Die Nachricht über Bleivergiftungen in der amerikanischen Stadt Flint, von denen tausenden Arbeiterfamilien samt ihren Kindern betroffen sind, hat eine Welle der Empörung in aller Welt ausgelöst. Flint ist mit über Hunderttausend Einwohnern die viertgrößte Stadt im US-Bundesstaat Michigan.
Auch wenn noch nicht alle Einzelheiten bekannt sind, gibt es bereits einige grundlegenden Fakten. Im April 2014 hatten Beamte der Stadtverwaltung beschlossen, das Trinkwasser für die Stadt künftig aus dem verschmutzten Flint River zu beziehen, nachdem die Wasserbehörde von Detroit höhere Gebühren gefordert hatte. Auf diese Weise hofften sie, fünf Millionen Dollar einzusparen. Durch die hohe Säurekonzentration im Flusswasser korrodierten die bleiernen Rohre der Stadt, die mineralische Schutzschicht löste sich, und das Wasser, das zehntausende Menschen zum Trinken, Reinigen und Baden verwenden, wurde mit Blei verseucht.
Ein Ausbruch der Legionärskrankheit, der vermutlich durch bleiverseuchtes Wasser ausgelöst wurde, hat bereits zehn Todesopfer gefordert. Vor allem Kinder sind anfällig für Bleivergiftung, die zu Komata, Störungen der Bewegungskoordination, Hirnerkrankungen, geistiger Beeinträchtigung, ADHD, Verhaltensauffälligkeiten und Schäden an den Fortpflanzungsorganen führen kann. Körperliche Schäden und Hirnschäden sind dauerhaft.
Im hundert Kilometer entfernten Detroit haben tausende von Lehrern aus Protest gegen den katastrophalen Zustand des öffentlichen Schulsystems unabhängig und gegen den Willen der Gewerkschaften einen koordinierten „Krankschreibungsstreik“ durchgeführt. Den öffentlichen Schulen in Detroit wurden jahrzehntelang die Mittel gekürzt, während Geld in private, profitorientierte Charter Schools investiert wurde.
Das hat dazu geführt, dass die 50.000 Schüler Detroits in rattenverseuchten Schulen lernen müssen, in denen giftiger schwarzer Schimmel und Pilze wachsen, die Heizungen nicht funktionieren und die Bausubstanz zerfällt.
Vertreter beider Parteien und aller Bereiche der kommunalen, staatlichen und nationalen Regierungen sind mitschuldig an den katastrophalen Zuständen in Flint und Detroit. Die offiziellen Stellen reagierten mit Krokodilstränen, Lügen, Ausflüchten und gegenseitigen Schuldzuweisungen.
Gouverneur Rick Snyder, ein ehemaliger Investmentunternehmer mit einem Vermögen von schätzungsweise 200 Millionen Dollar, ist persönlich dafür verantwortlich. Am Mittwoch wurden E-Mails veröffentlicht, die beweisen, dass seine Regierung von den Vergiftungen in Flint wusste, die Krise vertuschte und das Thema als „politischen Football“ bezeichnet hatte. In einem Gespräch mit dem Sender CBS News besaß Snyder die Dreistigkeit, die Detroiter Lehrer aufzufordern, ihren Protest gegen die Zustände in den Schulen zu beenden, weil sie damit „den Kindern schaden“.
Die Demokraten ihrerseits, darunter Personen wie Michael Moore und Jesse Jackson, die angeheuert wurden, um die Empörung einzudämmen, wälzten alle Schuld auf die Republikaner ab. Präsident Barack Obama hielt am Mittwoch während eines Besuchs in Detroit eine Rede am Center for Human Resources. Vor einem Jubelchor aus UAW-Bürokraten erklärte er: „Ich bin sehr stolz darauf, was ich in Michigan aufgebaut habe.“ Darauf folgte die nichtssagende Erklärung: „Wenn ich hier Teil der Eltern wäre, wäre ich außer mir über die Wasserkrise in Flint.“
Obama erklärte seinem UAW-Publikum, seit der Insolvenz in Detroit von 2013-2014 seien dort „alle möglichen guten Dinge“ durchgeführt worden.
Tatsächlich sind die Katastrophe in Flint und die Zerstörung von Detroit durch die Insolvenz, die von Obama unterstützt wurde, zwei Facetten desselben Prozesses. Durch die Insolvenz wurden Löhne, Renten, Infrastruktur und Sozialprogramme zusammengestrichen und die Stadt drohte damit, die Kunstwerke des Detroit Institute of Arts zu verkaufen, um ihre Gläubiger von der Wall Street auszuzahlen. Darüber hinaus wurde zehntausenden Familien Strom und Wasser abgedreht. Detroit wurde nicht „wiederaufgebaut“, sondern im Interesse der Reichen umgebaut.
