Die historischen und internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party

Teil 11

Die US-amerikanische Socialist Equality Party (SEP) hat vom 3. bis 9. August 2008 ihren Gründungskongress durchgeführt. Der Kongress diskutierte und verabschiedete ein Dokument über die "historischen und internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party", das wir hier in deutscher Übersetzung in elf Teilen veröffentlichen. Bereits in deutscher Übersetzung erschienen sind ein Bericht über den Gründungskongress und die Grundsatzerklärung der SEP, die ebenfalls vom Gründungskongress verabschiedet wurde.

Globalisierung und die nationale Frage

229. Nach der Auflösung der Sowjetunion begannen nationalistische und separatistische Bewegungen ins Kraut zu schießen, und sie verlangten die Schaffung neuer Staaten. Unter den geopolitischen Verhältnissen der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hatten multinationale Staaten bestehen können, doch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren sie mit dem Wiederaufleben der unterschiedlichsten nationalen, ethnischen und religiös begründeten kommunalistischen Spannungen konfrontiert. In den meisten Fällen wurden diese Spannungen noch verschärft, da die Vereinigten Staaten und die europäischen imperialistischen Mächte ihre eigenen geopolitischen Ziele damit verfolgten. Die Auflösung Jugoslawiens in den frühen 1990er Jahren mit all ihren entsetzlichen Folgen war das Ergebnis der strategischen Ziele des amerikanischen und des deutschen Imperialismus'. Speziell für die Vereinigten Staaten bedeuteten das Auseinanderfallen der alten Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und die Entstehung neuer, "unabhängiger" Staaten außergewöhnliche Möglichkeiten für die Ausdehnung der amerikanischen Macht im Kaukasus und in Zentralasien. Und selbst innerhalb der Grenzen Russlands betrachtete das US-Außenministerium separatistische Bewegungen wie die in Tschetschenien als potentielle Aktivposten bei seinem Streben nach globaler Vorherrschaft.

230. Es waren allerdings nicht nur politische Überlegungen, die der Intensivierung der kommunalistischen Agitation zugrunde lagen. Die Entwicklung der Globalisierung legte, wie das IKVI erklärte, die Grundlage für "den objektiven Anstoß zur Entstehung eines neuen Typs von nationalistischen Bewegungen ..., welche die Zerstückelung existierender Staaten anstreben. Das global mobile Kapital hat kleineren Regionen die Möglichkeit verschafft, sich direkt an den Weltmarkt anzubinden. Hongkong, Singapur und Taiwan sind zu einem neuen Entwicklungsmodell geworden. Eine kleine Küstenenklave, die über die entsprechenden Transportverbindungen, die Infrastruktur und ein Angebot an billigen Arbeitskräften verfügt, kann sich als attraktiver für das multinationale Kapital erweisen als ein großes Land mit einem weniger attraktiven Hinterland."[142]

231. Das Internationale Komitee betonte, es sei notwendig, im Interesse der internationalen Einheit der Arbeiterklasse eine äußerst kritische und sogar feindliche Haltung gegenüber den separatistischen Bewegungen einzunehmen. Die dogmatische Wiederholung der Losung "Für das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung" ist kein Ersatz für eine konkrete historische, sozioökonomische und politische Analyse nationaler Forderungen. Das war umso wichtiger zu einer Zeit, als die zeitgenössischen national-separatistischen Bewegungen sich im Allgemeinen durch unverhohlen reaktionäre sozioökonomische und politische Perspektiven auszeichneten. Das IKVI verglich nationale Bewegungen in verschiedenen historischen Perioden und schrieb:

"In Indien und China stellte sich den nationalen Bewegungen die fortschrittliche Aufgabe, grundverschiedene Völker in einem gemeinsamen Kampf gegen den Imperialismus zu vereinen - eine Aufgabe, die unter der Führung der nationalen Bourgeoisie nicht gelöst werden konnte. Die neue Form des Nationalismus macht sich stark für einen Separatismus nach ethnischen, sprachlichen und religiösen Kriterien, mit dem Ziel existierende Staaten im Interesse lokaler Ausbeuter aufzuspalten. Solche Bewegungen haben nichts mit dem Kampf gegen den Imperialismus zu tun und genausowenig verkörpern sie in irgendeiner Weise die demokratischen Bestrebungen der unterdrückten Massen. Sie dienen dazu, die Arbeiterklasse zu spalten und den Klassenkampf in einen ethnischen Bürgerkrieg umzulenken."[143]

232. Wie vorherzusehen, passten sich die kleinbürgerlichen Radikalen der Spartacist League opportunistisch an eine Vielzahl separatistischer Tendenzen an und erklärten: "David North 'schafft' das Recht auf Selbstbestimmung 'ab'."[144] Abgesehen von der offensichtlich absurden Formulierung dieser Verleumdung, basierte der Angriff von Spartacist auf einer Verfälschung der Haltung sowohl von Lenin als auch von Trotzki in der Frage der Selbstbestimmung. Zu keiner Zeit haben sie die Forderung nach Selbstbestimmung als eine Art Schuldschein bezeichnet, den Marxisten verpflichtet sind, zu jeder Zeit und unter allen Umständen einzulösen. Obendrein haben sie diese Forderung nie über die Interessen des Proletariats als internationaler revolutionärer Klasse gestellt. So wie Lenin 1913 sorgfältig die verschiedenen historisch bedingten Arten von nationalen Bewegungen definierte, so sind Marxisten verpflichtet, in ihrer Abwägung des objektiven Inhalts der Forderungen nach Selbstbestimmung der einen oder anderen politischen Organisation nicht weniger anspruchsvoll zu sein. Das IKVI erklärte dazu:

"In der Geschichte der marxistischen Bewegung ist es schon oft vorgekommen, dass Formulierungen und Losungen, die in einer Periode einen fortschrittlichen und revolutionären Inhalt hatten, in einer anderen Epoche eine völlig andere Bedeutung bekamen. Die nationale Selbstbestimmung ist genau so ein Fall.

