Am Freitag hat der Bundestag mit den Stimmen der Großen Koalition einen auf Justizminister Heiko Maas (SPD) zurückgehenden Gesetzentwurf zur Internetzensur verabschiedet.
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ist ein massiver Angriff auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Es öffnet Denunziantentum und Zensur Tür und Tor und macht milliardenschwere Konzerne – die Besitzer sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter und Youtube – zu Anklägern, Richtern und Henkern über die Frage, welche Aussagen im Internet künftig erlaubt sind und welche nicht. Löschen sie gemeldete „offensichtlich rechtswidrige“ Äußerungen nicht binnen 24 Stunden und weniger offensichtliche nicht innerhalb von sieben Tagen, drohen ihnen Bußgelder von bis 50 Millionen Euro.
Die „Nachbesserungen“ gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf von Maas bedeuten keine Entschärfung. Neben der leichten Lockerung der Sieben-Tages-Frist wurde das NetzDG um eine sogenannte „anerkannte Einrichtung der regulierten Selbstregulierung“ ergänzt, die besonders komplizierte Fälle behandeln soll. „Reguliert“ bedeutet, dass die Einrichtung gesetzliche Kriterien erfüllen, staatlich zugelassen und vom Bundesamt für Justiz überwacht sein muss.
Nach wie vor steht den kurzen Fristen zur Löschung angeblich rechtswidriger Inhalte unter Androhung horrender Bußgelder keine Sanktion für rechtswidrige Löschung legitimer Meinungsäußerungen gegenüber. Der Nutzer, dessen Beitrag gelöscht wird, muss lediglich darüber informiert werden und wenn er die Löschung nicht akzeptieren will, eine langwierige und kostenintensive gerichtliche Auseinandersetzung führen, während der die Löschung bestehen bleibt.
Verschärft wurde eine Regelung über einen Zustellungsbevollmächtigten der Plattformen, der Ansprechpartner gegenüber staatlichen Behörden sein und diesen Auskunft geben soll. Kommt er einem Auskunftsverlangen nicht innerhalb von 48 Stunden nach, kann dies nun ebenfalls Bußgelder nach sich ziehen. Damit soll sichergestellt werden, dass gelöschte Äußerungen – die der Anbieter speichern muss – auch effektiv strafrechtlich verfolgt werden können.
Zudem sollen die Plattformen auch Auskunft darüber geben, wer die beanstandeten Äußerungen verfasst hat. Angeblich sollen damit zivilrechtliche Ansprüche leichter durchgesetzt werden können. Tatsächlich ist es eine Einladung für alle Arten von Stalking, Mobbing und Einschüchterung politischer Gegner. Ein nun noch verankerter Richtervorbehalt ändert daran wenig. Die Beteiligung desjenigen, dessen Bestandsdaten herausverlangt werden, ist nicht vorgesehen, der Plattformbetreiber „darf“ ihn lediglich unterrichten. Die Erfahrung bei derartigen Verfahren zeigt, dass es nur einigermaßen professionell von einem Anwalt formulierte Anträge braucht, damit Richter diese umstandslos durchwinken.
Ob eine Äußerung beleidigend, verunglimpfend oder verleumderisch ist, war bislang oft Gegenstand langwieriger gerichtlicher Auseinandersetzungen. Nicht selten werden entsprechende Anzeigen und gerichtliche Klagen genutzt, um persönliche oder politische Gegner und Kritiker zu kriminalisieren oder mundtot zu machen. Immer wieder hat nach mehreren Instanzen schließlich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hierüber entschieden und dabei – nicht immer auch konsequent – den hohen Stellenwert der Meinungsfreiheit und der freien Auseinandersetzung hervorgehoben.
Angesichts der extrem kurzen Prüfungsfristen in Verbindung mit der drastischen Höhe der drohenden Bußgelder ist klar, wie Konzerne wie Facebook oder Google auf Meldungen angeblich strafbarer Inhalte reagieren werden: mit Löschung. Eine ernsthafte Prüfung, ob der Beitrag tatsächlich rechtswidrig oder strafbar ist, ist angesichts der kurzen Prüfungsfristen und der drakonischen Bußgelder weder möglich noch gewollt. Jeder scharfe, kritische, polemische, ironische oder satirische Beitrag in einem sozialen Netzwerk kann auf eine bloße Denunziation hin sofort wieder „verschwinden“.
