Die Schließung von Opel Bochum und der Bankrott der IG Metall

Am Donnerstag lief der letzte in Bochum produzierte Opel vom Band. Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands schließt ein Autowerk. Möglich gemacht haben dies die IG Metall und der Betriebsrat.

Die 52-jährige Geschichte des Opel-Werks in Bochum steht stellvertretend für eine ganze Epoche; eine Epoche, in der die Arbeiterklasse von den mächtigen Bürokratien der Industriegewerkschaften und der SPD unter Kontrolle gehalten wurde. Der lang anhaltende Niedergang des Bochumer Opel-Werks steht sinnbildlich für den Niedergang gewerkschaftlicher Politik. Das Aus des Werks zeigt den Bankrott der Gewerkschaften und ihrer Verteidiger.

Das Ruhrgebiet war jahrzehntelang das größte industrielle Gebiet Deutschlands. Nach dem Zweiten Weltkrieg sorgten Kohle und Stahl für das deutsche Wirtschaftswunder. Hunderte Zechen und Stahlwerke prägten den „Pott“. In den 1950er Jahren verzeichnete Duisburg das höchste Pro-Kopf-Einkommen der jungen Bundesrepublik. Eine selbstbewusste Arbeiterklasse erkämpfte wichtige soziale Errungenschaften. Die Gewerkschaften nutzten diese Erfolge, um ihre korporatistischen Konzepte der Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft zu verbreiten. Ihr Ziel war es, die Arbeiter so eng wie möglich an die Unternehmen, die Konzernleitungen und das kapitalistische Profitsystem zu binden.

Als Ende der 1950er Jahre das Zechensterben im Zuge der Kohlekrise begann, wurden neue Arbeitsplätze geschaffen. 1962 wurde das Opel-Werk auf dem ehemaligen Gelände der Zeche Dannenbaum aufgebaut. Im Werk II wurden ab 1962 Motoren gefertigt, im Juli 1963 lief die Produktion des Modells Kadett A in Werk I an. Das Werk III kam 1965 als Lager hinzu.

Von den damals rund 11.000 Arbeitern war etwa jeder Vierte ehemaliger Bergmann, die meisten Opel-Arbeiter kamen aus Bergmanns-Familien. Zu dieser Zeit gab es allein in Bochum immer noch 19 Bergwerke, die letzte Zeche schloss hier 1972. Von den einst mehreren hunderten Zechen im Ruhrgebiet schließt die letzte, die Zeche Prosper Haniel in Bottrop, 2018.

In den 1980er Jahren wuchs die Opel-Belegschaft in Bochum auf mehr als 20.000. Doch bereits in diesem Jahrzehnt begann der Niedergang. Insbesondere die Entwicklung der Computertechnologie ermöglichte es den Unternehmen, die Produktion zu internationalisieren. Sie Arbeiter wurden von den Konzernen verstärkt unter Druck gesetzt, weil sie die Produktion in Billiglohnländer verlagern konnten. Im Ruhrgebiet ging zwischen 1980 und 2002 etwa die Hälfte der eine Million Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe verloren.

Die Arbeiter von Opel, einer Tochter des weltweit operierenden General-Motors-Konzerns, waren bereits sehr früh mit diesem Problem konfrontiert. Während die Geschäftsleitung die Belegschaft mit der Drohung erpresste, Produktionskapazitäten in andere, billigere Länder zu verlegen, verharrte die IG Metall in ihrer nationalstaatlichen Perspektive der Sozialpartnerschaft. Ein Zugeständnis der Betriebsräte und der Gewerkschaft löst das nächste ab. Immer wieder tönte es aus den IGM- und Betriebsratsbüros: „Dieses Zugeständnis stärkt unsere Wettbewerbsfähigkeit und sichert so unsere Arbeitsplätze.“

Bereits 1989 erklärte der damalige Betriebsratschef Rolf Breuer, im Grunde seien die Betriebsräte „erpressbar bis zu Kinderarbeit“ (in: Der Gewerkschafter, April 1989).

Die Bochumer Belegschaft rebellierte wiederholt gegen diese Politik der Zugeständnisse. Und jedes Mal kam der IG Metall und ihren sozialdemokratischen Betriebsräten die innerbetriebliche Opposition zu Hilfe.

In den 1980er Jahren leitete Peter Jaszczyk, Betriebsrat seit 1970, im Bochumer Werk eine oppositionelle Gruppe, die sich „Opel-Forum“ und später „Metaller bei Opel“ nannte. Jaszczyk war Mitglied der stalinistischen DKP, die eng mit dem SED-Regime der DDR zusammenarbeitete. Später trat er in die PDS und schließlich in die SPD ein.

