Am Donnerstag rief der griechische Präsident Prokopis Pavlopoulos Neuwahlen aus. Wahltermin ist voraussichtlich der 20. September. Zugleich ernannte er die Präsidentin des Areopag, des obersten Gerichtshofs, Vasiliki Thanou, zur Übergangsregierungschefin. Sie hat nun die Aufgabe, die Wahlen zu organisieren.
Premierminister Alexis Tsipras hatte die Neuwahlen mit seinem Rücktritt vor einer Woche selbst herbeigeführt. In dem ersten Fernsehinterview seit dieser Entscheidung begründete er den Schritt am Mittwochabend damit, dass er der Bevölkerung die Wahl lassen wolle, ob sie mit der Unterzeichnung des Memorandums einverstanden sei.
Das ist eine absurde Verdrehung. Tatsächlich hatte Tsipras mit seinem Rücktritt ganz bewusst so lange gewartet, bis die Kreditverträge mit den europäischen Institutionen in trockenen Tüchern und die wesentlichen Kürzungsmaßnahmen durchs Parlament gebracht waren. Syriza brachte auf diese Weise Sparmaßnahmen auf den Weg, die viel weiter gehen als alle Programme der Vorgängerregierungen.
Die Partei tat dies entgegen ihrer Anti-Spar-Rhetorik, mit der sie die letzte Wahl im Januar mit großem Vorsprung gewonnen hatte. Sie tat es auch entgegen dem erklärten Willen der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung, die sich im Referendum vom 5. Juli gegen weitere Kürzungsmaßnahmen ausgesprochen hatte.
Unter diesen Bedingungen Neuwahlen auszurufen, die an dem Ergebnis nichts mehr ändern können, hat mit Demokratie nichts zu tun. Es geht Tsipras auch nur darum, die Regierungskrise zu überwinden, die sein Sparkurs angesichts der massiven Opposition in der Bevölkerung ausgelöst hat. Entweder erhält er eine eigene Mehrheit und kann die Sparpolitik fortsetzen, oder er gibt die Macht an die offenen Pro-Austeritäts-Parteien ab.
Das machte Tsipras in dem Fernsehinterview vom Mittwoch mehr als deutlich. Er werde nicht Premierminister in einer Koalitionsregierung mit der konservativen Nea Dimokratia (ND), der sozialdemokratischen Pasok oder der liberalen To Potami werden, sagte Tsipras. „Ich denke, dass alle drei Parteien das alte politische System verkörpern.“
Wie die Zeitung Kathimerini bemerkte, schloss er eine Koalition Syrizas mit einer dieser Parteien nicht aus, sondern stellte nur seinen Posten als Regierungschef zur Disposition. Eine solche Koalition ist auch keinesfalls unwahrscheinlich. Die bisherigen Sparmaßnahmen wurden von einer Koalition eben dieser drei Parteien zusammen mit Syriza und den rechten Unabhängigen Griechen (Anel) verabschiedet.
Die Kürzungen verteidigte Tsipras vehement. „Ich habe das Nein zu einer schlechten Vereinbarung in ein Ja zu einer Vereinbarung mit Problemen gedreht, die aber Potential hat“, sagte er. Insbesondere gebe die Vereinbarung mit den Institutionen dem Land „finanziellen Spielraum, um unsere Schulden zu begleichen“.
Damit fasst Tsipras das Programm seiner Regierung zusammen. Während er gegen den Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung neue Rentenkürzungen, Lohnsenkungen und die Erhöhung von Massensteuern durchgesetzt hat, brüstet er sich damit, dass Griechenland nun seine Gläubiger auszahlen könne. Die Alternative zu dieser Politik sei ein „Bankencrash, vielleicht sogar ein Bürgerkrieg“ gewesen, so Tsipras.
Auch wenn Tsipras versprach, die Auswirkungen seiner eigenen Politik abzufedern, gab er unmissverständlich zu verstehen, dass eine weitere Regierung unter seiner Führung den unsozialen Kurs fortsetzen werde. Die Griechen dürften die Schuld nicht immer im Ausland suchen, betonte er. Stattdessen müssten Steuerhinterziehung und Korruption im eigenen Land bekämpft werden.
