Der ANC läßt die Gerechtigkeit zur Farce verkommen

Zum Abschlußbericht von Südafrikas Wahrheitskommission

Die Ergebnisse der Wahrheitskommission - ihr vollständiger Name ist "Wahrheits- und Versöhnungskommission" - über Menschenrechtsverletzungen werden den Apartheid-Opfern Südafrikas keine Genugtuung verschaffen. Die Wahrheit ist, daß es keine Versöhnung geben wird, weil Südafrika auch nach Abschaffung der Apartheid unter einem dünnen demokratischen Firnis immer noch von erschreckender Armut und Ungleichheit geprägt ist.

Die ANC-Regierung hatte, als sie 1994 an die Regierung kam, diese Kommission unter Vorsitz von Erzbischof Desmond Tutu vorgeschlagen. Nach zweieinhalb Jahren der Anhörungen wurde nun das 3.500-Seiten starke Dokument vorgelegt, das Berichte von ca. 21.000 Zeugen und Informationen aus 7.000 Amnestie-Anträgen beinhaltet. Es enthält detaillierte Berichte über die Grausamkeit des Apartheid-Regimes und stellt fest, daß die Apartheid ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellte. Das vormals herrschende weiße Regime und sein Staatsapparat werden für schuldig befunden, die meisten der Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben und dabei von großen Konzernen wie Anglo-American, der Rembrandt-Gruppe, der Sanlam-Versicherungsgesellschaft und "Hunderten, wenn nicht Tausenden anderer" unterstützt worden zu sein. Darüber hinaus werden die Gerichte, die Kirche und die Medien beschuldigt, Beihilfe zur Aufrechterhaltung der Apartheid geleistet zu haben.

Es wird kaum überraschen, daß die Nationale Partei, welche die Apartheid einführte und Südafrika von 1948 bis 1994 regierte, die Ergebnisse der Kommission als "Schund" bezeichnete, der "keine Glaubwürdigkeit" verdiene. General Constand Viljoen, der frühere Chef der südafrikanischen Streitkräfte, drohte zu klagen, nachdem er beschuldigt worden war, grobe Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Er äußerte sich verächtlich über die Mitglieder der Kommission als "einen Haufen Zivilisten", von denen "90 Prozent... den ANC unterstützen".

Die Zulu-geführte Inkatha Freiheitspartei beschrieb die Kommission als "eine Einrichtung, die man am besten als Zirkus bezeichnen könnte", und erklärte, die Kritik an ihrem Führer Mangosuthu Buthelezi wegen seiner Rolle im blutigen Krieg gegen den ANC sei "lächerlich und ein Schlag gegen Versöhnung und nationalen Aufbau".

Die anti-Apartheid Befreiungsbewegungen, darunter auch der herrschende African National Congress (ANC), werden jedoch ebenfalls für schuldig befunden, während ihres Kampfs gegen die Apartheid Menschenrechte verletzt zu haben. Dies provozierte einen erfolglosen Versuch des ANC, den Bericht zu unterdrücken.

Schließlich appellierte der Präsident Nelson Mandela an alle Südafrikaner, "den Bericht so zu akzeptieren, wie er ist, mit all seinen Unzulänglichkeiten, als eine Hilfe der Wahrheitskommission, die zur Versöhnung und zum Aufbau unserer Nation beiträgt".

Der Bericht der Wahrheitskommission ist ungeachtet der Absichten seiner Autoren mehr als eine Verurteilung der Apartheid. Er bestätigt, daß der ANC eine Abrechnung der südafrikanischen Arbeiterklasse mit ihren Unterdrückern gezielt verhindert hat. Damit wurde es auch unmöglich, die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen durchzusetzen, die die Voraussetzung für wirkliche Gleichheit wären.

Wie bei vergleichbaren Übergängen zur bürgerlichen Demokratie - zum Beispiel in lateinamerikanischen Ländern wie Chile oder im früher faschistischen Spanien - wurde nicht ein einziger zentraler Machthaber, der für die Massenrepression verantwortlich war, vor Gericht gestellt. Nur ein einziger Regierungsminister der Apartheid-Zeit stellte einen Antrag auf Amnestie für seine Verbrechen. Alle anderen beschuldigten ihre Untergebenen für alles, was stattgefunden hatte.