Die DKP hatte taktische Differenzen mit der SPD und den sozialdemokratischen Betriebsratsvorsitzenden Günter Perschke und Rolf Breuer. Aber die verteidigte wie die SPD die Sozialpartnerschaft im Rahmen der Mitbestimmung und lehnte es ab, das kapitalistische System in Frage zu stellen.

Bereits 1973 hatte Der Spiegel (Nr.36/1973), der keinerlei Sympathien für die DKP hegt, in einem ausführlichen Artikel über die damaligen militanten Kämpfe in der Metallindustrie bemerkt, die DKP agiere „unter strikter Beobachtung gewerkschaftlicher Loyalität innerhalb des Spielraums, den die Betriebsverfassung bietet. In der Praxis unterscheiden sich DKP-Betriebsfunktionäre von ihren SPD-Kollegen meist nur durch stärkere Aktivität.“

Nach dem Ende der DDR rückten die ehemaligen DKP-Funktionäre noch weiter nach rechts. Trotzdem strengte die IG Metall Ausschlussverfahren gegen Jaszcyk und 80 weitere Gewerkschaftsmitglieder an, als seine oppositionelle Liste 1990 bei der Betriebsratswahl von der Mehrheit der Arbeiter unterstützt wurde. Jaszcyk und seine Kollegen schworen daraufhin jeder Kritik an der IG Metall und ihren Betriebsratsvertretern ab und kehrten in den Schoß der IGM-Bürokratie zurück.

1996 wurde Jaszcyk dann zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt und machte dort weiter, wo seine Vorgänger aufgehört hatten: Bei der Erpressung der Belegschaft und der Aushandlung immer weiterer Zugeständnisse „zur Sicherung des Standorts Bochum“. Und wieder rebellierten die Bochumer Arbeiter, stürmten das Betriebsratsbüro und forderten Jaszcyk auf, seine Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung einzustellen. Ohne Erfolg. 2001, fünf Jahre später, lautete die Bilanz von Jasczyks Betriebsratsvorsitz: Fast 3.000 Arbeitsplätze weniger im Bochumer Werk.

Gegen Jaszcyk stellte sich eine weitere Strömung, die „Gruppe oppositioneller Gewerkschafter in der IGM“. Betriebsratsmitglied Wolfgang Schaumberg sammelte 1996 rund 4.000 Unterschriften (ein Drittel der damaligen Belegschaft) für die Absetzung des Betriebsrates. Doch auch diese Gruppe vertrat eine rein gewerkschaftliche Perspektive. Sie arbeitete im Rahmen der Mitbestimmung und lehnte es ab, die Arbeiter gegen die IG Metall und die Betriebsratsbürokratie zu mobilisieren.

Als die Gruppe, die sich inzwischen „Gegenwehr ohne Grenzen“ nannte, 2010 erstmals keinen Sitz im Betriebsrat mehr gewann, gestand Schaumberg dem Neuen Deutschland (4.8.2010): „Wir haben zu viel Wert auf den Kontakt zu Gewerkschaftsfunktionären und Betriebsräten gelegt und die betriebsübergreifende Debatte mit den Kollegen in den anderen Werken vernachlässigt.“

2002 gab Jaszcyk seinen Posten nach einem Korruptionsskandal innerhalb des Betriebsrates auf und der SPD-Funktionär Dietmar Hahn übernahm den Vorsitz. Zwei Jahre später kündigte die Konzernleitung von General Motors den Abbau von 12.000 der insgesamt 63.000 Arbeitsplätze in Europa an, davon 10.000 in Deutschland. Die Bochumer Arbeiter reagierten mit einer spontanen Arbeitsniederlegung – gegen den Willen der IG Metall und ihrer Betriebsräte. Der Streik wurde ausverkauft und kurz vor Weihnachten übernahm Rainer Einenkel den Betriebsratsvorsitz. Damals arbeiteten noch über 10.000 Männer und Frauen im Bochumer Opel-Werk.

Einenkel war wie Jaszcyk ehemaliges DKP-Mitglied. Er setzte die Politik des Arbeitsplatz- und Lohnabbaus fort und verteidigte wie seine Vorgänger alle Zugeständnisse mit dem Argument, nur so könne der Standort verteidigt werden.

