Neue Hinweise auf staatliche Verstrickung im Anschlag von Berlin

In der Nacht auf Freitag wurde der flüchtige Anis Amri in Mailand von der Polizei erschossen. Es verdichten sich die Hinweise, dass der 24-jährige Tunesier den Lastwagen lenkte, der am Montag auf einem Berliner Weihnachtsmarkt zwölf Menschen tötete und 50 verletzte. Die Umstände der Tat bleiben aber nach wie vor unklar und legen den Verdacht nahe, dass Teile des Staatsapparats in den Anschlag involviert waren.

Die Polizei präsentiert Amri zur Zeit als den Täter. Neben Ausweis und Mobiltelefon wollen die Ermittler auch dessen Fingerabdrücke an der Fahrertür des LKW gefunden haben. Zudem veröffentlichte die Presseagentur des Islamischen Staats ein Video, in dem sich Amri zu der Terrororganisation bekennt und zu „Anschlägen gegen Ungläubige“ aufruft. Das Video wurde vermutlich schon vor einigen Wochen in Berlin-Moabit aufgenommen.

Die Darstellung der Ereignisse und der Ermittlungen durch Behörden und Medien ist derart widersprüchlich und unglaubwürdig, dass man nichts für bare Münze nehmen kann. Nach allem, was bisher bekannt ist, wussten die Sicherheitsdienste seit langem, dass Amri terroristische Anschläge plante. Er saß in Italien im Gefängnis, wurde in Deutschland verhaftet und monatelang überwacht. Obwohl alle gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorlagen, verzichteten die Sicherheits- und Justizbehörden aber bewusst darauf, ihn einzusperren.

Angesichts der Art und Weise, wie das Ereignis genutzt wird, um die Merkel-Regierung zu destabilisieren und die Politik in Deutschland weiter nach rechts zu verschieben, sollte man eine Beteiligung von Teilen des Staatsapparats nicht ausschließen – auch wenn der Anschlag nicht direkt von diesen gelenkt wurde, so wurden doch die Bedingungen geschaffen, unter denen Amri handeln konnte.

Das Blut der Opfer war kaum getrocknet, da erklärte CSU-Chef Horst Seehofer, dass man nun die „Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik überdenken und neu justieren“ müsse, über die er seit langem mit der Kanzlerin im Streit liegt.

Figuren der äußeren Rechten reagierten noch aggressiver. Der führende AfD-Politiker Marcus Pretzell twitterte: „Es sind Merkels Tote!“ Und der rechte Humboldt-Professor Jörg Baberowski forderte nur wenige Stunden nach dem Anschlag den Rücktritt des Bundesinnenministers und Merkel-Vertrauten Thomas de Maiziére.

Am Mittwoch verlangte dann der ehemalige Vize-Chef des Bundesnachrichtendienstes, Rudolf Adam, in er Zeitschrift Cicero den Rücktritt Merkels: „In einer Situation, wo jeder Bürger nach Orientierung, Selbstvergewisserung, Klarheit und Zuversicht schreit, räumt die Regierungschefin ein, dass sie keine Antwort hat. Ist sie dann die richtige Person für ein solches Amt?“, schrieb der Ex-Geheimdienstler.

Schon im Oktober letzten Jahres war in der Welt am Sonntag ein Artikel unter der Überschrift „Sicherheitsbeamte warten sehnsüchtig auf Merkels ‚Go‘“ erschienen. Er berichtete über „massiven Widerstand“ gegen Merkels Flüchtlingspolitik in Geheimdienstkreisen und Sicherheitsbehörden.

In dem Artikel wird unter anderem ein Papier zitiert, das in Geheimdienstkreisen zirkulierte und dazu aufrief, Flüchtlinge an den Grenzen zu stoppen, auch wenn die Regierung das Gegenteil anordne. „Entgegenstehende Weisungen sind rechtswidrig und führen zur Strafbarkeit“, heißt es darin.

Solche Äußerungen und Papiere unterstreichen, dass Teile des Staatsapparats ihre eigene politische Agenda verfolgen. Die bisherigen Erkenntnisse über den Tathergang und den Verdächtigen zeigen, dass der Anschlag ohne Unterstützung von Teilen des Staatsapparats kaum möglich gewesen wäre.

