Die historischen und internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party

Teil 7

Die US-amerikanische Socialist Equality Party (SEP) hat vom 3. bis 9. August 2008 ihren Gründungskongress durchgeführt. Der Kongress diskutierte und verabschiedete ein Dokument über die "historischen und internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party", das wir hier in deutscher Übersetzung in elf Teilen veröffentlichen. Bereits in deutscher Übersetzung erschienen sind ein Bericht über den Gründungskongress und die Grundsatzerklärung der SEP, die ebenfalls vom Gründungskongress verabschiedet wurde.

Opposition in der SWP: Die Gründung des ACFI

133. Innerhalb der Socialist Workers Party wandte sich eine Minderheitstendenz unter Führung von Tim Wohlforth gegen die zunehmend opportunistische Orientierung der SWP und unterstützte die Kritik von Seiten der Socialist Labour League. Die große Stärke dieser Tendenz war ihre Einsicht, dass die politische Krise der SWP als internationales Problem verstanden werden musste. Die Auseinandersetzung innerhalb der SWP konnte daher nicht von dem Standpunkt aus geführt werden, einen taktischen Vorteil bei der Diskussion der einen oder anderen politischen Frage zu erlangen. Stattdessen war das grundlegende Ziel der Diskussion, politische und theoretische Klarheit bezüglich der zentralen Probleme der revolutionären Perspektive in der Vierten Internationale zu gewinnen. Die britische SLL riet ihren amerikanischen Unterstützern, soweit möglich Fraktionskonflikte über zweitrangige politische Differenzen und Organisationsfragen zu meiden und alles zu geben, um eine politische Klärung im SWP-Kader zu erreichen. Diese prinzipielle Herangehensweise unterschied sich deutlich von dem Vorgehen einer anderen Minderheitstendenz unter Führung von James Robertson, die ihre nationalen Fraktionsinteressen höher bewerteten als die Klärung auf internationaler Ebene.

134. Die von Wohlforth geführte Minderheit arbeitete von 1961 bis 1964 in der SWP. Auch nach dem Vereinigungskongress 1963 strebte die Minderheit weiterhin eine prinzipielle politische Diskussion innerhalb der Socialist Workers Party an. Die Ereignisse in Ceylon spitzten den Kampf in der SWP jedoch enorm zu. Die Pro-IKVI-Minderheit veröffentlichte einen Brief an die SWP-Mitgliedschaft und forderte darin eine Diskussion über die Hintergründe des Verrats der LSSP. In der Erklärung der Minderheit vom Juni 1964 heißt es:

"In der ganzen Periode von 1961 bis 1963 haben wir in politischer Übereinstimmung mit dem IKVI ständig darauf hingewiesen, dass eine Wiedervereinigung der Vierten Internationale ohne eine sehr ausführliche Diskussion vor der eigentlichen Wiedervereinigung nur zu einer Katastrophe und weiteren Desintegration der Internationale und der hiesigen Partei führen könne. Unsere Position ist auf der ganzen Linie bestätigt worden...

Es darf jetzt keine Weigerung mehr geben, sich mit der politischen, theoretischen und methodologischen Krise zu konfrontieren, die unsere Partei und den internationalen Verband, mit dem sie zurzeit in politischer Solidarität steht, zerreißt. Um das Überleben der Partei zu sichern, muss sofort in allen Zellen eine gründliche Diskussion über diese Fragen organisiert werden."[85]

135. Nach der Herausgabe dieses Briefes wurden alle neun Unterzeichner aus der Partei ausgeschlossen. Die Minderheit gründete das Amerikanische Komitee der Vierten Internationale (ACFI) und nahm die umfassenden Vorbereitungen für die Umwandlung des ACFI in eine trotzkistische Partei in Angriff, die politisch mit dem Internationalen Komitee verbunden sein sollte.

Der Dritte Kongress des IKVI

136. Nach der Wiedervereinigung musste das IKVI die Lehren aus dem Kampf gegen den Pablismus ziehen und dessen objektive Bedeutung einschätzen. Das Internationale Komitee hielt seinen Dritten Weltkongress im April 1966 ab, um die Kräfte des internationalen Trotzkismus zu konsolidieren und die Grundlage zu bereiten für den Aufbau von trotzkistischen Parteien in der ganzen Welt. Die Kongressresolution verwies auf die Widersprüche im Weltimperialismus und die Anzeichen für einen Niedergang des Nachkriegsbooms. Es heißt darin:

"Der Imperialismus befindet sich in einer wachsenden Krise. Die Entwicklung der Produktivkräfte während des und seit dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere der Bau von Atomwaffen und die Einführung der Automatisierung, treibt den Konflikt zwischen den Produktivkräften und den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen auf die Spitze. Die dadurch ausgelösten Kämpfe radikalisieren die Arbeiterjugend. Die Parteien der Vierten Internationale werden durch diese Kämpfe aufgebaut werden."

