DGB-Chef Michael Sommer und Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt haben am 4. Juni in Berlin einen gemeinsamen Gesetzentwurf zur "Tarifeinheit" präsentiert. Seine Aufgabe besteht darin, Arbeitskämpfe in den Betrieben zu unterdrücken. Selten zuvor hat sich der DGB derart ungeschminkt als Ordnungshüter im Interesse der Unternehmer und als Betriebspolizei präsentiert.
Der Entwurf sieht vor, dass in einem Betrieb grundsätzlich nur noch ein Tarifvertrag Anwendung findet. "Wenn mehrere Tarifverträge von unterschiedlichen Gewerkschaften in einem Betrieb existieren, soll der Tarifvertrag gelten, der von der Mehrheitsgewerkschaft geschlossen wurde, die die meisten Mitglieder im Betrieb hat", sagte Sommer bei der Vorstellung des gemeinsamen Entwurfs.
Damit solle verhindert werden, dass Tarifverträge der mitgliederstärksten Gewerkschaften "durch den Abschluss so genannter spezieller’ Tarifverträge von Spartengewerkschaften beiseite geschoben werden", fuhr Sommer fort und kam dann zum entscheidenden Punkt: Wenn die Mehrheitsgewerkschaft einen Tarifvertrag geschlossen habe, gelte auch für Gewerkschaften, die im Betrieb eine Minderheit der Belegschaft vertreten, die Friedenspflicht. "Arbeitskämpfe sind während der Laufzeit des vorrangigen Tarifvertrags der Mehrheitsgewerkschaft ausgeschlossen", unterstrich er.
Sommer ging nicht soweit, den Abschluss mehrerer Tarifverträge durch unterschiedliche Gewerkschaften völlig auszuschließen. Das verstößt zu offensichtlich gegen die grundgesetzlich garantierte Koalitionsfreiheit. Voraussetzung für solche Verträge soll aber sein, "dass sich die Belegschaftsgruppen nicht überschneiden und dass die Tarifparteien sich einigen". Mit anderen Worten, kleinere Gewerkschaften dürfen nur Tarifverträge für einzelne Berufsgruppen - wie Ärzte in Krankenhäusern oder Lokführer bei der Bahn - abschließen, wenn die zuständige DGB-Gewerkschaft und die Arbeitgeber vorher ihre Zustimmung geben.
Sommer machte unmissverständlich deutlich, dass die gemeinsame Initiative darauf abzielt, möglichen Widerstand gegen die Folgen der Wirtschaftkrise im Keim zu ersticken. Mitten in einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise, sagte er, bräuchten "die Bürgerinnen und Bürger jetzt Signale, dass nicht alles aus den Fugen gerät". Sie suchten "Stabilitätsanker, die ihnen Sicherheit bieten". Die gemeinsame Initiative von DGB und der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) sei ein solcher "Stabilitätsanker".
"Die Gewerkschaften und die Arbeitgebervertreter übernehmen Verantwortung in der Krise. Sie arbeiten zusammen, wo dies möglich und nötig ist", sagte der DGB-Chef. "Sie suchen gemeinsam nach Lösungen, wenn es Probleme gibt und unterstützen die Politik, wo dies sinnvoll und geboten ist." Die Sozialpartnerschaft habe sich bewährt und müsse jetzt bei der Sicherstellung der Tarifeinheit im Betrieb fortgesetzt werden.
Auch BDA-Präsident Hundt betonte, die gemeinsame Initiative diene dazu, Arbeitskämpfe in den Betrieben zu verhindern. Die Tarifeinheit sei "unverzichtbar, weil wir uns nicht mehrfach und dauernd Tarifkonflikte in den Betrieben leisten können", sagte er.
Sommer und Hundt haben ihren Vorschlag Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits gemeinsam vorgestellt. Sie seien zuversichtlich, dafür von der Regierung politische Unterstützung zu bekommen, berichteten sie.
Sommer versuchte den gemeinsamen Vorstoß mit der Behauptung zu rechtfertigen, das Prinzip "Ein Betrieb - ein Tarifvertrag" sichere die Solidarität im Betrieb, weil es verhindere, "dass einzelne Belegschaftsteile gegeneinander ausgespielt werden."
