1. Eine strategische Erfahrung für die Arbeiterklasse
Die Wahlen in Griechenland vom September 2015, mit der die Syriza-Regierung unter der Führung von Premierminister Alexis Tsipras zurück ins Amt kam, beinhalten wichtige strategische Erfahrungen für die Arbeiterklasse.
Als die „Koalition der radikalen Linken” (Syriza) im Januar ans Ruder kam, versprach sie, die Sparmaßnahmen der Europäischen Union zu beenden. Die brutalen sozialen Angriffe der EU hatten Griechenland zum Mittelpunkt einer weltweiten sozialen Konterrevolution gemacht. Seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 wurden die Angriffe auf den Lebensstandard und die Grundrechte von Arbeitern unablässig vorangetrieben.
Millionen Arbeiter und Jugendliche auf der ganzen Welt verfolgten und beobachteten die Kämpfe der griechischen Arbeiterklasse. Die Berichte in den Medien, die Kritik reaktionärer EU-Politiker an Syriza und die Erklärungen von Syriza selbst vermittelten den Eindruck, dass Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis Aufrührer seien, bereit, sich mit dem griechischen und dem internationalen Kapitalismus anzulegen.
Sowohl innerhalb als auch außerhalb von Griechenland bejubelten zahllose Parteien, die sich als „antikapitalistisch“ oder „links“ bezeichnen, den Machtantritt von Syriza als Triumph für die Linke und als Modell für den Kampf gegen Austerität in Europa und international.
In den darauf folgenden acht Monaten verriet Syriza jedoch ein Wahlversprechen nach dem anderen. Als erstes unterzeichnete sie im Februar, nur Wochen nach ihrem Amtsantritt, ein Abkommen zur Ausweitung der Sparmaßnahmen der EU. Als nächstes trat sie das überwältigende „Nein“ im Referendum über die Sparmaßnahmen im Juli mit Füßen und peitschte ein massives neues Austeritäts-Sparprogramm durch das Parlament.
Diese unverfrorene Missachtung der Volksabstimmung löste in der Bevölkerung einen Schock und Fassungslosigkeit aus. Syriza trat in der September-Wahl als Favorit der EU und der Banken an, was zu massenhafter Stimmenthaltung führte. Tsipras gewann die Wahl nur knapp gegen die rechte Partei Nea Dimokratia (ND). Mit dem zweiten Amtsantritt verschärft Syriza nun die Austeritätsmaßnahmen noch, die bereits Millionen zu Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger verdammt haben.
Massen von Menschen werden mit dem Bankrott und dem Verrat politischer Parteien konfrontiert, die über viele Jahre hinweg die Protestbewegungen und die angeblich linke Politik dominierten. In Anlehnung an Theorien postmoderner Akademiker wie Ernesto Laclau bezeichnen diese Organisationen die gegenwärtige Epoche als „post-marxistisch“. Ihre Wurzeln haben sie in den gehobenen Schichten des Kleinbürgertums; sie pochen darauf, dass die Arbeiterklasse keine revolutionäre Kraft mehr ist und durch eine Vielzahl von gesellschaftlichen Schichten ersetzt wurde, die sich durch nationale, Rassen-, Geschlechts- oder Lebensstil-Merkmale auszeichnen.
Über Jahrzehnte hinweg verkauften diese Parteien ihre Politik als radikal oder antikapitalistisch, während sie in Wirklichkeit nichts dergleichen waren. Die erste Erfahrung mit ihnen an der Regierung entlarvt diese Anmaßung als Betrug. Die linke Maskerade diente als Deckmantel für ihre prokapitalistische Politik, die darauf angelegt ist, die Interessen der obersten 10 Prozent der Gesellschaft auf Kosten der Arbeiter zu verteidigen.
Nach den Wahlen reiste Tsipras im September in die Vereinigten Staaten; dort erläuterte er sein langfristiges, prokapitalistisches Programm. Auf Fragen des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton im „Clinton Global Initiative“ in New York erklärte Tsipras: „Ausländische Investoren sind herzlich willkommen. Sie werden eine Regierung antreffen, die ein klares Mandat erhalten hat, das Land zu verändern ... In ein paar Jahren wird Griechenland eine der ersten Adressen für ausländische Investitionen sein. Das ist meine Überzeugung und mein Wunsch.“
Wie will Tsipras Investitionen nach Griechenland locken? Angesichts der Tatsache, dass die Regierungen überall in Europa brutale Angriffe auf Löhne und Sozialleistungen durchsetzen, hofft Syriza, dass ihre Kürzungen es ihr erlauben, den internationalen und griechischen Investoren die super-ausgebeutetsten und deshalb profitabelsten Arbeitskräfte Europas anbieten zu können.
Tsipras Programm basiert auf der Vernichtung von grundlegenden sozialen Rechten, welche die Arbeiter in Westeuropa seit Generationen verteidigt haben. Die Arbeitgeber in Griechenland wurden von den Kosten für das allgemeine Gesundheitssystem befreit. Syrizas Rentenkürzungen sind Teil eines umfassenderen Plans der darauf abzielt, dass Arbeiter künftig verpflichtet sind in Zusatzrenten und Versicherungen einzuzahlen. Das bedeutet das effektive Ende ihrer staatlich finanzierten Renten. Griechenlands reduzierter Mindestlohn von monatlich 683 Euro liegt jetzt näher am Lohnniveau Chinas oder der ärmsten osteuropäischen Länder als auf dem Niveau der Mindestlöhne in den wohlhabenden Euro-Ländern wie den Niederlanden oder Frankreich.
Die Erfahrung mit Syriza zeigt die Notwendigkeit einer grundlegenden politischen Neuorientierung der Arbeiterklasse, der Jugend und der sozialistisch gesinnten Intellektuellen. Konfrontiert mit einer globalen, seit den 1930er-Jahren nicht mehr gesehenen Wirtschaftskrise und brutalen Angriffen vonseiten der gesamten kapitalistischen Klasse, kann die Arbeiterklasse sich nicht verteidigen, indem sie neue „linke“ Regierungen wählt.
Nur eine wirklich revolutionäre Politik, welche die Arbeiterklasse in Griechenland und international im Kampf mobilisiert, bietet eine Perspektive. Das erfordert einen direkten Angriff auf die kapitalistische Klasse, die Beschlagnahme ihres Vermögens, der großen Banken und der Produktionsstätten, um sie unter die demokratische Kontrolle der Arbeiter zu stellen, sowie die Errichtung von Arbeiterstaaten überall in Europa und der Welt. Solche Kämpfe erfordern den Aufbau marxistischer Parteien, die der Arbeiterklasse eine politische Führung gibt und einen schonungslosen Kampf gegen Parteien wie Syriza führt.
Darin liegt die historische Bedeutung des Kampfs des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) zur Verteidigung der historischen Kontinuität des Trotzkismus gegen Parteien wie Syriza, die wir als „Pseudo-Linke“ bezeichnen. Nur das IKVI hat die Arbeiter international davor gewarnt, dass Syriza keine „radikal linke“ Partei ist. Das IKVI hat erklärt, dass Syriza eine prokapitalistische Partei ist, die den Arbeitern feindlich gegenüber steht, und ihre Versprechen, die Sparmaßnahmen zu beenden, brechen wird. Diese Kritik des IKVI an Syriza wurde vollständig bestätigt.
Tsipras’ Bilanz beweist, dass der Kampf des IKVI gegen die Pseudo-Linke kein interfraktioneller Disput war, sondern ein Kampf zwischen zwei unversöhnlich entgegengesetzten und feindlichen Klassenströmungen. Während Syriza versuchte, die Arbeiterklasse an das Diktat des Finanzkapitals und die Bedürfnisse der griechischen Kapitalistenklasse zu fesseln, hat das IKVI dafür gekämpft, eine revolutionäre Perspektive für die Arbeiterklasse zu entwickeln.
2. Verschleierungen und Rationalisierungen von Syrizas Verrat
Der erste Schritt in dem andauernden Kampf gegen die Sparmaßnahmen besteht darin, die Entschuldigungen zurückzuweisen, die Syriza und ihre Verbündeten für Tsipras’ Politik und Verhalten vorbringen. Dieselben Kräfte, die vor acht Monaten die Wahl von Syriza als den Weg gepriesen haben, um gegen Sparmaßnahmen zu kämpfen, versuchen jetzt angestrengt die Bedeutung der vergangenen Ereignisse zu vertuschen.
Einige bejubeln Syriza ungeachtet ihrer Politik immer noch als „radikal linke“ Partei. Die Linkspartei in Deutschland gratulierte Syriza zu ihrer Wiederwahl und erklärte, die griechische Wählerschaft habe entschieden, dass „in einer Krise eine linke Regierung besser ist als die Rückkehr zu den korrupten alten Parteien“.
Andere vertreten die demoralisierte Ansicht, Syrizas Kapitulation vor der EU sei die einzig mögliche Reaktion auf die griechische Krise gewesen und deshalb keineswegs ein Verrat. Dies ist die Denkweise von Stathis Kouvelakis, Philosphieprofessor am King’s College in London und führendes Mitglied von Syrizas Fraktion Linke Plattform (jetzt Teil der Gruppierung Volkseinheit). Auf einem Treffen der Socialist Workers Party (SWP) in Großbritannien erklärte er:
Ich denke, dass Wort ,Verrat‘ ist unangemessen, wenn wir verstehen wollen, was passiert. Natürlich können wir objektiv sagen, dass es einen Verrat des Volksmandats gegeben hat, dass die Menschen sich durchaus zu Recht verraten fühlen.