Das Recht auf Selbstbestimmung hat eine völlig neue Bedeutung bekommen im Vergleich zu der Definition, die Lenin ihm vor mehr als achtzig Jahren gab. Nicht nur die Marxisten fordern nun das Recht auf Selbstbestimmung, sondern auch die nationale Bourgeoisie in den rückständigen Ländern und die Imperialisten selbst. Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs berief sich so manche imperialistische Macht auf dieses "Recht", um ihr Ziel zu rechtfertigen, ein bestehendes Land zu zerstückeln."[145]

233. Gerade in jenen national-separatistischen Bewegungen, welche die Spartacist League mit offenen Armen begrüßte, - in Bosnien, in den indischen Staaten Kaschmir und Pundschab, in Quebec und in Sri Lanka -, erwies sich die Forderung nach Selbstbestimmung als besonders reaktionär. Was Bosnien angeht, so diente die imperialistische Manipulation des religiös begründeten Nationalismus' eines Teils der Bevölkerung, nämlich der Moslems, den Interessen einer umfassenderen Kampagne zur Zerstückelung Jugoslawiens. Als Spartacist den nationalen Separatismus' im Pundschab und in Kaschmir unterstützte, zog sie es vor, über den durch und durch reaktionären Charakter dieser auf Religion basierenden Bewegungen hinwegzusehen. Speziell im Fall von Kaschmir ignorierte sie die Verbindungen zu den geo-strategischen Konflikten zwischen den großen Nationalstaaten in dieser Region. Was Quebec angeht, so diente die nationale Bewegung dort jahrzehntelang als Mittel, mit dem die konkurrierenden Interessen der verschiedenen Teile der kanadischen Bourgeoisie ausgekämpft wurden. Gegen die Arbeiterklasse war die herrschende Klasse von Quebec nicht weniger skrupellos als die anglophone Bourgeoisie in Ontario oder Saskatchewan.

Schließlich bedeutete die Unterstützung von Spartacist für den tamilischen Nationalismus eine politische Kapitulation vor der separatistischen Perspektive der LTTE (der "Tamil Tigers") und eine Zurückweisung des jahrzehntelangen Kampfs der trotzkistischen Bewegung, die singhalesischsprachige und die tamilischsprachige Arbeiterklasse in einem gemeinsamen Kampf gegen die srilankische Bourgeoisie zu vereinen. Wenn kleinbürgerliche Tendenzen wie Spartacist nationale Bewegungen mit einem mythischen und über der Geschichte stehenden Charakter ausstatten, ignorieren sie die Auswirkungen des politischen Verrats, den opportunistische Organisationen an der Arbeiterklasse verüben, indem sie bei den unterdrückten Minderheiten nationale Gefühle schüren. Im Fall der tamilischen Bevölkerung hing das Anwachsen nationalistischer Tendenzen in den 1960er und 1970er Jahren mit dem politischen Verrat der LSSP zusammen - in erster Linie ihr Eintritt in die bürgerliche Koalitionsregierung 1964 und danach ihre Teilnahme an der Ausarbeitung einer Verfassung, die 1972 verabschiedet wurde und die Diskriminierung der tamilischen Sprache festschrieb.

234. Das Internationale Komitee stellte die Bedeutung der Forderung nach Selbstbestimmung klar und nahm den Kampf gegen den bürgerlichen Nationalismus und seine kleinbürgerlichen Apologeten auf. Damit trug es ungemein zur Stärkung der revolutionären, internationalistischen Grundlagen der Vierten Internationale bei. Nach der Auflösung der UdSSR und der gewaltigen politischen Verwirrung, die dieses Ereignis auslöste, bestätigte die Analyse des IKVI, dass ein wirklich internationalistisches Programm für die Arbeiterklasse nur auf der Grundlage der Theorie der permanenten Revolution entwickelt werden kann.

Globalisierung und die Gewerkschaften

235. Zur gleichen Zeit, als die stalinistischen Bürokraten sich in kapitalistische Oligarchen verwandelten, entledigten sich die ehemaligen Labour- und sozialdemokratischen Parteien in Europa und Australien ihres formellen Bekenntnisses zum Sozialismus und wurden zum Instrument der schärfsten Angriffe auf die Lebensbedingungen und die Sozialprogramme. Bürgerlich-nationalistische Parteien, die früher einmal in gewisser Hinsicht mit Sozialismus oder nationalen Reformen identifiziert worden waren - wie z. B. die Kongress-Partei Indiens - begannen nun, aktiv mit dem globalen Finanzkapital zusammenzuarbeiten und Sparmaßnahmen durchsetzten, sowie die verstaatlichte Industrie zu privatisieren.

236. Die Degeneration der Gewerkschaftsbürokratien einschließlich des AFL-CIO in den Vereinigten Staaten ist ein Beispiel für diesen internationalen Prozess. Obwohl viele der Gewerkschaften, aus denen der AFL-CIO besteht, in Massenkämpfen entstanden sind, die zu wirklichen Errungenschaften geführt haben, akzeptierten die Gewerkschaften die politische Hegemonie der Demokratischen Partei und des Profitsystems. In einer Zeit der Überlegenheit des amerikanischen Kapitalismus' waren die Gewerkschaften noch in der Lage, auf der Grundlage einer Politik nationaler Reformen den Lebensstandard ihrer Mitglieder zu erhöhen. Als infolge der Globalisierung der amerikanische Kapitalismus immer tiefer in die Krise geriet, hat sich diese Perspektive jedoch überlebt. Die Politik der Gewerkschaften nahm einen immer offener korporatistischen Charakter an. Selbst der Anschein der Unabhängigkeit von Unternehmensinteressen wurde aufgegeben. Während der gesamten 1980er Jahre arbeitete der AFL-CIO in den USA systematisch daran, einen Streik nach dem anderen zu isolieren und in die Niederlage zu führen. Die Bürokratie trennte in wachsendem Maße ihre eigenen Einkommensquellen von denen der Arbeiter, die sie angeblich vertrat. In diesem Prozess nahm die Bürokratie eine soziale Identität an, die sie deutlich von der Arbeiterklasse unterschied. Ritualisierte Hinweise auf die Gewerkschaften als "Organisationen der Arbeiterklasse", die nicht den veränderten sozialen Charakter ihres herrschenden Apparats beachteten, wurden immer hohler. In Wirklichkeit waren die Gewerkschaften keine "Arbeiterorganisationen", sondern Organisationen, die von einer eindeutig kleinbürgerlichen Klientel kontrolliert wurden und deren Interessen dienten. Sie sind der Arbeiterklasse völlig entfremdet und ihr gegenüber zutiefst feindlich.

