Perspektive

Politische Schlussfolgerungen aus Trumps Erfolg am Super-Tuesday

Nach dem Super-Tuesday können auch das politische Establishment und die Medien nicht mehr leugnen, das die Vereinigten Staaten in einer tiefen politischen Krise stecken. Donald Trumps Kandidatur kann nicht mehr als bizarre und erheiternde Ablenkung abgetan werden, wie dies viele Medienprofis bis vor kurzem noch getan haben. Zwar steht das Ergebnis noch nicht fest, aber das Image und die Ausstrahlung des Kandidaten, der das Feld der Präsidentschaftsbewerber der Republikanischen Partei derzeit anführt, tragen eindeutig faschistische Züge.

Als sich in den letzten Wochen abzeichnete, dass Trump als Spitzenkandidat der Republikaner aus dem Super-Tuesday hervorgehen würde, mussten einige seiner Kritiker zugeben, dass er ein „Frankenstein-Monster“ sei, ein Ergebnis der jahrzehntelangen Kultivierung rassistischer Elemente durch die Partei. Das reicht bis in die 1960er Jahre zurück, als Richard Nixon mit der „Southern Strategy“ an die unterschwellige Feindseligkeit gegen die Bürgerrechtsbewegung appellierte. 1980 hielt Ronald Reagan seine erste Wahlkampfrede nach der Nominierung zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten in Philadelphia (Mississippi), wo sechzehn Jahre zuvor drei Bürgerrechtler ermordet worden waren.

Es steht außer Frage, dass die rassistische politische Kultur der Republikanischen Partei einen idealen Nährboden für Trumps Karriere und seine Hetze gegen Muslime und Immigranten hispanischer Herkunft abgab. Da aber offene rassistische Appelle zum Rüstzeug so gut wie aller republikanischen Kandidaten gehören, reicht das allein nicht aus, um das Phänomen von Trumps dramatischem Aufstieg zu erklären.

Trump hat seine Botschaft mehr als jeder andere republikanische Kandidat auf die tiefe Empörung und die Frustration Dutzender Millionen Amerikaner ausgerichtet, die sich – durchaus zu Recht – von einem politischen System vernachlässigt und verachtet fühlen, das sich gegenüber den Problemen, mit denen sie Tag für Tag zu kämpfen haben, völlig gleichgültig verhält. Es war lediglich eine Frage der Zeit, bis ein rechter Demagoge das politische Potential erkannte, das in einem Appell an die wirtschaftliche und soziale Unsicherheit von Millionen verzweifelten Menschen steckt.

Aus Umfragen bei republikanischen Vorwahlen geht hervor, dass Trumps Unterstützer ihn mit dem Satz beschreiben: „Er sagt, wie es ist.“ Was bedeutet das? Trump verkündet, dass „Amerika versagt“. Diese Zustandsbeschreibung des Landes klingt wesentlich glaubwürdiger als die Behauptung, Amerika gehe es großartig, die in keiner jährlichen Ansprache des Präsidenten zur „Lage der Nation“ fehlen darf und jedes Mal großen Applaus auslöst.

Trump spricht über hohe Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne und den katastrophalen Zustand des Gesundheitssystems. Die Tatsache, dass er keine Lösung für diese Probleme hat – oder dass er nur absurde, reaktionäre und sogar wahnsinnige „Lösungen“ vorschlägt – zählt weniger als die Wahrnehmung, dass Trump die Realität eines endlosen wirtschaftlichen Niedergangs beschreibt, die die Wähler selbst kennen. In einem Artikel vom Dienstag stellt die Los Angeles Times fest:

„Wie Umfragen in Vorwahl-Staaten bestätigen, beschweren sich viele Trump-Unterstützer, sie seien finanziell ins Hintertreffen geraten. Eine Mehrheit von Trumps bisherigen Wählern hat die Highschool abgebrochen und entsprechend schlechte Berufsaussichten.

Das widerspiegelt zum Teil die stagnierenden Einkommen im Land seit der Großen Rezession. Das Pro-Kopf-Einkommen, das für weiße Amerikaner bei 32.089 Dollar liegt, hat kaum wieder das Niveau von 2005 erreicht. In den Südstaaten, wo die Industriearbeitsplätze stetig abnehmen, ist die wirtschaftliche Lage besonders schwierig. Die Arbeitsstellen ändern sich und verlangen höhere Fertigkeiten und Schulabschlüsse. In South Carolina, wo Trump schon im letzten Monat deutlich siegte, haben neue, technologisch hochentwickelte Autowerke die geschlossenen Textilfabriken ersetzt. Aber das mittlere Haushalteinkommen von 44.929 Dollar hat den inflationsbereinigten Höchststand vor der Rezession, der 2006 bei 50.484 Dollar lag, bei weitem nicht wieder erreicht.

