Am Freitagmorgen traten die Piloten der Lufthansa-Tochter Germanwings für sechs Stunden in den Warnstreik, nachdem Verhandlungen zwischen dem Unternehmen und der Vereinigung Cockpit (VC) am Donnerstag gescheitert waren. Die Piloten verteidigen ihr betriebliches Frührentensystem, das die Deutsche Lufthansa AG schrittweise abschaffen will. Vom Warnstreik waren 164 Flugverbindungen an den Flughäfen Köln/Bonn, Düsseldorf, Stuttgart, Hamburg und Berlin betroffen.
Zwei Tage zuvor hatten sich rund achthundert Lokführer der GDL in Fulda zu einer Protestkonferenz versammelt. Auch sie erklärten sich streikbereit, um neben einer Lohnerhöhung von fünf Prozent eine Reduzierung der Vierzigstundenwoche um zwei Stunden zu erreichen.
Piloten wie Lokführer haben allen Grund, für ihre berechtigten Forderungen zu kämpfen, und sie verdienen die prinzipielle Unterstützung jedes Arbeiters. Sie sind mit wütenden Angriffen der zwei Großkonzerne, Bahn AG und Deutsche Lufthansa AG, konfrontiert, denen die Regierung und die Medien, aber auch die DGB-Gewerkschaften Ver.di und EVG zur Seite stehen. (Die EVG ist die Nachfolgegewerkschaft des Eisenbahnerverbands Transnet, früher GdED)
Das Management der Lufthansa möchte die Personalkosten senken, um Unternehmensgewinne und Aktionärs-Dividenden zu steigern. Es will die Übergangsrente für die 5.400 Piloten auf den drei Linien Lufthansa, Germanwings und Lufthansa Cargo abschaffen. Bisher konnten Flugkapitäne ab 55 Jahre mit bis zu sechzig Prozent der letzten Bezüge in Rente gehen, doch will das Unternehmen dieses Eintrittsalter innerhalb der kommenden zwei Jahre schrittweise auf 61 Jahre anheben.
Auch die Lokführer müssen ihre Arbeitsbedingungen und Löhne hart verteidigen. Die Bahn AG weist eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit rundheraus zurück, obwohl dies für die Beschäftigten dringend nötig wäre.
Das Unternehmen hatte in zehn Jahren, von 2002 bis 2012, im Hinblick auf seinen Börsengang massiv Arbeitsplätze abgebaut und die Belegschaft von 350.000 auf 190.000 Beschäftigte reduziert. Obwohl die Bahn nicht an die Börse ging, bedeutet die chronische Unterbesetzung bis heute ständige Mehrarbeit. Nach einem Bericht vom März hatten die Bahn-Mitarbeiter in 2013 fast acht Millionen Überstunden angesammelt. Es war das Jahr, als der Hauptbahnhof Mainz wochenlang außer Betrieb war, weil Fahrdienstleister fehlten.
Arbeitsdirektor Ulrich Weber erklärte am vorigen Samstag, fünf Prozent mehr Lohn und zwei Wochenstunden weniger Arbeit seien „absolut nicht machbar“. Über eine Arbeitszeitverkürzung werde überhaupt nicht diskutiert. Zudem müsse erst geklärt werden, welche Gewerkschaft welche Personengruppe im Unternehmen vertrete. Bis dahin bot Weber für eine Übergangszeit von einem halben Jahr eine einmalige Pauschalsumme von 350 Euro an, und zwar nur für die Lokführer.