237. In dem Perspektivdokument der Workers League von 1993, mit dem Titel Die Globalisierung der kapitalistischen Produktion und die internationalen Aufgaben der Arbeiterklasse, hieß es:

"Die Orientierung der alten Arbeiterorganisationen - Schutz der nationalen Industrie und des nationalen Arbeitsmarktes - wird von der global integrierten Produktion und der nie da gewesenen Mobilität des Kapitals unterlaufen. Die Rolle dieser bürokratischen Apparate, unter anderem des Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO in den Vereinigten Staaten, hat sich vollständig gewandelt: Während sie früher Druck auf die Unternehmer und die Regierung ausübten, um Zugeständnisse für die Arbeiter zu erlangen, setzen sie heute die Arbeiter unter Druck, um Zugeständnisse für die Unternehmer herauszuholen und somit Kapital anzulocken."[146]

238. Auf der Grundlage einer historischen Analyse der Rolle der Gewerkschaften und ihrer jüngsten Entwicklung folgerte die Workers League:

"Die Workers League weist taktischen Opportunismus und gewerkschaftlichen Fetischismus zurück und stellt dem Verrat der AFL-CIO-Bürokratie keine syndikalistische Perspektive entgegen. Sie richtet sich in erster Linie an die fortschrittlichsten Elemente der Arbeiteravantgarde. Ihr Ziel besteht in der Ausbildung einer neuen Generation von Arbeitern, die von den Traditionen des Marxismus abgeschnitten wurden. Deshalb besteht sie darauf, der Arbeiterklasse direkt und offen den politischen Charakter ihrer alten Organisationen zu erläutern und aufzudecken, welchen sozialen Kräften sie dienen.

Keineswegs ignoriert die Workers League die Gewerkschaften oder die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter. Wir machen die Arbeiter nicht für das reaktionäre Wesen dieser Organisationen verantwortlich, in denen sie gefangen sind. Wo immer es möglich ist, interveniert die Partei in diesen Gewerkschaften (was sie selbst in Gewerkschaften tun würde, die von Faschisten kontrolliert wären). Sie verfolgt dabei das Ziel, die Arbeiter auf der Grundlage eines revolutionären Programms zu mobilisieren. Aber die wesentliche Voraussetzung für revolutionäre Tätigkeit in diesen Organisationen ist die theoretische Klarheit über das Wesen der AFL-CIO (und die mit ihr verbündeten Gewerkschaften).

Die Workers League weist die Vorstellung weit von sich, der AFL-CIO, dieser organisatorische Ausdruck der Interessen der Arbeiterbürokratie, könne 'gekapert' und in ein Instrument für den revolutionären Kampf verwandelt werden."[147]

239. Die Workers League nahm ihre Forderung nach einer Labor Party gestützt auf die Gewerkschaften zurück. Diese taktische Forderung war während einer Periode angebracht, als die Gewerkschaften die Unterstützung von Massen von Arbeitern hatten und immer noch, wenn auch in begrenztem Umfang, als Verteidigungsorganisationen der Arbeiterklasse fungierten. Dies war in den 1990er Jahren nicht mehr der Fall.

Die Gründung der Socialist Equality Party

240. Im Juni 1995 leitete die Workers League einen Prozess zu ihrer Umwandlung in die Socialist Equality Party ein. Wir gingen davon aus, dass diese Umwandlung sich über einen längeren Zeitraum erstrecken würde; denn dieser Prozess beinhaltet nicht nur eine Namensänderung, sondern eine Änderung langjähriger Arbeitsformen. Es änderte sich auch das Verhältnis der revolutionären sozialistischen Bewegung zur Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten und international. Der Übergang von einem Bund zu einer Partei wurde in engster Zusammenarbeit mit den Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale begonnnen und entwickelt, die anfingen, denselben Übergangsprozess in den Ländern umzusetzen, in denen sie arbeiten. Der Übergang von einem Bund in eine politische Partei wurde von grundlegenden Veränderungen nicht nur in den unmittelbaren objektiven Bedingungen, sondern auch in dem historischen Umfeld, in dem das IKVI tätig ist, bestimmt. Die Entscheidung gründete sich auf die Einschätzung der Workers League und des IKVI, dass die alten Massenorganisationen der Arbeiterklasse diskreditiert waren und zusammenbrachen, weil auch das Nachkriegsgleichgewicht seit dem Zweiten Weltkrieg zusammenbrach. Dieser Prozess hat eine politische Neuorientierung der Arbeiterklasse im Weltmaßstab in Gang gesetzt:

"Die organisatorischen Formen, in denen sich unsere Aktivitäten entwickeln, werden von der Entwicklung der Widersprüche des Weltkapitalismus und des Klassenkampfs als objektiver historischer Prozess bestimmt. Es wäre ein Fehler zu glauben, dass diese Formen, und die Beziehung zur Arbeiterklasse, die sich in ihnen ausdrückt, nicht in einem ganz konkreten Zusammenhang zu den historischen Bedingungen stehen würden, unter denen sie ursprünglich entstanden sind und entwickelt wurden. Ich behaupte, dass die Gründung von Bünden, von der Socialist Labour League in Großbritannien 1959, von der Workers League 1966, die Revolutionary Communist League 1968 bis zum Bund Sozialistischer Arbeiter 1971 und der Socialist Labour League 1972, mit ganz bestimmten historischen Bedingungen und strategischen Konzeptionen der Entwicklung der revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse verbunden war.

Das zentrale strategische Problem, mit dem die trotzkistische Bewegung in dieser frühen Periode bei der Entwicklung des IKVI konfrontiert war, war die aktive und militante Unterstützung der fortgeschrittensten Teile der Arbeiterklasse für die stalinistischen und sozialdemokratischen Massenparteien und Gewerkschaften.

Die politische Aktivität unserer Sektionen ging daher trotz Unterschieden in der Taktik davon aus, dass eine große neue Umorientierung der Arbeiterklasse in der Form einer Radikalisierung der klassenbewusstesten und politisch aktivsten Elemente in den Reihen dieser Organisationen vor sich gehen werde. Aus dieser Bewegung, in der die Sektionen des Internationalen Komitees eine katalytische Rolle als die kompromisslosesten Gegner der Sozialdemokratie und des Stalinismus spielen würden, könnte sich dann die wirkliche Möglichkeit entwickeln, revolutionäre Massenparteien aufzubauen."[148]

241. Die Gründung der SEP nahm die Veränderung in der Beziehung zwischen der marxistischen Bewegung und der Arbeiterklasse vorweg:

"Wir müssen die entsprechenden Schlussfolgerungen aus dem Zusammenbruch der AFL-CIO ziehen und die neuen Aufgaben der Partei korrekt formulieren. Wenn es in der Arbeiterklasse eine Führung geben soll, dann muss sie von unserer Partei kommen. Wenn ein neuer Weg für die arbeitenden Massen eröffnet werden soll, dann muss er von unserer Organisation eröffnet werden. Das Problem der Führung kann nicht auf der Grundlage einer cleveren Taktik gelöst werden. Wir können die Krise der Führung der Arbeiterklasse nicht dadurch lösen, dass wir 'fordern', dass andere diese Führung geben sollen. Wenn es eine neue Partei geben muss, dann müssen wir sie aufbauen."[149]

