Die historischen und internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party

Teil 9

Die US-amerikanische Socialist Equality Party (SEP) hat vom 3. bis 9. August 2008 ihren Gründungskongress durchgeführt. Der Kongress diskutierte und verabschiedete ein Dokument über die "historischen und internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party", das wir hier in deutscher Übersetzung in elf Teilen veröffentlichen. Bereits in deutscher Übersetzung erschienen sind ein Bericht über den Gründungskongress und die Grundsatzerklärung der SEP, die ebenfalls vom Gründungskongress verabschiedet wurde.

Die Weltsituation verändert sich: die kapitalistische Gegenoffensive

171. Die Periode von 1968 bis 1975 erlebte einen enormen Aufschwung der Arbeiterklasse. Linke und sozialistische Bewegungen verzeichneten weltweit ein starkes Wachstum. Auf dem Höhepunkt einer machtvollen Streikbewegung der britischen Arbeiter erschien im Daily Telegraph ein Leitartikel mit der Überschrift: "Wer soll regieren?", der die Gefahr eines revolutionären Sturzes des kapitalistischen Staates durch die Arbeiterklasse direkt ansprach. In den Vereinigten Staaten scheiterte die Nixon-Administration mit ihrem - von der AFL-CIO-Bürokratie unterstützten - Versuch, einen Lohnstopp durchzusetzen, am breiten Widerstand einer zunehmend militanten Arbeiterklasse. In einem Land nach dem anderen bewiesen die Arbeiter ihre Entschlossenheit, für ihre Klasseninteressen einzustehen. Die zentrale geschichtliche Frage, auf die Trotzki 1938 hingewiesen hatte - die "historische Krise der Führung des Proletariats" - blieb ungelöst. Die Bürokratien der alten stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften nutzten ihre einflussreichen Positionen, - unterstützt von pablistischen Tendenzen -, um Massenkämpfe, die die bürgerliche Herrschaft gefährdeten, irrezuleiten, zu desorientieren und niederzuhalten. Situationen, die außerordentliche revolutionäre Möglichkeiten boten, wurden in falsche Bahnen gelenkt, entschärft, verraten und in die Niederlage geführt. Die Folgen des politischen Verrats der Stalinisten und Sozialdemokraten fanden einen besonders schrecklichen Ausdruck in Chile, wo die "sozialistische" Allende-Regierung mit Hilfe der Kommunistischen Partei alles in ihrer Macht Stehende tat, um die Arbeiterklasse an der Machtübernahme zu hindern. Allende kam zwar selbst ums Leben, weil er versucht hatte, den Sturz des bürgerlichen Staates zu verhindern. Aber dies schmälerte in keiner Weise seine politische Verantwortung, da er dem Militärputsch vom 11. September 1973 unter General Augusto Pinochet Vorschub geleistet hatte.

172. Das Unvermögen der Arbeiterklasse, die von ihren eigenen Organisationen errichteten Barrieren zu überwinden, verschafften der Bourgeoisie die notwendige Zeit, die fragile Weltordnung zu stabilisieren und neu zu ordnen. Mitte 1975 deutete einiges darauf hin, dass der Höhepunkt der Wirtschaftskrise vorbei war. Dollars, die nach der Vervierfachung der Ölpreise in den Nahen Osten geflossen waren ("Petrodollars"), wurden vom Internationalen Währungsfond (IWF) in die wichtigsten kapitalistischen Bankzentren zurückgeschleust, um das internationale Finanzsystem mit neuer Liquidität zu versorgen. Die IWF-gesponserte "Reflation" verschafften dem Premierminister Harold Wilson (Labour Party) den finanziellen Spielraum, den er für zeitweilige Kompromisse mit der Gewerkschaftsbürokratie benötigte, während er gleichzeitig den Boden für neue Angriffe auf die Arbeiterklasse bereitete. 1975 fanden die reaktionären politischen Absichten der Labour-Regierung einen besonders krassen Ausdruck, als die Wilson-Regierung eine beispiellose Polizeirazzia gegen das Schulungszentrum der Workers Revolutionary Party anordnete.

173. Ende 1975 war die internationale Bourgeoisie so weit, die Enttäuschung in der Gesellschaft ausnutzen zu können. Diese Enttäuschung war durch die Unfähigkeit der Arbeiterklasse, die Krise durch eine sozialistische Lösung beizulegen, hervorgerufen worden. In Australien griff im November 1975 Generalgouverneur Sir John Kerr in die politische Krise ein, die durch die provokativen Aktionen der bürgerlichen Liberal Party zur Absetzung der demokratisch gewählten Labour-Regierung von Gough Whitlam entstanden war. Das geschah zu einem Zeitpunkt, als allgemein bekannt war, dass die CIA tief in Aktivitäten verstrickt war, die Whitlam-Regierung zu destabilisieren. Kerrs "Putsch" traf auf heftigen Widerstand der Arbeiterklasse. Diese erwartete von Whitlam, dass er Widerstand leiste und offen gegen Kerry Position beziehe. Die Forderung an Whitlam, Kerry zu "entlassen", wurde von Hunderttausenden von demonstrierenden Arbeitern in ganz Australien erhoben. Whitlam jedoch kapitulierte feige vor dem Generalgouverneur und trat zurück. Solche Demonstrationen politischer Feigheit seitens der Arbeiterbürokratien überzeugten die Bourgeoisie nur umso mehr davon, dass sie die Arbeiterklasse straflos angreifen könne. In Argentinien stürzte das Militär das peronistische Regime, das die Unterstützung der Pablisten genossen hatte, und setzte eine Schreckensherrschaft gegen die Linke in Gang. In Sri Lanka und Israel kamen rechte Regierungen an die Macht, die der Keynesschen Wirtschaftspolitik den Kampf ansagten und eine monetaristische Politik im Sinne Milton Friedmans verfolgten. Friedmans wirtschaftspolitische Auffassungen von der Diktatur waren bereits in Chile umgesetzt worden.

