobilkonzern ist daher fest entschlossen, die Einsparungen in seinen europäischen Werken durchzusetzen, um sein Versprechen auf höhere Gewinne bei den Aktienbesitzern einzulösen.
Die Betriebsräte und die IG Metall haben daraufhin in den letzten Wochen weitere Zugeständnisse angedeutet, wie die Einsparungen doch möglich wären. Während sie ihre Mitgliedschaft und die Opel-Arbeiter nicht über den Stand der Verhandlungen informieren, dringen von Tag zu Tag neue Meldungen in die Presse, die immer weitere Kürzungen beinhalten.
Am Dienstag berichtete das Handelsblatt, GM wolle bis zu 6000 Stellen auslagern. Neben der Teilefertigung in Kaiserslautern mit 3000 Arbeitsplätzen seien vom geplanten "Outsourcing" etwa 3000 weitere Stellen in den Werken Rüsselsheim und Bochum betroffen, heißt es in dem Bericht. Ein GM- Sprecher bestätigte der Zeitung lediglich, dass auch Stellenauslagerungen als eine Möglichkeit erwogen würden. Eine Auslagerung von Teilen des Konzerns würde erhebliche Lohnkürzungen bedeuten. Der Opel-Tarif - der dadurch entfällt - liegt zurzeit noch fast 20 Prozent höher als der vergleichbare Flächentarif.
Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), sozialdemokratisches Hausblatt im Ruhrgebiet, berichtete schon am 10. November, Opel wolle das Ersatzteil- und Zubehörlager in Bochum mit 600 Beschäftigten abgeben. Von dort werden Händler und Werkstätten beliefert. Als Favorit für die Übernahme gelte der US-Baumaschinenkonzern Caterpillar, der weltweit auch ein großes Logistikgeschäft betreibt. Zweiter Bewerber sei die zur Deutschen Bahn gehörende Stinnes-Gruppe. Auch eine Logistik-Kooperation über Bochum hinaus wäre denkbar.
Der Bochumer IG-Metall-Chef Ludger Hinse erklärte am 12. November gleichlautend in der tageszeitung (taz) : "Es müssen nicht unbedingt alle Beschäftigten Opel-Trikots tragen. Wichtig ist, dass sie überhaupt Trikots tragen." In der gleichen Ausgabe kündigte er an, dass nicht die geplanten 4000 Arbeitsplätze in Bochum abgebaut werden. "Das werden weniger, mindestens in dreistelliger Höhe" - mit anderen Worten, mindestens 3000 Arbeitsplätze werden abgebaut.
Die Allgemeine Zeitung (Mainz) berichtete nur zwei Tage später unter Berufung auf Gesamtbetriebsratschef Klaus Franz, dass im Opel-Werk Rüsselsheim 2500 Stellen über die Altersteilzeit abgebaut werden sollen.
Am 16. November berichtete Die Welt, der Betriebsrat habe Alternativen vorgeschlagen, um das Sparziel von einer halben Milliarde Euro pro Jahr zu erreichen: "Altersteilzeit- und Vorruhestandsregelungen sowie Auffanggesellschaften". Aufgabe dieser Auffanggesellschaften sei es "Arbeitnehmern, die aus dem Konzern ausscheiden, bei der Jobsuche zu helfen", berichtete die Frankfurter Rundschau am 25. November.
Ein Ende der Lohndrückerei und des Arbeitsplatzabbaus ist nicht in Sicht. Die Konzernzentralen in Detroit (USA) und Zürich (Europa) haben es in der Hand, dieses Spiel immer weiter zu treiben. Der Opel-Gesamtbetriebsrat, die IG Metall in Deutschland sowie die Metallgewerkschaft in Schweden drehen eifrig an der Abwärtsspirale.
Unterstützt werden die gewerkschaftlichen Vertreter von Beginn an von den jeweiligen Regierungen.
