Die Zeit, Baberowski und der Historikerstreit

Die Wochenzeitung Die Zeit hat in ihrer jüngsten Ausgabe einen ganzseitigen Artikel über die Auseinandersetzung mit dem Humboldt-Professor Jörg Baberowski veröffentlicht, der nach dem Urteil eines Kölner Gerichts als Rechtsradikaler bezeichnet werden darf.

Während konservative Blätter wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung und Die Welt auf das Urteil mit wüsten Hetzkampagnen gegen Baberowskis Kritiker reagierten, ohne diese jemals zu kontaktieren, sprach die Autorin des Zeit-Artikels, Mariam Lau, nicht nur mit Baberowski, sondern auch mit zwei Vertretern der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE), darunter mit mir selbst.

Dennoch – oder gerade deshalb – macht ihr Artikel deutlich, welcher politische Rechtsruck in den Medien und im akademischen Milieu stattgefunden hat. Politische und historische Auffassungen, die vor drei Jahrzehnten noch auf empörte Ablehnung stießen, werden heute akzeptiert und verteidigt.

Am 11. Juli 1986 hatte Die Zeit die Antwort von Jürgen Habermas auf Ernst Nolte veröffentlicht, der in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung den Nationalsozialismus verharmlost hatte, und damit den Historikerstreit eröffnet. Habermas warf Nolte vor, bei ihm erscheine „die Judenvernichtung nur als das bedauerliche Ergebnis einer immerhin verständlichen Reaktion auf das, was Hitler als Vernichtungsdrohung empfinden müßte“. Die Nazi-Verbrechen verlören „ihre Singularität dadurch, daß sie als Antwort auf bolschewistische Vernichtungsdrohungen mindestens verständlich gemacht werden“.

Der Historikerstreit, an dem sich auch zahlreiche andere Historiker beteiligten, endete mit der vollständigen Niederlage Noltes. Sein akademischer Ruf war zerstört, und er bewegte sich fortan fast nur noch in rechtsextremen Kreisen.

Drei Jahrzehnte später vertritt Jörg Baberowski Standpunkte, die weit über den damaligen Nolte hinausgehen – und stößt in der Zeit auf Verständnis und Unterstützung.

Lau schreibt, dass in Baberowskis Geschichtsbild „Antisemitismus, Rassenhass, überhaupt historische Konstellationen in der Bedeutungslosigkeit“ versinken. Sie folgert daraus: „Wenn es überall und jederzeit geschehen kann, trifft die Deutschen keine besondere Schuld. Dann ist der Mord an den europäischen Juden eben nichts Singuläres.“

Doch obwohl die Parallele zu Noltes Auffassungen im Historikerstreit offensichtlich ist, nimmt sie daran keinen Anstoß. Dabei ist sie sich über die historische Dimension der Verteidigung Noltes durch Baberowski durchaus bewusst. Sie weiß auch, dass sich die Verharmlosung der Nazi-Verbrechen wie ein roter Faden durch Baberowskis Werk zieht.

In den anderthalb Stunden, in denen ich mit Frau Lau über diese Fragen sprach, hatte ich Gelegenheit, ihr einige Positionen Baberowskis darzulegen. Auch gab ich ihr ein Exemplar des Buchs „Wissenschaft oder Kriegspropaganda“, in dem diese Fragen ausführlich behandelt werden.

Schon bei diesem Treffen, das in einem von Studenten bevölkerten Café in der Nähe der Humboldt-Universität stattfand, war ich über die Sorglosigkeit erschrocken, mit der Frau Lau auf die Themen reagierte. Es war sehr schnell klar, dass sie bereits mit einer festen Position in das Interview gegangen war und kein Interesse daran hatte, ein ernsthaftes Gespräch über die politischen und historischen Streitpunkte zu führen.

Ich zeigte ihr den Artikel „Der Wandel der Vergangenheit“, der im Februar 2014 im Spiegel erschienen war. Darin wird Baberowski als Kronzeuge für die Revision der Geschichte des Nationalsozialismus angeführt und mit den Worten zitiert: „Nolte wurde Unrecht getan. Er hatte historisch recht.“ Um seine These zu untermauern erklärte er: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.“

Während jeder Mensch bei Verstand angesichts dieser monströsen Geschichtsfälschung mindestens Schlucken muss, zeigte sich Frau Lau vollständig unbeeindruckt und versuchte sogar, Baberowski zu rechtfertigen. Auch als ich sie darauf aufmerksam machte, dass Baberowski schreibt, der Krieg gegen die Zivilbevölkerung an der Ostfront sei der Wehrmacht von der Roten Armee aufgezwungen worden, reagierte Frau Lau gleichgültig.

