Fußball-WM 2006 - ein Milliardengeschäft

Zwei Wochen vor Beginn der 18. Fußball-Weltmeisterschaft ist das offizielle Leben in Deutschland von einer beispiellosen WM-Gigantomanie ergriffen. Kein Stadtzentrum, Bahnhof oder öffentlicher Platz, kein Schaufenster, keine Zeitung, kein Fernsehsender und kaum eine Sendung, geschweige denn irgendeine Werbung scheint noch ohne den obligaten Hinweis auf die bevorstehenden Spiele, ohne Fußbälle und Tornetze, Fahnen und jubelnde Fans auszukommen.

Das eigentliche Sportereignis - 64 Fußballspiele in zwölf verschiedenen Stadien, in denen 32 nationale Mannschaften gegeneinander um die Weltmeisterschaft spielen - tritt neben der allgegenwärtigen Werbeorgie und Kommerzialisierung in den Hintergrund.

Die WM2006 ist ein Milliardengeschäft, bei dem allein der Verkauf von Fernsehübertragungsrechten mehr als eine Milliarde Euro einbringt. Über 400 Millionen Euro bringt der Verkauf der Vermarktungsrechte an die Sponsoren ein, das ist etwa doppelt so viel, wie vom Kartenverkauf erwartet wird.

Was früher einmal als Schleichwerbung verpönt war - Hinweise auf und Erwähnung von kommerziellen Artikeln in Fernsehunterhaltungssendungen - ist offenbar zum Hauptzweck geworden. Die offiziellen Sponsoren greifen tief in die Tasche, um sich mittels weltweiter TV-Präsenz während der Spiele den globalen Werbeeffekt zu sichern.

Die FIFA (Fédération Internationale de Football Association - Weltfußballverband) rechnet außerdem damit, dass Fanartikel im Wert von zwei Milliarden Euro vertrieben werden, ein Viertel mehr als bei der WM 2002, wovon sie selbst fünfzehn bis zwanzig Prozent in die eigene Tasche steckt. Die FIFA zahlt in der Schweiz einen Steuersatz von 4,25 Prozent, da sie als nicht-profitorientierter Verband eingetragen ist. FIFA-Präsident ist Sepp Blatter, der die Korruptionsgerüchte um seinen Aufstieg an die Verbandsspitze nie wirklich ausräumen konnte.

Es gibt fünfzehn offizielle Sponsoren, die sich mit den Millionenbeträgen an die FIFA das exklusive Recht erkaufen, die Weltmeisterschaft zu vermarkten. Für dieses Recht zog die FIFA in Deutschland bis vor das Bundesgericht, um den Begriff "Fußball-WM 2006" als geschützt eintragen zu lassen. "Es ist ungefähr so, als würde sich BMW den Begriff ‚Autofahren’ patentieren lassen", kommentierte die Süddeutsche Zeitung.

Als offizielle Sponsoren fungieren: Adidas, CocaCola, MacDonald, Yahoo, American Express, Anheuser-Busch, Avaya, Deutsche Telecom, Continental, Toshiba, Philips, Hyundai, MasterCard, Fujifilm, Fly-Emirates und Gillette. Hinzu kommen noch sechs nationale Förderer, wozu auch Die Bahn AG und die Postbank gehören.

Die FIFA bietet den Sponsoren nicht nur die exklusive Nutzung der WM-Symbole, sondern auch Freikartenkontingente, Nutzung der VIP-Logen in den Stadien, erste Berücksichtigung bei Neuverträgen. Die Firma Adidas zum Beispiel, der offizielle Ausrüster, der die WM2006 mit Sportbekleidung und Bällen versorgt, hat auch den Zuschlag für die Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika und für 2014 in Lateinamerika in der Tasche. Der Vertrag von CocaCola mit der FIFA läuft über ein Vierteljahrhundert.

Die Sonderrechte der Sponsoren haben bereits im Vorfeld der Weltmeisterschaft eine wichtige Rolle gespielt: Zum Beispiel mussten alle zwölf WM-Stadien von Grund auf renoviert werden. In jedem Stadion wurde ein Kranz von VIP-Logen für die Prominenz eingebaut. Die lokalen Fußballfans und traditionellen Vereinsmitglieder kennen oft "ihr" Stadion kaum mehr wieder.