174. 1979 kamen die Tories unter Führung Margaret Thatchers in Großbritannien an die Macht. Die politischen Voraussetzungen für ihren Sieg hatte die rechte Politik der Labour-Regierung geschaffen. Der Zorn der Arbeiterklasse entlud sich in einer Streikwelle Ende 1978 und Anfang 1979 im so genannten "Winter der Unzufriedenheit". Die Gewerkschaftsbürokratie sabotierte jeden einzelnen dieser Kämpfe. In den Vereinigten Staaten vollzog die Carter-Administration nach einem langen, mehr als hundert Tage dauernden Streik der Bergarbeiter 1977-78 einen scharfen Rechtsschwenk. Die Regierung berief sich auf ein Gesetz, den Taft-Hartley-Act, und ordnete die Wiederaufnahme der Arbeit an. Als die Streikenden sich jedoch darüber hinwegsetzten, konnte sich die Regierung nicht durchsetzen. Die amerikanische herrschende Klasse schloss daraus, dass künftige Angriffe gegen die Arbeiterklasse sorgfältiger vorbereitet werden müssten. Im August 1979 ernannte Carter Paul Volcker zum Vorsitzenden der Notenbank. Volcker ging daran, die Zinssätze auf Rekordniveau anzuheben, um eine Rezession auszulösen. Die Folge waren deutlich höherer Arbeitslosenzahlen, was die Arbeiterklasse schwächte. Eine große rechte Offensive wurde vorbereitet. Die Nominierung von Ronald Reagan als Präsidentschaftskandidat der Republikaner und seine Wahl im November 1980 bestätigten die scharfe Wende zur Klassenkonfrontation. Im Januar 1981 trat Reagan sein Amt an. Im August, kaum mehr als sechs Monate später, reagierte die Reagan-Administration auf den Streik der Fluglotsengewerkschaft PATCO, indem sie 11.000 Streikende entließ. Die AFL-CIO weigerte sich, die Fluglotsen zu verteidigen. Dieser Angriff bezeichnete den Anfang vom Ende der Gewerkschaftsbewegung als wichtige gesellschaftliche Kraft in den Vereinigten Staaten. Die Regierung hatte der Wirtschaft grünes Licht für offenen Streikbruch gegeben. Die AFL-CIO hatte außerdem deutlich gemacht, dass sie nichts tun werde, um das rechte Wüten gegen die Arbeiterklasse zu stoppen.

175. Die Rückschläge, die die Arbeiterklasse in den großen kapitalistischen Zentren einstecken musste, machten den Weg für eine aggressivere Durchsetzung imperialistischer Interessen frei. Premierministerin Thatcher entsandte die britische Marine in den Südatlantik, um Argentinien von den Malwinen (Falkland-Inseln) zu verdrängen. Die Reagan-Regierung verstrickte sich tief in einen schmutzigen Krieg gegen linke Kräfte in El Salvador und Nicaragua, verstärkte ihre Zusammenarbeit mit den Mujaheddin in Afghanistan, schickte US-Truppen in den Libanon, verschärfte ihre antisowjetische Rhetorik über das "Reich des Bösen" und griff mit Truppen auf Grenada ein.

Die Krise in der Workers Revolutionary Party

176. Entgegen den Erwartungen der Workers Revolutionary Party führte die Rückkehr der Labour Party an die Regierung im März 1974 nicht rasch zu Zusammenstößen zwischen der Arbeiterklasse und der neu gewählten Regierung. Die vom IWF gestützte Reflation schuf Manövrierraum für die Labour-Regierung. Diese neue Situation enthüllte die Schwächen im politischen Fundament der WRP. Die neue Partei und ihre Mitglieder waren schlecht auf die komplizierte Situation gerüstet, die durch die Rückkehr der Labour Party an die Regierung entstandenen war, denn die Umwandlung der Socialist Labour League in die WRP und die damit einher gehende "Massenrekrutierungs"-Kampagnen hatten sich hauptsächlich auf die elementare Anti-Tory-Stimmung gestützt, die in der Arbeiterklasse weit verbreitet war.

177. Die WRP suchte den Schwierigkeiten in der Entwicklung der Arbeiterklasse zu begegnen, indem sie sich anderweitig nach Unterstützung umsah. Die Pflege von Beziehungen mit verschiedenen nationalen Befreiungsbewegungen und bürgerlich-nationalistischen Regimes seit 1976 brachte eine stark ausgeprägte politische Fehlorientierung zum Ausdruck. Die WRP rückte von ihrem früheren Standpunkt ab, der dem Kampf gegen den Revisionismus die zentrale Bedeutung im Aufbau der marxistischen Bewegung eingeräumt hatte, und Healy und seine engsten Mitarbeiter, Cliff Slaughter und Mike Banda, näherten sich immer offener den pablistischen Konzeptionen an, die sie in den 1950er und 1960er Jahren bekämpft hatten. Ihre Kapitulation vor dem pablistischen Programm ging mit der Entwicklung einer idealistischen Mystifikation des Marxismus einher, die die dialektisch-materialistische Methode der Analyse grob verfälschte.

Die Kritik der Workers League an der WRP

178. In den 1960er und frühen 1970er Jahren hatte die britische trotzkistische Bewegung einen außerordentlich positiven Einfluss auf die Workers League ausgeübt. Die Entstehung und frühe Entwicklung der Workers League wäre ohne die unschätzbare Erfahrung der Socialist Labour League und Gerry Healys nicht möglich gewesen. Aber nach dem Bruch mit Wohlforth vollzog sich die Entwicklung der Workers League auf eine deutlich andere Weise als die der WRP. Der wesentliche Unterschied lag darin, dass die Workers League der Geschichte der trotzkistischen Bewegung und den Lehren des Kampfes gegen den Pablismus größte Beachtung schenkte.

179. Nach dem Bruch mit Wohlforth richtete die Workers League ihre Arbeit stark an der Arbeiterklasse aus. In den 1970er Jahren begann sie, in den Kämpfen der militantesten Teile der Arbeiterklasse, vor allem unter den in der Gewerkschaft UMWA organisierten Bergarbeitern, eine starke Präsenz zu entwickeln. 1978 entschied die Workers League, ihr politisches Zentrum nach Detroit zu verlegen. Damit wollte sie eine engere Verbindung zum täglichen Leben und den Kämpfen der Arbeiterklasse herstellen. In den folgenden Jahren spielten die Workers League und ihre Zeitung, The Bulletin, eine wichtige Rolle in den Streiks der Fluglotsen, der Kupferbergarbeiter von Phelps Dodge, der Greyhound-Busfahrer, der Hormel-Arbeiter und in zahlreichen weiteren Streiks in den Kohlebergwerken in West Virginia und Kentucky. Doch in all diese Kämpfe griff die Workers League nicht von dem Standpunkt ein, gewerkschaftliche Militanz in den Himmel zu loben, sondern sie verstand sie als wichtige politische Kämpfe, die die Entwicklung von sozialistischem Bewusstsein und marxistischer Führung in der Arbeiterklasse erforderten. Diese Arbeit führten der Workers League die Bedeutung einer ausgearbeiteten und umfassenden internationalen revolutionären Strategie besonders klar vor Augen.

