Schlichtung im Bahn-Arbeitskampf

GDL unterschreibt Stillhalteabkommen bis 2020

Der von der Deutschen Bahn (DB) und der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) angenommene Schlichterspruch hat weitreichende Konsequenzen. Denn versteckt hinter einigen Zugeständnissen stimmte die GDL einer „verbindlichen Schlichtungsvereinbarung“ bis 2020 zu.

Neun mal hatten die Lokführer in dem seit einem Jahr anhaltenden Tarifkampf gestreikt und dabei deutlich gemacht, welch große wirtschaftliche und politische Macht die Arbeiterklasse hat. Mehrmals legten sie den Personen- und Güterverkehr lahm, was nach wenigen Tagen zu Engpässen und Produktionsausfällen in wichtigen Betrieben führte. Das soll künftig verhindert werden.

Das Handelsblatt verstand sofort die zentrale Bedeutung des 450 Seiten umfassenden Vertragswerks und jubelte: „Endlich keine Streiks mehr!“ Das Finanzblatt ließ sich durch die 16 detailreichen Einzelverträge nicht blenden und hatte den zentralen Inhalt des Tarifabkommens sofort erfasst. Bis September 2016 sind Streiks bei der Bahn vertraglich, anschließend sind sie bis 2020 faktisch ausgeschlossen.

Für die Laufzeit des neuen Tarifvertrags bis zum 30. September 2016 herrscht so genannte „Friedenspflicht“, d. h., die Bahnbeschäftigten dürfen nicht streiken. Zusätzlich gestand die GDL aber zu, dass bis 2020 ein verbindliches Schlichtungsverfahren auch von nur einer der Tarifparteien eingeleitet werden kann. Der Bahnvorstand kann somit einen von der GDL angekündigten Streik durch eine Schlichtung unterbinden.

Ob ein Streik nach einem so erzwungenen Schlichterspruch von den Gerichten noch als „verhältnismäßig“ eingestuft würde, ist zweifelhaft. Nicht nur das Handelsblatt jubelte über den Vertrag, den die beiden Schlichter Bodo Ramelow, Ministerpräsident der Linkspartei in Thüringen, und der ehemalige Ministerpräsident Brandenburgs Matthias Platzeck (SPD) in fünf Wochen ausgearbeitet haben.

Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber betonte, ihn freue vor allem eins: „Die Streikgefahr ist gebannt.“ Auch GDL-Chef Claus Weselsky dankte den beiden Schlichtern ausdrücklich und betonte, die GDL habe alle wichtigen Ziele erreicht. Sie habe erstmals für all ihre Mitglieder Tarifverträge abschließen können.

Beim Lohntarifvertrag folgte die GDL der Hausgewerkschaft der DB, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Diese hatte sich schon Ende Mai mit der Bahn geeinigt und die GDL somit unter Zugzwang gesetzt. Nun hat sich die GDL der EVG gebeugt. Ab 1. Juli gibt es für das fahrende DB-Personal 3,5 Prozent mehr Lohn, weitere 1,6 Prozent kommen im 1. Mai 2016 hinzu. So hat die Bahn eines ihrer wichtigsten Ziele erreicht, nämlich gleiche Tarifbedingungen für die Beschäftigten einer Berufsgruppe.

Die Bahn hat der GDL im Gegenzug einige Zugeständnisse gemacht, die aufgrund der miserablen Arbeitsbedingungen wohl ohnehin unumgänglich waren. So ist vereinbart, dass die Zahl der zulässigen Überstunden auf 80 pro Jahr begrenzt wird. Die Öffnungsklauseln, nach denen beispielsweise die Bordgastronomen bis zu 15-Stunden-Schichten leisten mussten, wurden abgeschafft.

Bis Ende 2017 soll bei den Lokführern ein Drittel der insgesamt drei Millionen Überstunden abgebaut werden. Bei den Zugbegleitern sind es 300.000 Stunden. Im Jahr dürfen nun nicht mehr als 80 Überstunden anfallen. Dazu verpflichtet sich die Bahn, 300 Lokführer und 100 Zugbegleiter zusätzlich einzustellen.

Auch die geringere Bezahlung der Lokrangierführer ist aufgehoben worden. Sie fallen nun unter den GDL-Flächentarifvertrag für Lokführer.

Bei der Verkürzung der Wochenarbeitszeit kam die GDL wiederum der Bahn entgegen. Ursprünglich hatte die GDL eine Verkürzung um zwei Stunden gefordert. Nun verringert sich die Wochenarbeitszeit für die GDL-Mitglieder um eine auf 38 Stunden, allerdings erst ab 2018. Damit bleibt der Bahn genügend Zeit, nach dem Auslaufen der Tarifverträge mit der EVG im nächsten Jahr noch nachzuverhandeln. EVG-Chef Alexander Kirchner signalisierte bereits seine Bereitschaft dazu.

Kirchner und die EVG begrüßten daher die Schlichtungsvereinbarung. „Wir begrüßen die völlige Übernahme unseres Tarifergebnisses in die Tarifverträge mit der GDL, dadurch wurde die drohende tarifliche Spaltung einzelner Beschäftigtengruppen verhindert“, erklärte Regina Rusch-Ziemba, Verhandlungsführerin der EVG, in einer Mitteilung.

