Die Bundestagsfraktion der Grünen fordert eine massive Aufstockung der Polizei und der Sicherheitsdienste. Unter dem Titel „Mehr Sicherheit durch Rechtsstaatlichkeit“ hat sie am 10. Mai einen elfseitigen Fraktionsbeschluss mit so genannten „Eckpunkten zur Inneren Sicherheit“ vorgelegt, in denen sie für eine allgegenwärtigen, schlagkräftige Bundespolizei und eine europaweit vernetzte Geheimdienstüberwachung eintritt.
Eine „personell, technisch und konzeptionell gut ausgestattete und gut ausgebildete Polizei“ müsse „das Herzstück deutscher Sicherheitspolitik und der Terrorismusbekämpfung“ sein, heißt es in dem Entwurf, den Konstantin von Notz, der Innenpolitische Sprecher der Grünen, im Bundestag vorlegte. „Wir setzen auf eine starke Polizei […] Dafür braucht es personelle Stärkung, modernste Ausstattung und gute Polizeiarbeit aus einer Hand.“
In ihrem Appell für eine moderne Polizeistruktur kritisieren die Grünen die Berliner Regierung von rechts: „Viel zu spät hat die Regierung Merkel erkannt, wie gefährlich es war, Stellen bei der Bundespolizei abzubauen“, heißt es. Die 3000 Stellen, die die Regierung jetzt bei der Bundespolizei neu schaffen wolle, reichten bei weitem nicht aus. „Die Koalition aus CDU/CSU und SPD setzt bei ihrer Sicherheitspolitik auf Rezepte aus dem letzten Jahrhundert“, so die Grünen. Notwendig sei es dagegen, „die Aufgaben von Polizei, Bundespolizei und Nachrichtendiensten neu [zu] bestimmen“.
Der Forderungskatalog der Grünen liest sich wie eine Blaupause für den Aufbau eines modernen Polizei- und Überwachungsstaats. Das Papier plädiert für „eine Neuorganisation der Polizei des Bundes bis 2025“. Es müsse „Schluss sein mit ineffizientem Nebeneinander von Bundespolizei, Zollpolizei und Bundeskriminalamt. Wir wollen die kriminalpolizeilichen Aufgaben des Bundes auf einheitlicher gesetzlicher Grundlage beim Bundeskriminalamt (BKA) konzentrieren.“
Unter anderem fordern die Grünen „eine Stärkung der Polizei in der Terrorismusbekämpfung“ und „die sofortige Stärkung der dezentralen Standorte der Bundespolizei“. Die zehn Bundespolizeidirektionen bräuchten „mit Blick auf die Einsatzbereitschaft im Umfeld von Großveranstaltungen in Ballungsräumen je 100 PolizistInnen zusätzlich“. Außerdem sei „die sofortige Entlastung der Polizeivollzugsbeamten von Verwaltungsaufgaben“ notwendig, „um eine einsatzfähige Polizei zu gewährleisten“.
Auch im Bereich der Geheimdienstarbeit und staatlichen Überwachung fordern die Grünen eine stärkere Rolle der Polizei. Sie schreiben: „Auch bei der Analyse der Bedrohungslagen und bei der Gefahrenabwehr geben wir Polizeiarbeit den Vorzug vor Geheimdiensttätigkeit.“ Gleichzeitig plädieren sie für eine effektivere Geheimdienstarbeit und erklären: „Für uns ist klar: Deutschland braucht Nachrichtendienste als rechtsstaatlich handelnde, kontrollierbare und effektive Institutionen – nicht dagegen altmodische Apparate.“
Das Papier schlägt unter anderem vor, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in seiner heutigen Form aufzulösen und durch eine neuartige Superüberwachungsbehörde zu ersetzen. „Ein neues unabhängiges Institut zum Schutz der Verfassung“ solle der „Gefahren- und Spionageabwehr“ dienen. Es müsse „europäisch und international vernetzt“ sein. Die bereits jetzt schon existierende totale Überwachung der Gesellschaft – im Grünen-Papier ist u.a. von der „milliardenfachen und praktisch unkontrollierten“ Überwachung der Internetkommunikation die Rede – würde damit sogar noch ausgeweitet. Im Papier heißt es provokativ: „Terrorabwehr ist Daueraufgabe.“
In Bezug auf den Einsatz von V-Leuten heißt es: „Neue Informationen und Verdachtsmomente sprechen dafür, dass V-Leute mit staatlicher Finanzierung die Entwicklung des rechten und islamistischen Terrorismus noch gefördert haben.“ Trotzdem soll der Einsatz von V-Leuten „als letztes Mittel“ zulässig sein, wenn er „gesetzlich geregelt und im Einzelfall nachgewiesen ist, dass er nützlich und unvermeidbar ist“. Außerdem müsse geklärt werden, „ob technische Mittel und der Einsatz verdeckter Ermittlungspersonen, also zuverlässiger Angehöriger der Sicherheitsbehörden, und die punktuelle Nutzung von Informanten und Gewährspersonen, Countermen, Doppelagenten etc. ausreichen.“
Das Papier macht sich explizit für eine noch engere Verschränkung von Polizei und Geheimdiensten stark. „Wo der Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern nötig ist, muss er – anders als bisher – auch wirklich funktionieren“, heißt es. Außerdem müsse „zukünftig sichergestellt werden, dass die Nachrichtendienste der Polizei relevante Informationen unverzüglich und vollständig zur Verfügung stellen und den Vorgang an die Polizei abgeben“.