Das Zwangsverwalter Modell, das Obama in Detroit propagiert hatte, wurde auch von der Stadtverwaltung von Flint eingesetzt und führte zu der Entscheidung, durch das Anzapfen des Flint River Kosten für die Wasserversorgung zu sparen. Die Umweltschutzbehörde der Obama-Regierung weigerte sich monatelang, auf Tests zu reagieren, die hohe Bleikonzentrationen im Trinkwassersystem von Flint auswiesen. Die 80 Millionen Dollar, die die Obama-Regierung am Donnerstag anbot, ist kaum mehr als ein Almosen, mit dem sie ihre Mitschuld vertuschen will.
Diese Ausflüchte werden ergänzt durch die unvermeidlichen Versuche, die Krise in Michigan als Rassenfrage darzustellen. Der New York Times-Kolumnist Charles Blow schrieb am Donnerstag in einem Leitartikel: „Es ist schwer vorstellbar, dass das in einer Stadt passieren könnte, die nicht ein ähnliches demografisches Profil hat wie Flint: überwiegend schwarz und überdurchschnittlich arm.“
Die ethnische Zusammensetzung von Flint und Detroit hat in Wirklichkeit nichts damit zu tun. Egal ob Weiße, Schwarze, Einwanderer oder gebürtige Amerikaner, kein Teil der Arbeiterklasse bleibt verschont von den Folgen von 40 Jahren sozialer Konterrevolution in Amerika. Zwei aktuelle Studien, eine von der New York Times und eine von einem Wirtschaftsnobelpreisträger, kommen zu dem Ergebnis, dass weiße Arbeiter unter einem immensen Niedergang ihres Lebensstandards zu leiden haben. Die Zahl der Drogentoten unter verarmten weißen Jugendlichen liegt auf einem Rekordniveau. Unter älteren weißen Arbeitern sind die Krankheits- und Selbstmordraten auf Rekordniveau, vor allem durch zunehmenden Alkoholismus und Drogenkonsum.
Robert Gordon erklärt in seinem lesenswerten Buch Der Aufstieg und Niedergang des amerikanischen Wachstums, dass das Durchschnittseinkommen der unteren 90 Prozent im Jahr 2013 niedriger lag als im Jahr 1972. Von 2000 bis 2013 gab es einen deutlichen Rückgang von 37.053 Dollar auf 31.652 Dollar. Gordon erklärt, seit Beginn der 1970er Jahre sei „eine riesige Kluft zwischen der Wachstumsrate des Realeinkommens der unteren 90 Prozent und der oberen zehn Prozent der Einkommensverteilung entstanden.“
Die Krise in Flint und Detroit ist das unweigerliche Ergebnis der massiven Umverteilung des Reichtums, und Teil einer internationalen Entwicklung. In allen Ländern werden die Bedürfnisse der Bevölkerung den Profiten der Konzerne und dem Reichtum der Finanzaristokratie untergeordnet.
Viele Arbeiter sind über die Ereignisse in Michigan empört. Unter ihnen herrscht weit verbreitete Anteilnahme mit den Familien der vergifteten Kinder und den Lehrern. In Gesprächen mit der WSWS wurde deutlich, dass immer mehr Arbeiter und Lehrer den Zusammenhang zwischen den unerträglichen sozialen Bedingungen und einer Politik erkennen, die von den Konzernen und der Regierung bewusst gegen die Arbeiterklasse durchgesetzt wird. Vor den Ereignissen in Michigan gab es in den letzten Monaten des vergangenen Jahres starken Widerstand unter Autoarbeitern in ganz Amerika.
Es ist dringend notwendig, die unterschiedlichen Kämpfe der Arbeiter auf der Grundlage einer gemeinsamen Perspektive und eines Verständnisses der Ursachen der Krise zu vereinen. Die Grundursache ist das kapitalistische Wirtschaftssystem, in dem ein winziger Teil der Weltbevölkerung die Wirtschaft kontrolliert und sich auf Kosten der Arbeiterklasse bereichert. Während die Regierungen viele Milliarden für Kriege ausgeben, werden sämtliche Elemente der Grundversorgung bewusst in Profitmöglichkeiten für die Konzerne verwandelt.
Die Arbeiter haben die Regierung, die Konzerne, die Gerichte, die Polizei und die Mainstreampresse gegen sich. Gegen so mächtige Widersacher können sie nicht siegen, wenn sie voneinander isoliert sind, doch als vereinte internationale gesellschaftliche Kraft hat die Arbeiterklasse eine immense Stärke.
Die Socialist Equality Party veranstaltet am Mittwoch, dem 27. Januar ein öffentliches Krisentreffen, das für alle Teile der Arbeiterklasse in Detroit und Flint offen ist. Bei dieser Veranstaltung werden Lehrer, Autoarbeiter, Studenten, Jugendliche und andere Teile der Arbeiterklasse zusammenkommen, um über die Krise und die Notwendigkeit einer Strategie der Arbeiterklasse zu diskutieren.