180. Die Differenzen zwischen der WRP und der Workers League traten im Herbst 1982 offen zutage. In einem Essay zum fünften Jahrestag der Ermordung Tom Henehans betonte David North, der Nationale Sekretär der Workers League, die Bedeutung der Geschichte in der Ausbildung des Kaders der marxistischen Bewegung. Er schrieb:

"Der eigentliche Kern des Kadertrainings besteht darin, dass sich alle, die der Partei beitreten, bewusst den revolutionären Prinzipien unterordnen, die die historische Kontinuität des Marxismus beinhalten. Mit ‚historischer Kontinuität’ meinen wir die ununterbrochene Kette der politischen und ideologischen Kämpfe, die unsere internationale Bewegung gegen den Stalinismus, die Sozialdemokratie, den Revisionismus und alle anderen Feinde der Arbeiterklasse geführt hat...

Revisionisten und politische Scharlatane aller Art gründen ihre Politik ausnahmslos auf die unmittelbaren praktischen Erfordernisse, mit denen sie gerade konfrontiert sind. Für prinzipielle Überlegungen dagegen braucht man ein ernsthaftes Studium der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung und Kenntnis ihrer Entwicklung als gesetzmäßiger Prozess. Dieses Wissen und die daraus folgende ständige kritische Überarbeitung der objektiven Erfahrungen der Arbeiterbewegung sind diesen Pragmatisten völlig fremd....

Eine Führung, die nicht kollektiv daran arbeitet, sich diese gesamte Geschichte anzueignen, kann ihrer revolutionären Verantwortung gegenüber der Arbeiterklasse nicht wirklich gerecht werden. Ohne tatsächliche Kenntnis der historischen Entwicklung der trotzkistischen Bewegung sind Hinweise auf den Dialektischen Materialismus mehr als nur hohl; in Wirklichkeit öffnen derartige leere Hinweise Tür und Tor für eine Verzerrung der dialektischen Methode. Die Quelle der Theorie liegt nicht im Denken, sondern in der objektiven Welt. Daher gründet sich die Entwicklung des Trotzkismus auf die neuen Erfahrungen im Klassenkampf, die im Lichte des gesamten Wissens unserer Bewegung untersucht werden."[105]

181. North legte der WRP eine detaillierte Kritik der von Healy verfassten Studies in Dialectical Materialism vor. Diese Kritik zeigte auf, dass Healys Konzeption der Dialektik eine Zurückweisung des Materialismus und eine Rückkehr zu der Art von subjektiv idealistischer Philosophie beinhaltete, die Marx in seiner Kritik der Linkshegelianer Anfang der 1840er Jahre überwunden hatte. North schrieb:

"Gen. Healys Studien im dialektischen Materialismus leiden an einem entscheidenden Mangel: sie ignorieren im Wesentlichen die Errungenschaften sowohl von Marx als auch von Lenin bei der materialistischen Überarbeitung der Hegelschen Dialektik. Hegel wird als unkritisch behandelt, im Wesentlichen auf die Art und Weise der Junghegelianer, gegen die Marx gekämpft hatte. ...

Gen. Healy beachtet nicht die oft wiederholten Warnungen von Marx und Engels, dass die Hegelsche Dialektik in der Form, in der sie hinterlassen worden war, unbrauchbar sei. So versucht Gen. Healy, den Erkenntnisprozess direkt aus der Hegelschen Logik zu erklären. Dies ist ein falscher Ansatz. Der Denkprozess kann ebenso wenig wie die Natur des Staates aus der Logik erklärt werden. ...

Der Ausdruck ‘Hegel auf die Füße stellen’ darf nicht benutzt werden, um die große wissenschaftliche Leistung zu verniedlichen, die in dieser Aufgabe beinhaltet ist. Worum es ging, war nichts weniger, als die materialistische Weltanschauung zu begründen, mit der die Gesetze der Natur, der Gesellschaft und des Bewusstseins erfasst werden können. Das Hauptanliegen der Philosophie war nicht mehr die ‘Sache der Logik’, sondern die ‘Logik der Sache’.

Marx wies klar nach, dass das Hegelsche logische System, wenn man es so, wie es ist, anwendet, unweigerlich zu Sophisterei führt, und zwar durch die Manipulation logischer Kategorien und anschließend die Manipulation empirischer Tatsachen, um sie den vorgefassten Kategorien anzupassen."[106]

182. Abschließend fasste North seine Kritik an der politischen Entwicklung des IKVI unter der Führung der WRP zusammen. "Die Studien in der Dialektik" schrieb North, "haben eine Krise ans Tageslicht gebracht, die sich im Internationalen Komitee über eine beträchtliche Zeit hin entwickelt hat. Seit mehreren Jahren (meiner Ansicht nach begann dies 1976 und fing erst 1978 an zu dominieren) hat sich das Internationale Komitee im Namen des Kampfes für den Dialektischen Materialismus und gegen Propagandismus immer mehr vom Kampf für den Trotzkismus abgewandt". Die Kritik an Healys theoretischer Methode verband er mit einer Analyse der Beziehungen der WRP mit bürgerlich-nationalistischen Regimes im Nahen Osten. "Eine Vulgarisierung des Marxismus, die uns als 'Kampf für die Dialektik' angedreht worden ist, wurde von einer unmissverständlichen Abweichung zum Opportunismus innerhalb des Internationalen Komitees, besonders innerhalb der WRP begleitet", schrieb North. "Marxistische Verteidigung von nationalen Befreiungsbewegungen und der Kampf gegen den Imperialismus wurden auf opportunistische Weise ausgelegt, nämlich als unkritische Unterstützung verschiedener bürgerlicher nationalistischer Regime."[107]

183. Im Januar-Februar 1984 legte die Workers League eine umfassendere Analyse der Degeneration der WRP vor. In einem Brief vom 23. Januar 1984 an Michael Banda, den Generalsekretär der WRP, stellte North fest, die Workers League sei "äußerst besorgt über wachsende Anzeichen eines politischen Abdriftens auf Positionen, die - sowohl in ihren Schlussfolgerungen, wie in ihrer Methode - sehr denen ähneln, die wir historisch dem Pablismus zugeschrieben haben".