137. Die Kongressresolution betonte die objektive Rolle des pablistischen Revisionismus, ein revolutionäres Aufbegehren der Arbeiterklasse zu verhindern.

"Der Revisionismus, der die Revolution in den fortgeschrittenen Ländern, die ‘koloniale Revolution’ und die politische Revolution in den Arbeiterstaaten als getrennte Bereiche definiert, trägt maßgeblich dazu bei, die kapitalistische Dominanz über die Arbeiterbewegung und seine eigene Blockierung des Aufbaus revolutionärer Parteien zu verschleiern. Diese Form des Revisionismus findet insbesondere in der Theorie und Praxis des selbsternannten Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale Ausdruck, das ohne Diskussion theoretischer und politischer Fragen gebildet wurde. Die nächste Stufe im Aufbau der Vierten Internationale muss aber gerade mit einer äußerst ernsthaften theoretischen Diskussion in allen Sektionen über die Politik und Theorie der Bewegung in Vergangenheit und Gegenwart einhergehen."[86]

138. Das Internationale Komitee betonte die Notwendigkeit, die Entwicklung der Vierten Internationale auf die Lehren der vergangenen Kämpfe zu basieren. Es erklärte nachdrücklich, dass die Auseinandersetzung mit dem pablistischen Revisionismus ein politisch und theoretisch entscheidendes Element in der Geschichte der Vierten Internationale darstellt - und nicht eine Ablenkung von anderen, wichtigeren Aufgaben des Parteiaufbaus. Durch eben jenen nachhaltigen Kampf gegen die Revision des Marxismus kämpft die trotzkistische Bewegung gegen den ideologischen Druck, der von der Bourgeoisie ausgeübt wird, und entwickelt ihre revolutionäre Perspektive. Diesem Verständnis der historischen und politischen Bedeutung, die dem Kampf gegen den Revisionismus innewohnt, widersetzten sich zwei Tendenzen, die zum Dritten Kongress eingeladen worden waren, um herauszufinden, ob eine prinzipielle politische Zusammenarbeit möglich war - Voix Ouvrière und die Spartacist-Tendenz unter Führung von James Robertson. In beiden Fällen erwies sich eine Zusammenarbeit als unmöglich.

139. Nach Auffassung dieser Gruppen überschätzte das IVKI die Bedeutung des Pablismus und der politischen Auseinandersetzungen innerhalb der Vierten Internationale. Robertson erklärte 1966 auf der Konferenz:

"Wir bestreiten, dass die gegenwärtige Krise des Kapitalismus so scharf und tief ist, dass nur eine revisionistische Tendenz innerhalb des Trotzkismus die Arbeiter im Zaum halten kann, vergleichbar mit der Degeneration der Zweiten und Dritten Internationale. Eine derart falsche Einschätzung würde auf einer gewaltigen Überschätzung unserer gegenwärtigen Bedeutung beruhen und würde daher auch zur Desorientierung unserer Kräfte beitragen."[87]

140. In dieser Stellungnahme findet sich alles, was den Marxismus auf theoretischem und politischem Gebiet vom kleinbürgerlichen Radikalismus trennt. Im Wesentlichen leugnete Robertson die objektive gesellschaftliche und politische Bedeutung des Konflikts innerhalb der Vierten Internationale. Die Lehren aus Lenins Kampf zum Aufbau der Bolschewistischen Partei im Kampf gegen den Revisionismus und aus Trotzkis späterem Kampf gegen den Stalinismus und diverse Formen des Zentrismus wurden ignoriert. Die Auseinandersetzung mit dem Pablismus innerhalb der Vierten Internationale - die so offensichtlich mit großen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden war - wurde von Robertson als mehr oder weniger subjektiv motivierter Hickhack zwischen verschiedenen Einzelpersonen ins Lächerliche gezogen. Noch dazu kam Robertson knapp zwei Jahre nach dem Eintritt der LSSP in eine bürgerliche Koalitionsregierung zu dieser Einschätzung!

