1. Mai 2017

Die britischen Wahlen und die Klassenfragen

Wir veröffentlichen an dieser Stelle die Rede von Chris Marsden, nationaler Sekretär der Socialist Equality Party (Großbritannien), auf der weltweiten Online-Maikundgebung der WSWS am 30. April.

Mit jeder Parlamentswahl bricht eine Flut von Lügen über uns herein. Das ist unvermeidlich, denn die Parteien, die für die herrschende Klasse sprechen, müssen sich als Hüter der nationalen Interessen und sogar als Freunde der Arbeiter darstellen.

Das gilt auch für den Wahlkampf für die vorgezogenen Unterhauswahlen, die Premierministerin Theresa May für den 8. Juni anberaumt hat.

Sie behauptet, Großbritannien sei zwar seit dem Brexit-Votum „zusammengewachsen“ und habe „ein Wirtschaftswachstum, das alle Erwartungen übertrifft“, brauche aber dennoch eine „starke Führung“.

Die Rede von Chris Marsden zum 1. Mai

May erklärt, sie wolle bei den Verhandlungen über die Austrittsbedingungen Großbritanniens aus der Europäischen Union eine große Mehrheit im Rücken haben, die sie durch die Vertreibung der „Saboteure“ aus dem Parlament herstellen will. Die Ereignisse haben jedoch die Warnung der Socialist Equality Party bestätigt, dass May in Wirklichkeit eine gewählte Diktatur anstrebt, um Austerität, Militarismus und Krieg in größerem Maßstab voranzutreiben als je zuvor.

Der Brexit ist das Ergebnis von wachsenden Gegensätzen zwischen den großen europäischen Mächten. Sie führten zu lautstarken Forderungen von Seiten der Tories, die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens zu beenden, auf dass die Spekulanten der Londoner Börse ihre Beziehungen zu den Vereinigten Staaten besser ausnutzen und in die dynamischeren Märkte Chinas und Indiens eindringen könnten.

May macht keineswegs einen starken Eindruck. Sie hat im Gegenteil bewiesen, wie tief sich die Fäulnis schon ins Innerste des britischen Kapitalismus fortgefressen hat.

Unter der Parole, „wieder die Kontrolle zu übernehmen“, hat sie die Abhängigkeit ihrer Regierung von einem Bündnis mit der Trump-Regierung verstärkt. Auch Trump verdankt seinen Wahlsieg einem Bekenntnis zur brutalen Durchsetzung nationaler Interessen.

Trump belohnte May mit einer Ohrfeige, die ihr klar gemacht haben dürfte, dass für ihn ein Handelsabkommen mit der EU wichtiger ist als mit Großbritannien.

Gleichzeitig hat sich Kanzlerin Angela Merkel mit der Forderung an die Spitze der EU-Staaten gestellt, dass Großbritannien genauso behandelt werden müsse wie jedes andere Drittland und dass gegenteilige „Illusionen“ Zeitverschwendung seien.

Das konnte jeder vorhersehen, der sich nicht von der Propaganda blenden ließ, die in Großbritannien als objektive Berichterstattung durchgeht. Viele hat allerdings überrascht, in welchem Ausmaß der 8. Juni zu einer faktischen „Wahl unter Kriegsbedingungen“ gemacht wurde.

Der Führer der Labour Party, Jeremy Corbyn, wird nicht mehr nur als Saboteur des Brexit angeprangert, sondern als Gefahr für die nationale Sicherheit!

In den letzten zwei Wochen hat Verteidigungsminister Michael Fallon ihn einen Strohmann von Präsident Wladimir Putin genannt, weil er sich gegen die Konzentration von Nato-Truppen an der russischen Grenze ausgesprochen hat.

Diese Woche machte Fallon die beispiellose Ankündigung, Großbritannien werde Atomwaffen auch „in einem Erstschlag“ einsetzen. Zuvor hatte Corbyn sich geweigert, sich öffentlich auf die Erneuerung des atomaren U-Boot-Programms Trident zu verpflichten und zu versprechen, gegebenenfalls einen atomaren Angriff zu befehlen.

Außenminister Boris Johnson hatte erklärt, Großbritannien werde zu einem Krieg in Syrien „Ja“ sagen, falls die USA darum ersuchten. Das gelte auch für den Einsatz von „ballistischen U-Boot-Raketen aus den Mittelmeer“.

Er fügte hinzu, es werde darüber wahrscheinlich keine Abstimmung im Parlament geben. Einen Krieg zu beginnen sei „die Entscheidung des Premierministers“.

Wie ernst die Bedrohung ist, die sich hier entwickelt, zeigt der Stapellauf des neuen riesigen, 1,27 Milliarden Euro teuren 7400-Tonnen-Atom-U-Boots der Royal Navy, der HMS Audacious. Es ist das dritte von sieben solchen U-Booten, die im Rahmen des 170-Milliarden-Euro -Erneuerungsprogramms von Trident Atomraketen und Marschflugkörpern in Auftrag gegeben wurden.