Er machte darauf aufmerksam, dass das Internationale Komitee "seit einiger Zeit ohne eine klare, politisch geeinte Perspektive arbeitet, die seine Praxis anleitet. Anstatt auf die Perspektive des Aufbaus von Sektionen des Internationalen Komitees in jedem Land konzentrierte sich die Arbeit des IKs seit einer Reihe von Jahren auf Bündnisse mit verschiedenen bürgerlich nationalistischen Regimes und Befreiungsbewegungen. Der Inhalt dieser Bündnisse hat immer weniger eine klare Orientierung auf die Entwicklung unserer Kräfte widergespiegelt, den zentralen Punkt für den Kampf, die Führungsrolle des Proletariats im antiimperialistischen Kampf in den halbkolonialen Ländern durchzusetzen. Die gleichen Auffassungen, die wir bei der SWP in Bezug auf Algerien und Kuba Anfang der sechziger Jahre so heftig angriffen, erscheinen immer häufiger in unserer eigenen Presse."[108]

184. In einem Bericht an das Internationalen Komitee der Vierten Internationale vom 11. Februar 1984 brachte North die Kritik der Workers League noch deutlicher zum Ausdruck. Darin untersuchte er die Anpassung der WRP an den bürgerlichen Nationalismus im Kontext des jahrzehntelangen Kampfes des Internationalen Komitees gegen den Pablismus, und wies gleichzeitig auf die opportunistischen Beziehungen der WRP mit reformistischen Tendenzen in Großbritannien hin. North erklärte:

"Das Internationale Komitee gründet sich auf die Traditionen und Prinzipien, die durch die politischen, theoretischen und organisatorischen Kämpfe aller vorhergehenden Generationen von Marxisten geschaffen wurden - und der Weg, auf dem diese Kontinuität mit den früheren Generationen durch das IK entwickelt wurde, war der Kampf gegen jede Spielart des Antimarxismus, die innerhalb der Arbeiterbewegung besonders innerhalb der trotzkistischen Bewegung selbst, auftauchte."[109]

185. North bemerkte, dass die von Barnes Ende 1982 verkündete ausdrückliche Zurückweisung der Theorie der Permanenten Revolution durch die amerikanische SWP den Kampf des IKVI gegen den pablistischen Revisionismus bestätigte. Anstelle des Kampfes für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse machte sich die SWP für bürgerlich-nationalistische und kleinbürgerliche Bewegungen wie die New Jewel-Bewegung auf Grenada, die Sandinistas in Nicaragua und die Farabundo Marti in El Salvador stark. In diesem Zusammenhang betonte North die Notwendigkeit, die politischen Erfahrungen des IKVI zu untersuchen. Mit Blick auf dessen politische Beziehungen zu nationalen Bewegungen im Nahen Osten schrieb North:

"Spätestens seit Mitte 1978 entwickelte sich eindeutig eine allgemeine Ausrichtung hin zu Beziehungen mit nationalistischen Regimes und Befreiungsbewegungen, ohne eine entsprechende Perspektive für den tatsächlichen Aufbau unserer eigenen Kräfte innerhalb der Arbeiterklasse. In unserer Presse begann sich immer offener eine völlig unkritische und unrichtige Einschätzung breitzumachen, die die Kader und die Arbeiterklasse dazu aufforderte, diese bürgerlichen Nationalisten als ‚antiimperialistische’ Führer zu betrachten, denen politische Unterstützung gegeben werden müsse."[110]

186. North kritisierte die Unterstützung der WRP für die Unterdrückungsmaßnahmen Saddam Husseins gegen die irakische Kommunistische Partei, darunter die Hinrichtung von 21 ihrer Mitglieder im Jahr 1979, die Lobhudelei auf das iranische Regime von Ayatollah Khomeini, nachdem die Revolution vom Februar 1979 zunächst richtig eingeschätzt worden war, und die unkritische Unterstützung für den Führer der libyschen Dschamahirija, Muammar al-Gaddafi von 1977 bis 1983. North führte auch die Beziehungen an, die die WRP mit Teilen der Labour Party geknüpft hatte, zum Beispiel mit Ken Livingstone und Ted Knight, und dem Greater London Council.

187. Die Workers Revolutionary Party weigerte sich, diese Differenzen zu diskutieren. Sie drohte sogar, die Beziehungen zur Workers League abzubrechen, sollte diese ihre Kritik aufrechterhalten. Dieser prinzipienlose und opportunistische Kurs hatte schließlich vernichtende Auswirkungen auf die WRP. Nur wenig mehr als ein Jahr später, im Herbst 1985, wurde die WRP das Opfer einer organisatorischen Krise. Sie war das Ergebnis einer Entwicklung über zehn Jahr hinweg, in denen die Prinzipien, die der Gründung der Vierten Internationale und des Internationalen Komitees zugrunde gelegen hatten, immer mehr aufgegeben wurden. Die Weigerung der WRP, die politischen Ratschläge des IKVI anzunehmen, und ihre Verfolgung politischer Interessen, die sie ausschließlich nationalistisch verstand, führten im Februar 1985 zur Spaltung.