Der Begriff Verrat bedeutet jedoch normalerweise, dass man an einem gewissen Punkt eine bewusste Entscheidung trifft, seine eigenen Zusagen nicht einzuhalten. Ich denke, Tsipras hat tatsächlich ernsthaft geglaubt, positive Resultate erzielen zu können, indem er eine Taktik gewählt hat, die sich auf Verhandlungen und den Beweis guten Willens konzentriert. Dies ist auch der Grund, warum er ständig betont hat, er habe keinen alternativen Plan.
Welch erbärmliche Beschönigung von Syriza! Kouvelakis ersetzt die Klassenanalyse durch billige psychologische Spekulationen. Die EU-Führer hatten wiederholt erklärt, sie würden kein Nachlassen bei den Sparanstrengungen zulassen. Dennoch verlangt Kouvelakis von seinen Zuhörern zu glauben, dass Tsipras ernsthaft überzeugt war, er könne die EU-Führer dazu bringen, ihre Austeritäts-Forderungen fallen zu lassen, indem er verkündet, er habe keine andere Strategie, als das zu akzeptieren, was die EU ihm bietet.
Diese Erklärung erklärt gar nichts. Zunächst einmal war Tsipras schon seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Politik aktiv, als er die Regierung übernahm, und besaß zu dieser Zeit auf internationaler Ebene enge Kontakte zu Staatsoberhäuptern und führenden Finanzmanagern. Die Behauptung, er sei ein politischer Naivling – so wie Kouvelakis ihn darstellt – ist völlig unglaubwürdig.
Der Klassenstandpunkt, der Tsipras’ Entscheidungen zugrunde liegt, ist nicht schwer zu verstehen. Sein Handeln war bestimmt davon, die Interessen der obersten 10 Prozent der Griechen zu verteidigen, indem er den Euro, die Banken und Griechenlands Allianz mit der EU und der NATO beibehält. Jeder Versuch, mit Streiks und Protesten den Massenwiderstand zu mobilisieren, der sich gegen die Sparprogramme entwickelte, hätte das prokapitalistische Programm durchkreuzt, das er nach den Wahlen im September unmissverständlich dargelegt hat.
Darüber hinaus sind Tsipras’ Absichten von Januar, als er die Regierung übernahm, letzten Endes völlig irrelevant. Seine wichtigsten Entscheidungen waren, das EU-Austeritäts-Protokoll im Februar zu unterzeichnen, das deutliche „Nein“ im Referendum von Juli zu missachten und stattdessen ein neues Austeritäts-Rettungsprogramm zu unterzeichnen und schließlich im Oktober einen Sparhaushalt einzubringen. Dies alles zeigte seine feste Entschlossenheit, das Spardiktat der EU durchzusetzen und war ein eklatanter Verrat an den Wahlversprechen von Syriza, die Sparprogramme zu beenden.
Kouvelakis’ plumper Versuch, Tsipras’ Bilanz zu beschönigen, ist untrennbar mit seinem Hauptanliegen verbunden: die Entstehung einer Alternative links von Syriza zu verhindern.
Auf demselben SWP-Treffen erklärte Kouvelakis: „Ich möchte noch eine allgemeinere Überlegung darüber anfügen, was es bedeutet, in einem politischen Kampf bestätigt zu werden oder zu unterliegen. Für einen Marxisten ist meiner Meinung nach eine Art historisiertes Verständnis dieser Begriffe unerlässlich. Man kann einerseits sagen, dass das, was man gesagt hat, bestätigt wurde, weil es sich als wahr erwiesen hat. Das ist die gewöhnliche Das-hab-ich-doch-gleich-gesagt-Strategie. Wenn man jedoch nicht in der Lage ist, diese Position mit einer konkreten Macht auszustatten, dann unterliegt man.“
Kouvelakis’ Botschaft ist durch und durch zynisch. Den Gegnern Syrizas von links erklärt er faktisch: „Trotz eurer Kritik an Syriza wart ihr nicht in der Lage, uns daran zu hindern, unseren Verrat in die Tat umzusetzen. Wir, die wir die Staatsmacht innehaben, haben eine reaktionäre Politik gemacht. Aber ihr, die ihr uns kritisiert, könnt nichts anderes tun, als erklären: ,Das haben wir doch gleich gesagt.‘“
Die Erfahrung mit Syrizas Verrat wird jedoch politische Konsequenzen haben, auch wenn die Verteidiger von Syriza, wie Kouvelakis, versuchen, das zu leugnen. Der Arbeiterklasse wurde eine schmerzhafte und unvergessliche Lehre über den Klassencharakter der Pseudo-Linken erteilt.
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale erklärt unumwunden, dass es die politische Situation verstanden und den Arbeitern die Wahrheit gesagt hat. Auf diese Weise etabliert eine revolutionäre proletarische Tendenz ihre Autorität in der Arbeiterklasse und bereitet sich darauf vor, sie in einer sozialistischen Revolution zu führen. Durch diesen Prozess, und nur so, wird die Arbeiterklasse „konkret“ mit Syriza und anderen reaktionären Regierungen überall auf der Welt abrechnen.
3. Wie das Internationale Komitee die Arbeiterklasse vor Syriza gewarnt hat
Der Internetauftritt des IKVI, die World Socialist Web Site, hat über die griechische Schuldenkrise intensiv berichtet. Ausgebrochen war sie 2009 nach der Wahl von George Papandreou von der griechischen sozialdemokratischen PASOK. Von Anfang an warnte die WSWS die Arbeiter davor, irgendwelches Vertrauen in Syriza, die Griechische Kommunistische Partei, Antarsya und ähnliche Gruppierungen zu setzen, die sich an der PASOK und der von PASOK dominierten Gewerkschaftsbürokratie orientieren.
Im Mai 2010, als die PASOK das erste griechische Sparprogramm verabschiedete, warnte die WSWS: „Eine unabhängige politische Strategie der Arbeiterklasse gerät unmittelbar in Konflikt mit den Gewerkschaften und den Organisationen der Mittelklasse, die jegliche Opposition verhindern wollen. In Griechenland haben sich die Gewerkschaften und ihre Verbündeten, inklusive der Kommunistischen Partei und der SYRIZA (Koalition der radikalen Linken), entschieden, ihre Allianz mit Papandreou zu erneuern und somit willfährig ihre Rolle im politischen Establishment zu spielen. ... Indem sie so tun, als könnten sie Papandreous sozialdemokratische PASOK-Partei beeinflussen, versuchen sie – wie ihre Pendants anderswo – die Arbeiter dem Staat, einer nationalen Politik und dem Sparkurs der Banken unterzuordnen.“
PASOK führte daraufhin den schlimmsten sozialen Angriff auf die Arbeiterklasse in Europa seit dem II. Weltkrieg – zunächst unter Papandreou, dann mit Hilfe einer „technokratischen“ Regierung, aufoktroyiert von der EU, zu der auch die ND und die extrem rechte Laos-Partei gehörte. Der Lebensstandard fiel dramatisch und stürzte Millionen Menschen in bittere Armut. Das zerstörte PASOK, die zusammen mit der ND die wichtigste Regierungspartei Griechenlands seit dem Zusammenbruch der CIA-gestützten Obristen-Junta im Jahr 1974 war.
Als die PASOK während der Wahlkampagne im Mai 2012 zusammenbrach und Syriza hinter der ND zur zweitstärksten Partei wurde, warnte die WSWS vor dem reaktionären Programm von Syriza: „Der ,Wachstumspakt’, über den derzeit in der EU diskutiert wird und auf den offenbar auch Tsipras seine Hoffungen setzt, besteht aus zusätzlichen Geldern für marode Banken und ,Strukturreformen’ zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit – d.h. flexibleren Arbeitsbedingungen und niedrigeren Löhnen. Die Einsparungen in den öffentlichen Haushalten würden unvermindert weiter gehen. Sollte Syriza tatsächlich die griechische Wahl gewinnen, fiele ihr bei der Durchsetzung solcher Angriffe eine wichtige Rolle zu.“
Nachdem die ND die Wahlen von 2012 gewonnen hatte, begannen die großen imperialistischen Regierungen Tsipras aufzubauen. Er reiste zunächst in die wichtigsten europäischen Hauptstädte und dann 2013 nach Washington DC und New York. Die WSWS analysierte die Unterstützung Syrizas durch die imperialistischen Mächte, die Medien und die pseudo-linken Parteien und kam zu dem Schluss: „In den kommenden Klassenkämpfen wird Syriza den Arbeitern als Feind gegenüberstehen. Ihr Ziel ist es, ob sie an der Macht ist oder nicht, den Widerstand des Volks gegen die Sparpolitik einzudämmen und die politische Vorherrschaft des Finanzkapitals über die Arbeiterklasse aufrechtzuerhalten.“
Als Syriza im Januar 2015 nach einem Jahr ständig zunehmender Streiks und Proteste gegen die Austeritätsmaßnahmen der ND an die Macht kam, erklärte die WSWS: „Für die Arbeiter wäre eine Syriza-Regierung kein Ausweg aus der Krise. Im Gegenteil, sie wäre ein enorme Gefahr. Ungeachtet ihrer linken Fassade ist Syriza eine bürgerliche Partei, die sich auf wohlhabende Schichten des Kleinbürgertums stützt. Ihre Politik wird von Gewerkschaftsbürokraten, Akademikern, Freiberuflern und parlamentarischen Funktionären bestimmt, die versuchen, ihre Privilegien zu behalten, indem sie die gesellschaftliche Ordnung verteidigen. Während ihr Führer, Alexis Tsipras, den Wählern eine (winzige) Abschwächung der grausamen Sparmaßnahmen in Griechenland verspricht, wird er nicht müde, den Vertrtern der Banken und Regierungen im Ausland zu versichern, dass sie von eine Syriza-Regierung ,nichts zu befürchten’ haben.“
Diese Warnungen wurden durch Syrizas Bilanz in der Regierung bestätigt. Von Anfang an fürchtete und bekämpfte sie die Erwartungen von Millionen von Menschen, die ihr an die Macht verholfen hatten. Statt zu internationalen Protesten und anderen Formen des Massenwiderstands gegen die Austertätsmaßnahmen der EU aufzurufen, startete Syriza eine Charme-Offensive in Richtung der europäischen herrschenden Klassen. Ihre Perspektive bestand darin, eine minimale Lockerung der Austeritätspolitik vonseiten der EU zu erwirken. Erreichen wollte sie das durch einen beschränkten Schuldenerlass und andere Zugeständnisse, indem sie an die Großzügigkeit der europäischen Banker appellierte.
