Siemenschef Joe Kaeser ruft nach Führung und verherrlicht einen Diktator

„Wenn jemand in einem Land demokratisch gewählt wurde, um Führung zu geben und Entscheidungen zu treffen, dann sollte er nicht ständig zurückgehen und sagen: Jetzt fragen wir das Volk.“ Das sagte der Vorstandsvorsitzende des Siemenskonzerns Joe Kaeser am vergangenen Dienstag in einem Fernsehinterview.

Im Rahmen der Sendung „Münchner-Runde“ wurde Joe Kaeser von Sigmund Gottlieb, dem Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens befragt, der für seine Hofberichtserstattung für die CSU bekannt ist.

Auf die Frage, was er von der Regierung erwarte, antwortete der Konzernchef, er wünsche sich „wieder mehr Staatsmänner und Staatsfrauen und weniger Politiker“. Der Unterschied bestehe darin, erläuterte er, dass „Staatsmänner und Staatsfrauen das tun, was sie als richtig erkannt haben“, und es auch gegen Widerstand durchsetzten, während Politiker immer an demokratischen Mehrheiten orientiert seien. Wörtlich sagte Kaeser: „Politik ist mehrheitsgetrieben, und das ist nicht gut für unser Land.“

Kaeser gab offen zu, dass „wir Deutsche mit dem Wort Führung eine gewisse historische Problematik“ haben. Das hinderte ihn aber nicht daran, auf Führung zu pochen. Die Vergangenheit dürfe nicht zur Folge haben, dass dem gegenwärtigen Führungsanspruch ausgewichen werde. „Wer in Wirtschaft oder Politik einen gewissen Führungsanspruch hat, oder auch in anderen Bereichen der Gesellschaft, der muss den auch ausfüllen“, betonte er.

Dass Kaeser keine demokratischen Skrupel kennt, wurde an einer anderen Stelle des Interviews deutlich. Begeistert schilderte er, dass Siemens vor wenigen Wochen den größten Einzelauftrag in der fast 170-jährigen Firmengeschichte im Umfang von knapp 8 Milliarden Euro abgeschlossen habe. Auftragnehmer ist der ägyptische Diktator al-Sisi, an dessen Händen das Blut hunderter Demonstranten klebt, die beim Putsch gegen seinen Vorgänger Mursi erschossen wurden, dessen Gerichte Oppositionelle im Schnellverfahren zum Tode verurteilen und in dessen Kerkern 40.000 politische Häftlinge sitzen, darunter viele Journalisten.

Fasziniert berichtete Kaeser, er habe die Verhandlungen mit dem ägyptischen Diktator persönlich auf einer Wirtschaftskonferenz in Sharm el-Sheikh geführt. Sichtlich beeindruckt erklärte er: „Das war eine sehr interessante Geschichte. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben direkt mit einem Staatspräsidenten über einen Auftrag verhandelt. Das hatte es bisher noch nicht gegeben. Aber der ägyptische Präsident nimmt vieles selbst in seine Hand.“

Weder Kaeser noch BR-Redakteur Gottlieb äußerten die leiseste Kritik an dem Gewaltherrscher vom Nil. Stattdessen berichtete Kaeser, er habe dem Präsidenten einen Vorschlag über Investitionsprogramme im Umfang von zweieinhalb Milliarden Euro gemacht, den der Präsident sehr wohlwollend aufnahm. In mehreren Verhandlungsrunden sei die wirtschaftliche Zusammenarbeit immer weiter ausgedehnt worden und habe schließlich den Bau von drei Gaskraftwerken und zwölf Windparkanlagen umfasst. Nach Fertigstellung sollen die drei Kraftwerke mit einer Gesamtkapazität von mehr als 14 Gigawatt die größten Kraftwerke der Welt sein.

Wie frühere Kolonialherrscher bezeichnete Kaeser das Milliardengeschäft mit dem ägyptischen Diktator als wirtschaftliches Aufbauprogramm für Ägypten, um „90 Millionen Menschen zu helfen, die im Grunde weder Strom noch Infrastruktur haben“. Er freue sich auf eine enge Zusammenarbeit mit der ägyptischen Regierung, die an eine lange Wirtschaftsbeziehung anknüpfe. Immerhin sei Siemens seit über 150 Jahren in Ägypten tätig.

Mit Kaeser spricht die authentische Stimme des deutschen Imperialismus. Das 1847 entstandene Unternehmen spielte bereits bei der Reichsgründung 1871 eine wichtige Rolle. Damals setzte sich der Chef-Syndikus von Siemens & Halske, Georg Siemens, für die Gründung der Deutschen Bank ein, um das Auslandsgeschäft der Deutschen Wirtschaft zu finanzieren.

Im Ersten Weltkrieg gehörte Wilhelm von Siemens zu den Unterzeichnern der sogenannten „Industriellen-Eingabe“, die sich für maximale Kriegszielforderungen einsetzte. Siemensvorstand Rudolf Bingel war schon vor 1933 Mitglied im Keppler-Kreis, der die NSDAP wirtschaftspolitisch beriet. Carl Friedrich von Siemens wurde im Sommer 1933 in den „Generalrat der deutschen Wirtschaft“ berufen.

Heute ist der Siemens-Konzern in 190 Ländern vertreten, macht einen Jahresumsatz von 72 Milliarden Euro und beschäftigt 342.000 Mitarbeiter. Im Kampf um globale Märkte und Profit hat er die Bundesregierung hinter sich, die vor anderthalb Jahren das Ende der militärischen Zurückhaltung und eine neue deutsche Großmachtpolitik ankündigte. Seither drängen deutsche Firmen auf allen Märkten in die Offensive, schließen Großaufträge mit autoritären Regimes ab und profitieren von deren brutaler Unterdrückung der Arbeiterklasse.

Anfang Juli hatte die Bundesregierung den ägyptischen Diktator in Berlin mit allen militärischen Ehren empfangen und den roten Teppich ausgerollt. Damals hatte die Kanzlerin noch betont, dass die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit auch darauf ausgerichtet sei, eine Verbesserung der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit in Ägypten zu erreichen. Das Kaeser-Interview macht deutlich, dass das Gegenteil der Fall ist. Die neue deutsche Großmachtpolitik und enge Zusammenarbeit mit Diktaturen ist direkt mit der Forderung nach Abbau demokratischer Rechte und autoritären Herrschaftsformen in Deutschland selbst verbunden.

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