Ähnlich wie bei ihrer Kriegswende vor nunmehr 18 Jahren rechtfertigen die Grünen die massive Aufrüstung des staatlichen Unterdrückungsapparats mit demokratischen Floskeln und zynischen Verweisen auf die historischen Verbrechen des deutschen Imperialismus. Notz erklärte: „Gerade in Zeiten, in denen der internationale Terrorismus und rechtspopulistische bis offen faschistische Strömungen unsere freie, demokratische Gesellschaft angreifen, müssen wir vor dem Hintergrund unserer historischen Verantwortung und unserer europäischen Identität unseren Rechtsstaat und unsere Freiheit entschlossen verteidigen.“
Wen wollen die Grünen für dumm verkaufen? Tatsächlich ist ihr gesamtes Papier eine Absage an rechtsstaatliche und freiheitliche Grundsätze und weckt dunkle Erinnerungen. Es tritt nicht nur das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten mit Füßen, das nach den schrecklichen Erfahrungen des Nazi-Faschismus im deutschen Grundgesetz verankert worden war, sondern legt die Grundlage für den Aufbau eines neuen autoritären Staats in Deutschland und ganz Europa.
Was steckt hinter der Verwandlung der „Öko-Aktivisten zu grünen Sheriffs“ (Die Welt)?
In seinem Werk „Staat und Revolution“ beschrieb Lenin die Staatsmacht als eine „Zwangsgewalt“, bestehend aus „besonderen Formationen bewaffneter Menschen, die Gefängnisse und anderes zu ihrer Verfügung haben“. Er fügte hinzu, dass sich die öffentliche Gewalt „in dem Maß [verstärkt], wie die Klassengegensätze innerhalb des Staats sich verschärfen“.
Der Ruf der Grünen nach Polizeiaufrüstung steht in diesem Zusammenhang. Unter Bedingungen einer wachsenden sozialen und politischen Opposition gegen soziale Ungleichheit und Krieg steht die Farbe der Partei, die einst als pazifistische, ökologische und basisdemokratische „Alternative“ angetreten war, nur noch für die Uniformen von Polizei und Bundeswehr. Seitdem der grüne Außenminister Joschka Fischer 1999 die Teilnahme am Kosovo-Krieg durchsetzte, haben die Grünen jede Aggression des deutschen Imperialismus unterstützt.
Heute weist die wohlhabende Klientel der Grünen das höchste durchschnittliche Mitgliedereinkommen aller Parteien auf. Seit Jahren unterstützen sie die Schuldenbremse und eine strikte Haushaltsdisziplin. Die explosive soziale Ungleichheit und die Beteiligung der Bundeswehr an immer neuen Kriegseinsätzen, von Afghanistan über Syrien und den Irak bis nach Nordafrika, stoßen in der Bevölkerung auf wachsenden Widerstand und setzen offene Klassenkämpfe auf die Tagesordnung. Das ist der wirkliche Grund für den Ruf der Grünen nach einem Polizeistaat.