Einige weniger hohe Offiziere legten ein Geständnis ab, gemordet und gefoltert zu haben, weil sie dann mit einer Amnestie rechnen konnten. Mitglieder des staatlichen Sicherheitsrates - das innere Kabinett, das Südafrika in den 80er und frühen 90er Jahren de facto regierte - gaben vor, sie hätten von nichts gewußt und seien für nichts verantwortlich.

Der frühere stellvertretende Polizeichef General Coetzee versuchte der Wahrheitskommission weiszumachen, wenn Angehörige seiner Truppe den Befehl erhielten, Regimegegner "zu eliminieren", "zu neutralisieren", "auszulöschen" oder "für immer aus der Gesellschaft zu entfernen", dann habe das nicht bedeutet, daß sie sie umbringen sollten. Der frühere Minister für Recht und Ordnung Adriaan Vlok erklärte, er entschuldige sich für den Ausdruck "Eliminierung", denn "als Ergebnis dieses Mißverständnisses kamen Menschen tatsächlich zu Tode".

Der letzte Präsident unter geltender Apartheid, F.W. de Klerk, leugnete jede Kenntnis der Sicherheitsoperationen, während der frühere Außenminister Pik Botha behauptete, "Eliminierung" bedeute Inhaftierung ohne Prozeß. P.W. Botha, Premierminister von 1978 bis 1984 und Präsident von 1984 bis 1989, weigerte sich schlicht, zu einer Anhörung zu erscheinen. Stellen im Bericht, die eine Verbindung von De Klerk zu Bombenanschlägen auf Anti-Apartheid-Büros und den COSATU (südafrikanischer Gewerkschaftsverband) nachwiesen, wurden geschwärzt, nachdem er mit juristischen Schritten gedroht hatte.

Nichts wird Konsequenzen haben, nicht einmal für jene, die von der Wahrheitskommission ausdrücklich beschuldigt wurden. Wie der Bericht erklärt, hatten einige gefordert "Personen, denen Menschenrechtsverletzungen nachgewiesen worden sind, sollten geächtet oder aus öffentlichen Stellungen entfernt werden". Aber die Kommission "sei zu dem Schluß gekommen, dieser Schritt sei nicht zu empfehlen". Die Wahrheitskommission weist auch darauf hin, daß es dem Geheimdienst, in dessen Reihen immer noch Personal aus der Apartheid-Zeit zu finden ist, noch bis 1996 möglich war, Dokumente zu vernichten.

Die Farce fand ihren Anfang, als die ANC-Regierung dem versöhnlichen Modus zustimmte, unter dem die Kommission arbeiten sollte. Der Charakter der Kommission war das Ergebnis eines Kuhhandels, den der ANC schon mehrere Jahre vor seinem Wahlsieg 1994 mit der Nationalen Partei schloß. Es stimmt, was im Bericht der Wahrheitskommission steht, daß die zunehmend brutale Anwendung der Apartheid in erster Linie auf die Angst vor einer sozialen Revolution in Afrika (was man gemeinhin die "kommunistische Gefahr" nannte) zurückzuführen war. Aber das trifft auch auf die Beendigung der Apartheid zu. Mit einer wachsenden Massenbewegung gegen ihre Herrschaft konfrontiert, sah sich die südafrikanische Bourgeoisie gezwungen, den ANC in die Regierungsverantwortung einzubinden. De Klerk erhielt den Auftrag, dies auszuführen.

Der ANC, der von den Stalinisten der Südafrikanischen Kommunistischen Partei kontrolliert wird, schmückte sich mit sozialistischen Phrasen, um die Unterstützung der Arbeiterklasse zu gewinnen. Aber er repräsentiert die Interessen der schwarzen und "farbigen" Mittelklasse, der die Apartheid jede Aussicht auf sozialen Aufstieg verwehrte. Die "Versöhnung", auf die sich ihre Führer einließen, enthielt die Verpflichtung, das Profitsystem zu akzeptieren und die sozialen und politischen Ambitionen der Arbeiter und Bauern zu vereiteln.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale schrieb 1994 in seiner Erklärung "In wessen Interesse wird der ANC regieren?": "Die Kapitalistenklasse sah sich gezwungen, die Form, aber nicht den Inhalt ihrer Herrschaft in Südafrika zu ändern, wenn sie die Gefahr einer sozialen Revolution bannen wollte. ... Der ANC hat die Aufgabe übernommen, die Ausbeutung und politische Repression der südafrikanischen Massen zu organisieren, in deren Namen er doch zu sprechen vorgibt. Er folgt darin einem ausgetretenen Pfad, den schon viele Bewegungen auf der ganzen Welt - von der PLO bis zu den Sandinistas - vor ihm beschritten haben, die ebenfalls behauptet hatten, der Sache der ,nationalen Befreiung‘ zu dienen."