Pablismus, die Neue Linke und der Guerillakampf

141. Zur gleichen Zeit, als Robertson diese Worte äußerte, waren die Pablisten dabei, Stützen und Puffer in Stellung zu bringen, auf die sich die Bourgeoisie ebenso wie die Stalinisten in kommenden sozialen Unruhen verlassen konnten. Diese Unruhen standen im Jahre 1966 bereits vor der Tür. In den Vereinigten Staaten spielte die SWP eine zentrale Rolle dabei, die wachsende Anti-Vietnamkriegs-Bewegung der staatstreuen Demokratischen Partei unterzuordnen. In ganz Europa passten sich die pablistischen Organisationen an die Stalinisten und die kleinbürgerlichen Tendenzen der "Neuen Linken" an, die bald schon zur Zerstreuung und Desorientierung der sozialen Massenproteste von 1968 beitragen sollten. In Frankreich erleichterten die Pablisten den stalinistischen Verrat am revolutionären Aufbegehren der Arbeiterklasse im Mai/Juni 1968. Dabei hatten der "Prager Frühling" in der Tschechoslowakei 1968 und die Streikwelle in Polen deutlich gezeigt, dass sich die stalinistischen Regimes bereits in einer tödlichen Krise befanden. Die pablistischen Organisationen lenkten mit ihren Theorien von der Selbstreform der Bürokratie die Vierte Internationale davon ab, ihre Kräfte in einem unnachgiebigen Kampf gegen die stalinistischen Regimes zu konzentrieren und ihren Sturz vorzubereiten. Es stand Mitte der 1960er Jahre noch keineswegs fest, dass der Zusammenbruch des Stalinismus letztlich zur Bildung von rechten und pro-kapitalistischen Regimes in der ehemaligen UdSSR und Osteuropa führen würde. Tatsächlich waren die Kämpfe gegen die stalinistische Tyrannei im Osteuropa der 60er Jahre fortschrittlich und vom Sozialismus inspiriert. Der spätere Rückschritt in Osteuropa, der UdSSR und auch China war das Ergebnis politischer Bedingungen, die in bedeutendem Ausmaß von der falschen und reaktionären Politik der Pablisten mitgestaltet wurden.

142. Auf der Liste des pablistischen Verrats steht auch die Verherrlichung des Castrismus und Guerillakampfes, die für eine ganze Generation linker Arbeiter und Jugendlicher in Lateinamerika verheerende Konsequenzen hatte. Die politischen Katastrophen in den 1970er Jahren - in Chile, Argentinien, Bolivien und Uruguay - waren Folge der Theorien und Politik, die das pablistische Vereinigte Sekretariat vertrat. Das politische Signal für die Zurückweisung des Trotzkismus gab das Vereinigte Sekretariat mit der Glorifizierung von Ernesto "Che" Guevara, jenem argentinischen Radikalen, der - wie viele lateinamerikanische Intellektuelle seiner Zeit - das marxistische Konzept von der revolutionären Rolle der Arbeiterklasse ausdrücklich zurückwies. Die Pablisten übergingen geflissentlich die Tatsache, dass Guevara den Mörder Trotzkis, Ramon Mercader, nach seiner Freilassung aus einem mexikanischen Gefängnis im Jahre 1960 auf Kuba persönlich willkommen hieß. Sie forderten die sozialistische Jugend in Lateinamerika auf, eine Alternative zur Strategie zu finden, die sich auf die Arbeiterklasse stützte. So schrieb der bolivianische Pablist Moscoso:

"Die Guerilla-Methode der Kubaner lässt sich auf alle unterentwickelten Länder anwenden, wenn auch ihre Form entsprechend den Besonderheiten jedes Landes notwendigerweise variiert. In Ländern mit großer Bauernschaft, in denen die Landfrage ungelöst ist, wird die Guerilla ihre Stärke auf die Bauernschaft begründen; der Guerilla-Kampf wird diese Massen aktivieren und das Agrarproblem mit der Waffe in der Hand lösen, wie in Kuba, ausgehend von der Sierra Maestra, geschehen. In anderen Ländern aber wird das Proletariat und das radikalisierte Kleinbürgertum der Städte die Guerilla mit Kräften versorgen."[88]