Tsipras’ erster Finanzminister, Yanis Varoufakis, erklärte später gegenüber dem Observer, er habe in den ersten EU-Verhandlungen eine „typische Thatcher- oder Reagan-“ Wirtschaftspolitik vorgeschlagen. Ausgearbeitet hatte er sie zusammen mit einer „Komission aus internationalen Beratern“, zu denen der Thatcher-Anhänger Lord Norman Lamont, Schatzkanzler der britischen konservativen Regierung von John Major, gehörte wie auch der ehemalige US-Finanzminister Lawrence Summers.
Syrizas Regierungsvertreter erniedrigten sich vor der EU und ermutigten Berlin, die Banken und die übrigen EU-Mächte ihre Forderungen und Drohungen gegenüber Griechenland zu verschärfen. Bei seinem Besuch am 11. Februar in Berlin erklärte Varoufakis, die deutsche Kanzlerin „Angela Merkel ist bei weitem die scharfsinnigste Politikerin in Europa. Daran gibt es keinen Zweifel. Und Wolfgang Schäuble, ihr Finanzminister, ist möglicherweise der einzige europäische Politiker mit intellektueller Substanz.“
Syriza unternahm nichts, um die Arbeiterklasse gegen die Plünderungen der griechischen Bourgeoisie zu verteidigen. Die Interessen der Bourgeoisie waren ihr Hauptanliegen bei den Verhandlungen mit den Gläubigern Griechenlands. Sie erlaubte der Finanzelite Griechenlands, uneingeschränkt die Wirtschaft zu plündern, indem sie in den Monaten nach der Wahl von Syriza mehrere zehn Milliarden Euro außer Landes schafften. Es gab keinerlei Versuche, Kontrollen einzuführen, um die Kapitalflucht einzudämmen, geschweige denn irgendwelche Schritte, um die Banken zu verstaatlichen oder den Reichtum, die Macht und die Privilegien der herrschenden Klasse Griechenlands anzutasten.
Nachdem Syriza sich sicher fühlte, dass der allgemeine Enthusiasmus sowie die Hoffnungen auf eine Veränderung gedämpft waren und die politische Situation sich stabilisiert hatte, knickte sie unverzüglich gegenüber der EU ein. Am 20. Februar stimmte sie zu, das Austeritätsmemorandum zu verlängern und ein Paket neuer Sparmaßnahmen vorzulegen. Damit waren die sehr begrenzten Reformen, die im Thessaloniki-Programm versprochen worden waren und die Grundlage der Wahlkampagne bildeten, erledigt. Vier Tage später versprach sie, die Ausgaben für Gesundheitsversorgung, Bildung, Massenverkehrsmittel, lokale Verwaltungen und andere wichtige Sozialdausgaben zu kürzen. Danach konnte es keinen Zweifel mehr über den reaktionären Klassencharakter von Syriza geben, egal welche politischen Manöver Tsipras benutzte, um diese Kürzungen durchzusetzen.
Im Verlauf des Frühjahrs, als die EU sich weigerte, selbst kosmetische Zugeständnisse zu machen, versuchte Tsipras immer verzweifelter nach einem Weg, um die Kürzungen, denen er zugestimmt hatte, vor dem griechischen Volk zu rechtfertigen.
Am 30. April, als Tsipras zum ersten Mal die Idee eines Referendums über die Austeritätsmaßnahmen der EU lancierte, warnte die WSWS: „Um eine Einigung mit der EU zu erzielen, bereitet sich Syriza darauf vor, schwere soziale Einschnitte durchzusetzen, die auf eklatante Weise Syrizas Wahlkampfversprechen missachten, die EU-Sparprogramme zu beenden. Tsipras hat angedeutet, dass er deshalb über ein Referendum nachdenkt. Damit möchte er sich ein Feigenblatt demokratischer Legitimierung für eine Politik verschaffen, die von der EU diktiert wird und die von einer überwältigenden Mehrheit der griechischen Bevölkerung abgelehnt wurde.“
Im Juni verkündete Tsipras schließlich das Referendum über die EU-Austeritätspläne, das am 5. Juli stattfinden sollte, und rief dazu auf, mit „Nein“ zu stimmen. Selbst Syrizas Anhänger geben mittlerweile zu, dass das ein zynischer Betrug war, so wie die WSWS es erklärt hatte. Tsipras plante, das Referendum zu verlieren und ein „Ja“ in der Abstimmung als Vorwand für seinen Rücktritt zu benutzen. Das hätte den Weg dafür geebnet, dass eine rechte Partei an die Macht kommt und die Kürzungen durchsetzt.
Einer der Anhänger und Bewunderer Syrizas, der langjährige Pablist Tariq Ali, schrieb in der London Review of Books: „Es ist kein Geheimnis mehr, dass Tsipras und sein innerer Kreis in der Abstimmung ein ,Ja‘ oder ein sehr knappes ,Nein‘ erwarteten ... Warum hat Tsipras das Referendum überhaupt abgehalten? ,Er ist so hart und ideologisch’, beschwerte sich Merkel bei ihren Beratern. Wenn er das nur gewesen wäre. Es war ein kalkuliertes Risiko. Er dachte, das ,Ja‘-Lager würde gewinnen und hatte vor zurückzutreten und den Strohmännern der EU die Regierung zu überlassen.“
Diese Einschätzung bestätigt frühere Berichte über die zynischen Berechnungen, die dem Referendums-Manöver zugrunde lagen. Varoufakis, Syrizas ehemaliger Finanzminister, erklärte dem Guardian nach dem Referendum und nach Syrizas Kapitulation: „Ich bin davon ausgegangen, und ich glaube auch der Prmierminister, dass die Unterstützung für uns und für das ,Nein’ in der Abstimmung exponentiell schwinden würden.“
Eine Kurzbiografie von Varoufakis, die in der Zeitschrift New Yorker erschien, beschreibt den ehemaligen Finanzminister am Vorabend des Referendums: Er hatte „die ruhige Gemütsverfassung von jemandem, der sich sicher ist über den Wahlausgang und schon die darauffolgende Zufriedenheit genießt. Seine Regierung, die linke Syriza-Partei, würde verlieren. Das Volk würde mit ,Ja‘ stimmen – d.h. zugunsten von noch mehr Zugeständnissen, als Varoufakis und Alexis Tsipras ... hatten ertragen können.Varoufakis würde als Minister zurücktreten und würde nie wieder tagelange Konferenzen in Brüssel und Luxemburg ertragen müssen ...“
Varoufakis erklärte dem Guardian, das einzig mögliche Ergebnis von Tsipras’ Referendumsschachzug und aus der anschließenden Niederlage sei „eine weitere Stärkung der Goldenen Morgenröte“, einer griechischen faschistischen Partei.
Dennoch bejubelten Syrizas Verbündete das Referendum als entscheidenden Schritt und sogar als Aufblühen der bürgerlichen Demokratie. Die International Socialist Organization in den USA veröffentlichte eine Erklärung des Roten Netzwerks, ein Teil von Syrizas Linker Plattform. Sie behauptete Tsipras „Entscheidung das Ultimatum der Gläubiger zurückzuweisen, sich zu weigern eine neues Memorandum mit einem Hyper-Sparprogramm zu unterzeichnen und eine Willensäußerung des Volks durch das Referendum am 5. Juli zu erbitten, wird die griechische Politik verändern“.