Die Bedeutung der Gleichheit

242. Die Wahl des Namens "Socialist Equality Party" (Partei für Soziale Gleichheit) drückt zweierlei aus: das Konzept der grundlegenden Vision des Sozialismus - die Verwirklichung einer wirklich menschlichen Gleichheit - und eine Haltung kompromissloser Opposition gegen die Bedingungen des modernen Kapitalismus. In seinem Aufruf zum Aufbau der Socialist Equality Party erklärte North:

"Die objektiven Bedingungen weisen in Richtung Revolution. Aber die Entwicklung von revolutionärem Bewusstsein ist, wie wir aus der Geschichte wissen, kein automatischer Prozess. Die Impulse, die von den unter der Oberfläche wirkenden Widersprüchen des Kapitalismus ausgehen, schlagen sich nicht unmittelbar in sozialistischen Denkformen nieder. Die Reaktion der Arbeiterklasse auf eine gegebene objektive Situation ist mit einem umfassenden Komplex historischer Bedingungen verbunden. Diese können sich von Land zu Land unterscheiden. Aber in jedem Fall müssen die Marxisten den Weg in die Köpfe und, so möchte ich hinzufügen, die Herzen der Arbeiterklasse finden.

Wenn wir den Bund in eine Partei umwandeln, müssen wir bedenken, in welcher Form sich die Krise des kapitalistischen Systems der breiten Masse der arbeitenden Menschen darstellt. Um es ganz einfach auszudrücken: Millionen von Arbeitern haben einen langen Niedergang ihres Lebensstandards erfahren, der sich immer noch fortsetzt. Sie leben in permanenter Angst um die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze und kämpfen angesichts sinkender Löhne und steigender Preise darum, mit ihrem Geld auszukommen.

Das auffälligste Merkmal des amerikanischen Alltags ist ein klaffender Abgrund zwischen dem winzigen Teil der Bevölkerung, der sich eines ungeheuren Reichtums erfreut, und der breiten Masse der arbeitenden Bevölkerung, die mehr oder weniger in wirtschaftlicher Unsicherheit lebt....

Die Verschlechterung der ökonomischen Position und der sozialen Bedingungen der Arbeiterklasse steht in direkter Beziehung zur technologischen Revolution und der Globalisierung der Produktion, die sie angeheizt hat. Unter Bedingungen von Privateigentum an den Produktionsmitteln ist die Technologie für die Arbeiterklasse eine Strafe....

Das Ziel der Partei sollte klar in ihrem Namen genannt werden, und zwar in einer Weise, dass die Arbeiter es wohl verstehen, als auch sich mit ihm identifizieren können....

Wenn wir diese Partei der Arbeiterklasse vorstellen, müssen wir erklären, dass ihr Ziel in der Schaffung einer Arbeiterregierung besteht: Und damit meinen wir eine Regierung für die Arbeiter, von Arbeitern und durch die Arbeiter. Eine solche Regierung wird die politische Macht, die sie wenn möglich mit demokratischen Mitteln erringen will, dazu benutzen, das wirtschaftliche Leben im Interesse der Arbeiterklasse zu reorganisieren, die gesellschaftlich zerstörerischen Marktkräfte des Kapitalismus durch demokratisch-gesellschaftliche Planung zu überwinden und zu ersetzen, und die Produktion radikal zu reorganisieren, um die dringenden sozialen Bedürfnisse der arbeitenden Menschen zu befriedigen, und um eine radikale und sozial gerechte Umverteilung des Reichtums zugunsten der arbeitenden Bevölkerung zu erreichen und dadurch die Grundlage für den Sozialismus zu legen.

Wir werden betonen, dass diese Ziele der 'Social Equality Party' nur im Bündnis mit und als integraler Teil einer bewusst internationalistischen Bewegung der Arbeiterklasse verwirklicht werden können. Es kann keine soziale Gleichheit und soziale Gerechtigkeit für die amerikanischen Arbeiter geben, solange multinationale und transnationale Konzerne ihre Klassenbrüder und -Schwestern in andern Ländern unterdrücken. Es gibt außerdem keine funktionierende nationale Strategie, auf die der Klassenkampf gegründet werden kann. Die Arbeiterklasse muss der internationalen Strategie der transnationalen Konzerne konsequent und systematisch ihre eigene internationale Strategie entgegensetzen. In dieser entscheidenden Frage, die den Härtetest für ein sozialistisches Programm darstellt, kann es keinen Kompromiss geben.

...Die Forderung nach sozialer Gleichheit fasst nicht nur das grundlegende Ziel der sozialistischen Bewegung zusammen. Sie belebt auch die egalitären Traditionen, die so tief in den echt demokratischen und revolutionären Traditionen der amerikanischen Arbeiter verwurzelt sind. Alle großen sozialen Kräfte der amerikanischen Geschichte trugen auf ihrem Banner die Forderung nach sozialer Gleichheit geschrieben. Es ist kein Zufall, dass heute, unter den vorherrschenden Bedingungen politischer Reaktion, dieses Ideal gnadenlos angegriffen wird."[150]

Die World Socialist Web Site

243. Der Start der World Socialist Web Site im Januar 1998 markierte einen Meilenstein in der Geschichte des IKVI und der internationalen Arbeiterbewegung. Sie war das Ergebnis der Entwicklung des Internationalen Komitees nach der Spaltung von der Workers Revolutionary Party 1985-86 in eine politisch vereinigte Weltpartei. Darüber hinaus leitete sich das zugrunde liegende Konzept der WSWS - die Auffassung, dass das IKVI die entscheidende Rolle bei der politischen Neuorientierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage des Marxismus spielen wird - von der gleichen Perspektive ab, welche die Verwandlung der Bünde in Parteien motivierte. Die technologischen Voraussetzungen für den Start der WSWS entwickelten sich in der Form revolutionärer Fortschritte in der Kommunikation, die das IKVI als Teil ihrer Analyse der Bedeutung der Globalisierung sorgfältig verfolgt hatte. Es suchte bewusst nach Wegen, um die Sektionen der Bewegung in der alltäglichen gemeinsamen Arbeit näher zusammenzubringen (dazu gehörte auch der frühe Gebrauch von Modems, um Dateien über Ozeane und Kontinente zu verschicken). Es schenkte der Entwicklung des Internets größte Aufmerksamkeit.