Der Zusammenbruch der WRP und die Spaltung im Internationalen Komitee

188. Im August 1985 wurden Mitglieder des Internationalen Komitees nach London einbestellt, wo Healy und andere Führer der WRP sie informierten, dass die britische Sektion in einer ernsten finanziellen Krise stecke. Man teilte den IKVI-Mitgliedern mit, die Probleme seien durch unerwartete Steuernachzahlungen und erhebliche Kostensteigerungen beim Vertrieb der Newsline, der Tageszeitung der WRP, entstanden. Die WRP-Führer richteten einen dringlichen Appell um finanzielle Unterstützung an die Sektionen des IKVI. Wie sich bald herausstellen sollte, bestand der Bericht an das IKVI weitestgehend aus Lügen. Obendrein informierte die WRP die IK-Mitglieder nicht darüber, dass innerhalb der Führung der britischen Sektion eine Krise durch Vorwürfe ungebührlichen persönlichen Verhaltens von Healy selbst ausgebrochen war. Nicht nur Healy, sondern auch Michael Banda und Cliff Slaughter lehnten Forderungen aus dem Zentralkomitee nach einer Untersuchung dieser Vorwürfe durch eine Kontrollkommission ab. Während sie um Geld vom IKVI baten, um die Probleme in Schach zu halten, die durch die interne politische Krise der britischen Sektion entstanden waren, versuchte die WRP gleichzeitig, diese Tatsachen vor den IKVI-Mitgliedern zu verheimlichen. Als sich jedoch der Fraktionskampf innerhalb der WRP im Lauf der nächsten Wochen verschärfte, erfuhr das IKVI die Einzelheiten der Krise. David North, der die Workers League vertrat, Nick Beams (von der Socialist Labour League, Australien), Ulrich Rippert und Peter Schwarz (vom Bund Sozialistischer Arbeiter in Deutschland) und Keerthi Balasuriya (von der Revolutionary Communist League in Sri Lanka) reisten nach Großbritannien, um die politische Situation in der Workers Revolutionary Party zu untersuchen. Sie betonten, dass die Krise, die sich in der britischen Sektion entwickelt hatte, ihre Wurzeln in langjährigen politischen Problemen hatte, die mit dem internationalen Programm und den internationalen Perspektiven in Zusammenhang stünden. Sie teilten den Führern der WRP mit, dass das IKVI im Kampf zwischen verschiedenen prinzipienlosen Fraktionen innerhalb der WRP-Führung keine Partei ergreifen werde. Das IKVI wies die Versuche der WRP-Führer, die internationale Bewegung für ihre eigenen nationalistischen und opportunistischen Zwecke zu benutzen, rundheraus zurück. Die WRP konnte ihre Krise vielmehr nur dann politisch überwinden, wenn die britische Organisation die Disziplin der internationalen Bewegung anerkannte.

189. Am 25. Oktober 1985 beschloss das Internationale Komitee, Healy auszuschließen, nachdem es die Vorwürfe gegen ihn überprüft hatte. In der Stellungnahme, die das IKVI herausgab, heißt es:

"Mit dem Ausschluss von Healy verfolgt das IKVI keineswegs die Absicht, den politischen Beitrag zu leugnen, den er in der Vergangenheit, vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren im Kampf gegen den pablistischen Revisionismus, geleistet hat.

In Wirklichkeit ist dieser Ausschluss das Endergebnis seiner Zurückweisung der trotzkistischen Prinzipien, die die Grundlage dieser vergangenen Kämpfe bildeten, und seines Abstiegs zu den vulgärsten Formen des Opportunismus.

Die politische und persönliche Degeneration von Healy kann eindeutig darauf zurückgeführt werden, dass er die praktischen und organisatorischen Fortschritte der trotzkistischen Bewegung in Großbritannien immer ausdrücklicher von den historisch und international begründeten Kämpfen gegen Stalinismus und Revisionismus trennte, denen diese Errungenschaften entsprangen.

Die zunehmende Unterordnung prinzipieller Fragen unter unmittelbare praktische Bedürfnisse beruhte auf der Sorge um ein Wachsen des Parteiapparates. Dies degenerierte zu einem politischen Opportunismus, der stetig seine eigenen politischen und moralischen Widerstandskräfte gegenüber dem Druck des Imperialismus im ältesten kapitalistischen Land der Welt untergrub.

Unter diesen Bedingungen spielten seine ernsthaften subjektiven Schwächen eine zunehmend gefährlich politische Rolle.

Während er in der WRP wie im IKVI immer willkürlicher vorging, schrieb Healy die Fortschritte der Weltpartei in wachsendem Maße seinen eigenen persönlichen Fähigkeiten, anstatt den marxistischen Prinzipien der Vierten Internationale und dem kollektiven Kampf ihrer Kader zu.

Die Selbstverherrlichung seiner intuitiven Urteile führte zwangsläufig zu einer groben Vulgarisierung der materialistischen Dialektik und zu Healys vollständiger Verwandlung in einen subjektiven Idealisten und Pragmatiker.

Sein Interesse an den komplexen Problemen der Entwicklung der Kader der internationalen trotzkistischen Bewegung wurde durch eine Praxis abgelöst, die fast vollständig von der Entwicklung prinzipienloser Beziehungen mit bürgerlichen nationalistischen Führern und Reformisten in den britischen Gewerkschaften und der Labour Party beherrscht war.

Sein persönlicher Lebensstil verfiel einer entsprechenden Degeneration.

Diejenigen, die wie Healy die Prinzipien aufgeben, für die sie einst gekämpft haben, und die sich weigern, sich selbst dem IKVI im Aufbau seiner nationalen Sektionen unterzuordnen, müssen unter dem Druck des Klassenfeindes unweigerlich degenerieren.

Es kann keine Ausnahme von diesem historischen Gesetz geben.

Das IKVI bekräftigt, dass kein Führer über den historischen Interessen der Arbeiterklasse steht."[111]

190. Ungeachtet ihres Fraktionskampfs gegen Healy teilten Banda und Slaughter seine opportunistische und nationalistische Perspektive. Sie versuchten nicht weniger als Healy, eine Untersuchung der Ursprünge und der Entwicklung der Krise der Organisation, in der sie mehr als drei Jahrzehnte lang eine führende Rolle gespielt hatten, zu verhindern. Darüber hinaus wurde sehr schnell klar, dass Banda und Slaughter keine Einschränkung der politischen Bündnisse und Aktivitäten der WRP auf internationaler Ebene akzeptieren würden. Am 11. Dezember 1985 schrieb das Politische Komitee der Workers League an das Zentralkomitee der WRP:

"Im Laufe der vergangenen drei Monate hat die Workers League wiederholt festgestellt, dass die politische Krise innerhalb der Workers Revolutionary Party nur überwunden werden kann, wenn die britische Sektion so eng wie irgend möglich mit ihren internationalen Genossen zusammenarbeitet. Leider gibt es nach der jahrelangen systematischen falschen Ausbildung unter Healy viele Genossen in der Führung der WRP, die verächtlich auf das Internationale Komitee hinabblicken und die Aufrufe des Internationalen Komitees zu wirklicher Zusammenarbeit und gegenseitiger Konsultation als unerwünschte Einmischung in das Leben der britischen Sektion betrachten. Wenn diese Genossen ‘Unterordnung der WRP unter das Internationale Komitee’ hören, reagieren sie feindselig. Wir haben es hier natürlich nicht mit den subjektiven Schwächen einzelner Mitglieder zu tun. Die Tatsache, dass innerhalb der WRP starke nationalistische Tendenzen existieren, ist eine politische Widerspiegelung der historischen Entwicklung der Arbeiterklasse im ältesten imperialistischen Land der Welt. Diese Tendenzen können überwunden werden, wenn sie erkannt und bewusst bekämpft werden, und die Verantwortung, diesen Kampf zu führen, liegt bei der Führung der Workers Revolutionary Party.