„Syriza“, erklärte sie in denkwürdiger Weise, „kann nicht so problemlos in eine Austeritäts-Partei verwandelt werden.“
Die WSWS ihrerseits warnte: „Würde Tsipras versuchen, der arbeitenden Bevölkerung den Inhalt des Referendums kurz und bündig zu erklären, könnte er sagen: „Bei ,Kopf’ gewinnt die EU, bei ,Zahl’ verlierst du. Im Januar hatte er die Wahl gewonnen, weil er versprochen hatte, den seit fünf Jahren währenden Austeritätskurs zu beenden. Nur wenige Monate nach seinem Wahlsieg soll das Referendum jetzt als Deckmantel für eine politische Kapitulation vor der EU herhalten. Hätte Syriza die Absicht gehabt zu kämpfen, dann wäre kein Referendum nötig gewesen, denn die griechische Bevölkerung hat die Kürzungspolitik der EU schon längst zurückgewiesen.“
Tsipras Vorhaben ging jedoch nach hinten los, weil das griechische Volk mit überwältigenden 61 Prozent mit „Nein“ gegen die Sparvorhaben der EU stimmte. Das Abstimmungsverhalten war Ausdruck einer scharfen politischen Polarisierung. Die Bevölkerung trotzte einem Trommelfeuer von Drohungen vonseiten der EU und der griechischen Medien, die als Reaktion auf ein „Nein“ in der Abstimmung den Rauswurf Griechenlands aus der Euro-Zone und eine beispiellose Finanzkrise ankündigten. Die Abstimmung machte eindeutig klar, dass die griechische Arbeiterklasse zu einer Konfrontation mit dem Kapitalismus bereit war.
Syriza war bestürzt und entsetzt angesichts der Tatsache, dass die „Nein“-Stimmen im Referendum gesiegt hatten. Ali schreibt im London Review of Books: „Sie waren völlig überrascht und gerieten in Panik. Auf einer Krisensitzung des Kabinetts traten sie den Rückzug auf ganzer Linie an. Sie lehnten es ab, den EU-Vertreter der EZB (Europäische Zentralbank) loszuwerden, der die Griechische Staatsbank beaufsichtigte und verwarfen die Idee, die Banken zu verstaatlichen. Statt das Ergebnis des Referendums anzunehmen, kapitulierte Tsipras.“
Nach einer Reihe von hektischen Wochen mit Gesprächen mit den EU-Staatsoberhäuptern, akzeptierte Tsipras ein 13-Milliarden-Euro-Sparpaket, das schärfste Einzelsparpaket, das je von der EU diktiert wurde.
Die Warnungen der WSWS über den Charakter des Referendums wurden durch die darauffolgenden Ereignisse bestätigt. Das „Nein“ in der Abstimmung zeigte deutlich den Kampfgeist der Arbeiterklasse und wie falsch und illegitim Syrizas Politik war. Syriza unternahm nichts, um die Arbeiterklasse zu mobilisieren. Das Referendum hatte die politische Initiative in den Händen von Tsipras belassen – das heißt, in den Händen des Spardiktats und der Austerität.
Die Arbeiterklasse und die überwiegende Mehrheit der Griechen, die im Referendum vom Juli mit „Nein“ gestimmt hatten, waren in den daraufolgenden Wahlen im September 2015 ohne Wahlmöglichkeit. Die beiden wichtigsten Kandidaten, Tsipras und Maimarakis von der ND, führten eine offene Pro-Austeritäts-Kampagne. Angesichts von Massententhaltungen gewann Tsipras die Wiederwahl aufgrund einer fehlenden Alternative zur Austerität und als unverdienter Nutznießer einer tiefgehenden Feindschaft gegen die ND.
Seit seiner Wiederwahl hat Tsipras Syriza in einem brutalen Angriff auf die sozialen Rechte der griechischen Arbeiterklasse angeführt, der mit der EU abgestimmt war. Sein Sparhaushalt beinhaltet eine 20prozentige Kürzung der Mindestrente. Außerdem unternimmt Syriza einen Vorstoß, um den staatlichen Schutz für Hausbesitzer vor Zwangsräumungen abzuschaffen, die mit ihren Hypothekenzahlungen in Rückstand sind. Das schafft die Voraussetzung für massenhafte Zwangsräumungen von Hunderttausenden von Familien. Diese brutalen und grausamen Angriffe bestätigen – wenn es denn einer solchen Bestätigung überhaupt noch noch bedurfte – dass die Arbeiterklasse sich nur in einem entschlossenen Kampf gegen Syriza verteidigen kann.
4. Die Ursprünge und die Entwicklungsgeschichte von Syriza
Der Verrat von Syriza ist nicht vom Himmel gefallen. Obwohl Syriza sich selbst als „radikal linke“ Partei verkauft hat, entwickelte sich ihre Politik unerbittlich aus ihrer Geschichte: Sie war seit ihrer Entstehung eine bürgerliche Partei, die der Arbeiterklasse und dem Marxismus feindlich gegenüberstand.
Syriza entstand 2004, als sich diverse kleinbürgerliche Parteien um die Organisation Synaspismos (Koalition oder SYN) gruppierten. Zu dieser Zeit war Tsipras ein junger Führer der SYN, die neben der KKE das sichtbarste Überbleibsel aus dem Zusammenbruch des griechischen Stalinismus war. Die Gruppen, die sie anzog, wie z.B. die DEA (Internationalistische Arbeiterlinke, eine antitrotzkistische Partei, die die UdSSR als „staatskapitalistische“ Gesellschaft bezeichnete), kamen aus der Studentenbewegung, die sich 1974 nach dem Zusammenbruch der Militärdiktatur der Obristen entwickelt hatte.
Diese Studentenbewegung entwickelte sich unter Bedingungen, in denen der Kapitalismus durch die Verbrechen des Faschismus, den griechischen Bürgerkrieg und mehrere aufeinander folgende Militärdiktaturen in breiten Schichten der griechischen Bevölkerung diskreditiert war. Die Studenten beteiligten sich bereitwillig an Protesten oder unterstützten Streiks, die von den PASOK-kontrollierten Gewerkschaften ausgerufen wurden. Das verschaffte ihnen öffentliche Aufmerksamkeit und einen gewissen politischen Einfluss. Das bedeutete jedoch nicht, dass diese Studenten die Perspektive der proletarischen Revolution unterstützten.
Sie entwickelten sich vielmehr in Zusammenhang mit einer umfassenden internationalen Rechtswendung der kleinbürgerlichen Intelligenz nach 1968. In diesem Jahr unterdrückte die Sowjetarmee den Aufstand des Prager Frühlings, und die Französische Kommunistische Partei vereitelte die Machtübernahme der Arbeiterklasse nach dem französischen Generalstreik von Mai-Juni 1968. Inmitten einer umfassenden Radikalisierung der Arbeiterklasse und der Jugend fungierten die stalinistischen Parteien als Verteidiger der etablierten Ordnung. Sie konnten ihre bisherige Rolle nicht länger spielen, die darin bestand, in Übereinstimmung mit der konterrevolutionären Außenpolitik der Sowjetbürokratie die gesellschaftlichen Proteste zu kontrollieren und revolutionäre Kämpfe der Arbeiterklasse einzudämmen.
Die kleinbürgerlichen Schichten, die in der Studentenbewegung vertreten waren, reagierten jedoch auf die Entlarvung des Stalinismus nicht, indem sie versuchten, wirklich revolutionäre Parteien in der Arbeiterklasse aufzubauen. Vielmehr benutzten sie linke oder sozialistische Phraseologie, um zu verbergen, dass sie die Arbeiterklasse als revolutionäre Kraft abgeschrieben hatten und den Aufbau von revolutionären Parteien in der Tradition des Bolschewismus ablehnten; die Bolschewistische Partei hatte unter der Führung von Lenin und Trotzki 1917 den Kapitalismus in Russland gestürzt.
Wie Panagiotis Sotiris – ein Führer von Antarsya, einer von Syrizas wichtigsten Rivalen auf dem Gebiet der kleinbürgerlichen Politik Griechenlands – bemerkte, versuchten sie stattdessen etwas im Kleinbürgertum aufzubauen. Zu dieser Zeit erklärte er gegenüber der Zeitschrift Jacobin: „Wir dachten exakt, dass Einheitsexperimente wie die linken Regruppierungen innerhalb der Universitäten einen strategisch vorteilhafteren Charakter hätten. Sie könnten dabei helfen, die radikale Linke neu zusammenzusetzen, im Gegensatz zu den traditionellen Formen des Aufbaus von Organisationen und Parteien.“
Die theoretische und politische Untermauerung dieser Form von kleinbürgerlicher Politik lieferten postmoderne und „post-marxistische“ Intellektuelle wie Ernesto Laclau, ein argentinischer Professor, der viele der derzeitigen Führer von Syriza an der Essex-Universität in Großbritannien ausgebildet hat. Sein vielgelesenes Buch Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismusvon 1985, das er zusammen mit der belgischen Akademikerin Chantal Mouffe verfasst hat, startete einen Generalangriff auf die Arbeiterklasse und den Marxismus.
Laclau und Mouffe appellierten an ihre Leser „die Idee zu verwerfen, es gäbe einen absolut einheitlichen und homogenen Akteur wie z.B. die ,Arbeiterklasse’ in der klassischen Lehre“. Sie wiesen die Existenz der Arbeiterklasse und einer objektiven sozioökonomischen Basis für den Sozialismus oder die sozialistische Revolution zurück und schrieben: „Die Suche nach der ,wahren’ Arbeiterklasse und ihren Grenzen ist eine falsche Problemstellung und entbehrt deshalb jeglicher theoretischer und politischer Relevanz. Offenkundig beinhaltet das .. dass ein grundlegendes Interesse am Sozialismus nicht logisch aus bestimmten Positionen im ökonomischen Prozess abgeleitet werden kann.“
Im Laufe der Zeit entwickelte Laclau seine Ablehnung der revolutionären Rolle der Arbeiterklasse in eine immer deutlichere irrationale Feindseligkeit gegen jeden Versuch, die kapitalistische Gesellschaft zu verstehen.