In Tennessee, wo am Dienstag wie in Georgia eine Rekordwahlbeteiligung erwartet wird, hatte das mittlere Einkommen 1999 mit 51.910 Dollar seinen inflationsbereinigten Höchststand erreicht; heute beträgt es 43.716 Dollar.“

Trump beschwört eine verklärte Vergangenheit und verspricht, er werde „Amerika wieder groß machen“. Amerika war schon immer eine Hochburg von Quacksalbern. So trug Mark Twains Herzog von Bilgewater ein Elixier zu Markte, von dem er behauptete, es tauge zur Entfernung von Zahnstein. Leider ätzte es auch den Zahnschmelz weg.

Trump geht mit seinen wirtschaftlichen und politischen Waren unter Verzweifelten und Entmutigten hausieren. Einige seiner Kritiker unter den Journalisten und Politikern glauben, sie könnten ihn diskreditieren, indem sie aufzeigen, dass viele seiner Geschäftsunternehmen vor dem Konkursgericht endeten. Sie irren sich gewaltig. Die Geschichte von Trumps Bankrotten und seiner anschließenden Auferstehung verschafft all jenen eine merkwürdige Hoffnung, die wissen, was es heißt, wenn man alles verliert. Wenn sich Trump wie Phönix aus der Asche seiner zahlreichen gescheiterten Unternehmen erhob, kann er das Geheimnis seines Erfolgs vielleicht mit anderen und sogar dem ganzen Land teilen. Vielleicht kann er sein geschäftliches Talent auf die Probleme Amerikas anwenden. Trump verspricht jenen Wunder, die sich mühsam dahinschleppen.

Ob Trump tatsächlich das Milliardenvermögen besitzt, mit dem er sich brüstet, ist umstritten. Doch unabhängig davon, wie hoch sein persönliches Vermögen ist, mutet es seltsam an, dass ein rechter Immobilienmogul die Unterstützung einer beträchtlichen Anzahl weißer, schlecht verdienender Arbeiter gewinnt. Man muss die Frage stellen, warum dieser beträchtliche Teil der Bevölkerung nicht nach links neigt.

Um diese Frage zu beantworten, muss man genauer untersuchen, was in den Vereinigten Staaten gemeinhin als „linke“ Politik gilt.

Die offizielle „linke“ Politik verkörpert die Demokratische Partei, die nicht weniger – und in einiger Hinsicht sogar mehr – als die Republikanische Partei ein politisches Werkzeug der Wall Street und eines beträchtlichen Teils der Militär- und Geheimdienst-Strategen ist. Die Obama-Administration, die aufgrund des Versprechens “Change you can believe in“ ins Weiße Haus einzog, setzte die Politik der Bush-Regierung fort und weitete sie aus. Ihre Wirtschaftspolitik wurde ausschließlich von der Rettung und Bereicherung der Wall Street diktiert. Ihr soziales Markenzeichen war eine Gesundheitsreform, die die Macht und die Profite der Versicherungsindustrie massiv erhöht hat. Sie hat den Mord als Mittel der amerikanischen Außenpolitik institutionalisiert und die Angriffe auf demokratische Rechte dramatisch ausgeweitet.

Was ist an der Demokratischen Partei überhaupt „links“? Ihr „linker“ Anstrich beschränkt sich auf die Unterstützung diverser Spielarten der Identitätspolitik, die auf die Hautfarbe, die ethnische Abstammung, das Gender und die sexuelle Orientierung fixiert sind und von einem breiten Spektrum politischer Organisationen und Gruppierungen unterstützt werden, die die Interessen wohlhabender Schichten der Mittelklasse vertreten. An einer grundlegenden Änderung der ökonomischen Struktur der Gesellschaft sind diese nicht interessiert. Sie beschränken sich auf eine angenehmere Verteilung der Vermögen unter den reichsten zehn Prozent der Bevölkerung.

Die wichtigsten Eigenschaften dieses politischen Milieus sind Selbstzufriedenheit, Selbstbezogenheit und, vor allem, Verachtung für die Arbeiterklasse. Die wohlhabenden „linken“ – oder besser: „pseudolinken“ – Organisationen geben sich kaum Mühe, ihre Verachtung für die weiße Arbeiterklasse zu unterdrücken, für die es im Rahmen ihrer Identitätspolitik keinen Platz gibt. Sie schreiben einen großen Teil der amerikanischen Arbeiter als „reaktionär“ ab und ignorieren ihre grundlegenden Klasseninteressen: Anständige und sichere Arbeitsplätze, ausreichende Einkommen, sichere Renten, bezahlbare Gesundheitsversorgung, unverletzliche demokratische Rechte und Frieden.

Auf diese hinterhältige Weise nimmt der Kampf gegen den Rassismus einen völlig demagogischen Charakter an. Wirkliche Sozialisten haben immer darauf bestanden, dass jede Spaltung zwischen Arbeitern – sei sie ethnisch, national oder nach Hautfarbe – nur überwunden werden kann, wenn sich die Arbeiter ihrer gemeinsamen Klasseninteressen und der wirtschaftlichen Ursachen ihrer Unterdrückung bewusst werden.