Wir stehen jetzt vor der großen Gefahr, dass die Führung den Anti-Internationalismus in der Partei fördert. Die nationale Selbständigkeit der Workers Revolutionary Party wird der Autorität des Internationalen Komitees, des führenden Gremiums der Weltpartei der sozialistischen Revolution, entgegengestellt."[112]

191. In Erwiderung auf Slaughters Behauptung, dass "der Internationalismus genau darin besteht,... Klassenlinien festzulegen und sie durchzukämpfen", fragte das Politische Komitee:

"Aber wie werden diese ‘Klassenlinien’ bestimmt? Erfordert dieser Vorgang die Existenz der Vierten Internationale? Genosse Slaughters Definition legt nahe - und das ist der ausdrückliche Inhalt seines gesamten Briefes -, dass sich jegliche nationale Organisation auf die Ebene des Internationalismus heben kann, indem sie es von sich aus unternimmt, die ‘Klassenlinien festzulegen und sie durchzukämpfen.’"

Die Workers League erinnerte Slaughter: "Das Internationale Komitee ist die historische Verkörperung der ‘ganzen programmatischen Grundlage des Trotzkismus und des Marxismus von Marx und Lenin.’ Die Unterordnung der nationalen Sektionen unter das IK ist der organisierte Ausdruck davon, dass sie mit diesem Programm übereinstimmen und es verteidigen. Wenn jemand bei seiner Definition des Internationalismus das Programm von seinem organisatorischen Ausdruck trennt, nimmt er den Standpunkt all der revisionistischen uns zentristischen Feinde des Trotzkismus ein, die die Kontinuität des Marxismus, wie er im Internationalen Komitee verkörpert ist, leugnen, um sich innerhalb ihrer nationalen Arena freie Hand zu verschaffen."[113]

192. Am 16. Dezember 1985 erhielt das Internationale Komitee einen Bericht der Internationalen Kontrollkommission, die es eingesetzt hatte, um die politischen und finanziellen Beziehungen zu untersuchen, welche die WRP zwischen 1976 und 1985 zu verschiedenen bürgerlich-nationalen Regimen im Nahen Osten aufgebaut hatte. Dieser Bericht bewies schlüssig, dass die WRP politische Beziehungen eingegangen war, die die Prinzipien der Vierten Internationale verraten, und diese Beziehungen gleichzeitig dem IKVI verschwiegen hatte. Das Internationale Komitee stimmte dafür - gegen die Stimmen von WRP-Delegierten, die die Fraktionen von Slaughter und Banda vertraten -, die WRP von der Mitgliedschaft in der internationalen Organisation zu suspendieren. Diese Resolution wurde von David Hyland unterstützt, der einen bedeutenden Teil der WRP-Mitgliedschaft vertrat, die sich in politischer Übereinstimmung mit dem Internationalen Komitee befand.

193. Die Suspendierung der WRP stellte eine unmissverständliche Bekräftigung der Prinzipien des revolutionären Internationalismus innerhalb der Vierten Internationale dar. Mit diesem Schritt machte das IKVI klar, dass es keine Unterordnung der internationalistischen trotzkistischen Prinzipien unter irgendeine Form des nationalen Opportunismus zulassen würde. Der Zweck der Suspendierung war nicht, die WRP zu bestrafen, sondern die Bedingungen für eine Mitgliedschaft im IKVI klarzustellen. Eine zweite Resolution des IKVI vom 17. Dezember 1985 spezifizierte die historischen und programmatischen Grundlagen, auf die das IKVI sich gründet. Es rief die WRP auf, diese Prinzipien erneut zu bestätigen und dadurch die eigene rasche Wiederaufnahme in das IKVI vorzubereiten. Die Resolution schloss mit den Worten:

"Das IKVI und das Zentralkomitee der WRP werden nun eng zusammenarbeiten, um die bestehenden Probleme so schnell wie möglich zu überwinden, die ein Erbe der nationalistischen Degeneration der WRP unter Healy sind, um die grundlegenden Prinzipien des Internationalismus in der WRP wieder zu festigen, und auf dieser Grundlage ihre volle Mitgliedschaft im Internationalen Komitee der Vierten Internationale wiederherzustellen. Die organisatorische Struktur dieser Beziehung soll sich stets auf die leninistischen Prinzipien des demokratischen Zentralismus gründen, die in den Statuten der Vierten Internationale ausgeführt sind."[114]