Dieser revolutionäre Fortschritt in der globalen Kommunikation schuf günstige Bedingungen sowohl für die Verbreitung revolutionärer Ideen als auch für die Organisierung der revolutionären Arbeit. Viele Jahrzehnte lang hatte die Produktion von Zeitungen eine zentrale und entscheidende Rolle beim Aufbau der revolutionären Bewegung gespielt. Lenin hat einen erheblichen Teil seines Bahn brechenden Werks Was tun? der Erläuterung der Rolle der allrussischen Zeitung gewidmet. Seit ihrer Gründung im Jahr 1966 hatte die Workers League eine Zeitung herausgegeben. Aber ihre Verbreitung hing von der Zahl der Parteimitglieder ab, die physisch an einem bestimmten Ort zur Verfügung standen, um ihre Verbreitung zu organisieren. Solange es keine brauchbare Alternative zur Zeitung als Mittel der Verbreitung ihrer Ideen gab, mussten die Workers League und die Sektionen des IKVI, so gut sie konnten, mit dieser Beschränkung fertig werden. Die Entwicklung des Internets schuf neue Bedingungen, um die alten Beschränkungen zu überwinden und den Leserkreis der SEP und des Internationalen Komitees zu erweitern.

244. Die WSWS war nicht bloß das Produkt technologischer Entwicklungen. Sie gründete sich auf das angesammelte theoretische Kapital der marxistischen Weltbewegung. Beim Start der WSWS erklärte die Redaktionsleitung:

"Die World Socialist Web Site, die gemeinsam von Mitgliedern des IKVI in Asien, Australien, Europa und Nordamerika herausgegeben wird, geht vom internationalen Charakter des Klassenkampfs aus. Sie schätzt politische Entwicklungen in jedem Land vom Standpunkt der Weltkrise des Kapitalismus und der politischen Aufgaben ein, vor denen die internationale Arbeiterklasse steht. Von diesem Standpunkt aus kämpft sie gegen alle Formen von Chauvinismus und nationaler Beschränktheit.

Wir sind zuversichtlich, dass die WSWS zu einem einmaligen Hilfsmittel für die politische Ausbildung und Vereinigung der Arbeiterklasse in internationalem Maßstab werden wird. Sie wird der arbeitenden Bevölkerung verschiedener Länder helfen, ihre Kämpfe gegen das Kapital zu koordinieren, genauso wie die transnationalen Konzerne ihren Krieg gegen die Arbeiter über nationale Grenzen hinweg führen. Sie wird die Diskussion zwischen Arbeitern aller Länder erleichtern und ihnen ermöglichen, ihre Erfahrungen zu vergleichen und eine gemeinsame Strategie auszuarbeiten.

Das IKVI geht davon aus, dass die weltweite Leserschaft der Word Socialist Web Site mit der Ausbreitung des Internets wachsen wird. Als schnelle und globale Kommunikationsplattform hat das Internet eine außerordentlich demokratische und revolutionäre Bedeutung. Es erlaubt einem Massenpublikum, auf die intellektuellen Ressourcen der Welt in Bibliotheken, Archiven und Museen zuzugreifen.

Im fünfzehnten Jahrhundert spielte Gutenbergs Erfindung der Druckerpresse eine wichtige Rolle bei der Überwindung der Kontrolle der Kirche über das Geistesleben. Sie unterhöhlte damit feudale Institutionen und trug zur Aufklärung und zur Französischen Revolution bei. Auch heute kann das Internet für die Erneuerung revolutionären Denkens hilfreich sein. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale beabsichtigt, dieses Werkzeug für die Befreiung der Arbeiterklasse und der Unterdrückten in aller Welt zu nutzen." (Aus dem Englischen)

Im ersten Jahrzehnt ihres Auftritts veröffentlichte die WSWS mehr als 20.000 Artikel und behandelte darin ein breites Spektrum an politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und historischen Fragen. Eine Arbeit in diesem Umfang war nur möglich, weil das IKVI über viele Jahrzehnte hinweg ein enormes Kapital an historischer Erfahrung angesammelt hatte. Darüber hinaus war ihre theoretische Arbeit tief in den Traditionen des klassischen Marxismus verankert, der bestrebt ist, auf der Grundlage des dialektischen und historischen Materialismus eine möglichst präzise und fehlerfreie Übereinstimmung zwischen dem subjektiven Bewusstsein und der objektiven Wirklichkeit herzustellen - nicht bloß um die Ereignisse zu interpretieren, sondern mit dem Ziel, die Arbeiterklasse auf den revolutionären Kampf vorzubereiten.

Die Explosion des Militarismus und die Krise der amerikanischen Gesellschaft

245. Die WSWS bewies in ihrer Analyse der fortschreitenden Krise des amerikanischen und globalen Kapitalismus ein Niveau an Scharfsinn, das von keiner anderen Veröffentlichung erreicht wurde. Was die Analyse der WSWS auszeichnete, war ihr historischer Charakter, ihre Fähigkeit, Ereignisse in einen umfassenderen Kontext zu stellen und durch ihre oberflächliche Erscheinung hindurch auf ihren Grund zu blicken. Mit dieser Methode spürte die SEP mitten in der Zurschaustellung amerikanischer Militärmacht die Widersprüche auf, welche die Grundlagen der gesamten imperialistischen Ordnung unterhöhlen. Sie betonte, dass der ständige Einsatz des Militärs durch die Vereinigten Staaten ein Zeichen von Schwäche ist:

"Die Vereinigten Staaten verfügen gegenwärtig über einen 'Wettbewerbsvorteil' in der Waffenbranche. Doch weder dieser Vorteil noch die Produkte dieser Industrie können ihnen die Weltherrschaft sichern. Ungeachtet ihres ausgefeilten Waffenarsenals basiert die vorherrschende Rolle der USA im Weltkapitalismus heute auf einer weitaus dürftigeren finanziellen und industriellen Grundlage, als vor fünfzig Jahren. Ihr Anteil an der Weltproduktion ist dramatisch zurückgegangen. Ihr internationales Handelsdefizit wächst jeden Monat um Milliarden Dollar. Die Vorstellung hinter dem Kult um die computergesteuerten Präzisionswaffen - dass Meisterschaft auf dem Gebiet der Waffentechnologie diese grundlegenderen wirtschaftlichen Indikatoren nationaler Stärke außer Kraft setzen könne - ist eine gefährliche Täuschung.....