In Wirklichkeit dient die faktische Tarifhoheit der DGB-Gewerkschaften seit Jahren dazu, den Belegschaften Knebelverträge aufzuzwingen, gegen die sie sich nicht zur Wehr setzen können. So hat die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi serienweise Tarifverträge unterschrieben, die Lohnverzicht, Mehrarbeit und Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst zum Inhalt haben. Ähnliches gilt für die größte Industriegewerkschaft IG Metall. Sämtliche Verträge über Lohnzugeständnisse, Arbeitsplatzabbau und andere "Opfer" in der Autoindustrie tragen ihre Unterschrift.
Dagegen gab es in den vergangenen Jahren mehrfach Widerstand. Er ging in der Regel von eher konservativen Gewerkschaften aus, die einzelne Berufssparten vertreten - von Verbänden wie der GdL (Gewerkschaft der Lokführer), Cockpit (Piloten), UFO (Flugbegleiter) oder Marburger Bund (Krankenhausärzte).
2008 legte ein Streik der GdL zeitweilig den Bahnbetrieb lahm. Der Streik richtete sich direkt gegen den Kurs der DGB-Gewerkschaft Transnet, die Lohnkürzungen, Arbeitsplatzabbau und schlechtere Arbeitsbedingungen mit getragen hatte, um die Deutsche Bahn für den Börsengang "fit" zu machen. In der Bevölkerung stieß der Lokführerstreik auf breite Unterstützung. Umso heftiger war seine Ablehnung durch Transnet, die Bahnbeamtengewerkschaft GDBA, die Medien und die politischen Parteien einschließlich der Linkspartei. Die GdL kapitulierte schließlich, weil sie nicht bereit war, sich an die Spitze einer Massenbewegung gegen die Sparpolitik der Regierung zu stellen.
Es ist bezeichnend, dass die Bahngewerkschaften Transnet und GDBA, die vor zwei Jahren die Streikbrecherarbeit gegen die Lokführer organisiert hatten, den Vorstoß von Sommer und Hundt begeistert begrüßen. "Die Tarifeinheit ist ein Stück täglich gelebte Solidarität im Betrieb und in der Gesellschaft", verkündeten Alexander Kirchner und Klaus-Dieter Hommel, die Vorsitzenden der beiden Gewerkschaften. Gerade in der heutigen Zeit sei sie ein "wichtiger Schutzfaktor zum Schutz der Interessen aller Arbeitnehmer des jeweiligen Unternehmens".
Die Initiative von Sommer und Hundt richtet sich aber nicht nur gegen Konkurrenzgewerkschaften wie die GdL, Cockpit, UFO oder den Marburger Bund, deren Perspektiven sich trotz taktischer Differenzen nicht grundlegend von jenen des DGB unterscheiden. Viel größer ist ihre Angst, dass sich in den Betrieben eine wirklich unabhängige Bewegung gegen die sozialen Angriffe der Unternehmen und das Sparprogramm der Regierung entwickeln könnte.
Einer solchen Bewegung soll durch die Gesetzesinitiative ein Riegel vorgeschoben werden. Indem DGB und BDA die Tarifeinheit und die damit verbundene Friedenspflicht in Gesetzesform gießen, wollen sie sicherstellen, dass sie bei zukünftigen Auseinandersetzungen mit rebellischen Arbeitern die Gerichte und den Staatsapparat auf ihrer Seite haben.
Unmittelbarer Anlass für den Vorstoß von Sommer und Hundt war eine Ankündigung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom Januar, es werde seine Rechtssprechung zur Tarifeinheit ändern. Bisher hatte das Gericht die Tarifeinheit grundsätzlich bejaht, obwohl es dafür keine gesetzliche Regelung gab. Nun will es zulassen, dass in einem Betrieb mehrere Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften für gleiche Berufsgruppen zur Anwendung kommen.
Der konkrete Fall, um den es dabei geht, macht ebenfalls deutlich, in welche Richtung die Initiative von DGB und BDA zielt. Vor dem BAG geklagt hat nämlich ein Krankhausarzt, der dem Marburger Bund angehört. Er wandte sich gegen seine finanzielle Schlechterstellung durch den von Verdi vereinbarten Tarifvertrag des öffentlichen Diensts (TVöD). Der Marburger Bund hat diesen Tarifvertrag nicht unterschrieben, sondern beruft sich auf den bis dahin für alle geltenden Bundesangestelltentarifvertrag (BAT). Das Bundesarbeitsgericht will demnächst zugunsten des Klägers entscheiden. Dagegen richtet sich die Gesetzesinitiative von DGB und BDA.
