Perspektive

Palastputsch in der Österreichischen Volkspartei

Das Präsidium der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) hat am Sonntag den 30-jährigen Sebastian Kurz zum neuen Parteichef gewählt und ihn mit diktatorischen Vollmachten ausgestattet. Kurz hat freie Hand bei der Auswahl des Führungspersonals, der Festlegung des Parteiprogramms, der Aufstellung von Wahllisten, bei Koalitionsverhandlungen und bei der Auswahl von Ministern. Kommentare sprechen von einer „Ein-Mann-Partei“.

Der neue Parteichef wird mit einer eigenen, nach ihm benannten Wahlliste („Liste Kurz/Die neue Volkspartei“) in die nächste Nationalratswahl ziehen, die von der ÖVP unterstützt wird, für die er aber auch Nicht-Parteimitglieder nominieren darf. „Die ÖVP soll weiter als Gerippe und Geldgeber fungieren, aber den Kurs gibt nur einer vor: Sebastian Kurz“, kommentierte dies die Süddeutschen Zeitung.

Kurz, der seit drei Jahren Außenminister in der Großen Koalition von Sozialdemokraten (SPÖ) und ÖVP ist, hatte die putschartige Übernahme des Parteivorsitzes monatelang vorbereitet. Er profilierte sich durch eine aggressive Flüchtlingspolitik, die sich kaum von jener der rechtsextremen Freiheitlichen (FPÖ) unterscheidet, zog durch die Bundesländer und intrigierte gegen den bisherigen Parteivorsitzenden Reinhold Mitterlehner.

Am Mittwoch warf Mitterlehner schließlich den Parteivorsitz sowie seine Ämter als Vizekanzler und Wirtschaftsminister entnervt hin und machte den Weg für Kurz frei. Dieser präsentierte der Partei darauf ein sieben Punkte umfassendes Ultimatum, das ihm die uneingeschränkte Macht über die Partei sichern soll.

In Punkt 3 heißt es: „Der Parteiobmann erhält ein personelles Durchgriffsrecht, er erstellt alleinverantwortlich die Bundesliste und hat bei den Landeslisten ein Vetorecht.“ Laut Punkt 4 bestellt er „den Generalsekretär und das Regierungsteam und benötigt dafür keinen Beschluss des Vorstandes mehr“. Punkt 5 gibt ihm „freie Hand für die Verhandlung von Koalitionen“ und Punkt 6 das Recht, „die inhaltliche Richtung der Partei“ vorzugeben.

In einem Interview mit der Kronen-Zeitung, dem auflagestärksten österreichischen Boulevard-Blatt, erklärte Kurz, seine Bedingungen seien „nicht verhandelbar“. Er werde der Partei „nicht mehr zur Verfügung stehen“, wenn sie nicht erfüllt würden. Am Sonntagabend akzeptierte dann das Parteipräsidium auf einer Krisensitzung das Ultimatum und wählte Kurz einstimmig zum neuen Parteiobmann.

Kurz strebt nun die Auflösung der Großen Koalition und vorgezogene Neuwahlen im Herbst an. Sowohl die SPÖ wie die FPÖ haben erkennen lassen, dass sie damit grundsätzlich einverstanden sind. Die Wahl wird voraussichtlich der rechtsextremen FPÖ den Weg in die Regierung ebnen, die derzeit in den Umfragen mit 30 Prozent vor den Sozialdemokraten (28 Prozent) und der ÖVP (21 Prozent) liegt. Weniger als ein Jahr nach der Niederlage des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer in der Präsidentenwahl zöge die FPÖ damit in die Regierung ein.

Kurz hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er bereit ist, gemeinsam mit den Rechtsextremen eine Regierung zu bilden. Er will dies allerdings nur tun, wenn er selbst das Amt des Kanzlers übernehmen kann. Um seine parlamentarische Basis zu erweitern, hat er bereits begonnen, Abgeordnete anderer Parteien für seine Wahlliste anzuwerben. Matthais Strolz, der Chef der liberalen Partei NEOS, die seit 2013 mit 5 Prozent der Stimmen im Parlament vertreten ist, beschwerte sich über Twitter: „Sebastian Kurz, hör endlich auf, unsere Leute durchzutelefonieren. Das ist schamlos und intrigant.“

Auch die SPÖ ist grundsätzliche bereit, eine Regierung mit der FPÖ zu bilden. Im Burgenland hat sie dies auf Länderebene bereits getan, und Bundeskanzler Christian Kern, ein ehemaliger Manager, hat wiederholt deutlich gemacht, dass er dazu auch auf Bundesebene bereit wäre.