Immerhin ist die Befriedigung über die 'Wunder' der Waffentechnologie weit verbreitet unter den herrschenden Eliten, die, ob sie es wissen oder nicht, in einer historischen Sackgasse angelangt sind. Angesichts eines komplexen Knäuels internationaler und innerer sozioökonomischer Widersprüche, die sie schwerlich begreifen und für die es keine konventionellen Lösungen gibt, halten sie Waffen und Krieg für das Mittel, mit dem sie ihre Probleme einfach aus dem Weg sprengen können."[151]

246. Die Analyse, die die SEP vorlegte, brachte den Ausbruch der imperialistischen Gewalt in Zusammenhang mit den immer tieferen sozialen Widersprüchen der amerikanischen Gesellschaft:

"Die wachsende Kluft zwischen der privilegierten Schicht, aus der sich die herrschende Elite des Kapitalismus rekrutiert, und der breiten Masse der arbeitenden Bevölkerung spricht für ein objektiv hohes Maß an sozialen und klassenbedingten Spannungen. Auf den ersten Blick könnte man meinen, diese Einschätzung werde durch das Fehlen militanter Arbeiterkämpfe in den Vereinigten Staaten widerlegt. Doch das geringe Niveau an Streikaktivitäten und anderen Formen sozialer Massenproteste ist kein Anzeichen gesellschaftlicher Stabilität. Der geringe Umfang offener Klassenkonflikte trotz rasch zunehmender sozialer Ungleichheit deutet vielmehr darauf hin, dass die bestehenden politischen und gesellschaftlichen Institutionen der USA die Fähigkeit eingebüßt haben, auf die angestaute Unzufriedenheit der Arbeiterklasse zu reagieren.

...Was die Arbeiterklasse jetzt braucht, ist eine neue, revolutionäre internationale Organisation, deren Strategie, Perspektiven und Programm den objektiven Tendenzen der Weltwirtschaft und der historischen Entwicklung entspricht.

Es gibt, wie wir sehr wohl wissen, natürlich Legionen von Pessimisten, die fest davon überzeugt sind, dass der Aufbau einer solchen internationalen revolutionären Bewegung vollkommen ausgeschlossen ist. Es fällt auf, dass besonders unverbesserliche Pessimisten gerade unter jenen Kreisen zu finden sind, die vor nicht allzu langer Zeit uneingeschränktes Vertrauen in die Gewerkschaften setzten und treu an die Unerschütterlichkeit der Sowjetunion glaubten. Gestern waren sie davon überzeugt, dass der bürokratisch verwaltete Reformismus ewig währen werde. Heute glauben sie mit nicht weniger Hingabe an den ewigen Triumph der kapitalistischen Reaktion. Hinter dem flatterhaften Optimismus von gestern und dem demoralisierten Pessimismus von heute steht geistige und politische Oberflächlichkeit. Ihre Träger zeichnen sich dadurch aus, dass sie weder fähig noch willens sind, die Ereignisse in ihrem gegebenen historischen Rahmen zu untersuchen, und über die Widersprüche hinwegsehen, die hinter der höchst irreführenden äußeren Stabilität der Gesellschaft am Werk sind.

Zuversicht hinsichtlich der revolutionären Rolle der Arbeiterklasse und der objektiven Möglichkeit des Sozialismus ist keine Glaubensfrage, sondern stützt sich auf theoretische Einsicht in die objektiven Gesetze der kapitalistischen Entwicklung und auf die Kenntnis der Geschichte, insbesondere jener des zwanzigsten Jahrhunderts."[152]

247. Die darauf folgenden Entwicklungen, speziell jene, die auf die undurchsichtigen und ungeklärten Ereignisse des 11. September 2001 folgten, haben die Warnungen der SEP vor dem globalen Ausbruch des amerikanischen Imperialismus untermauert. Weder die Invasion in Afghanistan 2001 noch die Invasion des Iraks im März 2003 haben die WSWS überrascht. Ihre Analysen haben die Zeit überdauert. Innerhalb von 24 Stunden nach dem Angriff auf den Irak sah die SEP die voraussichtlichen Folgen der Invasion voraus:

"Das zwanzigste Jahrhundert war nicht umsonst. Seine Triumphe und Tragödien haben der Arbeiterklasse unschätzbare politische Lehren hinterlassen, darunter als eine der wichtigsten das Verständnis der Bedeutung und der Auswirkungen von imperialistischen Kriegen. Diese sind vor allem ein Ausdruck von nationalen und internationalen Widersprüchen, die auf 'normalem' Weg nicht mehr gelöst werden können. Unabhängig davon, wie die ersten Stadien dieses Konflikts ausgehen werden, steuert der amerikanische Imperialismus auf eine Katastrophe zu. Er kann die Welt nicht erobern. Er kann den Massen des Nahen Ostens keine neuen, kolonialen Fesseln anlegen. Er kann seine inneren Krankheiten nicht mit dem Mittel des Kriegs heilen. Im Gegenteil, vom Krieg hervorgerufene unerwartete Schwierigkeiten und wachsender Widerstand werden alle inneren Widersprüche der amerikanischen Gesellschaft verschärfen."[153]

Die Krise des Weltkapitalismus und die Aufgaben der Socialist Equality Party

248. Die Krise des amerikanischen Kapitalismus ist nur ein Ausdruck der allgemeinen Krise des kapitalistischen Weltsystems, ein Prozess, den die WSWS in allen Einzelheiten analysiert hat. Der Ausbruch der so genannten Asienkrise im Juli 1997 und das Platzen der dot.com-Blase in den USA enthüllten die explosiven Widersprüche, die sich aus der Schaffung eines globalen Finanzsystems und der ständig wachsenden Abhängigkeit der amerikanischen Wirtschaft von den Finanzmärkten ergeben. Nick Beams, der nationale Sekretär der SEP in Australien, erklärte auf einer Konferenz in Sydney im Januar 2000:

"Im Verlauf der letzten zehn Jahre haben wir eine Serie von immer tieferen Krisen auf den globalen Finanzmärkten erlebt. Zunächst war da die Rezession Anfang der 1990er Jahre, mit der eine Periode der Zerstörung von Arbeitsplätzen durch die Unternehmen eingeleitet wurde, die unvermindert andauert, obwohl behauptet wird, die Arbeitslosenzahlen würden sinken. 1992 haben wir die Krise des englischen Pfunds und des europäischen Wechselkursmechanismus, sowie die Krise des skandinavischen Bankensystems erlebt. Dann kam die Krise auf dem Rentenmarkt 1994, gefolgt von der mexikanischen Krise von 1994-95 und der Notrettungsaktion in Höhe von fünfzig Milliarden Dollar, welche die Clinton-Regierung für die US-Banken organisierte. Kaum war die mexikanische Krise 'beigelegt', folgte die so genannte asiatische Finanzkrise von 1997-98, die zur Zahlungsunfähigkeit Russlands, zum Bankrott des US-Hedge-Fonds 'Long Term Capital Management' im September 1998 und zur Intervention der US-Notenbank führte, um eine drohende Systemkrise des US-amerikanischen und globalen Finanzsystems abzuwenden. Natürlich ist die Bezeichnung dieser Ereignisse als mexikanische Krise, asiatische Krise und russische Zahlungsunfähigkeit etwas irreführend. Was wir miterleben, sind verschiedene Erscheinungsformen einer Krise des globalen Finanzsystems. So wie die Gicht erst die Extremitäten des Körpers befällt, bevor sie bis zum Herzen vordringt, so drückt sich die globale Finanzkrise in den Ereignissen aus, die sich jetzt in den USA entwickeln."

