Am Montag hat die Bahngewerkschaft Transnet auf ihrem Gewerkschaftstag erneut den Vorsitzenden ausgewechselt. Das langjährige Vorstandsmitglied Alexander Kirchner wurde zum neuen Gewerkschaftschef gewählt.
Bereits im Mai dieses Jahres war Transnet ihr damaliger Vorsitzender Norbert Hansen abhanden gekommen. Er hatte die Seiten gewechselt. Genauer gesagt, er wurde mit einem lukrativen Vorstandsposten belohnt, wenige Tage nachdem die Große Koalition in Berlin sich auf die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG geeinigt hatte. Hansen und der Transnetvorstand waren entschiedene Befürworter des Börsengangs dieses größten noch in staatlichem Besitz befindlichen Unternehmens. Sein Gehalt als neuer Personalchef dürfte sich bei 150.000 Euro - monatlich! - bewegen.
Noch bevor Hansen seine Tätigkeit als Bahn-Personalvorstand aufnahm, gab er über die Bild -Zeitung bekannt, was die Bahner unter seiner Regentschaft zu erwarten haben: Jobabbau, Rationalisierung, Mehrarbeit. Von den Lokführern solle man in Zukunft auch verlangen, dass sie nach der Fahrt noch die Zugabteile "aufräumen oder auf einem kleinen Bahnhof mit anpacken".
Als im Mai dann Hansens Vize Lothar Krauß den Vorsitz übernahm, war absehbar, dass dieser Hansens Kurs fortführen würde. Krauß verteidigte Hansens Wechsel in den Bahnvorstand als "Bestandteil der deutschen Mitbestimmungskultur". Er halte es "für vollkommen ok" und sei stolz darauf, dass Gewerkschafter auch Verantwortung in der Funktion eines Arbeitsdirektors übernähmen.
Obwohl es in der Mitgliedschaft brodelte, 1.000 Mitglieder nach Hansens Abgang aus der Gewerkschaft austraten und erfolglose Anträge zum Ausschluss von Hansen aus Transnet gestellt wurden, setzten Krauß und der Vorstand ihren Schmusekurs mit Bahnchef Mehdorn unbekümmert fort.
Ende Oktober wurde dann bekannt, dass sich der Bahnvorstand einschließlich Hansen im Falle eines erfolgreichen Börsengangs eine so genannte "Event-Tantieme" gönnen wird. Diese Boni waren im vierköpfigen Personalausschuss des Aufsichtsrats beschlossen worden. In diesem Ausschuss saß auch Transnetchef Lothar Krauß, der brav für die Millionen-Boni stimmte. Er wurde daraufhin für den Vorstand unhaltbar, zumal er diese Tatsache wochenlang bestritten hatte.
Auch wenn der Börsengang der Bahn zunächst wegen der Finanzkrise verschoben werden musste, die Höhe der geplanten Sonderzahlungen hatte es in sich - und sie sind noch lange nicht vom Tisch. Im Prospekt für den Börsengang, der vor der Ausgabe der ersten Aktien veröffentlicht werden musste, sind die Gehälter, die jährlichen Zulagen und die Sonderhonorare für den Börsengang präzise aufgelistet. Danach könnte Bahnchef Mehdorn bis zu 1,4 Millionen Euro Sonderhonorar für den Börsengang kassieren, die anderen Vorstände kämen auf 1 bzw. 1,2 Millionen Euro.
Es gibt wenig Anlass zu glauben, der bisherige stellvertretende Vorsitzende Alexander Kirchner werde nun als Vorsitzender die "konstruktive Kooperation" mit Regierung und DB-Vorstand aufgeben. Angesichts des massiven Unmuts in der Mitgliedschaft sowohl gegenüber den Machenschaften des Transnet-Vorstands als auch gegenüber der Privatisierung der Bahn bemüht sich Kirchner allerdings um Schadensbegrenzung.
Den ersten Verlautbarungen nach will er dem zweiten Anlauf für einen Börsengang der Deutschen Bahn "nicht ohne weiteres" zustimmen. Die Bahn müsse die Investitionsmittel bekommen, die sie benötige und dürfe nicht zerschlagen werden. Diese laue Bedingung, "nicht ohne weiteres", ist so allgemein und unverbindlich, dass sie Mehdorn und Hansen wenig Kopfzerbrechen machen dürfte.
Auch die jetzt vom Transnet-Vorstand bekannt gegebene Gehaltsforderung von 10 Prozent muss in diesem Zusammenhang gesehen werden. Der langjährige Tarifexperte Kirchner erhofft durch eine relativ hohe Lohnforderung die Mitgliedschaft etwas beschwichtigen zu können.
Nicht wenige Transnet-Mitglieder sind angesichts der "Enthüllungen" über die Machenschaften des Vorstands stocksauer. Die Süddeutsche Zeitung fasst die Stimmung an der Basis folgendermaßen zusammen: "Dass er (Hansen) nun als Bahnvorstand eine Tantieme für einen Börsengang erhält, den er nicht als Personalvorstand, sondern als Gewerkschafter vorbereitet hat, erscheint vielen als der blanke Hohn. Es bestärkt den Verdacht, dass es immer nur um Geld gegangen ist’, sagt ein Transnet-Kollege."
