Neue Enthüllungen über Verbindung des Staates zum NSU

Von der Mehrzahl der Medien unbeachtet sind auch in den vergangenen Wochen wieder zahlreiche neue Fakten und Details über die Verwicklung staatlicher Stellen in das rechtsextreme Terrornetzwerk NSU bekannt geworden. Sie bestätigen, dass Teile des Staatsapparats frühzeitig und in bedeutendem Ausmaß in direkter Umgebung der Rechtsterroristen tätig waren.

Dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) wird vorgeworfen, zwischen September 2000 und April 2007 neun Kleinunternehmer ausländischer Herkunft sowie eine Polizistin ermordet zu haben.

Der einzigen Überlebenden des so genannten „Terror-Trios“, Beate Zschäpe, sowie einigen mutmaßlichen Unterstützern wird zurzeit vor dem Oberlandesgericht München der Prozess gemacht. Eine Untersuchung darüber, inwieweit staatliche Stellen in die Mordserie verwickelt waren, soll dabei ausdrücklich nicht stattfinden. Im Gegenteil: der Prozess dient vielmehr dazu, den Fokus auf einige wenige Neonazis zu lenken, um gleichzeitig Geheimdienste und Polizei aus der Schusslinie zu nehmen.

Aus den Untersuchungsausschüssen verschiedener Landesparlamente sickern hingegen regelmäßig neue Enthüllungen an die Öffentlichkeit, die in bislang unbekannter Deutlichkeit die tiefe Verwicklung des Staatsapparats in das Umfeld des NSU aufzeigen – auch wenn alle Parteien, die in den Ausschüssen vertreten sind, deren Aufdeckung verhindern wollen.

Im Juni ist eine bislang unbekannte Quelle des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) im direkten Umfeld des NSU aufgedeckt worden. Laut der Aussage des Zielfahnders Sven Wunderlich vor dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss habe die frühere Lebensgefährtin des in München angeklagten Ralf Wohlleben 1998 und 1999 mindestens ein halbes Jahr lang und mehr als ein Dutzend Mal dem LfV Auskunft gegeben. Für jeweils 100 bis 200 Mark habe Juliane W., Deckname „Jule“, aus der rechtsextremen Szene berichtet.

Das Thüringer LfV erklärte der Tageszeitung Neues Deutschland zufolge, die entsprechenden Akten bereits vor über einem Jahr ungeschwärzt an den Untersuchungsausschuss des Bundestages und den thüringischen Landtag übergeben zu haben. An die Öffentlichkeit drang diese brisante Information jedoch nicht.

„Jule“ war dabei längst nicht die einzige staatliche Agentin im Umfeld des NSU. Das bislang bekannte Umfeld des Terrornetzwerks bestand aus mindestens 129 Unterstützern, von denen mehr als 20 auf den Gehaltslisten der Polizei und Geheimdienste standen.

Juliane W. soll das Trio bei dessen Untertauchen Anfang 1998 direkt unterstützt haben. So sollen ihr die Schlüssel von Beate Zschäpe und Uwe Mundlos übergeben worden sein, sodass sie Kleidung aus deren Wohnungen holen konnte. Im Februar desselben Jahres soll sie mit einer von Zschäpe unterzeichneten Vollmacht bei der Polizei die Herausgabe beschlagnahmter Gegenstände verlangt haben.

Die neuen Erkenntnisse fügen sich nahtlos in frühere Enthüllungen ein, die belegen, dass die Behörden bestens über das Untertauchen des NSU-Trios informiert waren. Von daher ist anzunehmen, dass das LfV Thüringen auch mit Juliane W. über mögliche Aufenthaltsorte der Flüchtigen gesprochen hat.

Nicht nur die Thüringer Behörden haben offenbar etwas zu verbergen. Von großer Bedeutung war auch die Aussage des Kriminalhauptkommissars Konrad Pitz vor dem Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags im vergangenen Juni. Demnach war die Existenz des NSU den Behörden schon seit mindestens 2007 bekannt.