Stattdessen versuchte sie immer wieder, das Gespräch auf private Anekdoten zu lenken und die grundlegenden politischen Auseinandersetzungen an der HU in persönliche Scharmützel umzudeuten. Vor anderthalb Jahren rechtfertigte Lau in der Zeit ihre eigenen „reaktionären“ Positionen, ihr Starkmachen für die Abschiebung von Flüchtlingen und ihre „rückhaltlose Unterstützung des Irakkriegs 2003“ mit dem Verhältnis zu ihrem Vater Bahman Nirumand, der in der Studentenbewegung eine wichtige Rolle gespielt hatte. Nun versucht sie, die ungeheuren Positionen Baberowskis mithilfe eines familiären Weichzeichners hoffähig zu machen.

In dem Artikel geht sie auf keines der Zitate ein, die ich ihr gegeben hatte, weil sie nicht in dieses Narrativ passen. Überhaupt zitiert sie in dem mehr als 2000 Worte umfassenden Artikel gerade 14 Worte aus unserem anderthalbstündigen Gespräch.

Stattdessen stellt sie Baberowskis Gewalt- und Geschichtstheorie als Ergebnis des Bemühens dar, „die NS-Vergangenheit der eigenen Familie“ zu verstehen. In dessen Verlauf habe er sich mit dem Vater überworfen und sich einer maoistischen Sekte angeschlossen, um sich schließlich wieder mit dem Vater zu versöhnen.

Baberowskis Auseinandersetzung mit dem Vater, der im Krieg als SA-Mitglied amerikanische Soldaten brutal umgebracht hatte, schreibt Lau, sei „ein Schlüssel für die zentrale Frage, die im Grunde all seine Arbeiten durchzieht: Wie wird jemand, der kein böser Mensch ist, zum Gewalttäter? Was geschieht mit Menschen, wenn sie den ‚Raum der Gewalt‘ betreten?“

Baberowskis reaktionäre Gewalttheorie wird so allen Ernstes als Versuch verklärt, „den Vater zu verstehen“ und „in Schutz zu nehmen“, die Relativierung des Holocaust wird zu einer Art Kollateralschaden der Baberowski‘schen Familienaufstellung umgedeutet. Dabei geht es wohlgemerkt nicht darum, dass der Vater durch seine Taten im Krieg schwer traumatisiert gewesen wäre. Der SA-Mann wird ganz im Gegenteil als „ein fröhlicher Rheinländer“ beschrieben, der sich vornehmlich als Opfer dargestellt und seine brutalen Taten als „Tontaubenschießen“ verharmlost habe.

Lau stellt selbst den Zusammenhang zwischen Baberowskis Verharmlosung der Nazi-Verbrechen und seiner Gewalttheorie her, die sie mit den Worten zusammenfasst: „Nicht die Ideologie ermögliche Exzesse der Gewalt, überhaupt könne man sie letztlich nicht erklären. Sie sei einfach immer latent als Möglichkeit da, heute so wie vor siebzig oder zweihundert Jahren.“ „Der Mensch wird nicht, was er ist, er ist schon immer komplett gewesen“, zitiert sie Baberowski.

Diese religiös-abstruse Vorstellung schließt jede gesellschaftliche und historische Entwicklungsmöglichkeit des Menschen aus. Vorgebracht von einem Professor für Geschichte scheint sie eine Absage des eigenen Untersuchungsgegenstands zu sein. In Wirklichkeit handelt es sich bei diesem Irrationalismus um ein Kernelement reaktionärer Theorie. Gewalt und Kriege werden durch die angeblich unveränderliche Gewalttätigkeit des Menschen gerechtfertigt, der moralische Unterschied zwischen Mörder und Opfer wird verwischt.

Der Zusammenhang eines solch dumm-reaktionären Weltbildes mit der Relativierung der Nazi-Verbrechen wurde schon in den 80er Jahren im Historikerstreit thematisiert. Der Historiker Hans Mommsen, ein Gegner Noltes, schrieb 1986 in den Blättern für deutsche und internationale Politik, die Revisionisten bezögen sich auf eine „conditio humana“, eine gewalttätige menschliche Grundbedingung, „um denjenigen, die aus der nationalsozialistischen Erfahrung die Verpflichtung ziehen, die gesellschaftlichen Grundlagen, die zur Ermöglichung des ‚Holocaust‘ beitrugen, zu verändern, als realitätsferne ‚Optimisten‘ zu klassifizieren, während realistische Denker sich mit der Einsicht begnügen, ‚daß der Genozid, den er (Hitler) ins Werk setzte, nicht der erste war und auch nicht der letzte‘, als ob nach der Erfahrung des nachgerade unbegreiflichen Grauens zur weltgeschichtlichen Tagesordnung übergegangen werden könne.“