"Kontinuität" oder "Wiederaufbau" der Vierten Internationale

143. Das IKVI und besonders die britischen Trotzkisten von der Socialist Labour League bewiesen auf dem Kongress 1966 und danach große politische Weitsicht, als sie sich gegen alle Versuche wandten, den Kampf gegen den pablistischen Revisionismus in seiner Bedeutung herabzumindern. "Zuallererst gilt es unbedingt zu verstehen, dass der Kampf gegen den Pablismus geführt wurde, um den Marxismus weiter zu entwickeln und gleichzeitig jede Errungenschaft der marxistischen Theorie aus der Vergangenheit zu verteidigen", schrieb die SLL 1967. Und weiter: "Die Konferenz des Internationalen Komitees 1966 brachte dies deutlich zum Ausdruck, als sie darauf bestand, dass das Internationale Komitee durch seinen Kampf innerhalb der Vierten Internationale die Kontinuität der Bewegung verkörpert. Gegen Voix Ouvrière und Robertson beharrten wir darauf, dass die Marxisten die Theorie der revolutionären Partei, des Bolschewismus, nur durch den Kampf gegen den Pablismus bewahrt hatten."[89]

144. Die französische Sektion der Vierten Internationale, die Organisation Communiste Internationaliste (OCI), unterstützte auf dem Kongress 1966 die Position der SLL. Doch sie vertrat die Auffassung, die Vierte Internationale müsse "wiederaufgebaut" werden. Hinter dieser zweideutigen Wortwahl - die ein bedeutendes Maß an Skepsis bezüglich der Lebendigkeit der Vierten Internationale nach dem Bruch mit dem Pablisten verriet - stand eine zentristische Entwicklung innerhalb der OCI selbst. Im Jahre 1967 erklärte die OCI, das größte Problem am Pablismus bestehe nicht in dessen Orientierung auf den Stalinismus und bürgerlichen Nationalismus sondern in seinen offen zentralistischen bürokratischen Methoden. Die OCI meinte, es müssten "flexiblere" Organisationen aufgebaut werden, die sich auf eine "Einheitsfront"-Taktik konzentrierten. Die SLL formulierte eine vorausschauende Warnung an die Parteispitze der OCI:

"Die Radikalisierung der Arbeiter in Westeuropa schreitet jetzt besonders in Frankreich schnell voran... In einem solchen Stadium der Entwicklung besteht immer die Gefahr, dass eine revolutionäre Partei auf die Situation in der Arbeiterklasse nicht in revolutionärer Weise reagiert, sondern sich dem Niveau des Kampfes anpasst, auf das die Arbeiter durch ihre eigene Erfahrung unter ihrer alten Führung beschränkt sind, d.h., an die unvermeidliche anfängliche Konfusion. Solche Abweichungen vom Kampf für die unabhängige Partei und das Übergangsprogramm verbergen sich oft hinter Formulierungen wie ‘näher an die Arbeiterklasse herankommen’, ‘Einheit mit allen, die im Kampf stehen’, ‘Verzicht auf Ultimaten’, ‘den Dogmatismus aufgeben’, etc."[90]

Die Gründung der Workers League

145. Auf Grundlage der Lehren, die der Dritte Kongress gezogen hatte, vollendete das American Committee for the Fourth International seine Vorbereitungen für die Gründung einer neuen trotzkistischen Partei in politischer Solidarität mit dem IKVI. Der Gründungskongress der Workers League fand im November 1966 statt. Der wachsende Widerstand gegen den Vietnamkrieg unter Studenten, der Ausbruch gewalttätiger Proteste von afroamerikanischen Arbeitern und Jugendlichen in verschiedenen Großstädten und die militanten Streiks großer Teile der Arbeiterklasse waren klare Anzeichen für eine Krise des amerikanischen Kapitalismus. Die Socialist Workers Party, die ihr trotzkistisches Erbe zurückwies, reagierte auf diese Entwicklungen, indem sie sich an die kleinbürgerlichen Tendenzen anpasste, die diese Bewegungen dominierten. Ihr Opportunismus drückte sich darin aus, dass sie den Schwarzen Nationalismus befürwortete, in dem sie eine Alternative zum Kampf für die Vereinigung der Arbeiterklasse auf Grundlage eines sozialistischen Programms erblickte. Die Unterstützung der SWP für den Schwarzen Nationalismus, die sogar dessen Forderung nach einem eigenständigen Staat für Schwarze einschloss, bedeutete, dass die SWP die amerikanische Arbeiterklasse als revolutionäre Kraft abgeschrieben hatte. Diese Perspektive spiegelte den Einfluss der Neuen Linken und der antimarxistischen Konzepte Herbert Marcuses wider, eines führenden Vertreters der Frankfurter Schule, der die Arbeiterklasse als "protofaschistisches" Element in der amerikanischen Gesellschaft bezeichnete.

