Die Kampfbereitschaft der Lokführer und Zugbegleiter ist sehr wichtig. Nach acht Monaten Tarifverhandlungen und sieben befristeten Streikaktionen haben sie den längsten Streik in der Geschichte der deutschen Bahn begonnen.
Anders als in den Medien dargestellt, begrüßen viele Arbeiter und Angestellte in anderen Betrieben und Verwaltungen den Streik. Sie kennen die Probleme, mit denen Lokführer und Zugbegleiter täglich konfrontiert sind, aus eigener Erfahrung nur zu gut. Überall werden Arbeitsplätze abgebaut und die Arbeitsbedingen verschlechtert. Arbeiter und Angestellte stehen unter Dauerbeschuss.
Parallel zum Streik der Lokführer finden Tarifauseinandersetzungen und Protestaktionen bei der Post, der Postbank, in Krankenhäusern wie der Berliner Charité, in Kitas, Schulen und anderen Betrieben und Verwaltungen statt. Dazu kommt ein Millionenheer von Billiglohnarbeitern, prekär Beschäftigten und Hartz-IV-Empfängern, die immer tiefer in die Armut getrieben werden.
Der Streik der Lokführer und Zugbegleiter wird als Auftakt gesehen, endlich gegen eine aggressive Finanzelite zurückzuschlagen, die sich hemmungslos bereichert und die Gesellschaft ruiniert. Bahnchef Grube, sein Verhandlungsführer Weber und die andern DB-Vorstandmitglieder verdienen Millionen im Jahr, teilweise 10.000 Euro pro Arbeitstag und mehr.
Mit ihrem Streik verfügen die Lokführer über eine große Macht. Die eng getakteten Produktionsabläufe, die so geplant sind, dass keine Lagerkosten anfallen und Werkstücke sowie Produkt-Komponenten „just in time“ geliefert werden, haben zur Folge, dass der Streik in wenigen Tagen große Teile der Produktion lahmlegen kann. Wirtschaftsverbände sprechen von 100 Millionen Euro Verlust pro Streiktag nur im Güterverkehr.
Aber es wäre falsch und fahrlässig zu glauben, durch den Einsatz dieser Streikmacht könnten die Probleme schnell und einfach gelöst werden. Wer behauptet, dass ein paar Tage Streik ausreichen werden, um den Bahnvorstand zum Einlenken und Nachgeben zu zwingen, unterschätzt völlig das Ausmaß und die Bedeutung der Auseinandersetzung.
Der Bahn-Vorstand arbeitet aufs engste mit der Bundesregierung zusammen, die immer noch Kapitaleigner der Bahn AG ist. Er hat diese Konfrontation vorbereitet, um die Lokführer in die Knie zu zwingen und damit eine neue Runde massiver Angriffe auf alle Teile der Arbeiterklasse einzuleiten.
Die Medien wurden bereits in Stellung gebracht und hetzen gegen den Streik. Regierungsvertreter fordern eine Zwangsschlichtung, um den Streik zu unterdrücken. Wenn das nicht funktioniert, sollen Gerichte den Streik als unverhältnismäßig einstufen, verbieten und die Lokführergewerkschaft durch Schadensersatzforderungen ruinieren. Der DGB steht eindeutig auf der Seite der Regierung und des Bahn-Vorstands, setzt Streikbrecher ein und versucht die streikenden Lokführer zu isolieren.
Die streikenden Arbeiter müssen mit derselben Härte und Entschlossenheit auf diesen Angriff reagieren und sich auf ein neues Stadium heftiger Klassenauseinandersetzungen vorbereiten.
Das erfordert vor allem, dass die politische Bedeutung und Dimension des Streiks der Lokführer und Zugbegleiter verstanden wird. Die traditionellen Konzepte gewerkschaftlicher Militanz reichen nicht aus. Um den Streik zum Erfolg zu führen, ist es notwendig, für ein internationales sozialistisches Programm zu kämpfen.
Der Streik steht in direktem Zusammenhang mit der Verschärfung der internationalen Krise des Kapitalismus und der Europäischen Union. Die Bundesregierung reagiert auf diese Krise mit der Wiederbelebung des deutschen Militarismus. Seit sie und Bundespräsident Joachim Gauck im vergangenen Jahr das Ende der militärischen Zurückhaltung verkündet haben, wird wieder massiv aufgerüstet.
Große soziale und politische Klassenkämpfe sind damit unvermeidbar. Um die Milliarden für die Aufrüstung aufzubringen, bereitet die Regierung massive soziale Kürzungen vor. Gleichzeitig werden grundlegende demokratische Rechte abgebaut, um die Bundeswehr gegen den Widerstand der Bevölkerung in Kriegseinsätze zu schicken.
Im Mittelpunkt dieses Angriffs steht die Abschaffung des Streikrechts. Dazu dient das Gesetz zur Tarifeinheit, das Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) im Eiltempo durch das Parlament peitscht und noch vor der Sommerpause in Kraft setzen will. Sie arbeitet dabei aufs engste mit dem DGB zusammen.
Mit diesem Gesetz soll die Kontrolle der DGB-Bürokratie in allen Betrieben und Verwaltungen zementiert werden. Künftig sollen nur noch die DGB-Gewerkschaften das Recht haben, Tarifverträge abzuschließen, deren Laufzeit festzulegen und damit die Friedenspflicht zu bestimmen. Jeder von Arbeitern selbst organisierte Streik ist dann von vornherein gesetzeswidrig.
Schon seit vielen Jahren sabotieren die DGB-Gewerkschaften jeden ernsthaften Arbeitskampf und hebeln damit das grundlegende Recht von Arbeitern aus, sich gegen sinkende Einkommen, steigende Arbeitshetze und Arbeitsplatzabbau zu wehren.