Viele Stadien haben ohnehin ihre traditionellen Namen schon gegen Geld abgelegt. Auf Schalke in Gelsenkirchen heißt jetzt Veltlins-Arena, das Frankfurter Waldstadion Commerzbank-Arena, das Hamburger Stadion AOL-Arena und das Frankenstadion Nürnberg easyCredit-Arena. Weil die neuen Geld- und Namensgeber jedoch keine offiziellen WM-Sponsoren sind, wechseln die Namen während der WM noch einmal zu "WM-Stadion Frankfurt", "WM-Stadion Gelsenkirchen" etc., und die Stadien müssen ihre neuen Namensschriftzüge vom Gebäude entfernen.

Was die lokalen Fußballfans davon halten, hat natürlich niemanden interessiert. Diese haben während der Weltmeisterschaft kaum noch Zugang zum Stadion. Obwohl der Bevölkerung auf Schritt und Tritt suggeriert wird, dies sei ein Ereignis von größter Bedeutung, an dem man unbedingt teilnehmen müsse, ist es mit ungewöhnlichen Kosten und Mühen verbunden, an Tickets heranzukommen. Nur ein Drittel der Zuschauerplätze ist über den freien Verkauf im Internet zu buchen.

Diese Tickets musste man schon lange vorher bestellen und dabei seine Personalien angeben. Ein Losverfahren entscheidet darüber, wer zum Zuge kommt und welches Spiel in welcher Stadt man schließlich, wenn überhaupt, sehen darf. Wer eine Karte geschenkt bekommt oder von Dritten für teures Geld kauft, läuft Gefahr, bei den Zugangskontrollen zum Stadion abgewiesen zu werden. Erst nach vielen Beschwerden wurde überhaupt die Möglichkeit eingerichtet, schon gekaufte Tickets wieder abzugeben oder umzutauschen.

Für die vielen, die kein Ticket bekommen haben, werden nun in jeder größeren Stadt Fanmeilen mit Großleinwänden eingerichtet. In Berlin lässt Adidas vor dem Berliner Reichstag ein Mini-Olympiastadion für 10.000 Zuschauer aufbauen, in dem die Spiele auf der Leinwand zu sehen sein werden. Darum herum wird ein 40.000 Quadratmeter großer Fußballpark, die "Adidas World of Football", eröffnet - ausgerechnet auf dem Feld, auf dem es Amateurkickern bisher verboten war, Fußball zu spielen. Daran schließt sich eine so genannte Fanmeile durch das Berliner Zentrum an.

In München, wo am 9. Juni das Eröffnungsspiel stattfinden soll, wurde an der Neuen Messe für die Fernsehgesellschaften eine ganze Medienstadt mit Satellitenfarm und über 2.000 Beschäftigten eingerichtet. Im Münchener Norden wurde für 340 Millionen Euro ein neues Fußballstadion, die Allianz-Arena (nach dem Hauptsponsor von Bayern-München), gebaut, die jedoch inoffiziell bereits den Spitznamen "Arroganz-Arena" trägt.

"Zu Gast bei Freunden"?

Das offizielle Motto - "Die Welt zu Gast bei Freunden" ("A time to make friends") - steht in krassem Gegensatz zu der aktuellen Wirklichkeit. Ein Deutschland, in dem Fremde als Gäste willkommen wären, ist nur ein schöner Wunschtraum.

Die Menschen, die während des Balkankriegs nach Deutschland kamen, sowie Menschen aus Afrika, Afghanistan oder dem Irak werden nach wie vor systematisch abgeschoben. So kann es vorkommen, dass in Frankfurt, Hamburg oder München nach Ende eines WM-Spiels nachts um drei Uhr wenige Kilometer vom Stadion entfernt ein Polizeikommando vom Ausländeramt in eine Wohnung eindringt, eine ganze Familie mit Kleinkindern aus dem Schlaf reißt und abschiebt, obwohl diese vielleicht seit zwanzig Jahren hier leben, die Kinder hier geboren sind und die Eltern hier arbeiten. "Zu Gast bei Freunden"?

Auch rechtsradikale Gewalttaten gegen Menschen, die, nach ihrem Äußeren zu schließen, "ausländisch" aussehen, hat zugenommen. Drei Wochen vor der Weltmeisterschaft hat der frühere Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, der dem Vorstand der antirassistischen Vereinigung "Gesicht zeigen" angehört, dunkelhäutige WM-Besucher ausdrücklich davor gewarnt, bestimmte Gegenden aufzusuchen, da dort die Bedrohung durch neonazistische Angriffe groß sei. "Es gibt kleine und mittlere Städte in Brandenburg oder anderswo, wo ich keinem, der eine andere Hautfarbe hat, raten würde, hinzugehen. Er würde sie möglicherweise lebend nicht mehr verlassen."