146. Die Gründung der Workers League auf Basis der Auseinandersetzungen seit 1953 innerhalb der Vierten Internationale war ein Meilenstein im Kampf für Marxismus in den Vereinigten Staaten. Die weitere Entwicklung des Marxismus setzte voraus, den revolutionären Charakter der amerikanischen Arbeiterklasse und ihre entscheidende Rolle im Kampf gegen den US-Imperialismus anzuerkennen. Diese Perspektive konnte nur auf Grundlage eines unversöhnlichen Kampfes gegen die Vielzahl von kleinbürgerlich-radikalen Tendenzen verwirklicht werden, gegen die verschiedenen Formen von Identitätspolitik bezüglich ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung und Geschlecht, die in den 1960er und den frühen 1970er Jahren aufkamen. In seinem Grußwort an den Gründungskongress der Workers League sagte Gerry Healy:

"Die Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten ist die mächtigste Arbeiterklasse der Welt, und in dieser Klasse müsst ihr eure Partei aufbauen. Das gehört zu den wichtigsten Prinzipien des Marxismus, und es gilt mit besonderer Dringlichkeit für die Verhältnisse in den Vereinigten Staaten. Nicht Black Power oder die Dutzende von Friedens- und Bürgerrechtsbewegungen, die im ganzen Land entstanden sind, werden die Hauptfragen unserer Zeit lösen, sondern die Arbeiterklasse, geführt von einer revolutionären Partei. Genau an diesem Punkt distanzieren wir uns von den Revisionisten. Wir weisen die Vorstellung, dass die Schwarzen selbst und kleinbürgerliche Bewegungen mit dem amerikanischen Imperialismus abrechnen können, entschieden zurück. Sollten wir solchen Bewegungen gelegentlich kritische Unterstützung geben, muss unsere Unterstützung im Kern immer darin bestehen, dass wir ihnen unsere Kritik an ihren Schwächen erklären."[91]

147. Die zentrale Aufgabe bestand für die Workers League darin, für die politische Unabhängigkeit der amerikanischen Arbeiterklasse von der Bourgeoisie und deren politischen Parteien, insbesondere der Demokratischen Partei, zu kämpfen. Unter den in den Vereinigten Staaten vorherrschenden Bedingungen nahm dies die Form an, die Massengewerkschaften unter dem Dach der AFL-CIO aufzufordern, eine Arbeiterpartei auf Grundlage sozialistischer Politik zu gründen. Diese Forderung, die den Erfahrungen der 1930er Jahre entsprang und ursprünglich von Trotzki vorgeschlagen worden war, hatte die SWP in den 1950er Jahren aufgegeben, als sie sich an den Protestbewegungen der Mittelklasse orientierte. Sie wurde von der Workers League wieder belebt, die in der Hauptresolution des Gründungskongresses erklärte:

"Wir müssen der Arbeiterklasse aufzeigen, dass sie notwendigerweise über einzelne ökonomische Kämpfe hinausgehen und einen grundlegenden politischen Kampf gegen die herrschende Klasse und ihre politischen Instrumente aufnehmen muss. Die Forderung nach einer Labor Party wird daher für unsere gesamte Arbeit in den Vereinigten Staaten die vereinheitlichende Forderung sein. Sie muss in unserer gesamten Propaganda und Agitation allgegenwärtig sein: in der Arbeiterjugend, den Gewerkschaften, bei Minderheiten, in der Kriegsfrage...

Wir müssen für eine Labor Party kämpfen, die schwarze und weiße Arbeiter in einem gemeinsamen Kampf gegen den gemeinsamen Unterdrücker vereint, anstatt Zugeständnisse an Rassenpolitik zu machen. Das Konzept einer Labor Party muss in die Antikriegsbewegung getragen werden. Der Kampf gegen die Kriegspolitik der US-Imperialisten kann nicht von der übrigen arbeiterfeindlichen Politik der Imperialisten getrennt werden. Kleinbürgerliche Parteien, die gegen den Krieg auf ‘klassenloser’ Grundlage kämpfen, sind nutzlose Versuche und dienen eher dazu, die Klassenfragen, um die es geht, zu vernebeln als zu erklären."[92]