Bei der Bahn fungiert die EVG (Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft) seit eh und je als handzahme „Hausgewerkschaft“. Sie ist vom Bahn-Vorstand nicht zu unterscheiden. Sie hat in den vergangenen Jahren einen massiven Arbeitsplatzabbau mit organisiert, was endlose Überstunden, Einschränkung von Ruhezeiten, Arbeitshetze, tagelange Trennung von der Familie und andere prekäre Arbeitsbedingungen zur Folge hat.
Die Funktionäre der DGB-Bahngewerkschaft werden für ihre Dienste mit üppigen Gehältern und Privilegien bedacht. Gut in Erinnerung ist noch der Aufstieg von Norbert Hansen, der 2008 vom Vorsitz der DGB-Gewerkschaft Transnet direkt auf den Sessel des Personalchefs der Bahn AG wechselte und dafür Millionen kassierte.
Der Grund für diese Verwandlung der Gewerkschaften ist nicht nur die – zweifellos ausgeprägte – Korruption vieler ihrer Funktionäre. Die Degeneration der Gewerkschaften und ihre Verwandlung in Werkzeuge der Unternehmen und der Regierung, die gegenwärtig überall auf der Welt stattfindet, hat tiefe objektive Ursachen in den Veränderungen der Weltwirtschaft. Die Globalisierung der Produktion hat jeder nationalstaatlichen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik den Boden entzogen.
Konnten die Gewerkschaften in der Vergangenheit Druck auf die Unternehmen ausüben, um zumindest zeitweise Verbesserungen für die Arbeiter zu erreichen, so ist es heute umgekehrt. Die Gewerkschaften und Betriebsräte erpressen die Arbeiter, um Sozialabbau durchzusetzen und damit Wettbewerbsvorteile für die Unternehmen zu erreichen.
Es ist außerordentlich wichtig, diese objektive Grundlage für die Verwandlung der Gewerkschaften zu verstehen. Denn sie macht vor den kleinen Spartengewerkschaften nicht Halt.
Claus Weselsky und die GDL tun so, als könne auch im Zeitalter der globalen Krise eine nationale Gewerkschaft die Interessen der Arbeiter verteidigen, wenn sie bloß etwas militanter und weniger korrupt sei. Doch das ist eine Illusion. In Wirklichkeit wirft der Kampf zur Verteidigung von Arbeiterrechten und Errungenschaften unmittelbar die Frage der politischen Perspektive auf. Und in dieser Frage stimmen die Spartengewerkschaften mit den DGB-Gewerkschaften trotz aller sonstigen Konflikte überein. Beide anerkennen das kapitalistische Profitsystem.
Hier liegt der Grund für die Zurückhaltung von Weselsky, die vielen Lokführern als Zögern und Zaudern erscheint. Weselsky will nicht gegen die Regierung kämpfen. Er ist selbst Mitglied der Regierungspartei CDU. Er versucht durch den Streik und durch Kampfrhetorik den Bahnvorstand und die Bundesregierung zu einem Kompromiss zu bewegen. Doch die wollen keinen Kompromiss, sondern die Kapitulation, um eine neue Runde massiver sozialer Angriffe durchzusetzen.
Wenn der Streik unter der Kontrolle der GDL bleibt und ihrer national beschränkten Perspektive als Spartengewerkschaft untergeordnet wird, ist er zum Scheitern verurteilt. Stattdessen muss er zum Ausgangspunkt einer breiten politischen Bewegung gegen die Bundesregierung gemacht werden. Die Lokführer, die oft über die Landesgrenzen fahren und international gut vernetzt sind, müssen an alle Arbeiter in Europa appellieren, die vor sehr ähnlichen Problemen stehen.
Die Lokführer und auch alle anderen Arbeiter müssen über die beschränkten Konzepte gewerkschaftlicher Militanz hinausgehen und sich einer neuen politischen Perspektive zuwenden. Die Hoffnung, es sei möglich, der Diktatur des DGB mit einer weniger korrupten und militanteren Spartengewerkschaft entgegenzutreten, hat sich als falsch erwiesen. Notwendig ist eine politische Partei, die sich der kapitalistischen Profitlogik widersetzt, ein sozialistisches Programm vertritt und eine internationale Strategie verfolgt. Es gibt diese Partei. Es ist die Partei für Soziale Gleichheit (PSG).
Arbeiter müssen sich an ihre eigene Geschichte erinnern, die nicht mit Gewerkschaften, sondern mit einer revolutionären, sozialistischen Partei begann. Unter der Leitung von August Bebel und Wilhelm Liebknecht und gestützt auf die revolutionären Theorien von Karl Marx und Friedrich Engels erweckte die frühe Sozialdemokratie die Arbeiterklasse zum politischen Leben. Die Gewerkschaften entstanden später und bildeten von Anfang an den rechten, pro-kapitalistischen Flügel der SPD.
Für den großen Verrat von 1914, als die SPD den Ersten Weltkrieg unterstützte, waren die Gewerkschaften in hohem Maße mitverantwortlich. Auch den November-Aufstand von 1918 und die Russische Oktoberrevolution von 1917 lehnten sie ab. Später nutzten sie die Verbrechen der Stalinisten für ihre antikommunistische Hetze.
Leo Trotzki, die Linke Opposition und die Vierte Internationale kämpften unermüdlich dagegen und verteidigten die sozialistischen Perspektiven. Die Partei für Soziale Gleichheit steht in dieser historischen Kontinuität. Der Aufbau von Betriebsgruppen der PSG und die Diskussion über die Klärung dieser historischen Fragen ist wichtig, um die kommenden großen Klassenkämpfe vorzubereiten, die mit dem gegenwärtigen Streik begonnen haben.