Heribert Prantl machte am Freitag in der Süddeutschen Zeitung darauf aufmerksam, dass Ausländerbehörden, Strafverfolger und Justiz Amri, der sich unter den Augen der Geheimdienste und der Polizei um Waffen bemüht und gegen Gesetze verstoßen hatte, problemlos hätten aus dem Verkehr ziehen können.

Sie hätten ihm „zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit“ strikteste Melde- und Aufenthaltsauflagen auferlegen und ihn bei Verstoß dagegen „in U-Haft nehmen und während der U-Haft die Papiere für die Abschiebung besorgen können“. Doch sie taten dies nicht. Das legt laut Prantl den Schluss nahe, dass die Behörden bewusst handelten. „Haben die Behörden das Risiko Amri in Kauf genommen, weil man sich von seiner Überwachung Erkenntnisse erhoffte? Und hat die überwachende Behörde anderen Behörden nichts gesagt, weil man die Erkenntnisse für sich haben wollte?“ fragt er.

Tatsächlich hatte Amri enge Verbindungen zu den Geheimdiensten. Bevor er nach Deutschland kam, saß er unter anderem wegen Brandstiftung vier Jahre lang in Sizilien im Gefängnis und war als Islamist bekannt. Die Gefängnispolizei hatte dem Antiterror-Zentrum einen umfangreichen Bericht über Amris „Radikalisierung und Bereitschaft zum islamistischen Terror“ geschickt.

Mitte 2015 konnte er dann aber trotzdem einer Abschiebung entgehen und reiste nach Deutschland weiter. Laut Süddeutscher Zeitung gelang dies nur deshalb, weil die italienischen Behörden seine Daten nicht fristgerecht in das europäische Informationssystem eingespeist hatten. Die italienischen Behörden bestreiten dies und bestehen darauf, dass sie die Informationen rechtzeitig übermittelt hatten.

In Deutschland schloss sich Amir umgehend einer islamistischen Gruppe um den Prediger Abu Walaa an. Laut Süddeutscher Zeitung hatte der Staatsschutz einen Spitzel in dieser Gruppe installiert und war bestens über ihre Aktivitäten informiert. Demzufolge wussten die Behörden, dass sich die Mitglieder darauf vorbereiteten, als Krieger den Islamischen Staat im Irak und in Syrien zu unterstützen oder in Deutschland Terroranschläge zu verüben.

Der Mitarbeiter des Staatsschutzes berichtete auch, dass Amri Teil dieser Gruppe sei und an Wanderungen mit schwerem Gepäck teilgenommen habe, die dem militärischem Training dienten. Er soll sich mit dem Anführer Abdul Rahman besonders gut verstanden und bei ihm gewohnt haben. Immer wieder soll Amri davon gesprochen haben, Anschläge zu verüben.

Kurz nachdem der Mitarbeiter des Staatsschutzes dies berichtet hatte, wurde Amri am 30. Juli dieses Jahres von zwei Polizisten in Friedrichshafen am Bodensee kontrolliert. Die Polizisten nahmen ihn fest, weil er nach Ablehnung seines Asylantrags bereits ausreisepflichtig war und sich unerlaubt außerhalb Nordrhein-Westfalens aufhielt. Er wurde in Ravensburg inhaftiert, am nächsten morgen aber wieder freigelassen, weil man ihn mangels Papieren nicht habe abschieben können.

Zu diesem Zeitpunkt war dem Staatsschutz auch aus der Überwachung von Telefonaten und Chats bekannt, dass Amri etwas Gefährliches plante. Bereits im März dieses Jahres befand sich laut Bayrischem Rundfunk in der Gefährderdatei für Terroristen ein Eintrag, dass Amri in ganz Deutschland bei anderen Personen darum werbe, „gemeinsam mit ihm islamistisch motivierte Anschläge zu begehen“. Er plane, sich „großkalibrige Schnellfeuergewehre über Kontaktpersonen in der französischen Islamistenszene zu beschaffen“, und es sei damit zu rechnen, dass er seine Anschlagsplanungen „ausdauernd und langfristig“ verfolgen werde.

Trotzdem schob der Bundesanwalt, der die Ermittlungen gegen die Gruppe um Abu Walaa im März 2016 übernommen hatte, den Fall Amri im Frühjahr an die Landesbehörde in Berlin ab. Die Berliner überwachten Amri rund um die Uhr, weil er verdächtigt wurde, Überfälle zu begehen, um Geld für Waffen zu beschaffen.