Unterstützung bekommen sie dabei von der Linkspartei. Deren Vorsitzender Klaus Ernst und deren Bundesgeschäftsführer Werner Dreibus begrüßten "die Initiative der DGB-Gewerkschaften" noch am selben Tag in einer Presserklärung. Sie komme zum richtigen Zeitpunkt, erklärten sie. Ihre schamlose Unterstützung rechtfertigten sie, in dem sie die Tatsachen verdrehten.
Zum einen verschwiegen sie, dass es sich um eine gemeinsame Initiative handelt, die auch von den Arbeitgebern unterstützt wird. Zum andern behaupteten sie trotz gegenteiliger Faktenlage, der Vorstoß richte sich gegen "gelbe" Gewerkschaften, die von der CDU oder Arbeitgeberverbänden kontrolliert werden. "Wer den Grundsatz der Tarifeinheit in Frage stellt, der öffnet gewollt oder ungewollt, dem Lohndumping Tür und Tor", behauptete Ernst. Und Dreibus ergänzte: "Wenn das Bundesarbeitsgericht versucht, den Grundsatz der Tarifeinheit auszuhebeln, macht es sich zum Handlanger der Lohndrücker."
Worum es Sommer und Hundt tatsächlich geht, zeigt auch eine weitere Bemerkung, die sie laut Handelsblatt auf der Berliner Pressekonferenz machten. Beide warnten dort vor "britischen Verhältnissen", wie sie in den 1970er Jahren herrschten.
Das gesellschaftliche Leben Großbritanniens war damals von heftigen Klassenkämpfen geprägt. Die Arbeiterklasse errang in mächtigen Streiks teilweise massive Lohnerhöhungen. 1974 zwang sie die konservative Regierung von Edward Heath zum Rücktritt. Der TUC (Trades Union Congress), das britische Äquivalent des DGB, und die Labour Party konnten die Bewegung lange Zeit nicht unter Kontrolle bringen. 1978/79 wandten sich die Arbeiter im so genannten "Winter of Discontent" (Winter der Unzufriedenheit) gegen den Versuch der Labour Regierung unter James Callaghan, vom Internationalen Währungsfonds diktierte Kürzungsmaßnahmen umzusetzen.
"Die seit einigen Jahren auch hierzulande immer massiver auftretenden Berufsgewerkschaften - der Lokführer, der Piloten, Flugbegleiter und anderer - könnten womöglich nur ein Vorgeschmack auf eine ähnliche Entwicklung auch in Deutschland sein, befürchten Hundt und Sommer unisono", berichtet das Handelsblatt.
Der Verrat der Labour Party und den Gewerkschaften bereitete in Großbritannien schließlich den Boden für den Wahlsieg der Konservativen unter Margaret Thatcher, die - mit Unterstützung der TUC-Führung - die Macht der Gewerkschaften brach. In einem Strategiepapier der britischen Konservativen hatte es damals geheißen: "Die Lösung des Gewerkschaftsproblems ist der Schlüssel zu Großbritanniens Genesung".
Indem der DGB vor "britischen Verhältnissen" warnt, stellt er sich in die Tradition Thatchers, wobei er es vorzieht, deren Aufgabe selbst zu übernehmen, anstatt sie der Regierung zu überlassen. Die gemeinsame Gesetzesinitiative mit dem BDA kennzeichnet ein weiteres Stadium in der Verwandlung des DGB in ein Ordnungsinstrument von Staat und Unternehmen.
Dabei macht er auch vor demokratischen Grundrechten nicht halt. Namhafte Juristen sind der Ansicht, dass der Gesetzesvorstoß nicht mit dem von der UNO, der europäischen Menschenrechtskonvention und dem Grundgesetz garantierten Recht auf Koalitionsfreiheit zu vereinbaren ist. Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes gewährt ausdrücklich und für jedermann das Recht, "zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden", die ihrerseits das Recht haben, "Arbeitskämpfe zu führen".