Für ihre Unterordnung unter DB und EVG forderte die GDL, als „Sozialpartner“ anerkannt zu werden, d. h., für alle ihre Mitglieder Tarifverträge abschließen zu können. Das hat die Bahn der GDL zugesichert. In der Schlichtungsvereinbarung wurde festgelegt, dass das Tarifeinheitsgesetz der Bundesregierung bis 2020 bei der Bahn keine Anwendung findet. Diese Vereinbarung ist eine offensichtliche Augenwischerei. Die Tarifeinheit muss nicht erzwungen werden, wenn die GDL sich freiwillig dazu verpflichtet nicht weitgehend von den EVG-Verträgen abzuweichen.

Die GDL-Führung hat das Schlichtungsergebnis einschließlich einer Zwangsschlichtung bis 2020 unterschrieben, ohne ihre Mitglieder in einer Urabstimmung zu befragen. Dieses Stillhalteabkommen der GDL muss vor dem Hintergrund einer rapiden Verschärfung der kapitalistischen Krise in Europa und weltweit verstanden werden.

Die Bundesregierung reagiert auf diese Krise, indem sie die Ausbeutungsbedingungen ständig weiter verschärft. Die EU-Diktatur, die derzeit über die griechischen Arbeiter errichtet wird und das gesamte Land verwüstet, bildet den Auftakt einer Offensive der europäischen Regierungen gegen die gesamte europäische Arbeiterklasse – auch in Deutschland. Arbeits- und Lebensbedingungen werden im Interesse der Banken und Konzerne rapide verschlechtert und unerträglich gemacht.

Gleichzeitig reagiert die Bundesregierung auf die kapitalistische Krise mit Militarismus und Kriegsvorbereitung. Die systematische militärische Aufrüstung soll die Bundeswehr darauf vorbereiten, dabei zu sein, wenn die Kriegsdrohungen gegen Russland und China seitens der NATO zu einem offenen kriegerischen Konflikt eskalieren. Die Kosten für die Aufrüstung treibt die Regierung durch radikale Sparmaßnahmen ein.

Soziale Angriffe in nicht gekanntem Ausmaß – wie aktuell in Griechenland vorexerziert – und militärische Aufrüstung stehen auf der Tagesordnung. Um jeden Widerstand gegen diese Entwicklung zu unterdrücken, wird das Streikrecht eingeschränkt. Darin besteht die Bedeutung des Tarifeinheitsgesetzes. Mit seiner Hilfe sollen die DGB-Gewerkschaften eingesetzt werden, um jede selbständige Regung in den Betrieben unter Kontrolle zu halten und zu unterdrücken.

Unter diesen Bedingungen hatte sich die einjährige Tarifauseinandersetzung der Lokführer und Zugbegleiter in einen politischen Kampf verwandelt. Die insgesamt neun Streiks der GDL-Mitglieder legten vorübergehend das gesamte Land lahm. Für die kommenden Kämpfe und Auseinandersetzungen haben Weselsky und die GDL der Bundesregierung signalisiert: Die Kampfkraft der Lokführer wird nicht gegen soziale Angriffe und Krieg eingesetzt.

Die GDL-Führung um Claus Weselsky stellt sich mit der Zustimmung zum Schlichtungsergebnis an die Seite der Bundesregierung. Trotz aller Konflikte mit den DGB-Gewerkschaften unterscheidet sie sich nicht grundlegend von diesen. Sie akzeptiert genauso das kapitalistische System. Schon in den vergangenen Monaten wurde deutlich, dass die GDL den Kampf gegen die Bundesregierung nicht führen will.

Die WSWS warnte wiederholt davor, dass der Kampf der Lokführer zum Scheitern verurteilt ist, solange er unter der Kontrolle der GDL bleibt und ihrer national beschränkten Perspektive als Spartengewerkschaft untergeordnet wird.

Das zeichnete sich schon beim Abbruch des letzten Streiks ab. Anstatt den Kampf über die Bahn hinaus auszuweiten, brach die GDL-Führung ihn einen Tag, bevor der Bundestag das Tarifeinheitsgesetz beschloss, ab und stimmte der Schlichtung zu. Dass die GDL den Linksparteifunktionär Ramelow als Schlichter bestimmte, sprach Bände. Ramelow gehört dem rechten Flügel seiner Partei an und setzt in Thüringen gemeinsam mit SPD und Grünen ein drastisches Sparprogramm durch.

Die Zustimmung der GDL zum Schlichtungsergebnis und Stillhalteabkommen beinhaltet wichtige politische Lehren. Die Hoffnung, es sei möglich, der Diktatur des DGB mit einer weniger korrupten und militanteren Spartengewerkschaft entgegenzutreten, hat sich als falsch erwiesen. Die Lokführer und auch alle anderen Arbeiter müssen über die beschränkten Konzepte gewerkschaftlicher Militanz hinausgehen und sich einer neuen politischen Perspektive zuwenden. Notwendig ist eine politische Partei, die sich der kapitalistischen Profitlogik widersetzt, ein sozialistisches Programm vertritt und eine internationale Strategie verfolgt. Für diese Perspektiven kämpft die Partei für Soziale Gleichheit (PSG).

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