Doch im September dieses Jahres wurde die Überwachung unter nebulösen Umständen abgebrochen. Obwohl sein Kontakt zur Abu-Walaa-Gruppe vom Staatsschutz dokumentiert war und marokkanische Sicherheitsbehörden der dpa zufolge ihre deutschen Kollegen im September und Oktober vor Anschlagsplänen Amris warnten, fielen den Berlinern angeblich keine islamistischen Aktivitäten auf.

Man kann die Häufung solcher unerklärlicher Vorgänge nur damit erklären, dass Amri Unterstützung von zumindest einem Teil des Staatsapparats hatte. Dies legen auch die Ereignisse in der Folge des Anschlags nahe. Unmittelbar nach der Tat verhaftete die Polizei einen unschuldigen Flüchtling aus Pakistan aufgrund einer einzigen dubiosen Zeugenaussage und präsentierte ihn als dringend tatverdächtig, obwohl er weder Blut- noch Schmauchspuren aufwies.

Viele Stunden nach der Tat sickerten dann Medienberichte durch, dass der Ausweis von Amri in dem Tat-LKW gefunden worden sei. Erst dann gaben die Ermittler zu, dass der Flüchtling unschuldig sei und sie nun nach Amri fahndeten. Am Freitag wurde dann bekannt gegeben, bei einer erneuten Inspektion des LKW sei auch noch das Mobiltelefon Amris gefunden worden.

Die offizielle Version für den späten Fund des Ausweises ist bizarr: Angeblich hätten zunächst andere Untersuchungen durchgeführt werden müssen, bevor sich jemand in der Fahrerkabine umsehen konnte, in der sich neben dem Personalausweis auch die Leiche des Fahrers befand.

Weiter unterhöhlt wird diese Geschichte durch den Tweet eines der bekanntesten Rechtsextremisten Deutschlands, des Pegida-Gründers Lutz Bachmann. Dieser hatte nur zwei Stunden nach dem Anschlag auf Twitter geschrieben: „Interne Info aus Berliner Polizeiführung: Täter tunesischer Moslem.“

Wenn er nicht reinem Zufall entsprang, dann belegt dieser Tweet, dass die Ermittler schon früher wussten, wer eigentlich für die Tat verantwortlich war, und dass ausgerechnet ein Rechtsextremist frühzeitig darüber informiert wurde.

Die engen Verbindungen der Geheimdienste und der rechtsextremen Szene in Deutschland sind gut dokumentiert. So gibt es zahlreiche Hinweise, dass in den Anschlag auf das Oktoberfest von 1980 sowohl rechtsextreme Gruppen als auch staatliche Behörden involviert waren. In den 90er und 2000er Jahren verübte die rechtsextreme Terrorgruppe NSU mindestens zehn Morde unter den Augen der Behörden. In beiden Fällen wurden erhebliche Ressourcen und kriminelle Energien aufgewendet, um die Verbindungen zu vertuschen.

Die zumindest indirekte Unterstützung islamistischer Milizen in Libyen und Syrien durch die Bundesregierung hat auch die Verbindungen der deutschen Geheimdienste zu diesen Kräften gestärkt, die oftmals ungehindert von Europa in den Nahen Osten, nach Nordafrika und zurück reisen konnten.

Staatliche Provokationen zu politischen Zwecken haben in Deutschland eine lange Tradition. 1933 organisierten die Nazis den Reichstagsbrand und erklärten eine halbblinden holländischen Kommunisten zum Alleintäter, um die Kommunistische Partei zu zerschlagen und das Ermächtigungsgesetz zu erlassen, das Hitlers Diktatur sanktionierte.

Auch beim Rücktritt von Bundeskanzler Willy Brandt im Jahr 1974 hatten die Geheimdienste die Finger im Spiel. Obwohl sie bereits wussten, dass sein persönlicher Referent Günter Guillaume ein Spitzel des DDR-Geheimdiensts war, ließen sie den ahnungslosen Brandt mit Guillaume in den Urlaub reisen, um ihn so völlig zu diskreditieren.

Nun wird der Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt, bei dem die Sicherheitsbehörden eine ebenso unerklärliche wie undurchsichtige Rolle spielen, benutzt, um die gesamte offizielle Politik nach rechts zu rücken. So wird versucht, eine rechte, reaktionäre Regierung an die Macht zu bringen, die unter normalen Umständen niemals eine Mehrheit finden würde.

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