148. Der Kampf für die Gründung einer Arbeiterpartei, basierend auf den Gewerkschaften, sollte eine große Rolle in den Auseinandersetzungen spielen, die die Workers League in den kommenden 25 Jahren führte, um die AFL-CIO-Bürokratie an einer Unterordnung der Arbeiterklasse unter die Demokratische Partei zu hindern. Diese Forderung war nicht als Vorschlag zu verstehen, eine reformistische Alternative zur revolutionären Partei aufzubauen - d.h. eine amerikanische Version der britischen Labour Party oder der kanadischen New Democratic Party - sondern als Mittel, eine revolutionäre politische Bewegung in der Arbeiterklasse zu entwickeln und die erdrückende Klassenkollaboration zu beenden. Solange die AFL-CIO auch nur begrenzt ein Instrument der Arbeiterklasse war und einen bedeutenden Teil der klassenbewussten Arbeiter zu ihren Anhängern zählte, bot die Forderung nach der Gründung einer sozialistischer Politik verpflichteten Arbeiterpartei eine klare politische Führung für die Arbeiterklasse, zeigte ihr einen Weg jenseits des Gewerkschaftertums auf und spielte eine bedeutende Rolle in der Entwicklung von revolutionärem und sozialistischem Klassenbewusstsein. Wegen objektiver Veränderungen im Wesen der Gewerkschaften und ihrer Beziehung zur Arbeiterklasse nahm die Workers League ihre Forderung nach dem Aufbau einer Arbeiterpartei später zurück. Dem gingen strukturelle Entwicklungen des Weltkapitalismus und ein massiver Verrats an Arbeiterkämpfen durch die Gewerkschaften voraus.

149. Der eskalierende Konflikt zwischen Trotzkismus und Revisionismus entfaltete sich vor dem Hintergrund wachsender wirtschaftlicher und politischer Instabilität. Die gewaltige Wirtschaftsübermacht der Vereinigten Staaten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs - die für die erneute Stabilisierung und den Wiederaufbau des Weltkapitalismus von entscheidender Bedeutung war - erodierte im Laufe der 1950er und 1960er Jahre. Der Export von amerikanischem Kapital nach Übersee hatte in den 1960er Jahren eine Dollarkrise hervorgerufen, die den Zusammenbruch des Nachkriegsgleichgewichts ankündigte. Verschiedene Versuche, die Krise einzudämmen, erwiesen sich als untauglich, und am 15. August 1971 zerstörten die Vereinigten Staaten die Grundlage des Bretton-Woods-Systems, indem sie die Dollar-Gold-Konvertibilität aufhoben. Die Socialist Labour League erkannte, dass der Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems zu neuen wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen führen würde, doch ungeklärte Fragen innerhalb des Internationalen Komitees und innerhalb der SLL selbst sollten bald schon einen hohen politischen Preis fordern.

Spaltung im Internationalen Komitee

150. Als die britische und die französische Sektion nach dem Dritten Kongress des IKVI und besonders nach den Ereignissen im Mai/Juni 1968 anwuchsen, entstand ein politischer Konflikt. Während die britische Sektion eine korrekte Kritik an der zentristischen Orientierung der OCI formulierte, traten auch innerhalb der SLL-Führung politische Differenzen auf. Obwohl bekannt war, dass Cliff Slaughter, der auch IKVI-Sekretär war, Nähe zur OCI-Forderung nach einem "Wiederaufbau" der Vierten Internationale gezeigt hatte, wurde die Frage innerhalb der Parteispitze nicht weiter diskutiert. Eine ähnliche Vermeidungshaltung herrschte in Bezug auf die unkritische Position von Michael Banda, einem anderen Führungsmitglied der SLL, gegenüber Maos "Kulturrevolution" und der Politik der Nationalen Befreiungsfront in Vietnam. Die Zurückhaltung der SLL, eine offene Diskussion über diese wichtigen Fragen zu führen, beruhte auf Healys Befürchtung, ein politischer Konflikt innerhalb seiner eigenen Organisation würde die praktische Arbeit und die organisatorischen Erfolge der britischen Sektion unterlaufen.

151. Das Ausweichen vor einer Klärung wichtiger Perspektivfragen - die für die Entwicklung des Programms von zentraler Bedeutung ist - nahm in der Socialist Labour League eine ganz spezifische theoretische Form an. Als sich die Differenzen mit der OCI in den Jahren 1970/71 zuspitzten, vertrat die SLL den Standpunkt, die umstrittenen politischen Fragen seien nur sekundäre und nicht wesentliche Manifestationen von philosophischen Differenzen. Die korrekte Feststellung, dass sich die philosophische Methode in der politischen Analyse erweist, wurde auf einseitige Weise angewandt, um die konkrete Untersuchung politischer Fragen durch immer abstraktere Diskussionen über philosophische Erkenntnistheorie zu vermeiden. Als die OCI fälschlich behauptete, der dialektische Materialismus sei keine "Erkenntnistheorie", wurde dies zum Anlass genommen, um eine Untersuchung der zentristischen Politik der französischen Organisation zu umgehen. Im Gegensatz zu Trotzkis Herangehensweise in der Auseinandersetzung mit Burnham und Shachtman 1939/40 - in der die Bedeutung und richtige Anwendung der Methode des dialektischen Materialismus eindeutig in Verbindung zu den Fragen der politischen Perspektive stand - vertraten Healy und Slaughter die Position, dass die Diskussion über Dialektik wichtiger war als die über politische Fragen und letztere sogar überflüssig machte.