Die Wahrheitskommission wurde ins Leben gerufen, um den Zorn der Bevölkerung und die Forderungen nach Gerechtigkeit für Zehntausende unter der Apartheid ermordete und gefolterte schwarze Arbeiter und Jugendlicher aufzufangen. Der ANC versprach Politikern und Unternehmern, die das Apartheid-System unterstützt hatten, daß sie nicht verfolgt würden. Alle, die Verbrechen gestehen würden, die im Namen der Regierung oder einer bekannten Partei aus politischen Gründen begangen wurden, konnten mit Amnestie rechnen, vorausgesetzt, sie legten ein umfassendes Geständnis ab. Die Kommission wurde außerdem beauftragt, alle Vergehen sämtlicher Parteien von 1960 bis 1993 zu untersuchen, was die Verantwortung des herrschenden Regimes stark relativierte.

Tutu wurde zum Vorsitzenden ernannt, weil er gegen die gewaltsame Überwindung der Apartheid war. Er spielte eine entscheidende Rolle in den Verhandlungen zwischen dem ANC und der Nationalen Partei für einen friedlichen Übergang zur Herrschaft der Mehrheit. Seine Einleitung zum Bericht macht klar, daß die Politik des ANC in erster Linie darauf abzielte, eine Revolution zu verhindern. Er schreibt: "Wäre es nicht zum Wunder einer Verhandlungslösung gekommen, wären wir in einem Blutbad untergegangen, wie es buchstäblich jedermann als unausweichliches Schicksal Südafrikas vorausgesagt hatte."

Er erklärt, die von ihm und dem ANC befürwortete Verhandlungslösung sei ein Weg zu "nationaler Einheit durch Wahrheit und Versöhnung ... zu einer neuen und demokratischen Verteilung, geprägt von einer Kultur des Respekts vor dem Menschenrecht". Diese Erklärung klingt hohl, auch aus dem Munde eines Tutu. Er zählt die schrecklichen Grausamkeiten auf, die vom südafrikanischen Staat begangen wurden - das Massaker von Sharpeville, die Morde in Langa und Soweto. Er schreibt: "Können wir uns den Zorn vorstellen, den die Enthüllung auslöste, daß die frühere Regierung ein Programm von chemischen und biologischen Waffen verfolgte, das sich nur gegen Schwarze richtete, und angeblich versuchte, Nelson Mandela zu vergiften und die Fruchtbarkeit schwarzer Frauen zu reduzieren. Wie sollte unser Land nicht vom Zorn der Schwarzen überwältigt werden."

Die Rolle Tutus und des ANC bestand gerade darin, eine solche Abrechnung schwarzer Arbeiter mit ihren Unterdrückern zu verhindern und sicherzustellen, daß Täter und Nutznießer der Apartheid das Ruder in den Händen behalten. Er schreibt: "Es gab jene, die glaubten, daß wir dem Beispiel aus dem Zweiten Weltkrieg folgen und wie die Alliierten in Nürnberg all denen den Prozeß machen sollten, die sich grober Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hatten." Aber: "Es besteht kein Zweifel daran, daß führende Mitglieder der Sicherheitsorgane das Abkommen boykottiert hätten, wenn sie hätten befürchten müssen, wegen ihrer Beteiligung an früheren Verbrechen vor Gericht gestellt zu werden. Es wäre auch kontraproduktiv gewesen, jahrelange Anhörungen zu veranstalten über Ereignisse, die ihrem ganzen Wesen nach sehr starke Emotionen wecken mußten. Es hätte das Gemeinwesen massiv und viel zu lange erschüttert."

So blieben nicht nur die staatlichen Unterdrückungsinstrumente intakt, sondern, was noch mehr zählt, auch das System wirtschaftlicher Ausbeutung, worauf sie sich gründeten, blieb erhalten.

