Lange Zeit sind die restlichen tausend Beschäftigten des insolventen BenQ-Mobile-Konzerns mit Versprechungen auf eine Fortführung des Unternehmens hingehalten worden. Nun zeichnet sich eine vollständige Schließung auf Raten ab.
Insolvenzverwalter Martin Prager teilte auf einer Betriebsversammlung am Montag mit, dass im laufenden vierten Quartal BenQ Mobile statt der geplanten 400 Millionen Euro lediglich 50 Millionen Umsatz mache. Es sei daher unmöglich, bis zum Jahresende Gewinn zu erwirtschaften. Eine Übernahme mit dem Ziel, die Produktion mit einem anderen Konzept weiterzuführen, sei so in weite Ferne gerückt. Als er seinen Job bei BenQ übernommen hatte, sagte er kaltschnäuzig, "der Markt werde entscheiden, ob das reduzierte Unternehmenskonzept eine Chance hat oder nicht". Nun scheint der Markt entschieden zu haben.
Wenn bis zum 31. Dezember keine Übernahme der ehemaligen Siemens-Handysparte zustande kommt, wird der Insolvenzverwalter Martin Prager die Schließung verkünden und anschließend die Zerschlagung des insolventen Unternehmens einleiten.
Derzeit liefen zwar noch Verhandlungen mit Investoren, berichtete Prager. Die Betriebsratschefin von BenQ München, Susanne Hahlweg, sagte, Prager habe aber alle Informationen dazu sehr vage gehalten. Ein IG-Metall-Sprecher sprang bei und behauptete, er wisse von vier potenziellen Investoren.
Pressemeldungen zufolge haben vor allem Finanzinvestoren - so genannte Private Equity Fonds - Interesse an BenQ Mobile. Ein Verkauf an eine dieser globalen Finanzgesellschaften würde aber auch nichts anderes als eine Schließung auf Raten bedeuten. Private Equity Fonds grasen den Erdball ab, um aus der Zerschlagung von Unternehmen Profite zu erzielen.
Gegenüber der WSWS berichteten Beschäftigte des nordrhein-westfälischen BenQ-Werks in Kamp-Lintfort, dass die verbliebenen Kollegen derzeit auf Hochtouren arbeiten, um die bereits produzierten Handys "noch schnell zu verramschen". Wir trafen eine Gruppe von ihnen im Solidaritätszelt vor dem Werkstor.
Nach dem Insolvenzantrag im September waren von den rund 1.600 Beschäftigten 900 nach Hause geschickt worden, während der Rest weiterarbeiten konnte. Inzwischen seien 140 der zuhause ausharrenden Kollegen angerufen und wieder zur Arbeit ins Werk berufen worden.
"25.000 Handys werden jetzt jeden Tag umgebaut und nach Russland verkauft", beklagte sich Achim. Genauso wie seine Kollegen wollte er nur mit Vornamen genannt werden. "Keiner weiß, wie es weitergeht. Alle werden im Ungewissen gehalten. Was aber ist im Januar?"
Die meisten würden sich Hoffnungen machen auf eine mögliche Weiterbeschäftigung im Januar. "Die greifen nach dem letzten Strohhalm", meinte Jürgen. "Viele haben gerade gebaut und Schulden in sechsstelliger Höhe, andere haben kleine Kinder, die versorgt werden müssen." Aber das interessiere nicht. "Nur der Profit interessiert!"
Insolvenzverwalter Prager scheint die Situation der Beschäftigten gezielt auszunutzen. "Die Kollegen, die jetzt noch arbeiten, wissen nicht, was los ist", berichtete Siegfried. "Es wird nicht Klartext gesprochen, nichts wird gesagt, alle machen sich Hoffnungen, malochen zehn bis zwölf Stunden am Tag und machen Sonderschichten." "Alles nur, um die Insolvenzmasse noch teuer zu verkaufen", fügte Jürgen hinzu.
Doch das dicke Ende werde noch kommen. "Was meinst du, was passiert, wenn die wieder ins Werk geholten Kollegen das zweite Mal ihre Spinde räumen müssen?" fragt Gabi ahnend. "Dann können wir hier Stricke verteilen", prophezeit sie sichtlich berührt. Sie würde daher auf keinen Fall noch einmal ins Werk gehen. "Ich habe mich schon einmal verabschiedet, das hat mir gereicht."
