Streik bei Verkehrsbetrieben bringt Frankreich zum Stillstand

Auch in Frankreich streiken die Eisenbahner. Ein Warnstreik bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben zur Verteidigung der Rente brachte am Donnerstag das Schienennetz und den öffentlichen Bus- und U-Bahnverkehr weitgehend zum Erliegen. Die gaullistische Regierung von Präsident Nicolas Sarkozy versucht, eine Reform durchzudrücken, die das Sonderrentensystem der Eisenbahner, die regimes spéciaux, kippen würde.

Der machtvolle Streik ist die erste Antwort auf Sarkozys Pläne, den französischen Sozialstaat zu zerstören. Den Eisenbahnern schlossen sich Beschäftigte der Gas- und Elektrizitätsindustrie sowie Teile der Lehrerschaft und Arbeiter aus der Privatindustrie an.

Drei Gewerkschaften, die SUD Rail, Force Ouvrière und die Autonome Allgemeine Fahrergewerkschaft (FGAAC), riefen dazu auf, den 24-Stunden-Streik zu verlängern.

Die großen Gewerkschaftsverbände, die stalinistisch dominierte CGT und die mit der Sozialistischen Partei liierte CFDT, haben sich gegen eine Verlängerung des Streiks ausgesprochen. Sie fordern die Arbeiter auf, Verhandlungen mit der Regierung abzuwarten.

Ihnen zum Trotz haben jedoch sehr viele Eisenbahner auf den Massenversammlungen am Donnerstagmorgen für die Fortsetzung des Streiks gestimmt. 95 Prozent der Arbeiter stimmten in den großen Bahnhöfen von Paris, Marseilles und Lyon für die Verlängerung des Streiks. In Paris beschlossen die Beschäftigten des öffentlichen Nahverkehrs, sich dem Streik anzuschließen. Freitagmorgen soll auf erneuten Massenversammlungen über die nächsten Schritte entschieden werden.

Sprecher der nationalen Eisenbahngesellschaft SNCF kündigten an, der Bahnbetrieb werde Freitagmorgen noch "massiv gestört" sein und sich erst im weiteren Verlauf des Tages einigermaßen normalisieren.

Der Streik begann Mittwochabend um 20 Uhr. Die französische Bahn SNCF gab am Donnerstagmorgen bekannt, dass nur 46 der 700 TGV-Hochgeschwindigkeitszüge fahren würden. Um 6.30 Uhr am Donnerstag früh hieß es, in einigen Regionen führen überhaupt keine Züge. Die Passagiere wurden aufgefordert, "ihre Reise auf Freitagabend zu verschieben". Der Eurostar war weniger betroffen. Acht von zehn Zügen zwischen Paris und London fuhren fast normal.

Die Pariser Verkehrsgesellschaft RATP gab bekannt, die Metro werde "vermutlich völlig stillstehen". Die stark frequentierten Vorortzüge der Linien RER A und B, die sonst Tausende Arbeiter aus den Vorstädten nach Paris hereinbringen, fielen aus, und nur zehn Prozent der Busse und keine Straßenbahnen waren in Betrieb.

Die städtischen Verkehrsbetriebe in 26 größeren Städten waren betroffen, darunter Clermont-Ferrand, Dijon, Lyons, Montpellier, Nancy, Reims und Toulouse. Die Gewerkschaften in Marseilles, Frankreichs zweitgrößter Stadt, hatten die Beschäftigten der Nahverkehrsgesellschaft RTM nicht zum Streik aufgerufen, weil sie nicht von dem Sonderrentensystem erfasst werden.

Ab 7.30 Uhr am Donnerstag begann sich der Verkehr im Umkreis der großen städtischen Zentren zu stauen. In der Pariser Region Ile de France stauten sich die Fahrzeuge auf 165 Kilometer Länge.

Die SNCF berichtete, knapp 75 Prozent ihrer Belegschaft befinde sich im Streik. Das ist ein höherer Prozentsatz als beim großen Eisenbahnstreik von 1995, der sich auch gegen Angriffe auf das Sonderrentensystem gerichtet hatte. Die Arbeitsniederlegung von 1995 hatte den damaligen Premierminister Alain Juppé zu einem Rückzieher gezwungen und schließlich zum Sturz seiner Regierung geführt.

Die Streikbeteiligung bei den Pariser Bussen und U-Bahnen wurde von der RATP mit 59 Prozent angegeben.