249. Nach der Rezession von 2000-2001 erlebte die US-amerikanische und die Weltwirtschaft eine Zeit der Expansion mit einigen der höchsten globalen Wachstumsraten seit dem Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit. Aber dieser kapitalistische Aufschwung basierte auf einer zunehmend labileren Grundlage, was sich vor allem in dem Anstieg der Schulden in den USA offenbarte und der Entstehung einer Reihe von Blasen - Aktienmarkt, dot.com, Immobilien. Die Widersprüche des Kapitalismus brachen in offener Form erneut in der Finanzkrise von 2007-08 aus. Ein Bericht von Nick Beams erklärte im Januar 2008:

"Die Finanzkrise in den USA und das gesteigerte Wachstum der Weltwirtschaft, besonders in den vergangenen sieben Jahren in den weniger entwickelten Ländern, sind nicht voneinander getrennte Ereignisse, sondern zwei Seiten ein und desselben Prozesses. ...Das gesteigerte Wachstum Chinas (und anderer Länder) wäre nicht möglich gewesen ohne das gewaltige Anwachsen der Verschuldung in den USA. Aber das Anwachsen der Verschuldung, durch das die US-Wirtschaft und die weltweite Nachfrage gestützt wurden, ist jetzt in eine Krise gemündet. Gleichzeitig haben die Billigproduktion in China und anderen Regionen und die Integration dieser Regionen in die Weltwirtschaft den Inflationsdruck niedrig gehalten. Dieser Prozess schuf die Bedingungen für niedrigere Zinsen, was die Kreditexpansion förderte, die eine entscheidende Rolle dabei spielte, die US-Wirtschaft und die Weltwirtschaft als Ganze zu stützen."[154]

250. Sechzehn Jahre nach dem Zusammenbruch der UdSSR befindet sich der Weltkapitalismus in einem Stadium der Krise, die sich vor allem im Zentrum des Imperialismus, den Vereinigten Staaten, konzentriert. Zu Beginn des Jahres 2008 zog die SEP eine Bilanz der objektiven Krise und der Aufgaben der Partei. Es wurde festgestellt, dass das außerordentliche Anwachsen der sozialen Ungleichheit im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte "sich sehr schnell dem Punkt eines offenen und gewaltsamen Klassenkonflikts nähert".

"Das verknöcherte politische System, das von zwei politischen Parteien verwaltet wird, die als Instrumente zur Durchsetzung der Interessen der herrschenden Plutokratie dienen, ist organisch unfähig, auf glaubhafte, geschweige denn progressive Art und Weise auf die Forderungen der Bevölkerung zu reagieren und eine spürbare soziale Veränderung herbeizuführen. Letzten Endes prallen die Forderungen nach sozialer Veränderung, selbst reformistischer Natur, an der unbeugsamen Entschlossenheit der herrschenden Elite ab, ihren Reichtum und ihre sozialen Privilegien mit Zähnen und Klauen zu verteidigen.

Unabhängig davon, welche bürgerliche Partei am Schluss den Präsidenten stellen wird, führt die Logik der sozialen und politischen Entwicklung unaufhaltsam zu einer Verschärfung des Klassenkonflikts. Der lang anhaltende Niedergang der sozialen Stellung und des Lebensstandards der Arbeiterklasse, ihr ständig abnehmender Anteil am Reichtum der Gesellschaft und die unablässige Verschärfung ihrer Ausbeutung durch jene, die die Produktionsmittel besitzen und kontrollieren, haben die Voraussetzungen für eine gründliche Veränderung ihrer politischen Orientierung und ihrer Loyalität geschaffen. Wer nicht sehen kann oder sogar leugnet, dass die tief gehenden Veränderungen im Wirtschaftsleben im Verlauf der letzten dreißig Jahre tiefe Spuren im gesellschaftlichen Bewusstsein der amerikanischen Arbeiterklasse hinterlassen haben, der entlarvt nicht nur seine demoralisierte Skepsis, sondern auch seine Unkenntnis der Geschichte. Die Tatsache, dass es im letzten Vierteljahrhundert keine offenen sozialen und Klassenkonflikte gab, steht in scharfem Widerspruch zum allgemeinen Muster der amerikanischen Geschichte. Aber diese lange Periode sozialer Ruhe, deren Ursache ein komplexes und außergewöhnliches Wechselspiel nationaler und vor allem internationaler wirtschaftlicher und politischer Prozesse ist, nähert sich jetzt ihrem Ende. So besteht die wichtigste Aufgabe der Socialist Equality Party im Jahr 2008 darin, sich in allen Arbeitsbereichen - in der theoretischen, der politischen und der organisatorischen Arbeit - auf die Herausforderungen vorzubereiten, die der Ausbruch des Klassenkonflikts an sie stellen wird.

Die Socialist Equality Party, die in politischer Solidarität mit dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale steht, ist zuversichtlich, dass die Kämpfe der Arbeiterklasse einen Aufschwung erleben werden. Wir sind überzeugt, dass die objektive Krise des kapitalistischen Systems den Anstoß für das Voranschreiten der amerikanischen und internationalen Arbeiterklasse geben wird. Doch wird dieser kommende Aufschwung die Probleme in der Entwicklung sozialistischen Bewusstseins nicht von alleine lösen.

Wie das erste Aufflackern der Kämpfe der Arbeiterklasse in den vergangenen Monaten klar vor Augen führt, besteht immer noch eine gewaltige Kluft zwischen der objektiv revolutionären Bedeutung der Krise und dem gegenwärtigen Niveau des politischen Bewusstseins. Objektive Bedingungen werden die Arbeiterklasse in den Kampf treiben und die Voraussetzungen für einen großen Sprung im Bewusstsein schaffen. Es wäre jedoch ein Fehler, zu unterschätzen, welche Anstrengungen die Partei leisten muss, um das politische Bewusstsein der Arbeiterklasse anzuheben und den reaktionären Einfluss der Bürokratien zu überwinden, die, obwohl geschwächt, immer noch eine gefährliche und entscheidende Stütze der kapitalistischen Herrschaft sind. Ebenso wenig dürfen wir die Rolle der zahllosen 'radikalen' kleinbürgerlichen Tendenzen ignorieren, die immer wieder versuchen, die Arbeiterklasse in die Irre zu führen und ihre Unterordnung unter 'fortschrittliche' Teile der Bourgeoisie aufrechtzuerhalten. Der Einfluss dieser verschiedenen politischen Agenturen der herrschenden Klassen kann nur überwunden werden, indem man sich die strategischen Erfahrungen vergangener revolutionärer Kämpfe aneignet und die Auswirkungen der sich entwickelnden Krise des Weltkapitalismus versteht."[155]

