BVG Streik in Berlin: Verdi wird nervös

Der Konflikt zwischen den Beschäftigten der Berliner Verkehrsbetriebe und ihrer Gewerkschaft spitzt sich zu. Während Verdi angesichts immer dreisterer Offerten der Arbeitergeberseite und insbesondere von Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) alles daran setzt, die Situation unter Kontrolle zu behalten und eine Eskalation zu vermeiden, regt sich unter den Beschäftigten Widerstand gegen die Hinhaltetaktik der Gewerkschaft.

In der Nacht zum Mittwoch hat Verdi die Busfahrer erneut in den Streik gerufen; Tram- und U-Bahnen fuhren allerdings weiter. Dies war notwendig geworden, nachdem durch den Streik in den Werkstätten etwa ein Drittel der Busse ausgefallen waren. Zum einen hatten die Arbeitgeber angekündigt, die Busfahrer, die ihre Arbeit mangels Bussen nicht antreten konnten, kalt auszusperren, und zum anderen wurde die Arbeit für diejenigen, die noch Busse fahren konnten, zusehends unerträglich. An jeder Haltestelle warteten zahlreiche aufgebrachte Fahrgäste darauf, in die ohnehin überfüllten Busse zu steigen. Der Frust hierüber wurde nicht selten an den Fahrern ausgelassen.

Der Streik der Busfahrer ist insofern keine Antwort auf die arrogante Haltung des Finanzsenators, der in den vergangenen Wochen immer wieder Absprachen und Vereinbarungen, die Verdi mit dem Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) getroffen hat, platzen ließ, sondern eine Reaktion auf den Unmut der Busfahrer, die die Zermürbungstaktik Verdis nicht mehr hinnehmen wollen. Seit die Gewerkschaft im März diesen Jahres einen unbefristeten Vollstreik bei der BVG nach zwölf Tagen ohne Entgegenkommen der Arbeitgeber abgebrochen und in den Lohnforderungen deutlich nachgegeben hatte, sind die Verdi-Verhandlungsführer Schritt für Schritt zurückgewichen.

Am 4. April einigten sie sich mit den Kommunalen Arbeitgebern auf eine Lohnerhöhung über die nächsten zwei Jahre in einem Gesamtvolumen von insgesamt 25,8 Millionen Euro. Sarrazin lehnte dieses Ergebnis im Nachhinein ab, weil es leicht über den von ihm zugestandenen 25 Millionen Euro lag. Mittlerweile fordert Verdi nur noch rund 23 Millionen Euro, doch der Finanzminister weigert sich weiterhin, darauf einzugehen und erwartet eine erneute Senkung der Forderung.

Während der Verhandlungen hat Verdi nur die Werkstätten streiken lassen - und das nicht einmal durchgängig. Weil der Fahrbetrieb auf Kosten der Fahrer aufrechterhalten wurde, entstanden dem Betrieb kaum Verluste, wohl aber Gewinne aus den eingesparten Löhnen. Verdi ist weit davon entfernt, die Interessen der Beschäftigten zu verteidigen und den Streik konsequent auszuweiten. Die Gewerkschaft sieht ihre Aufgabe vielmehr darin, den Arbeitern magere Lohnzuwächse nach Jahren der Kürzungen zu verkaufen.

Doch Verdi hat immer größere Schwierigkeiten, diese Aufgabe zu erfüllen. Auf den Betriebshöfen braut sich Opposition gegen die Verhandlungsführung zusammen. Schon am 10. April hatten die Straßenbahnfahrer ihrem Unmut Luft gemacht und für mehrere Stunden spontan die Arbeit niedergelegt. Die BVG-Geschäftsleitung erwirkte daraufhin vor Gericht eine Einstweilige Verfügung, um spontane Streikaktionen zu verbieten, und verlangte eine mindestens 24-stündige Vorankündigung. Doch das Landesarbeitsgericht hob diese Entscheidung wieder auf und erklärte spontane Streikaktionen - nach Ablauf der Friedenspflicht - für rechtens.

Am 24. April besetzten streikende BVG-Arbeiter vorübergehend alle sechs Omnibusbetriebshöfe der Stadt und verriegelten die Tore. Die vom Linieneinsatz zurückkehrenden Busse mussten daraufhin auf den Straßen abgestellt werden. Das führte innerhalb kürzester Zeit zu massiven Verkehrsblockaden. Verdi-Funktionäre eilten in die Betriebshöfe, um die aufgebrachten Arbeiter zu beruhigen.

Angesichts der zunehmenden Kritik an der Kompromissbereitschaft der Gewerkschaft hat Verdi eine vollständige Nachrichtensperre verhängt. Nicht nur, dass sich die Arbeiter und selbst die lokalen Streikführer aus der Presse über die neuesten Verhandlungsergebnisse informieren müssen, die Gewerkschaft hat die Mitarbeiter auch massiv unter Druck gesetzt, sich keinesfalls gegenüber der Presse zu äußern. Jede Position gegen Verdi sei eine Position gegen den Streik, wurde den Busfahrern eingebläut. Eine Verdi-Funktionärin versuchte WSWS-Reporter sogar daran zu hindern, am Streikposten Gespräche mit den Arbeitern zu führen.

Kam man mit den Arbeitern dennoch ein wenig ins Gespräch, zeigte sich rasch die große Opposition gegen die Streikführung. Heinz Herwig, ein 53-jähriger Altbeschäftigter der BVG-Tochterfirma Berlin Transport (BT), hält die Streiktaktik von Verdi für "eine Eierei". "Man hätte den Streik nicht aussetzen dürfen. Hoffentlich wird der Streik jetzt durchgehalten." Er kann sich nicht erklären, weshalb Verdi eine so ineffektive Taktik fährt. Ein junger Kollege erklärt, dass er sich nicht äußern wolle. "Hier denken alle, dass der Streik zu lasch geführt wird. Dazu muss ich gar nichts mehr sagen."