Die Korruption und Verkommenheit von Gewerkschaftsführern ist sicherlich für sich genommen schon Grund genug, den Gewerkschaften das Vertrauen zu entziehen. Doch erklärt sie nur sehr unzureichend, warum sich in den letzten zwei Jahrzehnten sämtliche Gewerkschaften zum Co-Management der Unternehmen entwickelt haben.
Am Werdegang von Transnet lässt sich die Verwandlung der Gewerkschaften plastisch verfolgen. Sie machte sich zusammen mit den übrigen Bahngewerkschaften besonders energisch für die Umwandlung der Bahn in eine Aktiengesellschaft stark. Dies war verbunden mit ständigem, massivem Arbeitsplatzabbau. Er wurde unter dem Deckmantel von Arbeitssicherheits- oder Beschäftigungspakten durchgeführt. Rationalisierungen, verstärkte Arbeitshetze, Lohnabbau und Streckenstilllegungen haben seit der Bahnreform 1994 die Belegschaft auf 185.000 halbiert.
Beim Kampf der Lokführer im vergangenen Jahr fungierte Transnet offen als Streikbrecher-Organisation. Hansen stand Bahnchef Mehdorn mit Rat und Tat zur Seite, um den Lokführerstreik zu sabotieren. Sie bemühten sogar mehrfach die Gerichte, um den Streik per Gerichtsbeschluss verbieten zu lassen. Es gab in den Medien damals auch glaubhafte Berichte, dass Transnet insgeheim vom Unternehmen finanziert werde und somit als gelbe "Hausgewerkschaft" zu gelten habe.
Die Lokführerführergewerkschaft GDL hatte sich unter dem Druck ihrer Mitgliedschaft aus der Tarifgemeinschaft mit Transnet und GDBA gelöst und eine 30-prozentige Lohnforderung gestellt. Die in der GDL organisierten Lokführer führten darauf einen monatelangen Streik, um die schlechten Löhne anzuheben und die GDL als von der Transnet unabhängige Gewerkschaft zu etablieren. Am Ende kapitulierte die GDL-Führung, brach den Kampf an entscheidender Stelle ab und schloss schließlich ihren eigenen faulen Kompromiss mit dem Bahnvorstand.
Transnet hat seit ihrem letzten Gewerkschaftstag 2004 an die 50.000 Mitglieder verloren, es sind jetzt nur noch 230.000. Sie führt die Liste der DGB-Gewerkschaften an, die den größten Mitgliederschwund zu verzeichnen haben. Sie ist übrigens auch die einzige Gewerkschaft, in der Rentner, Arbeitslose und Hinterbliebene die Mehrheit stellen. Die Zahl der berufstätigen Mitglieder, liegt knapp unter 50 Prozent.
Die Verwandlung der Gewerkschaften ergibt sich direkt aus ihrer beschränkten Perspektive, die den Kapitalismus erhalten und nicht abschaffen will. Notwendig ist der Aufbau einer politischen Bewegung der Arbeiterklasse, die für eine sozialistische Alternative zum kapitalistischen System kämpft. Die gewerkschaftliche Politik der Klassenzusammenarbeit oder "Sozialpartnerschaft" führt heute geradewegs in die Sackgasse. Eine gewerkschaftliche Perspektive reicht nicht aus, um gegen den sich ständig verschärfenden Druck der Profitwirtschaft angesichts internationaler Finanzkrise und Globalisierung der Produktion anzukämpfen.
Die Bahnbeschäftigten - ganz gleich ob sie der GDL, der Transnet, der Beamten-Gewerkschaft GDBA oder keiner Gewerkschaft angehören - können ihren Lebensstandard und ihre Arbeitsbedingungen nur verteidigen, wenn sie mit der beschränkten gewerkschaftlichen Perspektive brechen und sich dem Aufbau einer internationalen sozialistischen Organisation zuwenden.
Genau dies lehnen die sich links oder oppositionell gebenden Gewerkschafter, die zum Teil Bestandteil oder Anhang der Linkspartei sind, strikt ab. Bezeichnend für diese opportunistische Politik ist die Reaktion der oppositionellen Gruppe "Bahn von unten". Ihr Sprecher Hans-Gerd Öfinger gibt jetzt die Losung aus: "Weglaufen ist keine Lösung". Öfinger ruft dann zum letzten Gefecht auf, wie "linke" Gewerkschafter es immer zu tun pflegen, wenn sie selbst längst resigniert haben und an ihre Grenzen gestoßen sind.
"TRANSNET hat eine Existenzberechtigung als Bahngewerkschaft im DGB und in einer einheitlichen Bahn. Es mag sein, dass eine auf kurzfristige persönliche Vorteile und Prestige bedachte Führung durch ihre Unfähigkeit zum Bruch mit dem System Hansen, zur Abkehr vom Börsenkurs und zum Neuanfang diese Existenzberechtigung über kurz oder lang gefährdet. Noch lohnt es sich aber, für eine transparente und kämpferische TRANSNET einzutreten. Noch ist keine Aktie verkauft. Wer nicht kämpft, der hat schon verloren."
In Wirklichkeit ist verloren, wer sich an die sklerotischen Apparate der Gewerkschaften klammert.