194. Erneut stimmten die Delegierten der WRP mit Ausnahme von David Hyland gegen die Resolution. Ihr Abstimmungsverhalten machte klar, dass die WRP weder das Programm noch die Autorität des Internationalen Komitees akzeptierte. Einen Monat später widerrief das Zentralkomitee der WRP sein im Oktober 1985 gegebenes Einverständnis, die Mitgliedschaft neu zu registrieren und nur jene als Mitglieder aufzunehmen, die damit einverstanden waren, dass Mitgliedschaft in der britischen Sektion die Anerkennung der politischen Autorität des Internationalen Komitees voraussetzt. Hyland und zwei weitere Mitglieder des Zentralkomitees der WRP lehnten die Zurückweisung dieser Vereinbarung durch die WRP ab. Der Beschluss des Zentralkomitees der WRP bedeutete die Spaltung vom Internationalen Komitee. Am 8. Februar 1986 hielt die WRP einen Rumpfkongress ab, an dem teilzunehmen allen Anhängern des Internationalen Komitees verwehrt wurde. Diese politische Farce bedeutete das endgültige Ende der WRP als trotzkistischer Organisation. Das Hauptdokument, das für diesen Kongress vorbereitet wurde, war eine von Banda verfasste, antitrotzkistische Tirade mit dem Titel 27 Gründe, warum das Internationale Komitee unverzüglich beerdigt und die Vierte Internationale aufgebaut werden sollte. Nur wenige Monate, nachdem er dieses Dokument verfasst hatte, distanzierte sich Banda von seiner fast 40jährigen Zugehörigkeit zur Vierten Internationale und verkündete seine Bewunderung für Stalin. Was die WRP angeht, so lösten sich ihre verschiedenen Fraktionen eine nach der anderen auf. Es dauerte nicht einmal ein Jahrzehnt, da unterstützten Slaughter und andere ehemalige Führer der WRP aktiv die US-NATO-Operation in Bosnien. Die einzige lebensfähige Tendenz in der britischen Organisation, die aus dem Zusammenbruch der WRP hervorging, war die von Dave Hyland angeführte, die die Prinzipien des IKVI verteidigte. Diese Tendenz gründete im Februar 1986 die International Communist Party, die Vorläuferorganisation der heutigen Socialist Equality Party, der britischen Sektion des IKVI.

Eine zusätzliche Anmerkung über die Ursache und Bedeutung der Spaltung im IKVI

195. Wie 1953 nahm die Spaltung im Internationalen Komitee, die sich zwischen 1982 und 1986 entwickelte, gewaltige Veränderungen vorweg, die in der letzten Hälfte der 1980er Jahre die gesamte Struktur der Weltpolitik, wie sie in den vier Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten. Weltkriegs existiert hatte, zerstören sollte. Die langwierige Krise der WRP war ein vielschichtiger und widersprüchlicher Prozess. Ihr grundlegender Ursprung lag nicht in den Schwächen des einen oder anderen Individuums, sondern in Veränderungen in den Beziehungen der Klassenkräfte im internationalen Maßstab. Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine politische Partei, die über viele Jahrzehnte hinweg eine ungeheuer positive Rolle in der Entwicklung der Arbeiterklasse gespielt hat, in einer späteren Periode, wenn sich neue Bedingungen entwickeln und neue Aufgaben gestellt werden, in eine Krise gerät. Besonders tragische Beispiele für dieses historische Phänomen sind die deutsche Sozialdemokratie und die bolschewistische Partei. Ihre historischen Leistungen werden jedoch durch ihr unrühmliches Schicksal nicht ausgelöscht.

196. Ebenso wenig wurden die Errungenschaften der SLL/WRP und ihres wichtigsten Führers, Gerry Healy, durch die spätere Degeneration der Organisation ausgelöscht. Wenn man auf einer objektiven Bewertung der Geschichte der SLL/WRP besteht, lohnt es sich, den Ratschlag in Erinnerung zu rufen, den Healy Wohlforth 1972 nach dem Tod von Max Shachtman gab. Wohlforth hatte einen Nachruf auf Shachtman geschrieben, in dem er den Verrat des Verstorbenen am Sozialismus und der Arbeiterklasse während der letzten Jahrzehnte seines Lebens zu Recht anprangerte. Wohlforth fügte jedoch seiner Verurteilung folgende Erklärung hinzu: "Der langen Rede kurzer Sinn: Shachtman starb als Verräter an seiner Klasse und als Konterrevolutionär." In seiner Antwort an Wohlforth bemerkte Healy: "Gleichzeitig erscheint diese Aussage selbst widersinnig zu sein, denn Shachtman starb nicht einfach, er lebte auch. Es ist ganz natürlich, dass keine freundlichen Gefühle hochkommen, wenn man an jemanden denkt, der am Ende schmählich verraten hat. Unsere Aufgabe ist es aber nicht, Schuldzuweisungen vorzunehmen, sondern zu verstehen."[115]

197. Viele Jahre lang, besonders nach der Rückkehr der SWP zum Pablismus im Jahr 1963, waren die britischen Trotzkisten praktisch die einzigen, die das Programm und das Erbe der Vierten Internationale verteidigten. Während die OCI ein immer unzuverlässigerer Verbündeter und Ende der 1960er sogar politischer Gegner wurde, kämpfte die SLL unbeugsam gegen die Versuche der Pablisten, die Vierte Internationale in das Milieu des Stalinismus, des bürgerlichen Nationalismus und des kleinbürgerlichen Radikalismus zu liquidieren. Ohne große internationaler Unterstützung kämpfte die SLL gegen das pablistische Liquidatorentum, indem sie nach besten Kräften eine starke revolutionäre Organisation in Großbritannien aufbaute. In dieses Projekt investierte Healy sein außergewöhnliches Talent als revolutionärer Organisator und Redner. Während die Pablisten darauf beharrten, der Trotzkismus könne keine unabhängige Rolle spielen, führte die SLL einen unermüdlichen politischen Krieg gegen die britische Labour Party und errang die politische Führung ihrer Jugendorganisation, der Young Socialists (YS). Als die Führung der britischen Labour Party versuchte, dieser Offensive entgegenzuwirken, indem sie Keep Left, die Zeitung der Young Socialists, verbot, wehrten sich die SLL und ihre Anhänger in den YS und erhöhten die Verbreitung der Zeitung bis zu einer Auflage von 10.000 Lesern. Schließlich wurden die Young Socialists zur offiziellen Jugendbewegung der trotzkistischen Bewegung in Großbritannien. Die Pablisten reagierten auf die Erfolge der SLL mit bösartigen politischen Verleumdungen, die von den Stalinisten begeistert unterstützt wurden. Letztere versuchten, die SLL als "gewalttätige" Organisation hinzustellen.