Laclau prangerte in einem Aufsatz von 1991 mit dem Titel „Nur Gott weiß es“ den „Imperialismus der ,Vernunft’“ an und schrieb: „Lasst uns einfach mal die Diskussion darüber betrachten, ob die Arbeiterklasse immer noch das wichtigste historische Subjekt ist oder ob die Rolle der Letzteren auf die neuen sozialen Bewegungen übergegangen ist. Ich würde sagen, dass diese Art, das Problem zu formulieren, immer noch in der alten Herangehensweise gefangen ist. Sie versucht diese zu ersetzen, weil sie immer noch die Idee aufrechterhält, dass es einen einzigen privilegierten Träger der historischen Veränderung geben muss, definiert durch eine historische und soziale Absolutheit, die rational begriffen werden kann. Aber genau diese letzte Annahme muss in Frage gestellt werden.“
So sahen die extrem irrationalen Konzepte aus, die im Kleinbürgertum weit verbreitet waren, als die SYN im Februar 1989 inmitten der Krise und dem Zusammenbruch der PASOK-Regierung von Andreas Papandreou entstand. Die SYN war ein Wahlbündnis zwischen der KKE und der Griechischen Linkspartei. Die Letztere wurde von den „Eurokommunisten“ dominiert, einer stalinistischen Tendenz, die sich von der KKE abgespalten hatte. Zu ihr gehörten aber auch bürgerliche Politiker wie das ehemalige PASOK-Mitglied Nikos Konstantopoulos.
Die Kritik der Eurokommunisten am Stalinismus hatte nichts gemein mit der marxistischen Opposition gegen die Kreml-Bürokratie, die von Trotzki und der Vierten Internationale entwickelt worden war. Während Trotzki für eine politische Revolution der sowjetischen Arbeiterklasse zum Sturz der parasitären Bürokratie, für die Wiederherstellung der Arbeiterdemokratie und für die Verteidigung der grundlegenden Errungenschaften der Oktoberrevolution eintrat, war der Eurokommunismus eine Entwicklung des Stalinismus nach rechts.
Die Eurokommunisten widerspiegelten innerhalb der stalinistischen Parteien selbst den wachsenden Einfluss der Art von antimarxistischen Konzeptionen, wie sie Laclau formulierte. Sie versuchten, sich von Moskau zu distanzieren, indem sie sich ausdrücklich von der Revolution, dem Marxismus und der Oktoberevolution lossagten, um enger mit ihren eigenen herrschenden Klassen zusammenzuarbeiten. Diese Tendenz, die in der italienischen und der spanischen Kommunistischen Partei vorherrschte, war ein Vorläufer der Standpunkte von Michail Gorbatschow und der Moskauer stalinistischen Bürokratie, die die Restauration des Kapitalismus und die Auflösung der Sowjetunion anstrebte.
Die Gründung der SYN war der Auftakt eines epochalen Verrats der Arbeiterklasse durch alle Schattierungen des griechischen Stalinismus. Als die Regierung von Andreas Papandreou zusammenbrach, die ND in den anschließenden Wahlen aber nicht die Mehrheit gewinnen konnte, trat die SYN in eine Koalitionsregeirung mit der ND ein. Damit schlossen die Stalinisten ein Bündnis mit der griechischen Rechten, die den Widerstand der der Arbeiterklasse in Blut ertränkt hatte, sowohl während des griechischen Bürgerkriegs von1946–1949 als auch unter der Obristenjunta von 1967–1974. Diese Koalition wurde später auch noch um die PASOK erweitert, bis sie 1990 scheiterte.
Die KKE und die Vorläufer von Syriza hatten gegenüber der Bourgeoisie deutlich gemacht, dass sie jetzt fest im Lager der bürgerlichen Ordnung standen. Während der Zeit ihrer Koalitionsregierung mit der ND, fungierten SN-Funktionäre als Innen- und Justizminister. Dementsprechend kontrollierten sie die Akten über die Massenmorde und Folterungen an Arbeitern, an Mitgliedern der trotzkistischen Bewegung und an der KKE selbst während des griechischen Bürgerkriegs nach dem II. Weltkrieg und während der Zeit der Obristenjunta. Die SYN unterließ es nicht nur, diese Verbrechen zu untersuchen, sie erlaubte auch, dass zahlreiche Akten vernichtet wurden, die es ermöglicht hätten, die Verantwortlichen strafrechtlich zu verfolgen.
Ein Jahr später lösten die Verbündeten der SYN in der Sowjetbürokratie die UdSSR auf und führten den Kapitalismus wieder ein. Sie plünderten die sowjetische Arbeiterklasse und öffneten die ehemalige Sowjetunion der imperialistischen Intervention. Mit diesen ungeheuren Verbrechen zeigten die KKE und die Vorläufer von Syriza, dass sie mit jeglicher Verbindung, die sie zu den Kämpfen der Arbeiterklasse im zwanzigsten Jahrhundert noch gehabt haben mögen, gebrochen hatten. Die KKE verließ die Allianz mit der SYN jedoch 1991 und ließ die SYN als Hochburg der ehemaligen „Eurokommunisten zurück.
Sowohl die SYN als auch die KKE hatten ihre Verwandlung von Parteien, die an die Politik der Sowjetbürokratie gebunden waren, in vollständig bürgerliche Parteien abgeschlossen.
Die ürbrigen Tendenzen in Syriza – die DEA, maoistische und ökologische Gruppen und die Abspaltungen von der KKE – schlossen sich Syriza auf der Grundlage dieser prokapitalistischen Entwicklung an. Anfang der 2000er-Jahre befand sich die SYN, wie Panos Petrou von der DEA in einem Artikel über die Gründung von Syriza schreibt, „auf einem absteigenden Ast, was die Wahlen anging, und ihr drohte, nicht genügend Stimmen zu gewinnen, um die Hürde für die Vertretung im Parlament zu überwinden. Das war die Folge ihrer Mitte-links-Politik in den vorangegangenen Jahren, was dazu geführt hatte, dass sie wie ein Satellit von PASOK aussah.“
Die Gründung von Syriza im Jahr 2004 war ein politisches Manöver, um nach außen ein „linkeres“ Gesicht zu zeigen und SYN am Leben zu erhalten, indem andere Parteien integriert wurden, die an den Protesten gegen den Irakkrieg teilgenommen hatten. Wie Petrou vermerkt: „Für die Führung der SYN war Syriza hauptsächlich ein Wahlbündnis, das ihnen helfen sollte, in den landesweiten Wahlen die 3-Prozent-Hürde zu überwinden, um ins Parlament einzuziehen.“
Ihre Rolle widerspiegelte den wachsenden Reichtum und den Konservativismus der sozialen Schichten innerhalb von Syriza. Wie Presseberichte über große Sparkonten und den Besitz mehrerer Immobilien von Syrizas Ministern klarmachen, hatten die ehemaligen Studenten Karriere gemacht und waren zu Mitgliedern des wohlhabenden Kleinbürgertums aufgestiegen. Nachdem sie von der zunehmenden Bedeutung des Finanzsektors in der europäischen Wirtschaft, vom boomenden Immobilienmarkt und der Einführung des Euro profitiert hatten, überzeugte sie die Lektüre von Laclau und ähnlichen Autoren endgültig von den Vorzügen des Kapitalismus.
Ihre Stimmungslage fand seinen vollendeten Ausdruck in Laclaus Ablehnung des Klassenkampfs und sogar des Begriffs der gesellschaftlichen Klasse überhaupt. In seinem Werk Ideology and Post-Marxism von 2007 erklärt er: „Die Subjekte des ,antikapitalistsichen‘ Kampfs sind vielfältig und können nicht auf so einfache Kategorien wie ,Klasse’ reduziert werden. Wir werden eine Vielzahl von Kämpfen haben. Die Kämpfe in unserer Gesellschaft neigen dazu, sich zu vermehren, je weiter wir uns in ein Zeitalter der Globalisierung hinein bewegen, es werden jedoch immer weniger ,Klassen’-Kämpfe.“
Die Rolle der Syriza-Regierung bei der ungeheuren Senkung des Lebensstandards der griechischen Arbeiter bezeugt die reaktionären Konsequenzen solcher irrationalen und antimarxistischen Konzeptionen. Das obskure Beharren darauf, dass die Wirklichkeit nicht rational verstanden werden kann, und die Ablehnung der Arbeiterklasse, lieferte den kleinbürgerlichen Parteien, die nur dem Namen nach „links“ sind, die theoretischen Grundlagen. Syriza erzwingt ihre irrationale Sparpolitik, die gleichbedeutend ist mit dem wirtschaftlichen Selbstmord Griechenlands, unter völliger Missachtung der breiten Massen der arbeitenden Bevölkerung.
5. Syriza’s „linke” Komplizen
Die unerlässliche Voraussetzung für den Kampf der Arbeiterklasse gegen Verelendung und Austerität ist ein Bruch mit dieser korrupten pseudo-linken Politik. Ihr Bankrott wurde offenkundig, als die Parteien in Griechenland, die als „linke“ Kritiker von Tsipras erster Regierung auftraten, es nicht schafften, bei den Wahlen im September irgendeine bedeutsame Anzahl an Wählerstimmen zu gewinnen.
Die Partei Volkseinheit (Laiki Enótita) – sie brachte maoistische Gruppen aus der Antarsya-Koalition mit, um die Linke Plattform zu unterstützen, nachdem sie Syriza verlassen hatte – schaffte nicht einmal das Minumum von drei Prozent, die notwendig sind, um einen Kandidaten ins Parlament zu bringen.