Die Medien führen eine wahre Hetzkampagne, um Stimmung gegen die zwei Berufsgruppen zu machen. Auf Zeit-online erschien am Donnerstag ein Artikel mit der Überschrift: „Dürfen Lokführer und Piloten das Land lahmlegen?“ Darin heißt es: „Wenn Eisenbahner und Flugkapitäne die Arbeit niederlegen, leidet das ganze Land. Ist das gerechtfertigt?“ Obwohl der Artikel als ausgewogene „Pro und Contra“-Diskussion daherkommt, wird darin die Behauptung aufgestellt, Lokführer und Piloten hätten „ein Machtmonopol“, sie hätten „einen Beruf gewählt, der ihnen Zugang zu den Schaltstellen des Landes gewährt“, und wenn sie streikten, nähmen sie „den Verkehr im ganzen Land in Geiselhaft“. Piloten seien „überbezahlt“. Bei Piloten wie Lokführern habe man „den Eindruck, dass es ihnen nicht um Solidarität geht, sondern um die Mehrung ihrer Privilegien“.
Die BILD-Zeitung brachte einen Gastbeitrag von Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, in dem es heißt: „Luftverkehr und Bahnverkehr werden lahmgelegt von einer kleinen Gruppe der Beschäftigten, die als Lokführer, Vorfeldlotse oder Pilot eine Schlüsselposition innehaben. Sogenannte Spartengewerkschaften nutzen diese Macht.“
Hüthers Institut der deutschen Wirtschaft hetzt schon seit längerem gegen die kleinen Gewerkschaften und fordert die Einführung eines zwingenden Einheitstarifs, der sich nach jener Gewerkschaft richten müsse, welche die Mehrheit in einem Betrieb habe. Außerdem fordert er eine „einheitliche Friedenspflicht nach dem Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft“. Das zielt darauf ab, jede unabhängige Organisierung von den DGB-Gewerkschaften zu unterbinden.
Die Bundesregierung versucht seit mehreren Jahren, ein entsprechendes Gesetz zu schaffen, um das „Prinzip der Tarifeinheit“ in den Unternehmen zu verankern. Damit folgt sie den Forderungen der Arbeitgeberverbände, welche beklagen, dass konkurrierende Gewerkschaften der „Infrastruktur und Rechtssicherheit am Standort Deutschland“ (Institut der deutschen Wirtschaft) angeblich Schaden zufügten.
Auch der DGB und Ver.di unterstützen die Einführung einer gesetzlich sanktionierten Tarifeinheit, obwohl das Bundesarbeitsgericht dieses Prinzip vor vier Jahren verworfen hat, weil es gegen die in der Verfassung verankerte Koalitionsfreiheit verstoßen würde.
Die Eisenbahnergewerkschaft EVG, die als verlängerter Arm der Bahn AG fungiert, versucht mit allen Mitteln, die GDL aus den Verhandlungen heraus zu drängen. Die EVG gab am Mittwoch ihre eigene Lohnforderung bekannt, die wohl nicht zufällig einen Prozentpunkt höher liegt als die der GDL: Sie fordert sechs Prozent, mindestens aber 150 Euro monatlich Lohnerhöhung. Ende Juni endete der Grundlagentarifvertrag, dem zufolge die GDL die Lokführer und die EVG alle übrigen Berufsgruppen vertrat.
Die EVG ist integraler Bestandteil des Managements der Bahn AG. Die Hälfte des Aufsichtsrates, die so genannten „Arbeitnehmer“-Vertreter, werden von der EVG bestimmt, und Gewerkschaftschef Alexander Kirchner ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender. Kirchner kassierte im letzten Jahr außer seinem Grundgehalt von weit über 100.000 Euro noch über 61.000 Euro für seine Tätigkeit im Aufsichtsrat.
Die Gewerkschaften teilen die Ziele der so genannten global players Bahn AG und Lufthansa, die darin bestehen, auf Kosten der Beschäftigten maximale Gewinne zu erzielen. Deshalb versuchen sie, eine Ausweitung der Arbeitskämpfe zu verhindern. Dies trifft jedoch letzten Endes nicht nur auf die DGB-Gewerkschaften EVG und Ver.di, sondern auch auf die Spartengewerkschaft GDL und Cockpit zu. Auch sie vertreten im Grunde keine wesentlich andere Perspektive. Zudem schneidet ihr Nationalismus die Beschäftigten von den Kämpfen ihrer Kollegen in anderen Ländern ab.