Die schwedische Regierung hatte schon früh, kurz nach Bekanntgabe der Einsparpläne von GM Mitte Oktober, 221 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um die Verkehrsinfrastruktur für das Saab-Werk in Trollhättan zusätzlich zu verbessern und die Aus- und Weiterbildung der dort Beschäftigten zu unterstützen. Ministerpräsident Göran Persson (Sozialdemokratische Partei SDP) war schon im September nach Detroit geeilt, um sich persönlich den Managern in der Zentrale von General Motors zu unterwerfen. Später wurde er auch in Zürich beim Europachef von GM Frederick Henderson vorstellig.
Die deutsche Bundesregierung sowie die nordrhein-westfälische Landesregierung, die beide von der SPD und den Grünen gestellt werden, haben eine "Einmischung" weit von sich gewiesen. Insbesondere der nordrhein-westfälische Arbeits- und Sozialminister Harald Schartau (SPD), der früher IG-Metall-Chef in Nordrhein-Westfalen war und damit für das Opel-Werk in Bochum zuständig, lehnt eine staatliche Unterstützung von Opel und GM kategorisch ab.
Der hessische Wirtschaftsminister Alois Rhiel (CDU) forderte in einem Brief an Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD), diese Haltung auch in Schweden anzumahnen. Clement solle "keinerlei wettbewerbsverzerrende Maßnahmen zu Lasten von Rüsselsheim" zulassen. Rhiel sprach von einem "unfairen Standortwettbewerb durch rechtlich unzulässige Interventionen" der schwedischen Regierung.
Daraufhin hatte Clement einige nichtssagende Worthülsen von sich gegeben. So hatte er sich bereit erklärt, sich z. B. für "wettbewerbsfähige Energiekosten für das Opelwerk in Rüsselsheim" einzusetzen. Während Schwedens Persson bei Henderson weilte, traf sich Clement mit dem Vize-Europachef von GM, Claus-Peter Forster, um für Rüsselsheim gut Wetter zu machen, und versprach u. a. ebenso wie Persson in Schweden, die Weiterbildung der Opelbeschäftigten tatkräftig zu unterstützen.
Dabei geht es allen Beteiligten nicht um die Sicherung von Löhnen, sondern um die Durchsetzung der Angriffe. Der hessische CDU-Ministerpräsident Roland Koch sprach dies offen aus. Er äußerte die Erwartung, dass sich die Lohn- und Arbeitsbedingungen in Rüsselsheim soweit absenken ließen, dass sie europaweit konkurrenzfähig wären.
Doch niemand sollte glauben, irgendwann sei Schluss mit den Kürzungen. Schlimmer kann es nicht werden? Es wird schlimmer. Die im Dezember oder spätestens im Januar vereinbarten Kürzungen bei Opel werden nur der Auftakt zu weiteren Runden des Sozialabbaus in den Betrieben sein.
Denn selbstverständlich ist General Motors nicht der einzige Automobilhersteller, der seinen Arbeitern die Löhne kürzt, die Arbeitszeit verlängert und die Arbeitsbedingungen verschlechtert. Schon zuvor hatten DaimlerChrysler, Ford, zuletzt VW und andere Auto-Produzenten ihren Beschäftigten drastische Kürzungen verordnet.
Die alten sozialpartnerschaftlichen Methoden des Verhandelns und des Kompromisse-Schließens, wie sie von den Gewerkschaften jahrzehntelang mehr oder weniger erfolgreich praktiziert wurden, erweisen sich als unwirksam und führen zu reaktionären, nationalbornierten Strategien nach dem Sankt Florians-Prinzip: "Verschon mein Haus, zünd’s andere an."
Obwohl die Verhandlungen zwischen General Motors (GM), der IG Metall und den Betriebsräten über den zu erwartenden Arbeitsplatzabbau bei Opel in Deutschland noch laufen, ist bereits jetzt klar, dass GM seine Forderungen durchsetzen wird, wenn die Opel-Beschäftigten den Gewerkschaftsvertretern und Betriebsräten nicht Einhalt gebieten.