Angesichts des aggressiven Kurses von Syriza gibt es im politischen Establishment Sorgen, dass der massive Widerstand der Bevölkerung und insbesondere der Arbeiterklasse, wie er im Referendum vom 5. Juli zum Ausdruck kam, offene Formen annehmen könnte.
Umfragen zufolge, die in der Vergangenheit allerdings wenig verlässlich waren, ist die Unterstützung für Syriza bereits massiv eingebrochen. Zudem gibt es Berichte von Massenaustritten an der Basis von Syriza.
Um eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse zu verhindern, bilden sich verschiedene Initiativen, die das Ziel verfolgen, die Opposition aufzufangen und zu ersticken.
Am Mittwoch trafen sich die Vertreter der im Juli gegründeten Gruppe 53+ innerhalb Syrizas, zu der auch der amtierende Finanzminister Euklides Tsakalotos gehört. Die Mitglieder wollen innerhalb Syrizas verbleiben, berieten aber darüber, ob sie sich bereit erklären sollen, erneut Posten in einer Regierung zu übernehmen, oder ob sie eine gewisse Distanz zur Parteimehrheit beibehalten.
Zudem sind am Mittwoch 53 der 201 Mitglieder des Zentralkomitees von Syriza zurückgetreten. Einige von ihnen sind bereits der neuen Partei Volkseinheit (LAE) beigetreten, andere denken über eine kritische Unterstützung Syrizas nach und wollen noch eine für das kommende Wochenende geplante Konferenz der Partei abwarten, auf der Tsipras eine Rede halten wird.
LAE wurde von dem ehemaligen Energieminister Panagiotis Lafazanis und 24 weiteren Syriza-Abgeordneten gegründet. Lafazanis warf Tsipras am Donnerstag vor, er habe „alle inhaltlichen und programmatischen Festlegungen von Syriza aufgegeben“. Sein Programm bedeute den „endgültigen Schlag für die griechische Wirtschaft“, sagte er. Seine neue Partei wolle das Niveau der Löhne und Renten von 2010, also vor den Sparmaßnahmen, wieder herstellen.
Diese Forderungen sind nicht mehr Wert als jene Syrizas vor der Übernahme der Regierung. Lafazanis und Konsorten hatten dem von Tsipras ausgearbeiteten Spardiktat am 10. Juli im Parlament bereits zugestimmt und sprangen erst ab, als die europäischen Institutionen eine weitere Verschärfung forderten. Selbst dann erklärten sie sich noch solidarisch mit der Regierung und versicherten Tsipras ihre Unterstützung.
In den letzten drei Tagen hatte Lafazanis als Führer der drittgrößten Fraktion im Parlament selbst versucht, eine Regierung zu bilden. Dabei hatte er sich mit den Spitzen der Pro-Austeritäts-Partei Pasok getroffen und auch Verhandlungen mit dem pseudolinken Bündnis Antarsya geführt. Zudem versuchte er, die diskreditierten Gewerkschaften an den Verhandlungstisch zu bekommen, um eine mögliche Regierung abzusichern.
Ein ähnliches Manöver geht von der amtierenden Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou aus. Berichten zufolge befindet sie sich in Gesprächen mit dem berühmten antifaschistischen Widerstandskämpfer Manolis Glezos über die Gründung einer eigenen Partei. Der Zeitung Efimerida ton Syntakton zufolge will Konstantopoulou eine Wahl-Kooperation mit der LAE eingehen.
All diese Formationen haben nichts anderes zu bieten, als die bankrotte Syriza-Rhetorik erneut aufzuwärmen. Sie haben nicht das Geringste mit den Interessen der Arbeiter zu tun, sondern repräsentieren wohlhabende Schichten des Kleinbürgertums, die mit Tsipras Verhandlungsergebnis unzufrieden sind und mehr für ihre Klientel herausholen wollen.