Dass die von Mommsen zurückgewiesenen Positionen heute wieder munter publiziert werden, ohne ihren zutiefst reaktionären Charakter auch nur zu diskutieren, ist allein schon Ausdruck des intellektuellen Niedergangs, der mit der Wiedervereinigung Deutschlands Fahrt aufgenommen hat. Laus Sorglosigkeit ist typisch für ein Milieu, dessen politischer Horizont bei den eigenen unmittelbaren Interessen endet. Die Beschäftigung mit den unvorstellbaren Verbrechen des deutschen Imperialismus ist ihnen offenbar zum lästigen Hindernis geworden.

Deshalb geht Lau nur mit wenigen Worten auf die Kritik der IYSSE ein und versucht sie mit unredlichen Mitteln zu diskreditieren. So bezeichnet sie die IYSSE als eine „winzige“ und „obskure“ Gruppe und stellt ihre Arbeit auf eine Stufe mit Baberowskis jugendlichen Aktivitäten im KBW. Dabei könnte der Gegensatz nicht größer sein.

Baberowski hatte sich der maoistischen Gruppe ein Vierteljahrhundert nach Chrustschows Geheimrede angeschlossen, die auch die letzten Zweifel an den Verbrechen Stalins zerstört hatte. Er verherrlichte dort nicht nur Stalin und Mao, sondern sammelte nach eigenem Bekunden auch Geld für den kambodschanischen Schlächter Pol Pot.

Die IYSSE stehen dagegen in der Tradition der trotzkistischen Bewegung, deren Mitglieder im Kampf gegen den Stalinismus ihr Leben riskierten. In Deutschland hatte vor 1933 niemand so nachdrücklich vor der Gefahr des Nationalsozialismus gewarnt, wie Trotzki, der auch die Politik der stalinistischen KPD unermüdlich kritisierte, weil sie eine Einheitsfront mit der SPD gegen die Nazis ablehnte und durch die Spaltung der Arbeiterklasse Hitlers Sieg ermöglichte.

Doch die Auseinandersetzung mit diesen ernsthaften historischen Fragen, die Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen und selbst grundlegende intellektuelle Redlichkeit stehen den heutigen Schreiberlingen im Weg.

Der Umstand, dass Die Zeit heute geschichtsrevisionistische Auffassungen unterstützt, die sie im Historikerstreit noch vehement zurückgewiesen hatte, steht in direktem Zusammenhang mit der Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Großmachtpolitik und zum Militarismus. Um den tief verwurzelten Widerstand dagegen zu überwinden, müssen die historischen Verbrechen des deutschen Imperialismus verharmlost werden.

Die Zeit, die der SPD nahesteht (der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt zählte von 1983 bis zu seinem Tod 2015 zu ihren Herausgebern), hat bei dieser Wiederbelebung des Militarismus von Anfang eine führende Rolle gespielt.

Ihr Redakteur Jochen Bittner war 2013 an der Ausarbeitung des Strategiepapiers „Neue Macht – neue Verantwortung“ beteiligt, einer Art Blaupause für eine aggressivere deutsche Außenpolitik. 2013 klagte Bittner in der New York Times über die mangelnde Kriegsbegeisterung der Deutschen. Eine „bequeme und selbstgerechte außenpolitische Haltung, die die Deutschen 70 Jahre lang kultiviert haben“, und ein „zu tief verankerter Pazifismus“ hätten dazu geführt, dass nichts „Europas unübertroffene Supermacht, größte Volkswirtschaft und mächtigste politische Kraft“ dazu bringen könne, „eine militärische Intervention in Erwägung zu ziehen“, kritisierte er.

Auch Zeit-Mitherausgeber Josef Joffe, der wie Bittner zahlreichen transatlantischen Thinktanks angehört, zählt in der Kriegsfrage zu den Falken. Er hatte 2003 den Irakkrieg unterstützt und bereits 2013 für einen massiven Kriegseinsatz in Syrien geworben. „Wer die Assad-Diktatur fällen oder doch lähmen will“, schrieb er damals in der Zeit, „zerschlage Stromversorgung, Kommunikationsanlagen, Fabriken und Brücken à la Serbien; noch besser: Raffinerien, Benzinlager, Flugplätze und Häfen. Und nimmt, Präzisionswaffen hin oder her, Abertausende von Ziviltoten in Kauf.“

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