152. Im Herbst 1971 gab die SLL eine Spaltung in der Vierten Internationale bekannt, beließ jedoch die politischen Differenzen ungeklärt. Trotz einer Vielzahl von höchst wichtigen politischen Fragen, die mit den Problemen der revolutionären Strategie verbunden waren und sich aus der Krise des Kapitalismus und den Kämpfen der Arbeiterklasse ergaben, erklärte die SLL in einer Stellungnahme vom 1. März 1972, die Spaltung sei "nicht um taktische Gesichtspunkte im Aufbau der Vierten Internationale erfolgt... Die Spaltung dreht sich nicht um unzählige Detailfragen organisatorischer Art oder gar um politische Positionen zu bestimmten Fragen." Es handele sich vielmehr, so behauptete die SLL, um "eine politische Spaltung, die an die Grundlagen der Vierten Internationale rührt - die marxistische Theorie".[93] Da die eigentlichen politischen Streitfragen nicht ausgiebig diskutiert wurden, war die Beschwörung der "marxistischen Theorie" kaum mehr als eine Übung in abstrakter Rhetorik. Die SLL schrieb, sie habe "aus der Erfahrung des Aufbaus der revolutionären Partei in Großbritannien gelernt, dass ein entschiedener und schwieriger Kampf gegen idealistische Denkweisen notwendig ist, der über Übereinstimmung in Fragen des Programms und der Politik weit hinausgeht".[94] Diese Erklärung stand in direktem Widerspruch zu Trotzki, der gesagt hatte: "Die Bedeutung des Programms ist die Bedeutung der Partei", und dieses Programm "ist ein gemeinsames Verständnis der Ereignisse, der Aufgaben".[95] Nun erklärte die SLL, der "Kampf gegen idealistische Denkweisen" - eine ziemlich vage Formulierung - sei wichtiger als programmatische Übereinstimmung! Zudem drückte sich in der Feststellung der SLL, sie gründe ihre Arbeit auf die Erfahrung, "eine revolutionäre Partei in Großbritannien aufzubauen", und nicht auf die Lehren der Vierten Internationale aus dem Kampf gegen Stalinismus, Sozialdemokratie und Pablismus, eine beunruhigende Verschiebung ihrer Achse aus - vom Internationalismus hin zum Nationalismus.

153. Dass die politischen Fragen hinter der Spaltung mit der OCI nicht geklärt wurden, untergrub die Arbeit des Internationalen Komitees genau zu dem Zeitpunkt, als die Krise des Weltkapitalismus ein Höchstmaß an politischer Klarheit verlangte. Die wichtigste Aufgabe hätte für die SLL-Führung darin bestanden, die Schlussfolgerungen aus dem zentristischen Abdriften der OCI in Programm, Praxis und internationaler Orientierung zu ziehen. Dies war höchst wichtig zu einer Zeit, da neue Sektionen des Internationalen Komitees entstanden. 1968 wurde die Revolutionary Communist League als ceylonesische Sektion gegründet. In Deutschland entstand 1971 der Bund Sozialistischer Arbeiter. In Australien wurde 1971 die Socialist Labour League ins Leben gerufen. In Griechenland fand die Gründung einer neuen Sektion 1972 unter Bedingungen statt, wo die Mitgliedschaft zwischen OCI- und SLL-Anhängern gespalten war.

154. Es ist inzwischen öffentlich bekannt, dass die OCI in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren stark an heimlichen politischen Manövern beteiligt war, die zur Gründung der Sozialistischen Partei in Frankreich führten. Mitglieder der OCI arbeiteten eng mit François Mitterand zusammen, als die SP auf vollkommen opportunistischer Grundlage und als Wahlverein für Mitterand entstand. Ein OCI-Mitglied, Lionel Jospin, wurde Mitarbeiter Mitterands, stieg die Karriereleiter in der Sozialistischen Partei hoch und wurde schließlich selbst Ministerpräsident Frankreichs. Es ist rückblickend unmöglich festzustellen, ob eine offene politische Auseinandersetzung von Seiten der SLL die opportunistische Degeneration der OCI und ihre Verwandlung in ein Instrument des französischen Staats hätte aufhalten können. Aber ein solcher Kampf hätte die politischen Fragen geklärt und die SLL selbst auf die Gefahr hinweisen können, die ihr durch die Entwicklung opportunistischer Tendenzen in ihren eigenen Reihen drohte.