Eine Koalition, die aus den restlichen Antarsya-Fraktionen zusammengeschustert wurde, darunter diverse pablistische und maoistische Gruppen, und die EEK (Workers Revolutionary Party) von Savas Michael-Matsas erreichte 0,85 Prozent.
Angesichts der extremen Krise, die in Griechenland herrscht, sind diese dürftigen Ergebnisse ein vernichtendes Urteil über die Rolle, die diese Tendenzen von Januar bis September 2015 gespielt haben. Sie haben keine ernsthafte Unterstützung erhalten, weil sie nie dafür gekämpft haben, sich von Syriza grundlegend zu unterscheiden oder die Massen für eine revolutionäre Perspektive zu gewinnen.
Die Linke Plattform arbeitete von Januar bis Juli loyal innerhalb der Syriza-Regierung und diente dazu, die Opposition gegen Syriza von links zu verhindern. Sie verbreitete die Lüge, Syriza könne immer noch eine linke Politik machen, obwohl sie sich im Februar schon verpflichtet hatte, die Sparprogramme durchzusetzen. In einer der Resolutionen, die sie an die Syriza-Führung richtete, behauptete sie: „Obwohl euer anfänglicher Kompromiss schwerwiegend ist, habt ihr immer noch die Zeit, die Situation zu retten, indem ihr eine neue Richtung einschlagt und die notwendige radikale, sozialistische Politik annehmt.“
Der Versuch der Linken Plattform, als Gegner der EU-Sparmaßnahmen aufzutreten, ist ein politischer Betrug. Ende Juli unternahm sie einen Vorstoß, um innerhalb des Zentralkomitees von Syriza eine namentliche Abstimmung über die Sparmaßnahmen, die Tsipras ausgehandelt hatte, zu verhindern. Dadurch sorgte sie dafür, dass die Sparmaßnahmen angenommen wurden, während sie gleichzeitig vermied, Position dagegen zu beziehen.
Als die zahnlose Kritik der Linken Plattform ein Störfaktor für Tsipras‘ Abmachungen mit der EU wurde, nachdem Syriza den Austeritätspakt von Juli unterzeichnet hatte, löste er seine eigene Regierung auf und entfernte sie von Syrizas Kandidatenliste für das Parlament. Erst da entschied die Linke Plattform Syriza zu verlassen und die Partei Volkseinheit aufzubauen, um auch weiterhin Illusionen in Syriza zu verbreiten und einen politisch unabhängigen Kampf der Arbeiterklasse gegen die Tsipras-Regierung nach Kräften zu verhindern.
Panagiotis Lafazanis, der Führer der Linken Plattform, der als Tsipras‘ Energieminister fungiert hatte, erklärte: „Die Volkseinheit will die besten programmatischen Traditionen Syrizas fortsetzen. Wir wollen an radikaleren Überzeugungen festhalten.“
Wie zu erwarten, überzeugte Lafazanis’ Aufruf zur Verteidigung von Tsipras reaktionärer Bilanz einige Splittergruppen von Antarsya darin, dass die Zeit reif war, ein direktes Bündnis mit der Linken Plattform innerhalb der Partei Volkseinheit einzugehen.
Was Michael-Matsas und das EEK angeht, so sahen sie das als Gelegenheit für eine „Neugruppierung“ mit anderen Splittergruppen von Antarsya, um einen neuen linken Deckmantel für Syriza und die griechische herrschende Klasse zu schaffen.
Diese Tendenzen orientierten sich nicht auf die Arbeiterklasse, sondern auf Syriza. Letztendlich haben die Arbeiter sie ganz richtig nur als Teil des gesamten politischen Konstrukts gesehen, das sie verraten hat.
Man muss nur das, womit diese Elemente sich in den acht Monaten von Januar bis September beschäftigten, damit vergleichen, wie Lenin und die Bolschewistische Partei die acht Monate zwischen der Machtübernahme der Provisorischen Regierung im Februar 1917 und der Oktoberrevolution nutzten. Die Letzteren kämpften schonungslos gegen die Illusionen der Massen in die Provisorische Regierung und dafür die Vorherrschaft der bürgerlichen Parteien und ihrer Apologeten über die Arbeiterklasse zu brechen. Unter wesentlich schwierigeren Bedingungen gelang es ihnen, einen immer größeren Einfluss in der Arbeiterklasse zu gewinnen und dadurch die Oktoberrevolution vorzubereiten.
Es gab nicht die Spur einer solchen revolutionären Unnachgiebigkeit unter den Kräften, die angeblich links von Syriza standen. Sie allesamt bereiteten die Machtübernahme von Syriza vor, indem sie Illusionen darüber verbreiteten, dass eine Syriza-Regierung gegen die EU-Sparpläne kämpfen würde. Dann verbrachten sie die acht Monate zwischen Januar und September damit, sich an die Syriza-Regierung anzupassen, Lügen über deren Politik zu verbreiten und sicherzustellen, dass der Weg frei war, damit diese ihren Verrat vollenden konnte.
6. „Breit angelegte linke Parteien“ und die Vorbereitung neuer Verrätereien
Die Syriza-Regierung war nicht nur eine harte Erfahrung für die griechische Arbeiterklasse. Sie entlarvte auch ähnliche pseudo-linke Parteien in Europa und international, die ihnen den Weg in die Regierung freigemacht haben und jetzt die politische Verantwortung für Syrizas Angriffe auf die griechische Arbeiterklasse tragen. Die Arbeiter international sollten gewarnt sein: Wenn die herrschende Klasse es ihnen erlaubt, an die Macht zu kommen, werden sie sich als genauso reaktionär herausstellen wie Syriza in Griechenland.
Diese Parteien sind mit Podemos in Spanien und der Linken in Deutschland bereits überall in Europa fest etabliert. Wie Syriza entstanden sie nach der Auflösung der Sowjetunion, als unterschiedliche kleinbürgerliche Tendenzen Bündnisse mit stalinistischen Kräften eingingen. Sie entwickelten ein politisches Programm, das aus hohler Anti-Austeritäts-Rhetorik kombiniert mit proimperialistischer Politik bestand, zugeschnitten auf die Interessen privilegierter Teile des Kleinbürgertums.
Noch vor Syriza lieferte die Partei der Kommunistischen Wiedergründung (Partito della Rifondazione Comunista, PRC) in Italien das markanteste Beispiel für die Folgen dieser Orientierung in Europa. Rifondazione entwickelte sich aus der Auflösung der Kommunistischen Partei Italiens (KPI) wahrend der Kampagne zur Wiederherstellung des Kapitalismus in der Sowjetunion und Osteuropa. Neben einer Fraktion der KPI bestand die Partei aus antitrotzkistsichen, pablistischen Revisionisten, angeführt von Livio Maitan, maoistischen und anarchistischen Tendenzen.
Da Rifondazione wiederholt an reaktionären Regierungen beteiligt war, waren sich ihre Verfechter durchaus darüber bewusst, dass sie bürgerliche Parteien aufbauten, die eine reaktionäre Politik verfolgen und Angriffe auf die Arbeiterklasse führen würden.
Die pablistische Zeitschrift International Viewpoint führte eine öffentliche Diskussion über die Rolle von Parteien wie Syriza und Rifondazione, die sie „breit angelegte linke Parteien“ nannte, und gab zu, „dass die Beziehung zum Staat und das Verständnis der Partei über ihre Rolle in der Gesellschaft“ zu einer dringlichen Frage geworden ist. Sie stellte fest, dass diese Parteien „in bestimmten Momenten den Rubicon überschritten haben, was ausdrücklich zu institutionellem Management auf der höchsten Ebene des Staats oder zur ausdrücklichen Unterstützung sozialliberaler [d.h. Pro-Austeritäts-] Regierungen führt“.
Diese Diskussion, die zwei Jahre vor dem Regierungsantritt von Syriza stattfand, unterstreicht die politische Arglist ihrer pseudolinken Befürworter. Während sie Syriza als großen Schritt vorwärts für die Linke bejubelten, wussten sie, dass sie eine lange Reihe politischer Verrätereien fortsetzten. Dass sie eine solch zynische Politik verfolgen, basiert auf ihrer verächtlichen und durch und durch pragmatischen Herangehensweise an die Geschichte.
Nach Aussage von Alain Krivine, dem Führer der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) in Frankreich, „löst“ die NPA „einige Fragen nicht, sie lässt sie offen für zukünftige Konferenzen. Zum Beispiel die gesamten strategischen Diskussionen über Machtergreifung, Übergangsforderungen, Doppelmacht usw. Sie behauptet nicht, trotzkistisch im eigentlichen Sinne zu sein, sondern betrachtet den Trotzkismus als einen Beitrag zur revolutionären Bewegung unter anderen. Nicht bereit, die Politik durch den Blick in den Rückspiegel zu entwickeln, wie wir es unter dem Stalinismus tun mussten, hat die NPA keine Position dazu, was die Sowjetunion, der Stalinismus etc waren. Politik basiert auf einer Übereinkunft über die Analyse der Periode und über die Aufgaben.“
Die NPA wollte nicht über die zentralen historischen Erfahrungen des zwanzigsten Jahrhunderts, die marxistische Bewegung oder die entscheidenden Fragen der revolutionären Strategie, vor denen die Arbeiterklasse steht, sprechen. Die Politik der NPA, die auf dieser ahistorischen Grundlage entwickelt wird, kann nur einen extrem kurzsichtigen und reaktionären Charakter haben, diktiert von den oberflächlichen Eindrücken aus den Berichterstattungen der Medien und von dem, was ihre Führer aus den Gesprächen mit Regierungspolitikern erfahren haben.