198. Unter den Bedingungen politischer Isolation verstand die SLL die Entwicklung der Vierten Internationale in wachsendem Maße als Nebenprodukt des Wachstums ihrer Organisation in England. Die Erfolge der Bewegung in England, so argumentierte sie, würden die Grundlage für das Wachstum des Internationalen Komitees schaffen. Auf diese Weise nahmen die Formen und Gewohnheiten der politischen Arbeit im Laufe der Zeit eine zunehmend nationalistische Färbung an. Was genau genommen ein vorübergehendes politisches Kräfteverhältnis war, das der Arbeit in Großbritannien einen übermäßigen Stellenwert im Internationalen Komitee verlieh, baute die SLL/WRP zu einer zunehmend nationalistischen Konzeption der Beziehung zwischen SLL/WRP und der Vierten Internationale mit Absolutheitsanspruch aus. Die diversen Formen opportunistischer Praxis, die die WRP in den 1970ern und bis in die 1980er Jahre entwickelte, wurden von Healy - zumindest vor sich selbst - damit gerechtfertigt, dass er durch den "Aufbau der Partei" in England langfristig die Grundlagen für die internationale Entwicklung des IKVI legte. Obwohl es in den 1970ern und Anfang der 1980er eine beträchtliche politische Entwicklung in verschiedenen Sektionen des Internationalen Komitees gegeben hatte, neigte die WRP dazu, die internationale Organisation als kaum mehr denn ein Anhängsel ihrer eigenen britischen Organisation zu sehen.

199. Das zentrale Problem dieser Herangehensweise war ihre nationalistische Grundlage, die der politischen Tradition der Vierten Internationale zuwiderlief und mit den objektiven Prozessen der globalen sozioökonomischen und politischen Entwicklung unvereinbar war. Die Krise der WRP war Teil eines umfangreicheren Prozesses, der alle Massenparteien und Gewerkschaftsorganisationen erfasste, die sich historisch auf die Arbeiterklasse gründen. Ungeachtet unterschiedlicher organisatorischer Strukturen und politischer Bündnispartner gründeten sich Stalinisten, Sozialdemokraten und reformistische Organisationen alle auf ein nationalistisches Programm. Diese grundlegende Gemeinsamkeit verband sogar so scheinbar unversöhnliche Feinde wie den amerikanischen AFL-CIO und die Kommunistische Partei der Sowjetunion. Während das Programm der letzteren auf dem sozialistischen Potential der Produktivkräfte der UdSSR beruhte, hatten die reformistischen Ziele der ersteren die angeblich unerschöpflichen wirtschaftlichen Möglichkeiten und Reichtümer des amerikanischen Kapitalismus zur Prämisse. Beide Organisationen gerieten in eine Krise, als die Entwicklungen der Technologie und die sich daraus ergebenden Veränderungen in der Produktion und der Zirkulation des Kapitals die national-reformistischen Perspektiven der Periode nach dem Zweiten Weltkrieg unbrauchbar machten.

200. Diese grundlegenden Veränderungen in der Weltwirtschaft und ihre Auswirkungen auf den internationalen Klassenkampf spiegelten sich im Internationalen Komitee wider und führten letzten Endes zur Spaltung. Der grundlegende Unterschied in der politischen Perspektive - auf der einen Seite der revolutionäre Internationalismus und auf der anderen der nationale Opportunismus - entwickelte sich lange vor der organisatorischen Spaltung. In einem Brief an Michael Banda vom 23. Januar 1984 schrieb North im Namen der Workers League: "Gleichgültig, wie vielversprechend bestimmte Entwicklungen innerhalb der nationalen Arbeit der Sektionen auch erscheinen mögen - wie unsere eigenen Erfahrungen in verschiedenen Gewerkschaftskämpfen -, diese werden keine wirklichen Erfolge für die Sektionen hervorbringen, wenn unsere Arbeit nicht von einer wissenschaftlich ausgearbeiteten internationalen Perspektive angeleitet wird. Je mehr sich die Workers League der Arbeiterklasse zuwendet, desto mehr spüren wir die Notwendigkeit der engsten Zusammenarbeit mit unseren internationalen Genossen, um die Arbeit vorwärtszubringen."[116]

201. Der Widerstand der Workers League gegen den nationalen Opportunismus der WRP befand sich in theoretischer Übereinstimmung mit den sozialen und wirtschaftlichen Prozessen, die schon in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium waren. Sie waren im Begriff, die bestehenden Strukturen und Beziehungen der Weltpolitik zu sprengen. Ähnlich wie in den 1960er und 1970er Jahren ein großer Teil des internationalen Kaders dank der Verteidigung der internationalistischen Perspektiven der Permanenten Revolution durch die britischen Trotzkisten vom IKVI angezogen wurde, so fand die Kritik der Workers League nun, nachdem sie in der internationalen Bewegung weithin bekannt wurde, überwältigende Unterstützung. Genau diese Tatsache war verantwortlich für die relativ rasche politische Neuausrichtung innerhalb des Internationalen Komitees im Herbst 1985. Dadurch entstand eine neue Grundlage für die Arbeit der internationalen Bewegung. Die nachfolgende Entwicklung des IKVI war die bewusste Antwort der marxistischen Vorhut auf die neue wirtschaftliche und politische Situation. Die Neuorientierung der Bewegung basierte auf einem systematischen Kampf gegen alle Formen des Nationalismus, eine Neuorientierung, die untrennbar mit der Entwicklung einer internationalen Perspektive verbunden war. Alle Formen des Opportunismus haben letztendlich ihre Wurzeln in bestimmten Formen nationaler Anpassung. Im Kampf gegen andere Tendenzen und innerhalb der eigenen Organisation bekräftigte das IKVI von Neuem die Konzeptionen, die von Trotzki in ihrer höchsten Form entwickelt wurden - das Primat der globalen Entwicklungen des Weltkapitalismus über die besonderen Ausprägungen in einem bestimmten Nationalstaat und das Primat der internationalen Strategie über die nationale Taktik.

Wird fortgesetzt

 

Anmerkungen
105 David North, Leo Trotzki und die Entwicklung des Marxismus, Neue Arbeiterpresse Nr. 455-60, Februar-März 1986
106 Vierte Internationale, Band 13, Nr. 2, Essen, Herbst 1986, S. 16, 18
107 Ebenda, S. 23-24
108 Ebenda, S. 35
109 Ebenda, S. 39
110 Ebenda, S. 43
111 Ebenda, S. 50
112 Ebenda, S. 74-75
113 Ebenda
114 Ebenda, S. 102
115 Trotskyism versus Revisionism, Volume Seven: "The Fourth International and the Renegade Wohlforth", Labor Publications, Detroit 1984, p. 228 (Aus dem Englischen).
116 Vierte Internationale, Jahrgang 13, Nr. 2, Essen, Herbst 1986, S. 38

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