Das gilt ebenso für den Kampf gegen andere Formen der Diskriminierung, die auf dem Gender oder der sexuellen Orientierung beruhen. Sozialisten vertreten den Standpunkt, dass solche wichtigen demokratischen Fragen im Rahmen der politischen Mobilisierung der gesamten Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus gelöst werden müssen.

Die pseudolinken Organisationen reagieren derart feindlich auf dieser Perspektive, dass sie erklärt haben, die Losung „Black Lives Matter” [Schwarze Leben zählen] müsse der elementaren demokratischen Losung „All Lives Matter“ [Alle Leben zählen] entgegengestellt werden. Eine derartig reaktionäre Einstellung spielt Trump und seinesgleichen in die Hände.

Was den Wahlkampf von Hillary Clinton angeht, so ist es nur noch grotesk, wenn diese korrupte Veteranin zweier reaktionärer Regierungen (von Bill Clinton und Barack Obama) sich als Vorkämpferin der Unterdrückten präsentiert. Ihre Präsidentschaftskampagne ist ein Sinnbild für den betrügerischen Charakter der Identitätspolitik. Die Regierung ihres Gatten hob das Glass-Steagall-Gesetz auf und schuf damit die Voraussetzungen für die Korruption, die zum Finanzcrash von 2008 führte. In der ersten Amtsperiode strich Präsident Clinton Sozialprogramme zusammen, was verheerende Auswirkungen auf den Lebensstandard von Millionen afro-amerikanischen Arbeitern hatte. Der Crime Act, der mit Unterstützung der Regierung Clinton verabschiedet wurde, führte zu einem rasanten Anstieg der Zahl der Gefängnisinsassen.

Dennoch wird behauptet, dass ein Wahlsieg dieser Lady Macbeth der amerikanischen Politik – die auch für die Invasion Libyens verantwortlich ist, die den Tod von mehreren Hunderttausend Menschen zur Folge hatte – ein Triumph für die amerikanischen Frauen wäre. Das politische Leib-und-Magen-Blatt der „Linksliberalen“ in den Vereinigten Staaten, The Nation, druckte in ihrer letzten Ausgabe den Artikel einer reichen Feministin mit dem Titel: „Warum ich mit Freude und ohne Entschuldigungen Hillary Clinton unterstütze“. Die Autorin bemerkt nebenbei, dass ihre Tochter auf der Gehaltsliste von Clintons Wahlkampfteam steht.

Die Wahlkampagne von Senator Bernie Sanders, der sich grob als Sozialist bezeichnet, hat große Unterstützung erhalten. Sie hat gezeigt, dass breite Teile der Arbeiterklasse nach einer Alternative zum Kapitalismus Ausschau halten. Umfragen zufolge würde Sanders erheblich besser gegen Trump abschneiden als Clinton.

Indem er seinen Wahlkampf im Rahmen der Demokratischen Partei führt, lenkt Sanders die Opposition der Bevölkerung gegen den Kapitalismus jedoch in eine Sackgasse. Seine Kampagne nimmt mit jedem Tag einen konservativeren Charakter an. Seinen Sozialismus definiert er inzwischen nur noch als Unterstützung für Sozialhilfe. Den Konventionen der bürgerlichen Politik gehorchend, hat er jede Erwähnungen der Arbeiterklasse aus seinen Reden gestrichen. Sanders bezeichnet sich jetzt als „Kämpfer für die Mittelklasse“.

Auf diese Weise versucht Sanders das Entstehen einer unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus und für den Sozialismus zu verhindern.

Es dauert noch drei Monate bis zum Wahlparteitag der Republikaner und ein halbes Jahr bis zu den Wahlen im November. Die explosive Entwicklung der internationalen Politik, die extreme wirtschaftliche Instabilität und die zunehmenden sozialen Spannungen in den Vereinigten Staaten verleihen den Wahlen von 2016 ein hohes Maß an Ungewissheit. Das Phänomen Trump ist jedoch eine ernsthafte politische Warnung. Das politische System Amerikas ist völlig verrottet. Selbst wenn Trump morgen verschwindet, würde es nicht lange dauern, bis ein anderer faschistischer Demagoge auftaucht und seinen Platz einnimmt. Es gibt im Militär, der Polizei und den Geheimdiensten genügend unzufriedene Leute mit Kampferfahrung und Zugang zu kampfstarken Verbänden, die sich vorbereiten, in die Politik einzusteigen.

Der Aufbau einer revolutionären sozialistischen Bewegung der Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten ist eine dringende politische Aufgabe. Wir rufen die vielen Sympathisanten und Leser der World Socialist Web Site auf, die nötigen Schlussfolgerungen aus der politischen Lage zu ziehen, aktiv zu werden und sich dem Kampf anzuschließen, die Socialist Equality Party aufzubauen.

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