Wie Krivines Bemerkungen jedoch deutlich machen, hat die Führung der NPA das als Vorteil gesehen. Es hat ihnen erlaubt sich weiterhin als „Linke“ auszugeben, während sie sich gleichzeitig an prinzipienlosen taktischen Manövern beteiligten, wie z.B. „breit angelegte linke Parteien“ wie Syriza, als große Hoffnung im Kampf gegen Austerität zu unterstützen, während sie wussten, dass dies Parteien der Austerität und des Kriegs waren.
In Griechenland schloss sich die NPA der gesamten internationalen pseudo-linken Bruderschaft an, die Syrizas Regierungsantritt als Sieg bejubelte. Die NPA erklärte: „Der Wahlsieg von Syriza ist eine großartige Nachricht. Er erfüllt jeden, der in Europa gegen die Sparpolitik kämpft, mit Hoffnung. Sie eröffnet die Möglichkeit für eine demokratische Erneuerung und einen grundlegenden Richtungswechsel der Europäischen Union.“
Ein weiteres Beispiel dafür ist Xekinima (Beginn – Socialist Internationalist Organisation), eine griechische Partei, die der internationalen Tendenz angeschlossen ist, die von der Socialist Party (England and Wales) angeführt wird. Nachdem sie Syriza beigetreten und dann wieder ausgetreten war, unterstützte sie Syriza in der Wahl vom Januar 2015.
In einem Interview mit der Socialist Party im Vorfeld der Wahlen erklärte der Xekinima-Führer Andros Payiatsos, dass trotz umfangreicher Beweise, dass Syriza „alles nur Mögliche unternimmt, um mit den Kräften des Marktes zu einer Übereinkunft zu kommen“, die Massen „kämpfen müssen und kämpfen werden und die Syriza-Regierung nach links drücken werden“.
Noch grundsätzlicher äußerte sich die DEA, die griechische Schwesterpartei der International Socialist Organization (ISO) in den USA. Als Teil von Syrizas Linker Plattform schrieb sie: „Unter diesen neuen Umständen, ist die Rolle von Syriza als politischer Partei unersetzbar. Die Arbeitsweise ihrer Gremien und ihrer Mitgliedschaft, mit der kollektiven Teilnahme und Demokratie überall in der Partei, ist kein beliebiges Extra, sondern eine Voraussetzung für den endgültigen Sieg Syrizas, den endgültigen Sieg der gesamten Linken und unseres Volks.“
In Brasilien rief die Vereinigte Sozialistische Arbeiterpartei (PSTU), eine der größten Parteien, die sich aus dem Zusammenbruch der lateinamerikanischen revisionistischen Bewegung entwickelt hatten, unter der Führung des verstorbenen Nahuel Moreno, zur Wahl von Syriza auf. Sie beschrieb Syriza als „das wichtigste Werkzeug der griechischen Arbeiter, um die Parteien des Memorandums und die Plünderung“ Griechenlands „zu stoppen“.
Was auch immer diese Tendenzen an Syrizas prokapitalistischem Programm kritisierten, sie taten das von dem Standpunkt, die Arbeiter sollten sich der Wahlkampagne Syrizas unterordnen und ihre Kämpfe als Mittel sehen, Syriza nach links zu bewegen.
Keiner von ihnen machte eine Klassenanalyse von Syriza. Sie bejubeltenden den Sieg der Partei zwar als Produkt gesellschaftlicher Kämpfe, vertuschten jedoch alle die Tatsache, dass Syriza eine bürgerliche Partei ist, die unterstützt wurde, um die Kämpfe der Arbeiter zu unterdrücken und Sparmaßnahmen durchzupeitschen, die die griechische Rechte nicht durchsetzen konnte.
Dass diese Parteien Syriza unterstützten, war weder ein Fehler noch ein theoretisches Versagen der Analyse. Sie unterstützten Syriza, weil sie in ihren jeweiligen Ländern dieselben wohlhabenden Schichten „linker“ Akademiker, Gewerkschaftsfunktionäre, Parlamentarier und Freiberufler repräsentierten und versuchten ihre Klasseninteressen durch eine ähnliche Politik zu vertreten. Als die herrschende Klasse Syriza erlaubte, die Macht zu übernehmen, sahen sie dies alle als Modell an und hofften, dass man ihnen dieselbe Chance geben würde, eine ähnliche Rolle in ihren eigenen Ländern zu spielen.
Obwohl sie gezwungen waren, ihre Begeisterung für Syriza in der Öffentlichkeit zu zügeln, nachdem diese im Juli das Milliarden-Euro-Sparpaket durchgesetzt hatte, unterstützten sie Syriza auch weiterhin.
So bejubelte Jean-Luc Mélenchon von der französischen Linken Front Tsipras, nachdem dieser das EU-Sparpaket durchgesetzt und das „Nein“ im Referendum vom 5. Juli mit Füßen getreten hatte. Er erklärte: „Wir unterstützen Alexis Tsipras und seinen Kampf, den Widerstand des griechischen Volks zu erlauben.“ Die Presseerklärung der Linken Front stellte die Wirklichkeit ebenfalls auf den Kopf, indem sie erklärte: „Die Regierung von Alexis Tsipras hat wie keine andere in Europa Widerstand geleistet. Deshalb akzeptiert sie einen Waffenstillstand in dem Krieg, der gegen sie geführt wird. Wir verurteilen diesen Krieg, diejenigen, die ihn führen und ihre Ziele.“
Pablo Iglesias, der als Generalsekretär der spanischen Partei Podemos wiederholt am Wahlkampf mit Tsipras teilnahm, entschuldigte Tsipras Austeritäts-Politik auf der Grundlage, die Alternativen seien entweder „Zustimmung oder Austritt aus dem Euro“. Die Podemos-Partei hofft in Spanien einen ähnlichen Weg an die Macht einschlagen zu können wie Syriza. Pablo Iglesias fügte noch hinzu: „Alexis’ Prinzipien sind sehr klar, aber in der Welt und der Politik geht es um die Wechselbeziehung zwischen Kräften ... Was die griechische Regierung getan hat, ist traurigerweise das einzige, was sie tun konnte.“
Und wieder sind die schärfsten Warnungen angebracht: Parteien, die solche Erklärungen über Syrizas Austeritäts-Bilanz abgeben, bemühen sich, in deren Fußstapfen zu treten.
Die politische Kluft und der Klassengegensatz, der das IKVI von diesen Tendenzen trennt, ist unübersehbar. Während das IKVI versucht hat, die Arbeiter davor zu warnen, was Syriza vorbereitet, liferte die Pseudo-Linke den politischen Deckmantel für ihre reaktionäre Politik.
7. Die Rolle von Michae-Matsas’ EEK
Das Internationale Komitee kämpfte mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, um den griechischen Arbeitern seine Perspektive und seine Analyse bekannt zu machen und sie vor der Rolle zu warnen, die Syriza spielt. Das IKVI hatte jedoch keine Sektion in Griechenland.
Die politische Verantwortung dafür trägt Savas Michael-Matsas, der Generalsekretär der Griechischen Revolutionären Arbeiterpartei (EEK). Er führte die einzige Sektion des IKVI an, die Gerry Healy während der Spaltung des IKVI von der Workers Revolutionary Party (WRP) 1985 unterstützte. Gerry Healy war der Führer der Workers Revolutionary Party in Großbritannien. Michael-Matsas brach mit dem IKVI auf einer durch und durch prinzipienlosen Grundlage. Er verweigerte jegliche Diskussion mit anderen Sektionen und behauptete, sie hätten nicht einmal das Recht, sich ohne die Erlaubnis von Healy zu treffen. Healy beschrieb er als den „historischen Führer“ des IKVI. Die politische Grundlage für dieses Verhalten war Michael-Matsas Übereinstimmung mit Healys nationalopportunistischer Orientierung.
Nach seiner Spaltung vom IKVI verkündete Michael-Matsas eine „neue Ära für die Vierte Internationale“, in der der Trotzkismus vom „abstrakten Propagandismus“ und „der Praxis der Niederlagen und der Isolation“ befreit werden würde. In der Praxis bestand seine „neue Ära“ in der Unterstützung der PASOK in Griechenland und der begeisterten Zustimmung für Michail Gorbatschows Perestroika, die er als Beginn der „politischen Revolution“ in der Sowjetunion bezeichnete. In den Jahrzehnten danach arbeitete er im Umfeld von Syriza.
Die EEK unterstützte Syriza in den Monaten vor ihrem Wahlsieg mit großer Begeisterung. Sie behauptete, sie könne dem Volk helfen, Syriza nach links zu drücken, indem sie ein politisches Bündnis mit Syriza entwickele, eine „mächtige Einheitsfront aller Arbeiter und Volksorganisationen ... aus der KKE, Syriza, Antarsya bis zur EEK, den anderen linken Organisationen, den anarchistischen und antiautoritären Bewegungen“. Die EEK rief jeden, der Hoffnungen in Syriza setzte, dazu auf, „von ihrer Führung zu verlangen, mit der Bourgeoisie, deren politischen Mitarbeitern, allen Opportunisten und Verehrern der Macht des Kapitals zu brechen“.