Die im Solidaritäts-Zelt Versammelten vermuten, dass Prager alles "besenrein" übergeben will. Damit meinen sie, dass dann das Letzte aus Produktion und Beschäftigten herausgeholt worden ist. "Am 1. Januar gehen bestimmt alle in die Transfergesellschaft", so Jürgen. "Und dann geht die Rosinenpickerei los." Die ehemaligen Kollegen würden gegeneinander ausgespielt werden.
Dass dann irgendjemand seinen alten, über Jahre bei Siemens erworbenen Tarif oder seine Beschäftigungsjahre behält, daran glaubt keiner von ihnen.
In der Tat hat Prager darauf hingewiesen, dass es entweder einen Übergang in die Transfergesellschaft gibt und damit den Verzicht auf alle Ansprüche gegenüber Siemens - oder die Kündigung. 1.700 BenQ-Arbeiter hatten bereits kurz nach der Pleite - auf Anraten der Betriebsräte und der IG Metall - nachträglich ihrem Wechsel zum taiwanesischen BenQ-Konzern widersprochen. Sie erhofften sich davon eine Wiederanstellung bei Siemens. Die Kamp-Lintforter Betriebsratsvorsitzende Heike Deppner forderte noch vergangenen Mittwoch die Beschäftigten auf, Widersprüche gegen den Betriebsübergang einzulegen. Prager sagte, diejenigen, die ihre Widersprüche nicht zurückziehen, würden zum 1. Januar gekündigt.
"Besonders langjährige Mitarbeiter werden da jetzt in einen Gewissenskonflikt kommen", sagte die Münchener Betriebsrätin Hahlweg.
Auf Beschwerden von Beschäftigten antworteten Siemenssprecher, diese Regelung sei Teil der Vereinbarung, die man mit der Gewerkschaft geschlossen habe.
Die Transfergesellschaft PEAG
In der Tat trägt die IG Metall die Verantwortung für die jetzige Situation der BenQ-Beschäftigten. Das Vorgehen Pragers wie Siemens’ ist das direkte Ergebnis der Politik von IG Metall und Betriebsrat. Jahrelang haben sie immer neue Zugeständnisse gemacht, angeblich um die Arbeitsplätze zu sichern. Das Gegenteil war der Fall. Die Zustimmung zu Arbeitszeiterhöhungen, Lohnabbau und schließlich dem Verkauf der Siemens-Handysparte an BenQ war offensichtlich Teil eines abgekarteten Spiels, die Handy-Sparte abzuwickeln.
Um nun den verbleibenden Arbeitsplatzabbau durchzudrücken, setzen Siemens, BenQ und Gewerkschaft auf die vereinbarte Transfergesellschaft. Die angeheuerte Transfergesellschaft PEAG ist dabei Sinnbild für die enge Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaft und Konzernen beim Arbeitsplatzabbau.
Die Wurzeln der PEAG liegen in der BQV GmbH (Beschäftigungs-, Qualifizierungs- und Vermittlungsgesellschaft mbH). Sie wurde 1997 in Dortmund gegründet, als mit der Fusion der beiden Stahlkonzerne Thyssen und Krupp ein drastischer Arbeitsplatzabbau einherging. Neben der IG Metall und den Betriebsräten war die damalige sozialdemokratische Landesregierung unter Johannes Rau federführend an der Entwicklung dieses "Modells" beteiligt. Das Ziel der BQV war der Abbau von über 6.000 Stellen bei den fusionierten Konzernen, vor allem bei den inzwischen stillgelegten Dortmunder Hoesch-Stahlwerken.
Die Geschäfte der PEAG werden von einem paritätisch besetzten Beirat beaufsichtigt, der sich aus Vertretern der Gesellschafter und deren Betriebsräten zusammensetzt. Hinzu kommen Beiratsmitglieder aus dem nordrhein-westfälischen Ministerium für Wirtschaft und Arbeit sowie der IG Metall. Gesellschafter sind neben der ThyssenKrupp AG und der Stadt Dortmund inzwischen auch RWE, die Mannesmann Röhrenwerke, die Hüttenwerke Krupp Mannesmann, die Ruhrkohle AG, Karstadt und die Mittal Steel Ruhrort - das heißt Unternehmen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten mithilfe von Beschäftigungs- oder Transfergesellschaften einen massiven Arbeitsplatzabbau durchgesetzt haben.