Als General Motors im Zuge der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 in die Insolvenz ging, stand Opel kurz vor dem Verkauf. Als GM plötzlich von den Verkaufsplänen Abstand nahm, boten die IG Metall und ihre Betriebsräte dem Konzern wieder ihre Dienste an. 2010 wurden im „Master Agreement“ Lohnkürzungen von jährlich 265 Millionen Euro vereinbart.

Mitte 2012 stellte der damalige IGM-Chef Berthold Huber gemeinsam mit dem Opel-Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Dr. Wolfgang Schäfer-Klug den so genannten „Deutschlandplan“ vor, ein gewerkschaftseigenes Sanierungskonzept zur „Stärkung der Marke Opel“ einschließlich Arbeitsplatzabbau, Sozialkürzungen und Lohnsenkungen.

Die Konzernleitung begrüßte diese Initiative, verlangte aber noch weitere Kürzungen und die Schließung eines Produktionsstandortes. Die IGM-Führung schlug Bochum vor. Die dortige Belegschaft war ihr seit langem ein Dorn im Auge. Nachdem die Entscheidung über die Werksschließung gefallen war, organisierte die IG Metall eine systematische Isolation der Opel-Arbeiter in Bochum.

Dazu diente der so genannte „Mastertarifvertrag“. Den Opel-Beschäftigten der anderen Standorte wurden vage Versprechungen über mögliche künftige Investitionen gemacht, um sie zur Zustimmung eines Tarifvertrages zu bewegen, in dessen Mittelpunkt die Schließung des Bochumer Werkes im Jahr 2016 stand.

Als die Bochumer Arbeiter ihre Zustimmung verweigerten, wurden sie von den IG Metall-Funktionären und Betriebsräten der anderen Standorte heftig beschimpft und attackiert. Als Strafmaßnahme wurde die Stilllegung bereits auf 2014 vorgezogen.

Einenkel täuschte Kampfbereitschaft vor, unterdrückte aber jeden ernsthaften Widerstand. Er vertröstete die Arbeiter und attackierte alle, die kämpfen wollten, als Hitzköpfe, die die Sozialplanverhandlungen gefährdeten. Unterstützt wurde Einenkel von der Linkspartei, in der er selbst Mitglied ist.

Eine ähnliche Rolle wie alle bisherigen gewerkschaftlichen Oppositionsgruppen spielen die Stalin-Anhänger der MLPD, deren Betriebsgruppe „Offensiv“ derzeit drei Betriebsräte bei Opel stellt. Ihre hohlen Aufrufe zu „Internationaler Solidarität“ sollen vor allem von der Rolle der IG Metall ablenken, die sie sklavisch verteidigt.

Nun werden auch die letzten 3.300 Opel-Arbeiter in die Arbeitslosigkeit geschickt. Mit Opel Bochum werden Tausende Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie vernichtet. Die Arbeitslosigkeit und Armut wird in dieser ohnehin gebeutelten Region noch weiter zunehmen.

Im nächsten halben Jahr wird eine Restbelegschaft die Demontage erledigen und die Gebäude von Werk I und II – letzteres hat schon im letzten Jahr die Produktion eingestellt – an die Stadt Bochum übergeben. Werk III, das schon 2006 ausgegliedert worden war, beschäftigt derzeit 420 Arbeiter, rund 265 sollen aus der abgewickelten Opel-Belegschaft hinzukommen. Es heißt, zumindest bis 2016 halte Opel an dem Warenverteilzentrum fest. Der 60-jährige Rainer Einenkel wechselt noch für ein Jahr in die Transfergesellschaft und geht dann aller Voraussicht nach in Rente.

Bereits im März 2014 war das Opel-Werk in die Liste der „Route der Industriekultur“ im Ruhrgebiet aufgenommen worden. Wie viele stillgelegte Zechen und Stahlwerke zeugt es ab jetzt von vergangenen Zeiten. Dasselbe gilt für die IG Metall und die anderen Gewerkschaften. Die Zeiten, in denen sie sich als Interessenvertreter der Arbeiter darstellen konnten, sind lange vorbei. Sie sind zu Co-Managern geworden, die Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkungen organisieren und dafür sorgen, dass jeder Widerstand in den Betrieben unterdrückt wird.

Die Geschichte von Opel Bochum enthält wichtige Lehren für alle Arbeiter. Um Arbeitsplätze, Löhne und Rechte zu verteidigen, müssen sie mit den gewerkschaftlichen Apparaten brechen und sich einer internationalen, sozialistischen Perspektive zuwenden. Dafür stehen die Vierte Internationale und ihre deutsche Sektion, die Partei für Soziale Gleichheit.

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