W. L., ein 48-jähriger Busfahrer der BT, sagte gegenüber der WSWS, dass er an Ostern eine Mail an Verdi geschrieben habe, in der er vor einem Abbruch des Streiks und einem Entgegenkommen in der Lohnforderung gewarnt habe. "Die haben mir nicht geantwortet," sagte er "Ich hätte auch dem Papst schreiben können, da hätte ich bessere Chancen auf eine Antwort gehabt. Als wir vor dem SEZ für unsere Forderungen demonstrierten, wollten die Kollegen vor das Rote Rathaus ziehen. Aber die Organisatoren haben uns nur vertröstet."

W. L. sieht den Streik in einem größeren Zusammenhang. "Das Problem ist doch, dass die Wirtschaft die Politik bestimmt. Die Politiker sind überhaupt nicht an den Bedürfnissen der Menschen interessiert. Firmen wie Siemens bestimmen, wo es lang geht. Wenn ich dann höre, dass das Parlament bei horrender Inflation über eine einprozentige Rentenerhöhung diskutiert, bin ich nur noch fassungslos. Ich selbst lebe seit der Umstellung auf den TVN dicht an der Hartz-4-Grenze." Den Gewerkschaften traut er immer weniger zu, sich für die Interessen der Arbeiter einzusetzen. "Die sind eng mit der Politik verwachsen, und eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus."

Ein anderer Busfahrer plädiert für eine politische Ausweitung des Streiks: "Das Geld ist doch eigentlich vorhanden, es wird nur für Krieg und Expansionen ausgegeben. Der Streik sollte ausgedehnt werden - auch auf ganz andere Bereiche. Es gibt so viele Arbeiter, denen es genauso geht wie uns."

Viele BVG-Arbeiter suchen nach Alternativen zu Verdi. Sie sehen zwar, dass die Gewerkschaft nicht ihre Interessen vertritt, wissen aber nicht, was sie tun können. "Ich habe nur einen Zweijahresvertrag" sagt W. L.. "Ich kann mir hier nichts erlauben ohne meinen Job zu riskieren. Auch die Verbindung zu Kollegen wird immer schwieriger. Die Vereinzelung wird betriebspolitisch gefördert. Wir haben kaum noch gemeinsame Pausen oder andere Zeiten, in denen wir uns austauschen oder kennen lernen könnten."

Eine ganze Reihe BVG-Beschäftigter ist aus Frust über Verdi in die GDL eingetreten. Viele Arbeiter sehen die Lokführergewerkschaft, die als erste aus dem Tarifkartell der DGB-Gewerkschaften ausgebrochen ist, als Alternative zu Verdi. Der Bezirksvorsitzende der GDL für Berlin-Sachsen-Brandenburg, Hans-Joachim Kernchen, sagte gegenüber der WSWS, dass schon mehr als 500 BVG-Fahrer in die GDL eingetreten seien. Davon sei die überwältigende Mehrheit schon vor einigen Jahren aus Verdi, beziehungsweise deren Vorgängerorganisation ÖTV ausgetreten und jetzt neu in eine Gewerkschaft eingetreten.

Kernchen führt dies auf die Politik von Verdi zurück: "Ich habe als GDL-Mitarbeiter schon so Manches an Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, in diesem Fall Transnet, erlebt, aber was hier in Berlin stattfindet, ist unvergleichlich krasser." Es würden Streiklokale von der BVG finanziert, Streiktaktiken abgesprochen und gemeinsame Entscheidungen gefällt.

Doch Kernchen lehnt eine Ausweitung des Streiks ab. "Es war ein Fehler, gleich in die Vollen zu gehen und mit einem unbefristeten Vollstreik zu beginnen. Man hätte die Klaviatur des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin virtuos spielen können. Stattdessen hat sich Verdi jeden Spielraum mit dem Vollstreik verbaut."

Hier zeigt sich die beschränkte gewerkschaftliche Perspektive der GDL, die schon im Lokführerstreik in eine Niederlage gemündet hat. Auch die GDL-Funktionäre sind nicht bereit, die Streikwelle der vergangenen Monate als das zu sehen, was sie ist: eine politische Bewegung. Sie verbreiten die Auffassung, dass eine andere gewerkschaftliche Taktik die Probleme lösen würde, vor denen Millionen Arbeiter heute stehen.

Die BVG-Beschäftigten stehen vor der Aufgabe, ihrer Opposition gegen die Gewerkschaft eine Stimme zu geben und die Vereinzelung zu durchbrechen. Die politischen Zusammenhänge, in denen der Streik steht, müssen diskutiert werden. Es ist bekannt, dass die große Mehrheit der Verdi-Funktionäre Mitglieder der SPD und der Linkspartei sind und sich systematisch weigern, einen konsequenten Kampf gegen den rot-roten Senat zu führen. Um den Streik nicht länger Verdi zu überlassen, sondern selbst in die Hand zu nehmen, muss die opportunistische Politik der Sozialpartnerschaft bekämpft und eine sozialistische Perspektive verfolgt werden.

Die WSWS bietet deshalb allen BVG-Arbeitern an, mit der Redaktion Kontakt aufzunehmen, um Diskussions- und Vernetzungstreffen zu organisieren. Meldet Euch unter wsws@gleichheit.de.

Siehe auch:
Verdi blockiert Streik der BVG-Beschäftigten gegen rot-roten Senat in Berlin
(26. April 2006)
Verdi reduziert den Streik und bietet faulen Kompromiss an
( 18. März 2008)
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