Das Gesetz ist ein so offensichtlicher Angriff auf die Meinungsfreiheit, dass selbst der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages in einem Gutachten von einem „verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit“ sprach. Die Bundestagsjuristen mahnten, „dass es schon bei der begrifflichen Abgrenzung der zu löschenden rechtswidrigen Inhalte und strafbaren falschen Nachrichten („Fake News“) erhebliche Schwierigkeiten“ gebe. „Orientierungshilfen, Beispiele oder Hinweise auf ausgewählte Beispiele für offensichtlich rechtswidrige, rechtswidrige oder strafbare Inhalte“ würden im Gesetzentwurf „nicht angegeben.“
Mit anderen Worten: Ein verfassungswidriges Gesetz wird ohne jede konkrete Grundlage durch den Bundestag gepeitscht. Auf Anfrage hatte die Bundesregierung kein einziges Beispiel strafbarer „Fake News“ nennen können.
Tatsächlich geht es auch nicht um „Hate speech“ oder „Fake News“ – und schon gar nicht um den Kampf gegen Rechts –, sondern um die Zensur des Internets. Breite Schichten der Bevölkerung haben das Vertrauen in die kapitalistischen Parteien und die bürgerlichen Medien verloren und nutzen vor allem das Internet und soziale Medien, um sich zu informieren und auszutauschen. Die herrschende Klasse betrachtet das zunehmend als Bedrohung.
„Hasskriminalität“ – unter der das Gesetz, wie gesehen, so ziemlich alles versteht –, „die nicht effektiv bekämpft und verfolgt werden kann, birgt eine große Gefahr für das friedliche Zusammenleben einer freien, offenen und demokratischen Gesellschaft“, heißt es im Gesetzesentwurf. Als Beispiel wird ganz offen der amerikanische Wahlkampf angeführt. „Nach den Erfahrungen im US-Wahlkampf hat überdies auch in der Bundesrepublik Deutschland die Bekämpfung von strafbaren Falschnachrichten (‚Fake News‘) in sozialen Netzwerken hohe Priorität gewonnen.“
Dass ein so weitreichendes Gesetz derart schnell, innerhalb weniger Monate und gegen breite Kritik durchgesetzt wird – es soll bereits im Oktober in Kraft treten – macht deutlich, wie sehr sich die herrschende Klasse unter Druck fühlen. Sie reagiert auf die wachsende politische und soziale Unzufriedenheit so, wie sie es in der Geschichte immer getan hat: mit dem Aufbau eines Überwachungs- und Polizeistaats.
Dabei ziehen alle Bundestagsparteien an einem Strang. Die Grünen enthielten sich der Stimme vor allem deshalb, weil sie in die Vorbereitung des Gesetzes nicht intensiv genug einbezogen worden waren. „Das Verfahren bis hierhin war nicht gut. Es war nicht gut, dass ihr erst einmal interne Gespräche geführt habt, ohne Einbeziehung des Parlaments“, warf die Grünen-Sprecherin Renate Künast den Regierungsparteien vor. Dies habe „nichts mit dem Niveau und der Seriosität zu tun, die wir hier gebraucht hätten.“
Die Linkspartei stimmte aus den gleichen Gründen dagegen, stellte in der Bundestagsdebatte aber genauso klar, dass sie mit der Stoßrichtung des NetzDG übereinstimmt. „Natürlich hat Herr Maas recht: Es gibt Probleme mit Hass- und Falschnachrichten und der Rolle, die soziale Netzwerke da als Plattformen spielen. Die gibt es aber nicht erst seit gestern, und sie sind unbedingt ernst zu nehmen. Gerade deshalb ist eine ernsthafte und gründliche Prüfung von Lösungsansätzen notwendig“, mahnte Petra Sitte, die erste parlamentarische Geschäftsführerin der Linkspartei im Bundestag.