Seine Warnung wird vom Verfassungsschutzbericht bestätigt, der im letzten Jahr eine Zunahme der Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund um ein Viertel verzeichnet. Die jüngsten Angriffe auf einen Deutschen äthiopischer Herkunft in Potsdam und auf den Linkspartei-Abgeordneten Giyasettin Sayan in Berlin-Lichtenberg sind nur die etwas bekannteren Beispiele.

Politische Instrumentalisierung

Die Politiker und öffentlichen Sprecher haben Heye vehement widersprochen und ihn als Nestbeschmutzer beschimpft, damit kein schlechtes Licht auf das bevorstehende Großereignis fallen soll. Auch sonst legen sich die deutschen Behörden auf allen Ebenen mächtig für die Weltmeisterschaft ins Zeug. Zwar sind die öffentlichen Kassen leer, aber auf einmal ist genug Geld da, um alle Wünsche der FIFA, wie Stadionbauten und Ausbau der Infrastruktur, zu befriedigen. Was ist der Grund dafür?

Es liegt daran, dass die Fußball-WM eine wichtige politische Funktion erfüllt. Sie soll von den zahlreichen ungelösten Fragen der Gesellschaft ablenken: von der sozialen Polarisierung, den Massenentlassungen und der grassierenden Arbeitslosigkeit, vom maroden Gesundheitssystem, von Problemen an den Schulen, von Gefahren, die den Rentnern drohen, vom Skandal der Journalistenbespitzelung durch den BND und natürlich von der Debatte um den bevorstehenden Bundeswehreinsatz im Kongo.

Die Politiker hoffen auf einen Sieg der Nationalelf, damit alle aktuell drückenden Probleme im Jubel untergehen. Aber wenn auch kein Mensch heute sagen kann, wer am Ende Weltmeister sein wird, so ist doch eins jetzt schon gewiss: Die öffentliche Verschuldung wird gestiegen sein. Allein für den Umbau oder Neubau der zwölf Stadien haben die Länder und Stadienbetreiber rund 1,38 Milliarden Euro ausgegeben. Hinzu kommen die Vorbereitung der jeweiligen lokalen Infrastruktur und natürlich die Sicherheitsprävention, die den Staat mindestens eine dreistellige Millionensumme kostet.

Eine zweite wichtige politische Funktion besteht darin, dass man die Weltmeisterschaft als Begründung für die Durchsetzung all dessen benutzt, was sonst in der Bevölkerung schwer durchsetzbar wäre und auf Widerstand stoßen würde.

Besonders im Sicherheitsbereich, beim Einsatz von Polizei und Militär im öffentlichen Leben, werden zu WM-Zeiten Normen und Standards gesetzt, die bisher nicht üblich sind, und für deren Durchsetzung auch die Terror-Angst allein nicht ausreichen würde. Hunderte von Videokameras überwachen den öffentlichen Raum, und zum ersten Mal wird die Bundeswehr im Innern eingesetzt: Sie wird während der Spiele mit ihren Awacs-Aufklärungsflugzeugen den Luftraum kontrollieren.

Die Polizei wird während der Fußballspiele Urlaubssperre haben und durch 2.000 Soldaten verstärkt. 5.000 weitere, vor allem Sanitäter und Experten für atomare, bakteriologische und chemische Waffen, werden wegen der Terrorgefahr auf Abruf bereitstehen. Der einheitliche Schengener Grenzraum wird während der WM aufgehoben, damit keine Hooligans mit den Fußballtouristen einreisen. In Berlin soll bei vorbestraften Hooligans zum ersten Mal der genetische Fingerabdruck genommen werden.

Bei jedem Spiel sollen etwa 6.000 Polizisten eingesetzt werden, und über den Stadien soll eine Flugverbotszone gelten. Beim Eröffnungsspiel in München soll diese sogar auf fast 60 Kilometer Umkreis ausgeweitet werden. Die FIFA wird außerdem noch 20.000 private Sicherheitskräfte einsetzen. Das Ganze wird eine gewaltige Notstandsübung sein, deren Durchführung auch für den Staat interessant ist.