Die PEAG spricht auf ihrer Website folgendermaßen Betriebsräte an: "Wenn in einem Unternehmen Stellen abgebaut werden müssen, sind Sie als Betriebsrat bei der Einführung und Anwendung erforderlicher Maßnahmen meist in einer schwierigen Konfliktsituation: Auf der einen Seite müssen Sie die betroffenen Mitarbeiter möglichst gut schützen. Auf der anderen Seite müssen Sie unter Inanspruchnahme Ihrer Möglichkeiten dafür Sorge tragen, dass das Unternehmen sich möglichst schnell wieder auf seine eigentlichen Aufgaben konzentrieren kann, damit die übrigen Arbeitsplätze nicht gefährdet werden. Mit dem Beschäftigtentransfer ergibt sich die Möglichkeit, einen fairen Interessenausgleich zwischen Belegschaft und Unternehmensleitung zu erwirken."
Solch ein Geschwätz stammt direkt aus der Feder der Gewerkschaften. Diese halten es für ihre Aufgabe, "dafür Sorge [zu] tragen, dass das Unternehmen sich möglichst schnell wieder auf seine eigentlichen Aufgaben konzentrieren kann", mit anderen Worten, dafür zu sorgen, dass das Unternehmen die Arbeiter schnell an die Transfergesellschaft loswird, damit es sich ungestört wieder "seiner eigentlichen Aufgabe", dem Profit, zuwenden kann.
Die Transfergesellschaft sei daher ein "fairer Interessenausgleich". Wie sieht der für die BenQ-Beschäftigten in der Wirklichkeit aus? Sie werden mit der Drohung einer Kündigung in die Transfergesellschaft gedrängt, die sich in der Vergangenheit vor allem als Verschiebebahnhof in die Arbeitslosigkeit bewährt hat. Sie verlieren alle Ansprüche gegenüber Siemens. Siemens hat damit sein Ziel erreicht und, ohne hohe Abfindungen an die langjährig Beschäftigten zahlen zu müssen, seine Handysparte abgestoßen. All dies konnte Siemens nur mit der langjährigen Unterstützung von IG Metall und Betriebsräten durchsetzen. Nun wird der letzte Akt in der PEAG eingeläutet.
Die Manager hingegen kassieren für die Ergebnisse dieser engen Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft. Erst kürzlich berichtete die Süddeutsche Zeitung, dass BenQ noch im September an eine mittlere zweistellige Zahl von Führungskräften insgesamt einen Bonus von mehreren Millionen Euro gezahlt habe. Teile der Millionenzahlungen wurden fast zeitgleich mit dem Insolvenzantrag des Unternehmens Ende September an die Manager überwiesen. Und dies obwohl die Konzernführung um Geschäftsführer Clemens Joos schon im August von der bevorstehenden Pleite gewusst hatte und daher die Staatsanwaltschaft auch wegen des Verdachts der Insolvenzverschleppung gegen Joos ermittelt. Job-Verlust für die Arbeiter, Millionen für die Manager, inzwischen ein alltäglicher Vorgang.
Auch die von Siemens wegen der BenQ-Proteste um ein Jahr verschobene Erhöhung der Vorstandsgehälter um 30 Prozent endet früher als angenommen. Die Vorstände um den Vorsitzenden Klaus Kleinfeld verzichteten in einer großen Geste auf die sofortige Erhöhung ihrer Bezüge zum 1. Oktober. Sie sollte erst ein Jahr später erfolgen. Diese Geste hat gerade einmal einen Monat vorgehalten. "Das zuständige Aufsichtsratsgremium", so die Online-Ausgabe des Focus, "hatte die Anhebung ursprünglich bereits zum 1. April 2006 beschlossen." Folglich ende der einjährige Verzicht - über den Siemens Anfang Oktober informierte - nun im selben Monat des folgenden Jahres, also im April 2007.
Um dies nicht seltsam zu finden, dazu muss man entweder Vorstandsmitglied sein - oder Betriebsratsvorsitzender. Denn das "zuständige Aufsichtsratsgremium" von Siemens ist das Präsidium des Aufsichtsrats. Es besteht aus dem Vorsitzenden Heinrich von Pierer, Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann und Siemens-Gesamtbetriebsratschef Ralf Heckmann. Er hat Vermutungen, er habe der Erhöhung der Vorstandsbezüge zugestimmt, nicht dementiert.