An einer Stelle beschwert sich Tutu: "Die meisten Opfer waren Schwarze, und ich wurde sehr traurig, als offensichtlich wurde, welcher Ungeist bei einem Teil der weißen Führung vorherrschte. Sie müßten eigentlich sagen: ,Wie glücklich sind wir doch, daß diese Leute uns nicht so behandeln wollen, wie wir sie behandelt haben. Wie gut, daß die Dinge im Wesentlichen für uns gleich geblieben sind, bis auf das Stück politischer Macht, das wir eingebüßt haben‘."

Die Dinge sind in der Tat im Wesentlichen gleich geblieben. Immer noch kontrollieren Weiße - 14 Prozent der Bevölkerung - den größten Teil des Landes und des Reichtums und haben ein durchschnittlich zehnfach höheres Einkommen als die Schwarzen. Nur eine dünne Schicht schwarzer Geschäftsleute und Politiker hat von der Herrschaft des ANC profitiert. Darunter sind auch die Mitglieder der Wahrheitskommission zu finden.

Tutu schreibt mit Stolz, wie er von führenden Repräsentanten der imperialistischen Mächte dabei unterstützt wurde, ihre Interessen in Südafrika zu wahren. "Fast alle ausländischen Staatschefs, die dieses Land besuchten, wollten die Kommission sehen. Die Königspaare von Norwegen, Schweden und Dänemark besuchten uns, die Präsidenten von Deutschland, Portugal, Frankreich und erst vor kurzem aus der Schweiz trafen sich mit dem Kommissions-Vorsitzenden, ja sogar die First Lady der Vereinigten Staaten und der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Herr Kofi Annan. ... Einige von uns erhielten die höchsten Auszeichnungen dieser Länder; andere einen Ehrendoktortitel, und einige meiner Kollegen sind von der Kommission in hohe Ämter aufgestiegen."

Im Gegensatz dazu haben sich die wirtschaftlichen Verhältnisse schwarzer Arbeiter seit 1994 verschlimmert. Die Arbeitslosigkeit steht nach offiziellen Zahlen bei vier Millionen - sie ist wieder auf das Niveau von 1981 gestiegen. 38 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung sind ohne Arbeit. Diese arbeitsfähige Bevölkerung nimmt jedes Jahr um 350.000 Menschen zu. Die Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst werden reduziert, besonders im Bereich der Bildung und des Ministeriums für öffentliche Arbeiten. Die 1994 versprochenen Programme zur Lösung der akuten Wohnungsprobleme sind auf der Strecke geblieben. Das Schulwesen kann man nur einen nationalen Skandal nennen: Eine von vier Schulen hat kein Wasser und über die Hälfte keinen Strom.

Die Opposition unter Arbeitern hat zugenommen. Besorgte COSATU-Gewerkschaftsfunktionäre berichteten von "kräftigen und langen Streiks. Es sieht nicht gut aus für gute Arbeitsbeziehungen." Im Angesicht solch steigender sozialer Spannungen ist die vom ANC angestrebte Versöhnung zwischen der herrschenden Elite und den südafrikanischen Massen schlechthin unmöglich.

Der Bericht der Wahrheitskommission ruft dazu auf, "den unerträglichen Graben zwischen den Bevorzugten und den Benachteiligten zu schließen" und dafür zu sorgen, daß Wohnungen, sauberes Trinkwasser und Arbeitsplätze vorhanden seien. Aber sein Programm zur "Stärkung der Armen" geht nicht über die vage Forderung nach einer Vermögenssteuer für Südafrikas herrschende Elite, einer Abgabepflicht für Konzerngewinne, die einem Prozent des Kapitalwerts des jeweiligen Unternehmens an der Börse entspricht, und einer Abgabe auf überdurchschnittliche Abfindungen für ehemals hohe Staatsbedienstete hinaus. Selbst wenn solche Maßnahmen in die Praxis umgesetzt würden, würden sie das schwere Los der südafrikanischen Massen kaum erleichtern.

Der Bericht der Wahrheitskommission konnte dem Mandat, das seinem Namen entspricht ("Wahrheit und Versöhnung"), nicht gerecht werden, weil er ein System akzeptiert und verteidigt, das auf Repression und Lügen basiert. Um wirkliche Demokratie in Südafrika zu schaffen, muß sich die Arbeiterklasse vom Profitsystem befreien. Der afrikanische Kontinent muß von imperialistischer Herrschaft befreit werden, er muß die Kontrolle einer reichen Minderheit und deren Interessenvertreter, wie des ANC, abschütteln.

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