Wie Syrizas gesamtes politisches Umfeld ließ die EEK einen entscheidenden Punkt außer Betracht: Syriza ist eine bürgerliche Partei. Michael-Matsas schlug vor, die Arbeiterklasse solle sich mit einer Reihe von Organisationen vereinen, die ihre Unterstützung für den Kapitalismus und ihre Feindschaft gegen die Arbeiterklasse und den Sozialismus unumstößlich bewiesen haben.
Die Arbeiter dazu aufzufordern, von Syrizas Führung zu verlangen, dass diese „mit der Bourgeosie bricht“ konnte nur dazu dienen, Illusionen in diese Partei zu säen und zu verschleiern, dass sie sich unausweichlich gegen die Arbeiterklasse wenden wird. Der Appell an die „Führung“ von Syriza – d. h. an wohlhabende politische Kriminelle wie Tsipras und Varoufakis – mit „allen Opportunisten und Verehrern der Macht des Kapitals“ zu brechen, bedeutet von ihnen zu fordern, aus ihrer eigenen Haut zu schlüpfen.
Michael-Matsas verteidigte seine politischen Machenschaften in Griechenland und griff das IKVI als „sektiererisch“ an, weil es Syrizas bürgerlichen Charakter entlarvte und vor ihrem unausweichlichen Verrat warnte. Nach dem Wahlsieg von Syriza argumentierte er, das IKVI „kann einige korrekte Dinge über den bürgerlichen Charakter von Syrizas Führung sagen, aber es ignoriert die Bedeutung von Syrizas Sieg ... Die sektiererischen Gruppen sind blind gegenüber den Möglichkeiten, weil sie gleichgültig gegenüber der Massenbewegung sind.“
Neun Monaten später ist es nicht schwer, eine Bilanz der „Möglichkeiten“ und der „Massenbewegung“ zu ziehen, die Michael-Matsas’ Begeisterung für Syriza beflügelte. Syriza bot der europäischen Bourgeoisie die Möglichkeit, ihre Politik der Austerität fortzusetzen und mehrere zehn Milliarden Euro aus der verarmten arbeitenden Bevölkerung herauszupressen.
Und was die „Massenbewegung“ angeht, so baute Syriza nichts in der Arbeiterklasse auf und hat es auch nicht einmal versucht. Syriza ist eine Wahlmaschine für eine Gruppe bürgerlicher Politiker und ihre Anhänger. Sie hat die gewaltige Opposition gegen die Sparpolitik in der Arbeiterklasse manipuliert und ausgenutzt, um das Bündnis des griechischen Kapitalismus mit der EU und der NATO zu festigen und um, als nicht ganz ungewolltes Nebenprodukt, die Karrieren und den persönlichen Reichtum der führenden Politiker Syrizas zu sichern.
Michael-Matsas beschuldigte das IKVI, „sektiererisch“ zu sein, weil es Syriza nicht in den Himmel gelobt hat so wie die EEK. Das IKVI hat nicht nur davor gewarnt, dass Syriza eine bürgerliche Führung hat – ein Punkt den Michael-Matsas selbstgefällig zugibt –, sondern dass sie eine bürgerliche Partei ist, die Arbeiter genau aus diesem Grund bekämpfen müssen.
Das heißt, das IKVI hat am ABC einer marxistischen Orientierung festgehalten: zu Kämpfen der Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Klasse aufzurufen. Für die EEK jedoch, deren Spaltung vom IKVI 1985 den endgültigen Bruch mit dem Marxismus bedeutete, war dies völlig inakzeptabel.
Die EEK lobte Syriza, schrieb mit schwammigen, aber glühenden Worten von der „Bedeutung“ ihres Siegs und bejubelte sie als wunderbare und lehrreiche Erfahrung, durch die die Arbeiter hindurchgehen würden. Als die herrschende Klasse den griechischen Arbeitern die Giftpille Syriza verabreichte, tat die EEK alles in ihrer Macht stehende, um die Warnungen des IKVI vor dem, was vorbereitet wurde, zu diskreditieren. Die EEK fungierte als abgebrühter Komplize von Syriza und als reaktionäres Werkzeug des griechischen Kapitalismus.
8. Baut das IKVI auf!
Es muss offen ausgesprochen werden, dass die Erfahrung der Syriza-Regierung eine große Niederlage für die Arbeiterklasse war. Die entscheidende Aufgabe ist es jetzt, die politischen Lehren aus dieser Niederlage zu ziehen und die Arbeiterklasse für die Kämpfe, die sie in der kommenden Periode führen wird, neu zu bewaffnen – in Griechenland, überall in der EU und weltweit.
Die Ereignisse haben bewiesen, dass die Arbeiterklasse nicht einmal ihre minimalsten Interessen verteidigen kann, indem sie sich auf bürgerliche Regierungen stützt, selbst wenn diese mit sogenannten „radikal linken“ Parteien besetzt sind. Genausowenig erreicht die Arbeiterklasse, indem sie versucht, derartige Regierungen unter Druck zu setzen, um eine für sie vorteilhafte Politik durchzusetzen. Die Politik von Syriza zeigt, dass den Arbeitern nichts anderes übrig bleibt, als den revolutionären Weg einzuschlagen.
Die herrschende Klasse erinnert die Arbeiterklasse daran, warum das russische Proletariat 1917 gezwungen war, den Kapitalismus zu stürzen. Ihre Strategie besteht darin, alle sozialen Zugeständnisse zu vernichten, die der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Ländern Europas im 20. Jahrhundert zugestanden wurden. Diese Zugeständnisse waren eine Reaktion auf die politische und ideologische Herausforderung, welche die Oktoberrevolution und die Existenz der Sowjetunion darstellten. Die Arbeiter sollen um Jahrzehnte zurückgeworfen und auf das Niveau ihrer verarmten Arbeitskollegen in Osteuropa und Asien degradiert werden.
Die Schuld an der Niederlage in Griechenland trägt nicht die Arbeiterklasse. Der griechischen Arbeiterklasse mangelte es nicht an Entschlossenheit zu kämpfen, und sie bewies wiederholt ihren revolutionären Instinkt. Sie genoss die Solidarität von Massen von Arbeitern überall in Europa, die selber unter wachsenden Angriffen der EU leiden und auf Syrizas Angriffe auf die griechischen Arbeiter wütend und ungläubig reagierten.
Trotz der verschärften Unterdrückung und der Wut der Arbeiterklasse, konnte sie jedoch keinen Weg finden, spontan ihre politischen Interessen auszudrücken und sich auf das Niveau ihrer historischen Aufgabe zu erheben. Sie konnte nicht plötzlich eine politische Führung improvisieren, die in der Lage ist, sie im Kampf gegen den erbarmungslosen Angriff der EU und der Banken zu führen.
Stattdessen wurde der gesellschaftliche Widerstand der Arbeiter wiederholt hinter Syriza kanalisiert – einer Partei, die auf der Basis von Lügen zynisch an die Massenunzufriedenheit appellierte, während sie sich bewusst darauf vorbereitete, ihre Versprechen zu brechen. Syriza stützte sich auf die Dienste einer ganzen Schicht von politischen Tendenzen, die Illusionen schürten, Syriza würde sich dem Diktat des griechischen und internationalen Finanzkapitals widersetzen. Diese ganze Ansammlung pseudolinker Parteien ist jetzt als reaktionäres Werkzeug des Finanzkapitals bloßgestellt.
Die zentrale Aufgabe ist die politische Neubewaffnung der Arbeiterklasse und der Aufbau einer neuen revolutionären Führung, die sich auf die erbarmungslose Kritik an den Parteien, Persönlichkeiten und politischen Konzepten stützt, die für die Niederlage verantwortlich sind. Das ist die Bedeutung der Arbeit des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in Bezug auf die Ereignisse in Griechenland.
In Griechenland, in Europa und überall auf der Welt kann die Arbeiterklasse sich nur verteidigen durch den Aufbau neuer Parteien der Arbeiterklasse, die völlig unabhängig sind von allen Teilen der kapitalistischen Klasse und sich auf ein internationalistisches revolutionäres Programm gründen. Dessen Ziel muss die Errichtung der Arbeitermacht, die Abschaffung des Kapitalismus und die Errichtung einer weltweiten sozialistischen Gesellschaft sein.
Das internationale Komitee der Vierten Internationale ist die einzige politische Organisation, die zum Ziel hat, die Arbeiterklasse in einem Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung, Armut und Krieg zu organisieren und zu vereinen. Ihr jahrzehntelanger Kampf zur Verteidigung marxistischer und trotzkistischer Prinzipien verkörpert eine enorme politische Erfahrung und eine sorgfältig ausgearbeitete Perspektive, um die Arbeiterklasse für die neue, gerade beginnende revolutionäre Epoche zu bewaffnen. Die politischen und historischen Fragen, die im Zentrum ihres sechs Jahrzehnte dauernden Kampfs zur Verteidigung der Kontinuität des Trotzkismus standen, sind jetzt zu brennenden Fragen für die Massen geworden.
Die entscheidende strategische Frage ist heute der Aufbau des IKVI. Wir rufen politisch bewusste Arbeiter, Intellektuelle und Jugendliche in Griechenland und international auf, für die Perspektive zu kämpfen, die in dieser Erklärung dargelegt wurde, und dem IKVI, der Weltpartei der sozialistischen Revolution, beizutreten.
13. November 2015