Russlands Reaktion darauf war erschreckend. Der Militärexperte Konstantin Siwkow erklärte auf Fallons Drohung mit einem „Erstschlag“ hin: „Wenn das zutrifft, dann steht die Welt am Rande eines Atomkriegs.“

Franz Klinzewitsch, stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Föderationsrates von Russland, erklärte: „Großbritannien, das ja kein großes Gebiet umfasst, wird mit einem einzigen Gegenschlag buchstäblich von der Erdoberfläche getilgt werden.“

Russland besitzt 33 Mal so viele nukleare Sprengköpfe wie Großbritannien, nämlich 7000, davon 4500 abschussbereit oder als Lagerbestände. Die stärkste Rakete, die Trägerrakete Satan 2, kann 16 nukleare Sprengköpfe mit einer Sprengkraft von 40 Megatonnen transportieren. Sie ist in der Lage, eine Fläche von der Größe Großbritanniens mit einem Schlag dem Erdboden gleichzumachen und dabei 65 Millionen Menschen zu töten.

Die USA ihrerseits besitzen 6800 Sprengköpfe, 4000 davon einsatzbereit oder auf Lager.

Damit soll gewährleistet werden, was man früher als „Gleichgewicht des Schreckens“ bezeichnete, bevor eine geistesgestörte herrschende Elite begann, an einen gewinnbaren Atomkrieg zu denken.

Mit Handelskrieg und Krieg geht der Angriff auf Löhne, Arbeitsbedingungen und die Abschaffung wichtiger Sozialleistungen einher, um die Arbeiter für diesen Wahnsinn bezahlen zu lassen.

Das Schlaraffenland, das May für die Zeit nach dem Brexit verspricht, ist für Millionen ein sozialer Alptraum, in dem das reichste Prozent, d. h. 634.000 Menschen, 20 Mal so viel besitzt wie die ärmsten 20 Prozent, d. h. 13 Millionen Menschen.

Seit 2007 sind die Reallöhne um 11 Prozent gesunken. Das ist ein historischer Rückgang, der bedeutet, dass jetzt ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt. Weitere Millionen Menschen halten sich mit Schuldenmachen über Wasser. Ein Durchschnittshaushalt ist heute mit ca.15.000 Euro verschuldet, Hypotheken nicht mitgerechnet. Die Gesamtverschuldung liegt bei der Rekordsumme von 412 Milliarden Euro.

Unter diesen Umständen könnten die Pläne von May, sich eine Mehrheit von 200 Sitzen zu sichern, noch gründlich schiefgehen, besonders, weil zum ersten Mal seit Jahrzehnten Streiks um sich greifen.

Die SEP sympathisiert mit den Arbeitern und Jugendlichen, die sich ein Ende der Tory-Herrschaft und die Wahl einer von Corbyn geführten Regierung wünschen. Dennoch sind wir verpflichtet, an diesem gefährlichen Wendepunkt in der Geschichte die Wahrheit zu sagen.

Corbyn hat an Unterstützung gewonnen, weil er, zumindest in Worten, gegen Sparpolitik und Militarismus auftritt. Aber durch sein Handeln hat er immer wieder bewiesen, dass man den Charakter der Labour Party nicht ändert, indem man jemanden zu ihrem Vorsitzenden macht, der vage linke, progressive Ideen vertritt.

Corbyn tritt gegen Sparmaßnahmen auf, aber die Stadträte der Labour Party setzen sie durch. Er tritt gegen Trident auf, aber Labour unterstützt Trident. Er weigert sich zu erklären, dass er Atomwaffen einsetzen wird, während seine Schatten-Verteidigungsministerin Nia Griffiths gleichzeitig betont, Labour sei „bereit, sie einzusetzen“.

Griffiths betonte in demselben Interview: „Dies ist keine Präsidentschaftswahl, es geht darum, wer die Regierung führt.“ Damit hat sie recht.

Aufgrund ihrer gesamten Geschichte und ihres Programms ist Labour eine Partei von Sozialabbau und Krieg, genauso wie die Tories.

Selbst wenn Corbyn am 8. Juni gewinnen sollte, zeigt die bisherige Politik, dass er entweder vor den Forderungen des Parteiapparats kapitulieren oder abgesetzt würde.

Wenn May wiedergewählt wird, stehen die Arbeiter vor der größten Schlacht ihres Lebens. Sie müssen nicht nur der Regierung die Stirn bieten, sondern auch der Labour Party und den Gewerkschaften, die alles tun werden, um jeglichen Widerstand zu sabotieren. Und Corbyn, dessen Loyalität der Gewerkschaftsbürokratie gehört, wird niemals einen solchen Kampf führen.

Unsere Zeit verlangt entschlossenes politisches Handeln, nicht Halbheiten und Ausflüchte.

Die Arbeiter sind bereits einem nicht erklärten Klassenkrieg ausgesetzt. Außerdem droht ihnen ein realer Krieg gegen Syrien, Nordkorea, sogar gegen Russland und China. Und da sollen sie sich zum Schutz auf das moralische Gewissen eines einzigen Mannes verlassen?

So kann es nicht weitergehen. Die Arbeiter und Jugendlichen brauchen ihre eigene, wirklich sozialistische und internationalistische Partei, die Socialist Equality Party, und sie müssen sie sich aufbauen. Das ist meine Botschaft an Euch an diesem Maifeiertag.

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