Die Verwandlung der ÖVP in einen autoritär geführten Wahlverein dient der Vorbereitung einer äußerst rechten Regierung, die eine arbeiterfeindliche, anti-demokratische und militaristische Politik verfolgt. Ein Parteichef, der in den Reihen der eigenen Organisation weder demokratische Entscheidungen noch Widerspruch akzeptiert, wird dies auch als Regierungschef nicht tun.

Die ÖVP zählt zu den großen, traditionellen konservativen Parteien Europas und hat seit 1945 wiederholt die österreichische Regierung geführt. Dass sie nun einen derartigen Wandel vollzieht, zeigt, wie weit fortgeschritten die Erosion demokratischer Grundsätze in den herrschenden Kreisen ist.

Die bürgerlichen Medien werden nicht müde, den türkischen Präsidenten Erdogan, den russischen Präsidenten Putin oder den ungarischen Regierungschef Orban zu denunzieren, weil sie mit autoritären Methoden und gleichgeschalteten Parteien herrschen. Doch wenn dasselbe vor der eigenen Haustür geschieht, schweigen sie nicht nur, sondern unterstützen es.

So nahm Die Presse die ÖVP gegen den Vorwurf in Schutz, was sich nun in ihren Reihen abspiele, „sei ein präfaschistischer Putsch, eine autoritäre Wende, die Wiederkehr der Dreißigerjahre. Und dessen Protagonist angesiedelt irgendwo zwischen Viktor Orbán und Recep Tayyip Erdoğan.“

Dies, so Die Presse, sei purer Hass, denn: „Jeder Chef eines größeren Unternehmens in Österreich hat das: eine Hoheit über das Personal und die strategische Ausrichtung seiner Firma. Ja, er kann sich sogar den Namen seines Unternehmens aussuchen. Der ÖVP-Obmann bekommt so etwas nun auch.“

Die Befehlsstruktur eines Unternehmens als Vorbild für die Organisation einer politischen Partei! Deutlicher kann man die Absage an jede Form von Demokratie nicht formulieren. Nach denselben Grundsätzen handelt auch US-Präsident Donald Trump, der jede unerwünschte parlamentarische oder gerichtliche Entscheidung als Eingriff in seine Autorität und die Geschäftsinteressen seiner Familie betrachtet und immer offener zu autoritären Herrschaftsmethoden greift.

Die Erosion der bürgerlichen Demokratie ist ein Ergebnis der tiefen, internationalen Krise der kapitalistischen Gesellschaft und kündigt heftige Klassenkämpfe an. Nach Jahrzehnten der Bereicherung einiger Weniger auf Kosten der Mehrheit nähern sich die sozialen Spannungen dem Siedepunkt. Die herrschenden Eliten reagieren darauf, indem sie enger zusammen und gemeinsam nach rechts rücken.

In Österreich wurden die Mechanismen der Sozialpartnerschaft und der politischen Kompromisse nach dem Zweiten Weltkrieg institutionalisiert wie sonst nur in Skandinavien oder Deutschland. Sozialdemokraten und Konservative regierten immer wieder in einer Großen Koalition und entwickelten dabei ein undurchdringliches Geflecht von Nepotismus und Korruption. Die Wut und der Frust, den das erzeugte, nutzt Kurz nun für den Ruf nach einem starken Mann. Seine Politik richtet sich allerdings nicht gegen die Privilegien der herrschenden Eliten, sondern gegen die verbliebenen sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse.

Sebastian Kurz, der seine politische Karriere vor 14 Jahren in der Jugendorganisation der ÖVP begann und unter anderem durch den heutigen EU-Kommissar Johannes Hahn und andere Parteirechte gefördert wurde, wird nicht selten mit dem neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron verglichen. Auch dieser begann seine politisch Karriere in den Reihen der etablierten Eliten, um sich jetzt als „neues Gesicht“ darzustellen, das über den alten Parteien stehe. Beide suchen ihre wirkliche Basis im Sicherheitsapparat und im Militär.

Auch in Deutschland stoßen Kurz‘ autoritäre Bestrebungen auf Sympathie. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung lobte ihn, er stehe „für Frische und Neuanfang“. Obwohl Österreich kleiner als Bayern und Baden-Württemberg sei, leiste es sich „neben der Bundesverwaltung neun Länder und unzählige Einflussgruppen“. Um „für frischen Wind zu sorgen“, müssten „diese bündischen Strukturen aufgebrochen werden“. „Nur dann“, folgert die F.A.Z., „wird sich Österreich so modernisieren, wie es dringend nötig ist. Das gilt in erster Linie für die Wirtschaft und die Staatsfinanzen.“

Mit anderen Worten – eine autoritäre Partei und ein rechtes, diktatorisches Regime sind nötig, um die Wirtschafts- und die Staatsfinanzen auf Kosten der Arbeiterklasse zu sanieren.

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