Asylpaket II: Massiver Angriff auf demokratische Grundrechte

Am vergangenen Donnerstag hat der Bundestag mit großer Mehrheit das Asylpaket II beschlossen. Auch der Bundesrat billigte am Freitag die Gesetzesverschärfung sowie ein Gesetz zur erleichterten Ausweisung straffälliger Ausländer.

Dies hat weitreichende Bedeutung. Die Beschlüsse bedeuten nicht nur die Beschneidung des Grundrechts auf Asyl bis zur Unkenntlichkeit, sondern gehen darüber hinaus. Sie legen die Grundlage für ein Rechtssystem, das erstmals seit der Nazi-Diktatur einem Teil der Bevölkerung demokratische Grundrechte verweigert. Heute sind es geflüchtete Menschen, die davon betroffen sind, morgen können es andere Gruppen in der Bevölkerung sein, die ausgegrenzt und entrechtet werden.

Während an den Grenzen der Balkanländer die Tragödie ihren Lauf nimmt und Tausenden Familien mit Kindern jegliche Aussicht auf Leben und Zukunft genommen wird, haben die hochbezahlten Abgeordneten und Politiker von CDU/CSU und SPD mit 429 zu 147 Stimmen, bei vier Enthaltungen, für folgende drastische Verschärfungen im Asylrecht gestimmt:

· Schnellverfahren für Asylanträge von Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten. Zu diesen gehören bereits bisher die Balkanländer und einige afrikanische Staaten wie Ghana und Senegal, jetzt werden sie auf Algerien, Marokko, Tunesien ausgedehnt. Auch Folgeantragsteller sollen auf diese Weise behandelt werden sowie solche, die angeblich „nicht mitwirken“. Dazu wörtlich: „Das wird beispielsweise angenommen, wenn sie über ihre Identität täuschen oder die Abnahme der Fingerabdrücke verweigern.“

· Unterbringung in drei bis fünf großen Internierungslagern („Aufnahme-„ bzw. „Registrierzentren“) und strenge Residenzpflicht. Menschen „ohne Bleibeperspektive“ werden interniert, ihre Asylanträge an Ort und Stelle „bearbeitet“, das heißt abgelehnt, und die Abschiebungen „direkt aus der Erstaufnahmeeinrichtung“ durchgeführt. Das gesamte Asylverfahren soll innerhalb einer Woche abgewickelt sein. Verletzt ein Flüchtling die Residenzpflicht, erhält er keine Leistungen und das Asylverfahren wird von vorneherein auf Eis gelegt.

· Abschiebung von kranken und traumatisierten Flüchtlingen. Fachärztliche Atteste werden praktisch nicht mehr beachtet, es sei denn, sie bescheinigen eine lebensbedrohliche Erkrankung unmittelbar bei Antragstellung. Auch kranke Kinder sollen abgeschoben werden, obwohl Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention 1992 ratifiziert hat, die dies klar verbietet.

· Der Familiennachzug wird für subsidiär Schutzberechtigtefür zwei Jahre ausgesetzt. Subsidiären Schutz erhalten beispielsweise syrische Flüchtlinge, die nicht oder noch nicht als Flüchtlinge nach der Genfer Konvention anerkannt wurden, aber Schutz vor Abschiebung wegen drohender Gefahren durch die Kriegssituation in ihrer Heimat genießen. Auch unbegleitete Minderjährige sind davon betroffen. Sie sollen ihre Eltern nur in einzelnen Fällen nachholen können.

· Leistungskürzungen.Alleinstehenden Flüchtlingen wird die Leistung pauschal um zehn Euro monatlich für Integrationskurse gekürzt. Künftig soll Asylbewerbern erst dann ein voller Anspruch auf gesetzliche Leistungen zustehen, wenn sie sich vor Ort registriert haben und den neuen Flüchtlingsausweis besitzen.

· Die gleichzeitig im Eilverfahren beschlossene erleichterte Ausweisung straffällig gewordener „Ausländer“ – wohlgemerkt, nicht allein geflüchteter Menschen – hebelt den Gleichheitsgrundsatz im bisherigen Rechtssystem aus. Künftig ist ein Straftäter ohne deutschen Pass, der wegen eines Gewaltdelikts (Körperverletzung oder Vergewaltigung) zu einer Bewährungsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wurde, neben der Strafe für Täter mit deutschem Pass zusätzlich von Ausweisung bedroht. Damit werden auch Menschen der zweiten oder dritten Migrantengeneration stigmatisiert.

Gegen das Asylpaket II hatten sich zahlreiche Menschenrechts-, Asyl-, Juristen-, Ärzteverbände und die Psychotherapeuten-Kammern gewandt. Noch am gleichen Tag protestierten in zahlreichen Städten Mitglieder des Deutschen Anwaltsvereins und des Republikanischen Anwaltsvereins. Auch die Tatsache, dass der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Christoph Strässer (SPD) drei Tage vor der Abstimmung aus Protest zurücktrat, obwohl die SPD das Gesetz hauptverantwortlich auf den Weg gebracht hat, macht deutlich, wie weitgehend die Eingriffe in die bisherigen rechtlichen Strukturen sind.