Pitz war im Jahr 2007 Mitglied der Sonderkommission „Bosporus“, die die Morde an neun Kleinunternehmern ausländischer Herkunft aufklären sollte. In einer Dienstbesprechung seiner Einheit sei der Begriff „NSU“ damals gefallen. Es sei sogar erläutert worden, wofür diese Abkürzung stehe, nämlich für „Nationalsozialistischer Untergrund“. Darüber hinaus sei erklärt worden, es handle sich dabei um eine „rechte Terror-Gruppierung“. Und sie könne in Verbindung mit den Morden stehen, die die Sonderkommission aufzuklären hatte.

Jemand aus der Führungsebene der Einheit habe diese Erläuterungen gemacht, so Pitz. Es habe sich dabei um Hinweise des sächsischen oder des thüringischen Verfassungsschutzes gehandelt, beim Bundesland sei er sich nicht mehr sicher.

Einige Wochen später habe ein Kollege, Hauptkommissar Karl Richter, Pitz gegenüber gesagt, man werde diesen Hinweisen nicht weiter nachgehen. „Die Spur ist gestorben.“, soll Richter laut Pitz gesagt haben. Richter selbst bestritt vor dem Untersuchungsausschuss, jemals vor 2011 vom „NSU“ gehört zu haben. Bei einer Gegenüberstellung beharrten sowohl Pitz als auch Richter auf ihrer Darstellung.

Pitz hatte sich bereits früher an die Fraktion der Grünen im bayerischen Landtag gewandt, um mit seinem Bericht Gehör zu finden. Als er von einigen Abgeordneten gefragt wurde, weshalb er sich nicht an seine Vorgesetzten bei der Polizei wende, antwortete er, dort werde man „nach Strich und Faden fertiggemacht.“ Aus der Sonderkommission wurde er Zeitungsberichten zufolge abgezogen, gegenüber den Kollegen wurde ein Kontaktverbot verhängt, schließlich wurde er versetzt.

Auch im Zusammenhang mit dem Nagelbombenattentat in der Kölner Keupstraße, bei dem im Juni 2004 mehr als 20 Menschen teils schwer verletzt wurden, gibt es neue Hinweise auf eine Beteiligung staatlicher Stellen.

Kurz nach dem Attentat hatte sich ein Anwohner, Ali Demir, als Zeuge bei der Polizei gemeldet und erklärt, dass er zwei bewaffnete Zivilpolizisten gesehen habe, die lange vor dem Eintreffen der uniformierten Polizei und der Rettungskräfte am Tatort gewesen seien. Auch Nachbarn und Journalisten hatte Demir von seiner Beobachtung berichtet.

Die Polizei ignorierte seine Zeugenaussage über Jahre hinweg. Auf Anfrage des WDR erklärten das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen sowie die Kölner Polizei noch im November 2012, es hätten sich keine Zivilpolizisten am Tatort aufgehalten.

Erst auf offizielle Nachfrage des Untersuchungsausschusses des Bundestages erklärten die Behörden – mehr als acht Jahre nach dem Anschlag – es habe tatsächlich zwei Zivilbeamte in der Keupstraße gegeben. Im Mai dieses Jahres sollen diese dann im Untersuchungsausschuss in Berlin vernommen worden sein.

Doch genau das bestreitet Demir. Nachdem ihm von Seiten der Behörden nie Fotos der angeblichen Polizisten vorgelegt worden waren, geschweige denn eine Gegenüberstellung erfolgt wäre, nahmen Journalisten des WDR die Sache selbst in die Hand. Sie zeigten Demir Videoaufnahmen vom Auftreten der Männer im Untersuchungsausschuss.

„Die Männer, die ich gesehen habe, waren kleiner und kräftiger als die beiden Polizisten, die im Ausschuss waren. Das waren nicht die zwei Männer vor meiner Tür in der Keupstraße.“, ist sich der Zeuge sicher. Zudem gaben die beiden Männer im Ausschuss an, bei ihrem Aufenthalt in der Keupstraße uniformiert gewesen zu sein.

Offenbar verschweigt die Polizei nicht nur wesentliche Informationen, sondern verschleiert sie regelrecht. Das Bundeskriminalamt hatte bislang auch Videomaterial aus der belebten Kölner Einkaufsstraße zurückgehalten, das rund um den Anschlag aufgezeichnet worden war. Erst einer der Opfer-Anwälte im NSU-Prozess konnte sich Zugang zu einem Teil des Materials erstreiten und fand darauf neben Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos den Neonazi Ronny W., der auch auf der Liste der 129 Unterstützer des NSU zu finden sein soll.

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