Die Gründung der Workers Revolutionary Party und die Weltkrise 1973-75

155. Die Umwandlung der SLL in die Workers Revolutionary Party im November 1973 war nicht auf der Grundlage einer Aneignung der strategischen Erfahrungen der internationalen trotzkistischen Bewegung vorbereitet. Es handelte sich vielmehr um eine taktische Antwort auf die Bewegung in der Arbeiterklasse gegen die Tory-Regierung unter Premierminister Edward Heath. Die SLL schloss das Internationale Komitee von den Diskussionen aus, die rund um die Gründung der Workers Revolutionary Party stattfanden. Nach ihrem Gründungskongress, in einer Zeit militanter Arbeitskämpfe, die zum Sturz der Heath-Regierung und der Regierungsübernahme durch die Labour Party im März 1974 führten, wuchs die WRP rasch an. Dies verdeckte für kurze Zeit die wachsenden politischen Probleme innerhalb der britischen Sektion.

156. Der Sturz der Heath-Regierung war eine Episode in der wirtschaftlichen und politischen Krise, die den Weltkapitalismus in den Jahren 1973 bis 1975 erschütterten. Das Ende der Dollar-Gold-Konvertibilität verursachte eine inflationäre Welle, die den Vertrauensverlust in die amerikanische Währung noch verstärkte. Im Oktober 1973 brach im Nahen Osten Krieg aus, was unmittelbar zu einer Vervierfachung des Ölpreises durch die OPEC führte. Dies löste wiederum die schlimmste Rezession seit der Großen Depression der 1930er Jahre aus. Im April 1974 stürzte die faschistische Diktatur in Portugal unter Salazar, der beinahe ein halbes Jahrhundert an der Macht gewesen war, unter dem Druck antikolonialer Aufstände in Afrika (Angola und Mosambik) und einer wachsenden Krise im Innern. In Lissabon fand am Maifeiertag zum ersten Mal eine legale Demonstration statt, und mehrere Millionen Menschen beteiligten sich daran. Die Militärjunta in Griechenland, die 1967 die Macht ergriffen hatte, stürzte im Juli 1974 nach einer katastrophalen Intervention auf Zypern. Im August 1974 musste US-Präsident Richard Nixon zurücktreten, nachdem das amerikanische Parlament wegen des Watergate-Skandals und rechtswidriger Militäraktionen der Regierung in Kambodscha ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet hatte. Schließlich zogen im April 1975 die vietnamesischen Befreiungstruppen in Saigon ein, stellten die Einheit des Landes her und brachten die neokolonialistischen Operationen der Vereinigten Staaten in Indochina zu einem für die Weltmacht demütigenden Ende.

Wird fortgesetzt

 

Anmerkungen
85 ebenda, Seite 396
86 Trotskyism versus Revisionism, Volume 5, "Resolution of the Third World Conference, April 8, 1966", London, New Park Publications 1975, S. 25-27 (Aus dem Englischen)
87 Marxist Internet Archive, "Spartacist Statement to the International Conference, http://www.marxistsfr.org/history/etol/document/icl-spartacists/1986/1966conf.html, (Aus dem Englischen)
88 Hugo Gonzalez Moscoso, "The Cuban Revolution and its Lessons", in: Fifty Years of World Revolution, ed. Ernest Mandel, New York, Pathfinder Press 1970, S. 194-95 (Aus dem Englischen)
89 Trotskyism Versus Revisionism, Volume Five, "Reply to the OCI by the Central Committee of the SLL, June 19, 1967", London, New Park 1975, S. 111 (Aus dem Englischen)
90 ebenda, S. 113-14
91 The Fourth International and the Renegade Wohlforth, New York, Labor Publications, 1984, S. 209 (Aus dem Englischen)
92 M. McLaughlin, Vietnam and the World Revolution, Detroit, Labor Publications 1985, S. 96 (Aus dem Englischen)
93 Trotskyism Versus Revisionism, Volume Six, "Statement by the International Committee (Majority)", March 1, 1972, London, New Park 1975, S. 72 und 78 (Aus dem Englischen)
94 ebenda, S. 83
95 Leo Trotzki, Das Übergangsprogramm, Essen, Arbeiterpresse Verlag 1997, S. 165

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