Die SEP, das IKVI und das Wiederaufleben des Marxismus

251. Die Instabilität der Weltwirtschaft, das Anwachsen globaler geo-politischer Spannungen, der Ausbruch militärischer Gewalt, die Verschlechterung der sozialen Bedingungen der Arbeiterklasse in sämtlichen Ländern, die Zunahme von Klassenkonflikten und die Entfremdung breiter Schichten der Bevölkerung von den etablierten politischen Organisationen, sind das Anzeichen für eine herannahende revolutionäre Krise. Letzten Endes liegt die Ursache für dieses wachsende Ungleichgewicht darin, dass die Gesellschaftsverhältnisse und politischen Formen, die der Kapitalismus entwickelt hat, mit der neuen globalen Ausweitung und Integration der Produktivkräfte nicht vereinbar sind. Diese Unvereinbarkeit kann nur durch die Eroberung der politischen Macht durch die internationale Arbeiterklasse und die sozialistische Reorganisation der Weltwirtschaft aufgelöst und überwunden werden. Die Alternative ist die Barbarei.

252. Im Zentrum dieser globalen Krise steht der Verlust der internationalen Position des amerikanischen Kapitalismus. Der gewaltige Reichtum und die dominante Weltposition, die der "Einzigartigkeit" Amerikas - d. h. dem Fehlen einer politischen Massenbewegung der Arbeiterklasse - zugrunde lagen, wurden deutlich untergraben. Die amerikanische Gesellschaft ist in einem Ausmaß in Klassen polarisiert, wie es das seit den sozialen Konflikten der 1930er Jahr nicht mehr gegeben hat. Gleichzeitig ist der amerikanische Kapitalismus nicht mehr in der Lage, die Reformen zu bieten, die das System vor 75 Jahren gerettet haben. Die endlose Folge von Finanzskandalen und Firmenzusammenbrüchen haben das öffentliche Vertrauen in die "freie Marktwirtschaft" zutiefst untergraben. Der Diebstahl der Wahlen im Jahr 2000, die Lügen der Regierung, mit der sie die Invasion im Irak rechtfertigte, und die Gräuel von Abu Ghraib und Guantánamo haben das Vertrauen der Arbeiterklasse in die Institutionen der amerikanischen Demokratie erschüttert. Die Bedingungen für die Radikalisierung des gesellschaftlichen Bewusstseins der Arbeiterklasse und für eine Veränderung ihrer politischen Orientierung sind schon weit fortgeschritten. Die Vereinigten Staaten sind von den Gesetzen der historischen Entwicklung nicht ausgenommen. Sie treten in eine Periode revolutionärer Klassenkonflikte ein.

253. Nur eine Partei, die eindeutig auf die Arbeiterklasse ausgerichtet ist und sich auf sie stützt, sich von der fortgeschrittensten politischen Theorie leiten lässt, die Lehren der vergangenen Kämpfe der internationalen Arbeiterklasse aufgenommen hat und ein Programm entwickelt hat, das von einer wissenschaftlich gestützten Einschätzung der objektiven Tendenzen der sozioökonomischen Entwicklung ausgeht, kann den Anforderungen einer revolutionären Epoche entsprechen. Die Socialist Equality Party und das Internationale Komitee verkörpern eine gewaltige historische Tradition und setzen sie fort. Es gibt keine andere politische Bewegung, die ihre eigene Geschichte vorweisen kann, oder das auch nur will. Die opportunistischen Organisationen - die Sozialdemokraten, Stalinisten, die Gewerkschaften und die pablistischen Tendenzen - vermeiden es tunlichst, an ihre Vergangenheit zu rühren, die voller Fehler und Verbrechen ist. Außerdem lehnen sie es rundheraus ab, sich durch die Erinnerung an Geschichte und Prinzipien bei ihren opportunistischen Manövern stören zu lassen. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale ist die einzige Partei, die ihre politische Arbeit bewusst auf große Prinzipien gründet und deshalb der Arbeiterklasse ihre Geschichte lückenlos präsentieren kann. Sie wird die entschlossensten, mutigsten und ehrlichsten Elemente der Arbeiter und der Jugend unter ihr Banner gewinnen.

254. Bei der Feier zur Gründung der Vierten Internationale erklärte Trotzki 1938:

"Wir sind keine Partei wie andere Parteien...Unser Ziel ist die umfassende materielle und geistige Befreiung der Arbeitenden und Ausgebeuteten durch die sozialistische Revolution. Niemand außer uns wird sie vorbereiten und anleiten."[156]

255. Siebzig Jahre später gibt die Arbeit der Socialist Equality Party und des Internationalen Komitees diesen Worten eine neue Bedeutung.

Ende

 

Anmerkungen
142 Globalisierung und internationale Arbeiterklasse. Eine marxistische Einschätzung, Erklärung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, 7. Nov. 1998, http://www.wsws.org/de/1998/nov1998/glob-n07.shtml, S.72
143 Ebenda
144 Ebenda
145 Ebenda, S. 74
146 The Globalization of Capitalist Production and the International Tasks of the Working Class, Labor Publications, Southfield MI 1993, p. 8 (Zitiert in: "Sozialistische Kandidatur in den US-Präsidentschaftswahlen" http://web.archive.org/web/20040 203110017/www.wsws.org/de/2004/jan2004/sepw-j31.shtml)
147 Ebenda, p. 51 (Aus dem Englischen)
148 David North, Die Gründung einer neuen Partei in den USA, 1995, Seite 26-27
149 Ebenda, S. 32
150 Ebenda, 33-35
151 David North: Nach der Schlächterei: Politische Lehren aus dem Balkankrieg. 16. Juni 1999 http://web.archive.org/web/20010201162500/www.wsws.org/de/1999/jun1999/bila-j16.shtml
152 Ebenda
153 David North: Die Krise des amerikanischen Kapitalismus und der Irakkrieg, 25. März 2004 http://www.wsws.org/de/2003/apr2003/nort-a03.shtml
154 Nick Beams: Die Weltkrise des Kapitalismus und die Perspektive des Sozialismus, Teil 2, http://www.wsws.org/de/2008/feb2008/nb2-f12.shtml
155 David North, Anmerkungen zur politischen und ökonomischen Krise des kapitalistischen Weltsystems und die Perspektiven und Aufgaben der Socialist Equality Party, 16. Januar 2008, http://www.wsws.org/de/2008/jan2008/noti-j16_prn.html
156 Writings of Leon Trotsky [1938-39], "The Founding of the Fourth International", Pathfinder, New York 2002, p. 93 (Aus dem Englischen)

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