Die neuen Asylbeschlüsse seien ein „Ausverkauf rechtsstaatlicher Prinzipien“, schreibt der Republikanische Anwaltsverein (RAV) in einer Berliner Erklärung. Das Gesetz stelle einen „traurigen Höhepunkt in einer verheerenden Rechtsentwicklung dar“ und sei „endgültig nicht mehr rechtsstaatlich zu verantworten“.

Mit dem Gesetz werden gleich mehrere Grundrechte für einen Teil der Bevölkerung außer Kraft gesetzt. Die Schnellverfahren verweigern den betroffenen Menschen das Recht auf ein faires und unabhängiges Verfahren. Für die Prüfungs-, Rechtsmittel- und gerichtliche Entscheidungsfrist, die normalerweise Monate dauert, ist nur eine Woche vorgesehen. „Anwaltliche Vertretung wird auf Grund der Kürze der Fristen und vor allem der praktischen Unmöglichkeit, die Aufnahmeeinrichtung überhaupt zu verlassen und Anwälte zu kontaktieren, in der Regel nicht gegeben sein“, so der RAV.

Zweitens verletzt die Abschiebung kranker Menschen den im Grundgesetz Artikel 2, Abs. 2, verankerten Grundsatz der körperlichen Unversehrtheit, der zum „Schutz von Leib und Leben“ verpflichtet, sowie Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention: „Recht auf Leben“.

Besonders Kinder und Jugendliche mit posttraumatischen Störungen bräuchten dringend längere Behandlungen, sagte der Berliner Sprecher des Kinderärzteverbands Jakob Maske im Deutschlandradio. Die Bundesregierung hatte die Abschiebung kranker Flüchtlinge zynisch damit begründet, man müsse Ärzten und Psychotherapeuten einen Riegel vorschieben, die Atteste für Flüchtlinge „auf Vorrat“ ausstellten.

Die Verweigerung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus verletzt Artikel 6 des Grundgesetzes, der den Schutz der Familie festschreibt, ebenso wie Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und die UN-Kinderrechtskonvention. Auch die besondere Einzelfallprüfung für unbegleitete Minderjährige, die nach Protesten aus der SPD kurz vor der Abstimmung vereinbart wurde, sei keine Verbesserung, sagt der Migrationsanwalt Bernward Ostrop. Viele Minderjährige würden während der langen Wartezeit eines solchen Verfahrens volljährig und damit aus dem speziellen Schutz für Kinder und Jugendliche herausfallen.

Claudia Kittel vom Deutschen Institut für Menschenrechte erwartet von der Einzelfallprüfung bei Minderjährigen sogar eine Verlängerung der Verfahren von den vorgesehenen zwei auf vier Jahre und sieht das Grundrecht auf Familie „ausgehebelt“. Tobias Klaus vom Bundesfachverband unbegleiteter minderjährige Flüchtlinge kommentiert die Einzelfallprüfung für den Familiennachzug, in der Zwischenzeit würden „mehr Eltern in die Boote“ auf dem Mittelmeer steigen.

Auch Amnesty International kritisierte die Bundesregierung bei der Vorstellung ihres Jahresberichts scharf. Sie verliere „die Menschenrechte aus dem Blick“, so die Generalsekretärin von Amnesty Deutschland Selmin Caliskan, und setze nur „auf Härte und Abschottung“.

Die Bundesregierung ist mit dem Asylpaket endgültig auf die rassistische Politik rechtskonservativer und rechtsextremer Kreise eingeschwenkt. Entsprechend hämisch frohlockten CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer und Alexander Gauland von der AfD. Letzterer forderte die Schließung der deutschen Grenze „mit allen Konsequenzen“ und hetzte, man könne sich nicht durch Kinderaugen erpressen lassen.

Eine entscheidende Rolle bei diesem Angriff auf die Grundrechte spielten auch die Grünen und die Linke. Im Bundestag, wo es auf ihre Stimmen nicht ankam, erklärten sie sich zu Freunden der Flüchtlinge und stimmten geschlossen gegen das Gesetz. Im Bundesrat aber, wo die Große Koalition auf die von den Grünen regierten bzw. mitregierten Länder Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg angewiesen ist, stimmten diese zu. Das Gesetz war zwar nicht zustimmungspflichtig, aber sie hätten durch Einspruch die Verabschiedung verzögern können.

Selbst das rot-rot-grün regierte Thüringen mit dem linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow und das rot-rot regierte Land Brandenburg legten im Bundesrat keinen Einspruch ein.

Das neue Asylgesetz stellt einen qualitativen Wendepunkt für die deutsche Nachkriegsdemokratie dar. Hand in Hand mit dem Wiedererstarken des deutschen Imperialismus und Militarismus kehrt auch die alte, zutiefst antidemokratische und rassistische Innenpolitik zurück. Sie dient der Spaltung der Arbeiterklasse und den Interessen einer verkommenen reichen Oberschicht.

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