Das Personal von Eisenbahn und Flugverkehr ist in wachsendem Maß Angriffen ausgesetzt, die aus der Privatisierung und der europaweiten und globalen Konkurrenz resultieren. Zum Beispiel schreiben die Bundesländer und Kommunen die Aufträge für den Nahverkehr, Busse, Stadtbahnen und Schienennetze seit Jahren europaweit aus. Im Flugverkehr sind die Billigflieger auf dem Vormarsch. Diese Konkurrenz wird systematisch auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen.
Sowohl Piloten wie Lokführer üben extrem verantwortungs- und anspruchsvolle Tätigkeiten aus. Ein Pilot ist zwangsläufig besonderen Belastungen ausgesetzt, die zum Beispiel aus Tag- und Nachtschichten und Zeit- oder Klimaverschiebung resultieren. Deshalb steht die Verteidigung der Frührente im Zentrum ihres Kampfs. Dasselbe trifft auf Lokführer zu.
Infolge der jahrelangen Sparmaßnahmen und Kostensenkungen leidet zudem die Sicherheit, und immer öfter kommt es zu Pannen, Beinahe-Zusammenstößen oder tatsächlichen Unfällen. Hinzu kommen die Suizidfälle, die statistisch gesehen tagtäglich in Deutschland passieren. Mit all diesen Schwierigkeiten müssen die Lokführer fertig werden.
Die national beschränkte Perspektive der Spartengewerkschaften GDL und Cockpit kann dieser globalen Entwicklung nichts entgegensetzen, wie bereits die teilweise erbitterten Arbeitskämpfe der letzten Jahre gezeigt haben. Der Arbeitskampf der GDL 2007/2008 endete im März 2008, als die GDL vor einer Ausweitung des Streiks zurückschreckte und ihre eigene Knebelung im Grundlagentarifvertrag akzeptierte. Die Rangierlokführer, die ebenfalls gestreikt hatten, ließ sie damals im Regen stehen.
Die GDL ist Teil des Deutschen Beamtenbunds dbb, und ihr Vorsitzender Claus Weselsky ist nicht nur Mitglied des dbb-Vorstands, sondern auch der CDU. Weselsky und die GDL, wie auch die Vereinigung Cockpit, tun so, als könnte auch im Zeitalter der globalen Krise eine nationale Gewerkschaft die Interessen der Arbeiter verteidigen, wenn sie bloß etwas militanter und weniger korrupt wäre.
Doch das ist eine Illusion. In Wirklichkeit wirft der Kampf zur Verteidigung von Arbeiterrechten und Errungenschaften unmittelbar die Frage der politischen Perspektive auf. Und hier stimmen die Spartengewerkschaften mit den DGB-Gewerkschaften überein. Beide erkennen das kapitalistische Profitsystem an.
Weselsky achtet sorgfältig darauf, der deutschen Wirtschaft nicht zu schaden. Am Mittwochmorgen wollte er im Morgenmagazin gar nicht über Streiks reden und betonte: „Wir Spartengewerkschaften gehen verantwortungsbewusst mit unserem Streikrecht um. Wir bemühen uns, durch Absprachen zu verhindern, dass es parallel zu Streiks kommt.“
In Wirklichkeit können Piloten und Lokführer ihre sozialen Errungenschaften, Löhne und Arbeitsplätze längst nicht mehr durch die Politik der Sozialpartnerschaft mit den Arbeitgebern verteidigen. Sie brauchen neue Organisationen unabhängig vom DGB und den Spartengewerkschaften, die einen prinzipiellen Kampf gegen das kapitalistische Profitsystem im öffentlichen Verkehrswesen führen und für eine internationale sozialistische Perspektive eintreten.