Etwa 50 Prozent der Arbeiter der Gas- und Stromversorger EDF und GDF beteiligten sich am Streik. Wenn Sarkozy seine Reformen durchbringt, dann müssen die Beschäftigten mindestens 40 Jahre, statt bisher 37,5 Jahre, gearbeitet haben, um die volle Rente zu beziehen. Ab 2008 werden es sogar 41 Jahre sein. Sie müssen dann - wie die andern Rentner heute schon - deutliche Abschläge in Kauf nehmen, wenn sie früher in Rente gehen wollen.

In ganz Frankreich fanden in mehr als 60 Städten Demonstrationen statt, an denen hauptsächlich Eisenbahner und Beschäftigte des öffentlichen Nahverkehrs teilnahmen. Aber auch wichtige Kontingente von Arbeitern der Gas- und Stromversorger und kleinere Delegationen der Lehrer waren anwesend, deren wichtigster Verband FSU jedoch nicht zum Streik aufgerufen hatte. Die Zahl der Demonstrationensteilnehmer wird unterschiedlich auf 150.000 bis 300.000 geschätzt.

Der nationale Sekretär der CGT, Bernard Thibault, und Didier Le Reste, der Leiter ihrer Eisenbahnersektion, beide Mitglieder der Kommunistischen Partei, forderten die Arbeiter auf, an die Arbeit zurückzukehren und die Ergebnisse von Gesprächen abzuwarten. Am Donnerstag begrüßte Thibaults Stellvertreterin, Maryse Dumas, den Vorschlag von Arbeitsminister Xavier Bertrand, erneut mit den Gewerkschaften zusammenzutreffen, um die Pläne der Regierung zu diskutieren.

Die Sozialistische Partei äußerte sich nicht zu einer Fortsetzung des Streiks, ließ aber ihren Wunsch erkennen, die Militanz der Arbeiter unter Kontrolle zu bringen und in Verhandlungskanäle mit der Regierung umzulenken. Sie erklärte auch ihre Unterstützung für die Kürzung der Renten der Eisenbahner. Eine Rentenreform sei notwendig, aber Sarkozy gehe ganz falsch an die Sache heran.

In einer Erklärung vom 17. Oktober unterstützte die Kommunistische Partei den Streik verbal, rief aber nicht zu seiner Verlängerung auf.

Christian Piquet, ein SUD-Rail-Arbeiter im Pariser Bahnhof Gare de Lyons, sagte der World Socialist Web Site : "Jeder weiß, dass 24 Stunden nicht ausreichen." Er berichtete, dass an mindestens 30 von etwa 250 Standorten in ganz Frankreich, besonders in Lille im Norden des Landes, die CGT-Mitglieder der nationalen Führung zum Trotz für die Fortsetzung des Streiks über die 24 Stunden hinaus gestimmt hätten.

Im Gewerkschaftsbüro des Pariser Bahnhof Gare du Nord sagte ein anderes SUD-Rail-Mitglied der WSWS, er erwarte, dass Fahrer und Schaffner am Freitag für eine Fortsetzung des Streiks stimmten. Er sagte, am Gare du Nord würden die meisten CGT-Mitglieder wohl für eine Verlängerung des Ausstands stimmen.

"Es entwickelt sich ein Bruch der Basis mit der nationalen Führung", sagte er. "Die Lage ähnelt der Situation, als die CFDT, die früher starken Einfluss bei den Eisenbahnen hatte, mit der Regierung über die Renten verhandelte [er bezog sich damit auf das Abkommen der CFDT-Führung mit Alain Juppé von 1995]. Dreiviertel ihrer Mitglieder traten damals aus und viele kamen zu uns. Sie vertreten jetzt nur noch drei bis vier Prozent der Eisenbahner. Heute wollen die CGT-Führer verhandeln, aber die Basis sagt, da gibt es nichts zu verhandeln."

Er sagte, viele Mitglieder hätten heute den Eindruck gewonnen, dass die CGT-Führung mit der Regierung und dem Management gemeinsame Sache mache.

Er fügte hinzu, die Führung von Force Ouvrière habe unter dem Druck von unten schließlich zögernd zur Fortsetzung des Streiks aufgerufen. "Zuerst war die Führung von FO nicht für eine Verlängerung des Streiks, aber dann musste sie der Unzufriedenheit der Basis nachgeben."

Siehe auch:
Sarkozy kündigt umfangreiche Angriffe auf Rechte französischer Arbeiter an
(11. Oktober 2007)
Sarkozy und Gewerkschaften greifen gemeinsam die Renten an
(27. September 2007)
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