Weniger Sorgfalt wird dagegen auf die Unfallsicherheit verwendet, wie eine Studie der Stiftung Warentest im Januar 2006 bemängelt hat. In vier der zwölf Stadien - Berlin, Gelsenkirchen, Kaiserslautern und Leipzig - waren der Brandschutz und die Fluchtwege nur mangelhaft oder gar nicht auf die WM vorbereitet.

Die Vorbereitung auf die WM setzt auch im Bereich Arbeitsnormen neue Maßstäbe: Um die Termine in den Stadien und Städten halten zu können, werden bei Baufirmen Zehn- und Zwölfstundenschichten gefahren, wie auch bei privaten Sicherheitsfirmen, die außerdem niedrige Löhne zahlen. Samstag- und Sonntagarbeit wird auf einmal allgemein üblich, und die Ladenöffnungszeiten werden verlängert.

Auch hier gilt: Was im Normalfall nur schwer durchsetzbar wäre, ist im Hinblick auf die Weltmeisterschaft auf einmal "zwingend notwendig" und wird akzeptiert. Doch wer garantiert, dass nach Ende der WM alles wieder zum Alten zurückkehrt?

Teures Medienspektakel

Je näher die Weltmeisterschaft rückt, desto stärker wird sie als ein bis ins Letzte durchgeplantes, manipuliertes und sehr teures Medienspektakel wahrgenommen. Obwohl ein großer Teil der einfachen Bevölkerung für das Freizeitvergnügen Fußball nach wie vor jederzeit zu haben ist, weckt dieser "Mega Event" auch Skepsis und Misstrauen.

Umfragen in Berlin ergaben, dass sich nur jeder zweite überhaupt für die WM2006 interessiert. Außerdem ist eine aktive Teilnahme einfach sehr teuer. Viele Hotels in den WM-Städten sind bei weitem nicht ausgebucht und rechnen mit Verlusten. Sie mussten einen Großteil der Vorausbuchung der FIFA-Vermarktungsgesellschaft WCAS überlassen, die jedoch beispielsweise in Berlin 5.000 der 8.000 von ihr übernommene Zimmer Ende April ungebucht an die Hotels zurückgegeben hat. Eine ursprünglich geplante FIFA-Eröffnungsgala wurde Anfang des Jahres wieder abgesagt, weil zu wenig Karten dafür vorbestellt worden seien.

Der Hersteller des Maskottchens "Goleo VI", der oberfränkische Spielwarenhersteller Nici, hat Mitte Mai Bankrott gemacht und droht, über 500 Beschäftigte zu entlassen. Das bereits kriselnde Unternehmen hatte fünf Millionen Euro investiert, um sich mit dem WM-Geschäft gesund zu stoßen. Doch offenbar sahen die Fans keinen großen Sinn darin, sich als Schlüsselanhänger oder Riesenkuscheltier einen Goleo-Plüschlöwen zu kaufen.

Der gigantische Aufwand, der allenthalben getrieben wird, und das viele Geld, das für die paar Fußballspiele investiert wird, empfindet die Öffentlichkeit oft als abstoßend. Dabei geht es nicht nur um die Begleiterscheinungen des Sponsoring, wie zum Beispiel, dass während des Spiels in München kein Weißbier und in Frankfurt kein Apfelwein, sondern nur die Cola und das Budweiser Bier der offiziellen Sponsoren konsumiert werden dürfen.

Viel beunruhigender ist die sich langsam durchsetzende Einsicht, dass es durch die WM zu dem versprochenen Aufschwung nicht kommen wird - im Gegenteil. Die erwarteten zusätzlichen Arbeitsplätze werden sich als zumeist schlecht bezahlte, auf wenige Wochen befristete Jobs erweisen. In den Stadien wird ein großer Teil der Aufgaben von den sogenannten Volunteers, freiwilligen und unbezahlten Hilfsarbeitern, ausgeführt.

Einer der WM-Sponsoren, die Deutsche Telekom, will sogar in den kommenden Monaten über 30.000 Stellen abbauen.

Die WM wird kommen und gehen, und die Millionen Euros, die dafür aufgewendet werden, werden vor allem in die Taschen der Reichen fließen. Profitieren werden davon die beteiligten Medienfirmen und Sponsoren, die Hotels, Casinos, Nobelrestaurants, etc., aber nicht die große Masse der arbeitenden Bevölkerung, die im Wesentlichen die Kosten dafür trägt.

Siehe auch:
100 Jahre Deutscher Fußballbund
(19. Mai 2000)
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